in einem Text aus dem Jahr 1900 (aus einem Städtchen am Fuß der Schwäbischen Alb im Oberamt Urach) bin ich auf vier Begriffe gestoßen, die mir noch nie begegnet sind und zu denen ich bisher auch nichts finden konnte.
Es handelt sich hierbei um eine Aufzählung von Tätigkeiten, die im Frühjahr in der Landwirtschaft ausgeführt wurden:
„[…] im Weinberg: Aierdertraga, Pfählstaußa, Naderzieha, Āwerfa; […]“
Was sind die „Aierder“, die da getragen werden?
Bezeichnet „Pfählstaußa“ (= Pfählestoßen?) das Einschlagen von Holzpfählen (für die Drähte zum Ziehen der Reben)?
Ist „Naderziehen“ das Ziehen / Spannen eben dieser Drähte?
Was wird beim „Āwerfa“ „geworfen“?
ein einziges kann ich spontan kommentieren: Was meinst Du dazu, das „Naderziehen“ schlicht als „Nacheziehen“ aka „Nocheziaga“ (= Nachspannen der Drähte) mit einem lateinischen h zu lesen?
Das hängt ganz davon ab, wie konsequent der Schreiber sonst zwischen lateinischer und deutscher Schrift unterschieden hat - mir kommt bereits das deutsche a in „Pfähl“ ein bitzle verzwungen vor.
und noch eins: Beim „Pfählstaußa“ kommt es mir vor, als sei vor dem a noch ein r im Spiel. Wenn das so ist, geht es um ein mittlerweile nicht mehr verwendetes Verb „Pfähle straußen“ für das Stellen von Pfählen im Wingert und anderswo. 1904 hat Dyckerhoff und Widmann noch „Straußpfähle“ angeboten:
nach langer Suche habe ich die Lösung(en) nun selbst gefunden und will sie Euch nicht vorenthalten:
Aierdertraga : Erden-tragen: „Das Befördern abgeschwemmter Erde aus unteren in obere Teile des Weinbergs“ ,
Quelle: [„Erdentragen“ in: WDW Online-Wörterbuch 5.0, Wörterbuch der Winzersprachehttps://www.wdw.uni-trier.de/onlinewb/index.php?id=54759&c=, abgerufen 18.10.2023.]
Pfählstaußa : Einrammen der Stützpfähle in den Boden. „[…] 4.a. Stützpfahl in den Boden rammen […] b. Pfähle einrammen, in Winzerregel zum Austrieb der Reben im Frühjahr.“
Quelle: [„stoßen/-ö-“ in: WDW Online-Wörterbuch 5.0, Wörterbuch der Winzersprachehttps://www.wdw.uni-trier.de/onlinewb/index.php?id=54759&c=, abgerufen 18.10.2023.]
Ergänzung: „In manchen Weinbaugebieten wurden früher im Herbst die Pfähle aus dem Boden gezogen und zum Schutz vor Frost auf die niedergelegten Rebstöcke gelegt. Sie mussten daher im Frühjahr wieder in den Boden gestoßen werden.“
(Lt. Auskunft von Prof. Dr. Bresse wurden früher Einzelpfähle für die Reben verwendet.) Quelle: [Prof. Dr. Maria Bresse, Uni Saarland, Projektleitung WDW (Wörterbuch der dt. Winzersprache); E-Mail vom 17.10.2023]
Naderzieha : Niederziehen: "1. Fruchtrute(n) biegen u. befestigen[…]"
Quelle: [„niederziehen“ in: WDW Online-Wörterbuch 5.0, Wörterbuch der Winzersprachehttps://www.wdw.uni-trier.de/onlinewb/index.php?id=54759&c=, abgerufen 18.10.2023.]
in diesem Zusammenhang erklärt, werden die Wörter ohne weiteres verständlich, und es wird deutlich, dass sie erst in der Darstellung der schwäbischen Vokale in der Schrift, die für diese nicht geeignet ist, so kurios wirken.
– kleine Anmerkung zu den Erziehungsformen im Weinbau: Es gibt bei Ilbesheim am Fuß der kleinen Kalmit eine kleine, instruktive museale Rebanlage, in der die verschiedenen Erziehungsformen gezeigt werden, die seit dem Mittelalter gepflegt wurden. Erwähnens- und lobenswert, dass diese Anlage nicht im Sinn von „fire and forget“ eingerichtet worden ist, sondern regelmäßig gepflegt wird, so dass sie nicht nur gehalten hat, bis das lokale Fernsehen da war, sondern weiterhin ihren Zweck erfüllt.
Ach, und noch zwei Aufgegabelte zur Schwierigkeit, Schwäbisch in der deutschen Schriftform darzustellen:
auf einer Baustelle in Geislingen:
Heeeh, Äbrhaad, hilf mr amol där Abbaraad raa draa!
und auf einer in Ulm, zwei Passanten interessieren sich für das Geschehen:
Ach, das ist ja interessant, wass Sie da machen. Können Sie mir bitte erklären, worum es da geht?
Ramma dammar!
Entschuldigen Sie, das habe ich jetzt nicht verstanden - was tun Sie den jetzt gerade?
Ramma du-r-e!
Und all Ihre Kollegen auf der Baustelle, womit sind diese denn beschäftigt?
Ramma dont se!
(Nebenbei zum anderen: Italiener, Türken, Jugoslawen, Albaner auf den Baustellen kennen wir ja schon lange. Aber dass sie jetzt auch schon Inder einstellen?)
Ein (aus Norddeutschland stammender) Assistenzarzt an der Tübinger Uniklinik berichtet seinem Chef ganz aufgeregt; „Ein Wunder! Ein Wunder! Der alte Winzer ist soeben aus dem Koma aufgewacht, stellen Sie sich vor, er spricht fließend Altgriechisch!!!“
Professor: „???“
Assistenzarzt: „Er ruft ständig: I xi nix mai! - I xi nix mai!“