SGB II und Umgangsrecht Trennungskind

Hallo,

wie sieht es aus wenn ein Empfänger von Leistungen nach SGB II sein Umgangsrecht mit dem eigenen Kind nach Trennung wahrnehmen möchte/soll?
Gibt es hierfür finanzielle Unterstützung seitens der Arge?

Wie sieht es aus wenn SGB II Bezieher und Kind 300 km weit entfernt wohnen und ein Familiengericht den Umgang angeordnet hat?

Zum Beispiel bei einer Regelung: alle 2 Wochen Besuchswochenende des Kindes beim Leistungsempfänger, Kind im Kindergarten, also nicht alleine reisefähig.
Grüße
Bori

Hi!

Bis vor Kurzem hätte ich gesagt: „Nein, so ätzend das auch ist, aber die ARGE zahlt da nix.“ (Hätte sie auch nicht.)

Aber dann hat das BVerfG im Februar dieses wegweisende Urteil gefällt (das, in dem die Berechnung des (Kinder-)Regelsatzes als verfassungswidrig eingestuft wurde).
Folgende Zitate sind dieser Seite entnommen worden: http://www.arbeitsagentur.de/nn_25836/Dienststellen/…

Während die aktuellen Regelsätze trotzdem noch bis zum 31.12.10 gültig bleiben, gestand das BVerfG im Rahmen eines Alg-II-Bezuges zu, dass ab sofort (= 22.02.2010) "in seltenen, besonderen Härtefällen ein laufender zusätzlicher Bedarf geltend gemacht werden [kann]. […] Der nach dem Urteil zu berücksichtigende ‚Sonderbedarf‘ ist definiert als ‚längerfristiger oder dauerhafter, zumindest regelmäßig wiederkehrender, unabweisbarer atypischer Bedarf‘.
Und bevor Du jetzt losgrübelst, was das denn nun für den Vater und sein Kind aus Deinem Beispiel bedeutet :smile:, springe ich ein bisschen im verlinken Text und zitiere weiter:

"Demnach können anerkannt werden:
[…]
– Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit den Kindern getrennt lebender oder geschiedener Elternteile, wenn dafür Fahrtkosten entstehen. Das bedeutet aber nicht, dass die Kosten voll in dem Umfang finanziert werden, der durch die Vereinbarung der Eltern entsteht. So wird eine wöchentliche Reise nach München sicher als nicht angemessen angesehen werden, aber auch eine starre Vorgabe, dass beispielsweise ein Besuch im Monat in jedem Fall ausreichend sein müsse, ist nicht möglich. Hier müssen im Einzelfall alle das Verhältnis zwischen Eltern und Kind bestimmenden Umstände berücksichtigt werden. Beispielsweise ist auch zu prüfen, ob das Kind unter Berücksichtigung seines Alters, der Entfernung und des Reiseverlaufs die Reise bereits ohne Begleitung durchführen könnte. In jedem Fall aber können nur die Kosten für die preisgünstigste zumutbare Fahrgelegenheit übernommen werden.
"

Das bedeutet, dass der Vater jetzt sehr wahrscheinlich, zumindest einen Teil der Fahrtkosten von der ARGE zu bekommt, vielleicht sogar alles. (Aufgrund des obigen Wortlauts könnte mir durchaus vorstellen, dass eine gerichtliche Entscheidung in der Praxis von der ARGE als bindender angesehen wird, als wenn alleine die Eltern unter sich eine Umgangsregelung ausgehandelt hätten.)

LG
Jadzia

Hallo Jadzia,

danke für diese umfangreiche und erfreuliche Antwort!

Wenn man also bei der Arge geltend machen würde, dass in einer Gerichtsverhandlung ein 2-wöchiges Besuchsrecht vereinbart wurde und der Leistungsempfänger zwei Alternativen zwecks Reisekosten stellt und dabei die günstigere vorschlägt, hat er gute Chancen diese zuerkannt zu bekommen. Wahrscheinlich mit entsprechendem Nachweis, dass die Kosten wirklich entstanden sind.

