Sorry, ich nehme jetzt doch kein Urteil vom BVerfG, sondern vom Bundessozialgericht aus 2006:
Auszüge aus dem Urteil des Bundessozialgerichts: Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R
Auszüge aus dem Urteil des Bundessozialgerichts, dessen Text erst im Februar 2007 veröffentlicht worden ist. Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R
(…) Der Kläger beantragte im Sept. 2004 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einschließlich der Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit seinen Kindern; entsprechende Leistungen waren bis 31. Dezember 2004 vom Sozialhilfeträger nach den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erbracht worden. Die Beklagte bewilligte Alg-II-Leistungen nach dem SGB II (…), lehnte jedoch die Zahlung zusätzlicher Beträge ab, weil die Töchter mit dem Kläger keine Bedarfsgemeinschaft bildeten, die Fahrtkosten (eigene Kosten des Klägers zur Abholung der Kinder; Kosten der Kinder selbst) den pauschalierten Regelleistungen des SGB II unterfielen und eine Anspruchsgrundlage für darüber hinausgehende Leistungen nicht bestehe. (…)
Die Klage auf höhere Leistungen hatte beim Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil des SG vom 20. März 2006) (…) Das SG hat die Beklagte „unter teilweiser Aufhebung und Abänderung des Bescheides vom 02.11.2004 unter Einbeziehung der nachfolgenden Bescheide verurteilt, dem Kläger über die bewilligten Leistungen hinaus die Kosten für die 14-tägigen Besuchswochenenden sowie die Kosten für entsprechende Ferienaufenthalte seiner Töchter durch Übernahme der Fahrtkosten in Höhe von jeweils 58 Euro pro Besuchswochenende bzw 29 Euro für jede Abholung der Kinder durch den Kläger und die nachfolgende Rückfahrt von drei Personen sowie durch Übernahme der Kosten in Höhe von 70 vH des jeweils geltenden Satzes nach § 3 Abs 2 der Regelsatzverordnung, bezogen auf den Tag pro Kind, für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.03.2006 zu gewähren.“
- Die Sprungrevision der Beklagten [Agentur für Arbeit] ist zulässig (…) und iS der Aufhebung der Entscheidung des SG und der Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 4 SGG). Die Zurückverweisung der Sache an das SG ist bereits deshalb erforderlich, weil ausreichende tatsächliche Feststellungen des SG dazu fehlen, ob dem Kläger über die bewilligten Leistungen hinaus die vom SG zugesprochenen Leistungen überhaupt zustehen. Das SG hat sich auf eine Überprüfung von Elementen des Alg-II-Anspruchs beschränkt, ohne dessen Voraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach insgesamt zu prüfen. Daher fehlen die tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG), die es dem Senat ermöglichten, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Das SG hat auch nicht festgestellt, ob der Kläger iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 - BGBl I 2014) erwerbsfähig ist. Darüber hinaus hat das SG die von ihm im Wege der Klageänderung nach § 99 Abs 1 SGG in das Verfahren einbezogenen Folgebescheide (hierzu unter 9) weder näher bezeichnet noch deren Inhalt festgestellt. Darüber hinaus leidet das Verfahren an dem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel, dass das SG den für eine mögliche Leistung nach § 73 SGB XII zuständigen Sozialleistungsträger nicht nach § 75 Abs 2 2. Alternative SGG analog - mit der Möglichkeit der Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG analog - beigeladen hat (hierzu unter 3). (…)
Die Rechtslage betreffend die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit den Kindern im Rahmen des SGB II ist mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte des Art 6 GG (vgl: BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1994 - 1 BvR 1197/93 -, NJW 1995, 1342 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 13. Juni 2002 - 10 A 37/01 -, NJW 2003, 79) auch objektiv ungeklärt; in der Literatur und der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit wurde und wird mit gewichtigen Gründen eine Anwendung des § 73 SGB XII und damit eine Leistungszuständigkeit des Sozialhilfeträgers auch für SGB-II-Leistungsempfänger (trotz der Ausschlussregelung in § 5 Abs 2 SGB II) vertreten (…)
- Ein dem Kläger selbst zustehender Anspruch kann sich allenfalls aus § 73 SGB XII ergeben (vgl Knickrehm, aaO, S 161 f; aA Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 73 RdNr 5, Stand Juni 2006, und Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 28 RdNr 13). Bereits unter Geltung des BSHG war anerkannt, dass die Kosten des Umgangsrechts zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, für die über die Regelsätze für laufende Leistungen hinaus einmalige oder laufende Leistungen zu erbringen waren (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1994 - 1 BvR 1197/93 -, NJW 1995, 1342 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32). Dabei war im Hinblick auf Art 6 Abs 2 Satz 1 GG zu beachten, dass die Leistungen mehr als das Maß an Umgang ermöglichen mussten, das im Streitfall zwangsweise hätte durchgesetzt werden können (BVerfG aaO). Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen danach - und insoweit ist weder eine zeitliche Zäsur (1. Januar 2005: In-Kraft-Treten des SGB XII) noch eine strukturelle Unterscheidung zwischen SGB II und SGB XII gerechtfertigt - im Ergebnis die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen. Wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, ist abhängig von der einfachrechtlichen Ausgestaltung, die im Licht des Art 6 Abs 1 und 2 S 1 GG auszulegen ist.
