Ansonsten habe ich gegen deine Sicht nichts, allerdings muss
man als Christ doch eigentlich die Berichte der Apostel
wörtlicher auffassen, um überhaupt zum Sohn G’ttes, zum
Messias, zur Erlösung etc. zu kommen. Deine Auffassung
entspricht ja eher meiner, welches dann einen „lockeren“
Umgang mit den Texten erlaubt, vor allem diese in einen
globaleren Kontext zu stellen und dadruch auch zu
relativieren. Nur wird dadurch Jesus zu einem gewöhnlichen
Juden seiner Zeit. Darum wollte ich wissen, wie Christen damit
umgehen.
Hallo Eli,
also, „wie Christen damit umgehen“, weiß ich nicht - das ist ein weites Feld.
Meine Argumentation geht ein bisschen anders als Deine. Und vor allem: Ich gehe mit den Texten nicht so „locker“ um, wie es vielleicht scheinen mag. Aber der Reihe nach:
Dass Jesus der „Messias“ ist, der „Sohn Gottes“, der „Erlöser“ - das alles sind Aussagen des Glaubens, Chiffren für andere, nicht sagbare Sachverhalte. Und vor allem: Es sind keine ontologischen Aussagen. Von meinem Sohn Linus kann ich sagen: Er ist mein Sohn. Denn ich habe ihn gezeugt, meine Frau hat ihn geboren, er sieht mir derart ähnlich, dass er einfach von mir abstammen muss. Das ist eine ontologische Aussage.
So kann man aber von Jesus nicht reden, trotz der Stimme bei der Taufe in Markus 1 und bei der Verklärung in Mk 9. Diese Berichte von den Stimmen sind der Versuch, die Chiffren (Jesus ist der Sohn Gottes) in der Biographie und mit Rückgriff auf den Psalm (2, 7) zu verankern.
Ganz allgemein gesprochen: Diese Chiffren oder diese menschliche Redeweise von etwas nicht Sagbarem sind immer der nachträgliche Versuch, eine vorhergehende Erfahrung in Worte zu fassen, damit auch andere, die diese Erfahrung nicht selber gemacht haben, daran teilhaben können.
Nun gut; was wir also in den Evangelien lesen, sind die späteren Versprachlichungen der Erfahrung: Jesus ist nach seinem Tode wieder erschienen. Dadurch, und nur dadurch, wurde sein Leben und seine Biographie wichtig. Sonst wäre er einer der Zehntausende geblieben, die von den Römern gekreuzigt worden sind.
Nun transportieren diese Evangelien nicht nur eine Botschaft, sondern auch einen Anspruch: Glaube an diesen Jesus von Nazareth als deinen Herrn und Erlöser!
Dieser Anrede und diesem Anspruch kann man sich stellen oder auch nicht; man kann ihn, nachdem man sich ihm gestellt hat, bejahen oder ablehnen. Man kann sagen: Später, nicht jetzt. Da ist jede Reaktion möglich.
Darum ist für einen Christen nur eins entscheidend: Wie er sich dem Anspruch stellt, Jesus von Nazareth als den Auferstandenen, als den Herrn seines Lebens zu erkennen und zu bekennen.
Nicht entscheidend ist, ob er alle Geschichten für wahr hält, ob er glaubt, dass Jesus alle Wunder getan hat. (Auch damals haben die Wunder ja nichts „bewiesen“; sonst hätte ganz Israel sich zu Jesus bekehren müssen.)
Wenn ich sage: So ist das nicht gewesen; Jesus hat keine 5.00, keine 3.000 und keine 4.000 gespeist; Jesus hat die Tochter des Jairus nicht auferweckt, oder - aktuell - Judas ist keine historische Gestalt, dann relativiere ich die Texte nicht.
Ich nehme sie im Gegenteil ganz ernst und versuche herauszufinden, was der Verfasser in seiner Zeit seiner Gemeinde in der ganz besonderen Situation (Das zertrümmerte Jerusalem, bei dessen Eroberung und Zerstörung der Messias nicht eingegriffen hat - das ist das große Problem des Markus!) sagen wollte.
Dann allerdings beginnt der zweite große und anstrengende Schritt: Was hat das mit meinem Leben und mir zu tun? Es gibt zweifellos Passagen sowohl im Tenach wie im Neuen Testament, von denen ich sagen kann: Die gehen mich nichts an (So halte ich es zum Beispiel mit weiten Teilen der Offenbarung des Johannes). Aber ebenso gibt es andere, denen ich mich stellen und aussetzen muss.
Insofern also war Jesus sicher ein „gewöhnlicher Jude seiner Zeit“, aber er war (oder wurde dazu gemacht) eben auch mehr. Und dieses Mehr glaube ich.
Shalom! - Rolf