Und verbessert würde die Chance auf Erstattung wahrscheinlich auch, wenn gleichzeitig nachgewiesen werden könnte, dass zwecks Bestimmung des zukünftigen Aufenthaltsbestimmungsrechtes und Sorgerechtes ein Familiengutachten seitens des Gerichtes in Auftrag gegeben wurde.

Korrekt?

Gruß
Bori

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Hallo Jadzia,

bereits zu Zeiten der „alten Sozialhilfe“ gab es höchstrichterliche Urteile - incl. BVerfG - die aussagten, dass die Sozialbehörden die Umgangskosten übernehmen müssen.

Die Sozialbehörden und später die Nachfolgebehörden (ARGE, KoBa u. wie sie so heißen) verstecken sich aber gerne - aus Kostenersparnisgründen - hinter Nichtwissen. Schon seit 1994 holten sich die Behörden bei Gericht einen Satz heißer Ohren, wenn ein umgangsberechtigter Elternteil geklagt hat. Da aber nur wenige Umgangseltern klagten, war die Ersparniss (diurch diese Praxis) der Sozialbehörden unter dem Strich bei den Behörden doch recht groß.

Umgangskosten - also z. B. die Fahrtkosten und Übernachtungskosten am Umgangsort - müssen bezahlt werden. Oft werden die Umgangsberechtigten auf Mitfahrzentralen verwiesen. Nur wenn man dort keine Mitfahrmöglichkeit hat, darf man die nächstbilligste Fahrtmöglichkeit wählen.

Genauso ist es mit den Übernachtungen. Die billigste Pension am Ort wird bezahlt. Es soll schon vorgekommen sein, dass Umgangseltern auf die Heilsarmee verwiesen wurden.

Sollte der betreuende Elternteil auch für das Kind Sozialleistungen beziehen, wird die Geschichte meist schwieriger und ein neuer Streitpunkt für die Eltern tut sich auf.

Dann wird nämlich der anteilige Versorgungssatz (für Lebensmittel = ist ca. 4,-- Euro) jeden Umgangstages des Kindes dem betreuenden Elternteil weggenommen und auf den umgangsberechtigten Elternteil verbucht. Hat den Hintergrund, dass das Kind an diesem Tag ja nur bei einem Elternteil Essen und Trinken benötigt.

Problematisch ist die Beantragung der Umgangskosten. Wenn man nicht das genau richtige Formular bei der genau richtigen Behörde benutzt und genau den richtigen (formularischen) Begriff (Sonderbedarf oder was auch immer) benutzt, hat man als Umgangselternteil schon wieder den schwarzen Peter.

Die Behörden weisen dann den Antrag zu Recht ab, weil man ja das Falsche beantragt hat. Wie das genau funktioniert, kann ich nicht sagen, ist nicht mein Spezialgebiet.

In einem zweiten Beitrag setze ich Ausschnitte aus einem BVerfG-Urteil von 2003 (wo man Verweise auf Urteile aus 1994 u. später findet) ins Forum.

Gruß
Ingrid

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Sorry, ich nehme jetzt doch kein Urteil vom BVerfG, sondern vom Bundessozialgericht aus 2006:

Auszüge aus dem Urteil des Bundessozialgerichts: Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R

Auszüge aus dem Urteil des Bundessozialgerichts, dessen Text erst im Februar 2007 veröffentlicht worden ist. Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R

(…) Der Kläger beantragte im Sept. 2004 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einschließlich der Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit seinen Kindern; entsprechende Leistungen waren bis 31. Dezember 2004 vom Sozialhilfeträger nach den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erbracht worden. Die Beklagte bewilligte Alg-II-Leistungen nach dem SGB II (…), lehnte jedoch die Zahlung zusätzlicher Beträge ab, weil die Töchter mit dem Kläger keine Bedarfsgemeinschaft bildeten, die Fahrtkosten (eigene Kosten des Klägers zur Abholung der Kinder; Kosten der Kinder selbst) den pauschalierten Regelleistungen des SGB II unterfielen und eine Anspruchsgrundlage für darüber hinausgehende Leistungen nicht bestehe. (…)