Vor diesem Hintergrund kann eine atypische Bedarfslage angenommen werden, die die Anwendung des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt (vgl Knickrehm, Sozialrecht aktuell 2006, 159, 162; aA Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/Asylbewerberleistungsgesetz, § 73 SGB XII RdNr 11, Stand Februar 2006; vgl auch O’Sullivan, SGb 2005, 369, 371 f), ohne dass die Norm zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutiert. Erforderlich ist nur das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist (vgl Berlit, LPK-SGB XII, § 73 RdNr 5: „wertende Betrachtung mit anderen Bedarfslagen“) und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt (Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, IV.7 RdNr 20, Stand März 2006). Eine derartige Bedarfslage, und nicht nur ein erhöhter Bedarf wie im Rahmen des § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII, ist - wie vorliegend - in der mit der Scheidung der Eltern verbundenen besonderen Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Umgangs der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bei unterschiedlichen, voneinander entfernt liegenden Wohnorten zu sehen (s auch BVerwG aaO). Dass diese besondere, atypische Situation eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach dem 9. Kapitel des SGB XII rechtfertigen kann (vgl auch Schellhorn, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 73 RdNr 7: Übernahme von Reisekosten), zeigt ein Blick auf die Altenhilfe nach § 71 SGB XII. Obwohl nach § 27 Abs 1 Satz 2 SGB XII die Beziehungen zur Umwelt zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören und damit vom Regelbedarf des § 28 SGB XII erfasst werden, können alte Menschen wegen deren besonderer Situation gleichwohl weitere Leistungen erhalten, die ihnen die Verbindung mit nahe stehenden Personen ermöglichen (§ 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII). (…)
Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen den Ansprüchen des Klägers und denen seiner Kinder. Nicht ausschlaggebend ist also, wem die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts unterhaltsrechtlich zuzuordnen sind (zu dieser Zuordnung BGH, Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 206/93 -, NJW 1995, 717; vgl auch Berlit in LPK-SGB XII, 7. Aufl 2005, § 73 RdNr 6). Anspruchsinhaber ist nicht generell der Unterhaltsverpflichtete, sondern der jeweils Bedürftige für seine Kosten (nicht problematisiert von BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32, und aA Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 13. Juni 2002 - 10 A 37/01 -, NJW 2003, 79). Ohnedies ist bereits unterhaltsrechtlich davon auszugehen, dass der Kläger die Kosten der Kinder nicht zu tragen hat, wenn und soweit er selbst kein Einkommen besitzt, das sein eigenes Existenzminimum deckt. Darüber hinaus müssen die Regelungen des SGB XII ebenso wenig wie die des SGB II notwendigerweise den Kriterien des Unterhaltsrechts folgen. Sie substituieren keine Unterhaltsverpflichtung durch Leistungen an den Verpflichteten, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch Leistungen an den Unterhaltsberechtigten. Daraus folgt, dass § 73 SGB XII dem Kläger selbst allenfalls eine Übernahme seiner eigenen Fahrtkosten ermöglicht. Daneben sind Ansprüche der Kinder wegen deren Fahrtkosten denkbar. Insoweit wäre zu entscheiden, auf wessen Einkommen es für die Bestimmung der Einkommensgrenze ankommt (§ 85 Abs 2 SGB XII) und ob die Aufbringung von Mitteln zumutbar ist (§ 87 SGB XII). Die sonstigen Lebenshaltungskosten der Kinder während der Zeit der Besuche werden allerdings nicht von § 73 SGB XII, sondern von §§ 20 - 22 SGB II erfasst (hierzu unter 8). 25 Allerdings ist bei der Ermessensleistung nach § 73 SGB XII auch zu beachten, ob bzw inwieweit die geltend gemachten Fahrtkosten überhaupt notwendigerweise anfallen. Dies gilt insbesondere für die Fahrtkosten, die dem Kläger selbst entstehen, um die Kinder abzuholen. Das SG wird zu prüfen haben, ob eine Abholung der im streitigen Zeitraum zwölf- bzw vierzehnjährigen Töchter in der vom Kläger praktizierten Form (noch) erforderlich war. In der Regel wird Kindern in dieser Lebensphase zugemutet, auch weitere Strecken, etwa beim Besuch weiterführender Schulen, eigenständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Ansonsten bewegen sich die Fahrtkosten in einem Bereich, der den Einsatz öffentlicher Mittel noch rechtfertigt. Etwas anderes würde bei außergewöhnlich hohen Kosten gelten. Auch hinsichtlich des Umgangsrechts mit den Kindern ist über § 73 SGB XII keine unbeschränkte Sozialisierung von Scheidungsfolgekosten möglich. (…)
