Servus,
von einer früheren Kollegin aus Louisville, dem Tor zum Westen, habe ich gelernt, dass die Geschmacksempfindung „bitter“ ziemlich stark davon abhängt, mit welchem Niveau von Süßgeschmack man aufgewachsen ist und alltäglich lebt. Sie sagte von sich, sie sei sozusagen mit Coke in der Nuckelflasche geeicht worden, und wandte sich an mich (betriebsbekannten Trinker) mit der Frage, was für ein deutscher Wein denn für sie erträglich sein könnte, wenn sie zu Repräsentationszwecken mit ihrem Gatten (Vertriebler) mal nicht an Wein vorbei käme. Ich habe ihr schwankenden Herzens empfohlen, sich an die Klassiker aus Rheinhessens finstersten Zeiten - Binger Rochuskapelle, Niersteiner Liebfrauenmilch, Oppenheimer Krötenbrunnen - zu halten, und sie hat sich hinterher überschwänglich bedankt.
Wieauchimmer - der etwas herbe Nach-/beigeschmack bei Tee hängt von verschiedenen Dingen ab. Einmal davon, dass in vielen - auch Blatttee - Blends der relativ wohlfeile Assam mit von der Partie ist. Den gibts übrigens nicht bloß aus der Herkunft Assam, sondern z.B. auch als Hybridelternlinie in immer mehr wohlfeilen Darjeeling-Lagen. Wenn man dann noch richtich sparen will, blended man mit Ceylon, Dooars, Nilgiri, Java usw. - alles Herkünfte, die für sich und sauber zwar schönen Tee bieten, aber gleichzeitig auch richtig ruppige Gesellen für den Beutelkram liefern.
Wenn man ungefähr das Gegenteil, nämlich blumigen, duftenden Tee haben will, der seine Gerbsäure erst entwickelt, wenn man ihn auf dem Blatt vergisst, kann man sich in Richtung Nepal orientieren: Dort gibt es noch viele Gärten mit lauter Chinabüschen, und es verhält sich da etwa so wie bei einem mittelprächtigen Bordeaux im Vergleich zu einem ordentlichen Bergerac oder Cahors: Man bezahlt nicht wie beim Darjeeling den Namen, sondern das Blatt, das man in der Kanne hat. Sprich: Man bekommt für das gleiche Geld hervorragend gute Qualitäten - sichtbar auch an den hellen Tips (= Spitzen, jungen Blattknospen) und dem langen, feinen Blatt.
Nett ist auch ein Versuch in eine gänzlich andere Richtung gehend: Der allerbilligste gute Tee kommt vom Türken, dort gibt es ganz gerbsäurearme Blatttees aus Ceylon, die dafür gemacht sind, dass man sie ewig in der Kanne auf dem Blatt lassen kann, alla Turca sozusagen. Die schmecken kurz gezogen nach fast nix, sie haben keine Tips, kein Feuer unterm Arsch, bieten aber lang gezogen ein ganz eigenes Vergnügen.
Noch eine andere Richtung ist ein hoch dosierter, ganz kurz gezogener Broken oder Dust. Eine andere gewesene Kollegin aus Rwanda hat mir mal so einen Stoff aus Kigali mitgebracht - der geht morgens richtig fett ab, aber man darf ihn vielleicht zwei Minuten auf dem Blatt lassen, eher kürzer.
Und noch eine andere die Wunderwelt des Oolong aus China und Formosa: Halb fermentierter Tee, ebenfalls von Chinabüschen, mit einer sehr breiten Palette von duftig bis heftig. Den - genauso wie den oben genannten Nepal - nicht mit kochendem Wasser aufgießen, egal was auf der Packung steht, sondern das Wasser nach dem Aufkochen etwa eine Minute abkühlen lassen. Da steigt sogar dem jahrelangen Heftigraucher eine Engelsmusik in die Nüstern…
Unabhängig von der Herkunft macht es Dir vielleicht auch Vergnügen, trotz aller Reklame von First Flush in Richtung Second Flush und Autumnal zu gehen - bei den späteren Ernten ist das mit der Gerbsäure auch weniger heftig.
Schöne Grüße
MM