Die Klage auf höhere Leistungen hatte beim Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil des SG vom 20. März 2006) (…) Das SG hat die Beklagte „unter teilweiser Aufhebung und Abänderung des Bescheides vom 02.11.2004 unter Einbeziehung der nachfolgenden Bescheide verurteilt, dem Kläger über die bewilligten Leistungen hinaus die Kosten für die 14-tägigen Besuchswochenenden sowie die Kosten für entsprechende Ferienaufenthalte seiner Töchter durch Übernahme der Fahrtkosten in Höhe von jeweils 58 Euro pro Besuchswochenende bzw 29 Euro für jede Abholung der Kinder durch den Kläger und die nachfolgende Rückfahrt von drei Personen sowie durch Übernahme der Kosten in Höhe von 70 vH des jeweils geltenden Satzes nach § 3 Abs 2 der Regelsatzverordnung, bezogen auf den Tag pro Kind, für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.03.2006 zu gewähren.“

  1. Die Sprungrevision der Beklagten [Agentur für Arbeit] ist zulässig (…) und iS der Aufhebung der Entscheidung des SG und der Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 4 SGG). Die Zurückverweisung der Sache an das SG ist bereits deshalb erforderlich, weil ausreichende tatsächliche Feststellungen des SG dazu fehlen, ob dem Kläger über die bewilligten Leistungen hinaus die vom SG zugesprochenen Leistungen überhaupt zustehen. Das SG hat sich auf eine Überprüfung von Elementen des Alg-II-Anspruchs beschränkt, ohne dessen Voraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach insgesamt zu prüfen. Daher fehlen die tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG), die es dem Senat ermöglichten, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Das SG hat auch nicht festgestellt, ob der Kläger iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 - BGBl I 2014) erwerbsfähig ist. Darüber hinaus hat das SG die von ihm im Wege der Klageänderung nach § 99 Abs 1 SGG in das Verfahren einbezogenen Folgebescheide (hierzu unter 9) weder näher bezeichnet noch deren Inhalt festgestellt. Darüber hinaus leidet das Verfahren an dem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel, dass das SG den für eine mögliche Leistung nach § 73 SGB XII zuständigen Sozialleistungsträger nicht nach § 75 Abs 2 2. Alternative SGG analog - mit der Möglichkeit der Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG analog - beigeladen hat (hierzu unter 3). (…)

Die Rechtslage betreffend die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit den Kindern im Rahmen des SGB II ist mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte des Art 6 GG (vgl: BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1994 - 1 BvR 1197/93 -, NJW 1995, 1342 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 13. Juni 2002 - 10 A 37/01 -, NJW 2003, 79) auch objektiv ungeklärt; in der Literatur und der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit wurde und wird mit gewichtigen Gründen eine Anwendung des § 73 SGB XII und damit eine Leistungszuständigkeit des Sozialhilfeträgers auch für SGB-II-Leistungsempfänger (trotz der Ausschlussregelung in § 5 Abs 2 SGB II) vertreten (…)

  1. Ein dem Kläger selbst zustehender Anspruch kann sich allenfalls aus § 73 SGB XII ergeben (vgl Knickrehm, aaO, S 161 f; aA Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 73 RdNr 5, Stand Juni 2006, und Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 28 RdNr 13). Bereits unter Geltung des BSHG war anerkannt, dass die Kosten des Umgangsrechts zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, für die über die Regelsätze für laufende Leistungen hinaus einmalige oder laufende Leistungen zu erbringen waren (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1994 - 1 BvR 1197/93 -, NJW 1995, 1342 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32). Dabei war im Hinblick auf Art 6 Abs 2 Satz 1 GG zu beachten, dass die Leistungen mehr als das Maß an Umgang ermöglichen mussten, das im Streitfall zwangsweise hätte durchgesetzt werden können (BVerfG aaO). Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen danach - und insoweit ist weder eine zeitliche Zäsur (1. Januar 2005: In-Kraft-Treten des SGB XII) noch eine strukturelle Unterscheidung zwischen SGB II und SGB XII gerechtfertigt - im Ergebnis die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen. Wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, ist abhängig von der einfachrechtlichen Ausgestaltung, die im Licht des Art 6 Abs 1 und 2 S 1 GG auszulegen ist.