Einzuräumen ist, dass die vorgeschlagene Lösung der mit dem Umgangsrecht verbundenen Bedarfe wegen der Mehrfachzuständigkeiten nicht verwaltungsfreundlich ist. Eine praktikablere Lösung bedürfte jedoch einer Gesetzesänderung, die eine Berücksichtigung verfassungsrechtlich gebotener Bedarfe (allgemein hierzu: Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II § 20 RdNr 112 ff) ermöglicht (Lauterbach, NJ 2006, 199, 201). (…)
- Für die zusätzlichen Lebenshaltungskosten in den Zeiten, in denen die Töchter des Klägers bei diesem gewohnt haben, ist allerdings die Annahme einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II (in der jeweiligen Fassung) gerechtfertigt. Die Regelung verlangt schon nach ihrem Wortlaut („dem Haushalt angehörend“) kein dauerhaftes „Leben“ im Haushalt wie etwa Abs 3 Nr 2 und 3. Es genügt vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass die Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wie vorliegend - bei dem Kläger länger als einen Tag wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen. Auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung kann bei minderjährigen Kindern eine getrennte und damit doppelte Bedarfsgemeinschaft sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen Elternteil angenommen werden, etwa wenn sich die Eltern darauf einigen, die Kinder abwechselnd im Haushalt des einen und des anderen zu versorgen. Diese Situation unterscheidet sich jedenfalls qualitativ nicht von der vorliegenden Konstellation, dass die Kinder nur an wenigen Tagen außerhalb des Haushalts der Mutter dem Haushalt des Vaters angehören. Der rein quantitative Unterschied der Anzahl der Tage kann jedoch nicht bedeuten, dass die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft, die sowohl bei dem einen als auch bei dem anderen Elternteil besteht, ausgeschlossen ist. Auf diese Weise ergibt sich zumindest zum Teil eine SGB-II-immanente Lösung des Problems der Umgangskosten, die der Lösung des SGB XII in dessen § 28 Abs 1 Satz 2 nahe kommt und der besonderen Förderungspflicht des Staates nach Art 6 Abs 1 GG gerecht wird.
Allerdings gewährt diese Lösung wiederum nicht dem Kläger einen Anspruch, sondern die Kinder selbst sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als Bedarfsgemeinschaftsmitglieder Anspruchsinhaber (vgl Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R) für Teilzeiträume (s § 41 Abs 1 S 3 SGB II). Dies entspricht dem schon erwähnten Grundsatz, dass staatliche Leistungen zur Existenzsicherung im Rahmen familienrechtlicher Beziehungen nicht dazu bestimmt sind, die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu ersetzen. Das SG muss deshalb ggf die Kinder des Klägers „in das Verfahren einbeziehen“ (vgl dazu das Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R). Dass sich bei der Annahme einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft in der Praxis Umsetzungsprobleme ergeben werden, ist hinzunehmen und Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft (vgl dazu das Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R). In der hier gegebenen Mangelsituation als Folge einer scheidungsbedingten Trennung einer Familie gilt es vor allem, eine Benachteiligung derjenigen Mitglieder der früheren Familie zu vermeiden, die von deren Nachwirkungen ebenfalls betroffen sind. Dies ist hier unter Umständen die frühere Ehefrau des Klägers und Mutter der beiden Töchter. Ihre Rechtsposition würde jedoch auch bei eigenem Alg-II-Bezug nicht nachteilig betroffen. Einem bedürftigen sorgeberechtigten Elternteil wird durch die Existenz einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nichts genommen, weil dessen eigene Leistungsansprüche aus §§ 20 - 22 SGB II nicht zu kürzen sind, sondern dessen individueller Anspruch aus § 23 SGB II während der Abwesenheit der Kinder ggf sogar erhöht werden kann, weil die Kosten insoweit nicht aufzuteilen sind. Zuständig für die Leistungen nach §§ 20 - 22 SGB II an die Kinder während deren Aufenthalts beim Vater ist dann die für diesen Aufenthalt nach § 36 SGB II zuständige Beklagte. Insoweit muss § 36 SGB II eine der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft gerecht werdende Auslegung erfahren. Grundsätzlich gilt die Vertretungsvermutung des § 38 SGB II. Probleme bei Leistungen „an zwei Bedarfsgemeinschaften“ sind jedenfalls lösbar.