Vor diesem Hintergrund kann eine atypische Bedarfslage angenommen werden, die die Anwendung des § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) rechtfertigt (vgl Knickrehm, Sozialrecht aktuell 2006, 159, 162; aA Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/Asylbewerberleistungsgesetz, § 73 SGB XII RdNr 11, Stand Februar 2006; vgl auch O’Sullivan, SGb 2005, 369, 371 f), ohne dass die Norm zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutiert. Erforderlich ist nur das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist (vgl Berlit, LPK-SGB XII, § 73 RdNr 5: „wertende Betrachtung mit anderen Bedarfslagen“) und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt (Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, IV.7 RdNr 20, Stand März 2006). Eine derartige Bedarfslage, und nicht nur ein erhöhter Bedarf wie im Rahmen des § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII, ist - wie vorliegend - in der mit der Scheidung der Eltern verbundenen besonderen Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Umgangs der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bei unterschiedlichen, voneinander entfernt liegenden Wohnorten zu sehen (s auch BVerwG aaO). Dass diese besondere, atypische Situation eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach dem 9. Kapitel des SGB XII rechtfertigen kann (vgl auch Schellhorn, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 73 RdNr 7: Übernahme von Reisekosten), zeigt ein Blick auf die Altenhilfe nach § 71 SGB XII. Obwohl nach § 27 Abs 1 Satz 2 SGB XII die Beziehungen zur Umwelt zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören und damit vom Regelbedarf des § 28 SGB XII erfasst werden, können alte Menschen wegen deren besonderer Situation gleichwohl weitere Leistungen erhalten, die ihnen die Verbindung mit nahe stehenden Personen ermöglichen (§ 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII). (…)

Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen den Ansprüchen des Klägers und denen seiner Kinder. Nicht ausschlaggebend ist also, wem die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts unterhaltsrechtlich zuzuordnen sind (zu dieser Zuordnung BGH, Urteil vom 9. November 1994 - XII ZR 206/93 -, NJW 1995, 717; vgl auch Berlit in LPK-SGB XII, 7. Aufl 2005, § 73 RdNr 6). Anspruchsinhaber ist nicht generell der Unterhaltsverpflichtete, sondern der jeweils Bedürftige für seine Kosten (nicht problematisiert von BVerwG Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 32, und aA Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 13. Juni 2002 - 10 A 37/01 -, NJW 2003, 79). Ohnedies ist bereits unterhaltsrechtlich davon auszugehen, dass der Kläger die Kosten der Kinder nicht zu tragen hat, wenn und soweit er selbst kein Einkommen besitzt, das sein eigenes Existenzminimum deckt. Darüber hinaus müssen die Regelungen des SGB XII ebenso wenig wie die des SGB II notwendigerweise den Kriterien des Unterhaltsrechts folgen. Sie substituieren keine Unterhaltsverpflichtung durch Leistungen an den Verpflichteten, sondern fehlende Unterhaltszahlungen durch Leistungen an den Unterhaltsberechtigten. Daraus folgt, dass § 73 SGB XII dem Kläger selbst allenfalls eine Übernahme seiner eigenen Fahrtkosten ermöglicht. Daneben sind Ansprüche der Kinder wegen deren Fahrtkosten denkbar. Insoweit wäre zu entscheiden, auf wessen Einkommen es für die Bestimmung der Einkommensgrenze ankommt (§ 85 Abs 2 SGB XII) und ob die Aufbringung von Mitteln zumutbar ist (§ 87 SGB XII). Die sonstigen Lebenshaltungskosten der Kinder während der Zeit der Besuche werden allerdings nicht von § 73 SGB XII, sondern von §§ 20 - 22 SGB II erfasst (hierzu unter 8). 25 Allerdings ist bei der Ermessensleistung nach § 73 SGB XII auch zu beachten, ob bzw inwieweit die geltend gemachten Fahrtkosten überhaupt notwendigerweise anfallen. Dies gilt insbesondere für die Fahrtkosten, die dem Kläger selbst entstehen, um die Kinder abzuholen. Das SG wird zu prüfen haben, ob eine Abholung der im streitigen Zeitraum zwölf- bzw vierzehnjährigen Töchter in der vom Kläger praktizierten Form (noch) erforderlich war. In der Regel wird Kindern in dieser Lebensphase zugemutet, auch weitere Strecken, etwa beim Besuch weiterführender Schulen, eigenständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Ansonsten bewegen sich die Fahrtkosten in einem Bereich, der den Einsatz öffentlicher Mittel noch rechtfertigt. Etwas anderes würde bei außergewöhnlich hohen Kosten gelten. Auch hinsichtlich des Umgangsrechts mit den Kindern ist über § 73 SGB XII keine unbeschränkte Sozialisierung von Scheidungsfolgekosten möglich. (…)

Einzuräumen ist, dass die vorgeschlagene Lösung der mit dem Umgangsrecht verbundenen Bedarfe wegen der Mehrfachzuständigkeiten nicht verwaltungsfreundlich ist. Eine praktikablere Lösung bedürfte jedoch einer Gesetzesänderung, die eine Berücksichtigung verfassungsrechtlich gebotener Bedarfe (allgemein hierzu: Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II § 20 RdNr 112 ff) ermöglicht (Lauterbach, NJ 2006, 199, 201). (…)

  1. Für die zusätzlichen Lebenshaltungskosten in den Zeiten, in denen die Töchter des Klägers bei diesem gewohnt haben, ist allerdings die Annahme einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II (in der jeweiligen Fassung) gerechtfertigt. Die Regelung verlangt schon nach ihrem Wortlaut („dem Haushalt angehörend“) kein dauerhaftes „Leben“ im Haushalt wie etwa Abs 3 Nr 2 und 3. Es genügt vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass die Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wie vorliegend - bei dem Kläger länger als einen Tag wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen. Auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung kann bei minderjährigen Kindern eine getrennte und damit doppelte Bedarfsgemeinschaft sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen Elternteil angenommen werden, etwa wenn sich die Eltern darauf einigen, die Kinder abwechselnd im Haushalt des einen und des anderen zu versorgen. Diese Situation unterscheidet sich jedenfalls qualitativ nicht von der vorliegenden Konstellation, dass die Kinder nur an wenigen Tagen außerhalb des Haushalts der Mutter dem Haushalt des Vaters angehören. Der rein quantitative Unterschied der Anzahl der Tage kann jedoch nicht bedeuten, dass die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft, die sowohl bei dem einen als auch bei dem anderen Elternteil besteht, ausgeschlossen ist. Auf diese Weise ergibt sich zumindest zum Teil eine SGB-II-immanente Lösung des Problems der Umgangskosten, die der Lösung des SGB XII in dessen § 28 Abs 1 Satz 2 nahe kommt und der besonderen Förderungspflicht des Staates nach Art 6 Abs 1 GG gerecht wird.

Allerdings gewährt diese Lösung wiederum nicht dem Kläger einen Anspruch, sondern die Kinder selbst sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als Bedarfsgemeinschaftsmitglieder Anspruchsinhaber (vgl Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R) für Teilzeiträume (s § 41 Abs 1 S 3 SGB II). Dies entspricht dem schon erwähnten Grundsatz, dass staatliche Leistungen zur Existenzsicherung im Rahmen familienrechtlicher Beziehungen nicht dazu bestimmt sind, die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu ersetzen. Das SG muss deshalb ggf die Kinder des Klägers „in das Verfahren einbeziehen“ (vgl dazu das Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R). Dass sich bei der Annahme einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft in der Praxis Umsetzungsprobleme ergeben werden, ist hinzunehmen und Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft (vgl dazu das Senatsurteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R). In der hier gegebenen Mangelsituation als Folge einer scheidungsbedingten Trennung einer Familie gilt es vor allem, eine Benachteiligung derjenigen Mitglieder der früheren Familie zu vermeiden, die von deren Nachwirkungen ebenfalls betroffen sind. Dies ist hier unter Umständen die frühere Ehefrau des Klägers und Mutter der beiden Töchter. Ihre Rechtsposition würde jedoch auch bei eigenem Alg-II-Bezug nicht nachteilig betroffen. Einem bedürftigen sorgeberechtigten Elternteil wird durch die Existenz einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nichts genommen, weil dessen eigene Leistungsansprüche aus §§ 20 - 22 SGB II nicht zu kürzen sind, sondern dessen individueller Anspruch aus § 23 SGB II während der Abwesenheit der Kinder ggf sogar erhöht werden kann, weil die Kosten insoweit nicht aufzuteilen sind. Zuständig für die Leistungen nach §§ 20 - 22 SGB II an die Kinder während deren Aufenthalts beim Vater ist dann die für diesen Aufenthalt nach § 36 SGB II zuständige Beklagte. Insoweit muss § 36 SGB II eine der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft gerecht werdende Auslegung erfahren. Grundsätzlich gilt die Vertretungsvermutung des § 38 SGB II. Probleme bei Leistungen „an zwei Bedarfsgemeinschaften“ sind jedenfalls lösbar.

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Hallo Ingrid!

bereits zu Zeiten der „alten Sozialhilfe“ gab es höchstrichterliche Urteile - incl. BVerfG - die aussagten, dass die Sozialbehörden die Umgangskosten übernehmen müssen.

Danke, das wusste ich nicht! Ich hatte aus dem Alg II immer nur gehört: „Das zahlen wir nicht. Haben wir noch nie.)“ In meiner eigenen Praxis hatte ich hatte ich nie direkt damit zu tun.
Jedenfalls bin ich froh, dass nun auch das BVerG (neben dem BSG :smile: diesen Punkt klargestellt und auch, dass die Regierung mit verlinkter Verordnung ausnahmsweise mal schnell regiert hat.

In einem zweiten Beitrag setze ich Ausschnitte aus einem BVerfG-Urteil von 2003 (wo man Verweise auf Urteile aus 1994 u. später findet) ins Forum.

Vielen Dank dafür!

LG
Jadzia

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Hallo,

bereits zu Zeiten der „alten Sozialhilfe“ gab es höchstrichterliche Urteile - incl. BVerfG - die aussagten, dass die Sozialbehörden die Umgangskosten übernehmen müssen.

Danke, das wusste ich nicht! Ich hatte aus dem Alg II immer
nur gehört: „Das zahlen wir nicht. Haben wir noch nie.)“ In
meiner eigenen Praxis hatte ich hatte ich nie direkt damit zu
tun.

Ich (und ich steh bestimmt damit nicht alleine) vermute eine Absicht hinter solchen Aussagen.

Bis vor einigen Jahren, als das Internet noch nicht für die Verbreitung von solchen Urteilen sorgte, konnten Ämter die Bürger auch damit anschmieren.

Wobei die einzelnen Mitarbeiter das durchaus nicht wissen mussten. Sie hätten halt entsprechend informiert und geschult werden müssen.

Mein Tipp bei negativen mündlichen Aussagen von Behörden (nicht nur Sozialämtern) ist: die Antwort mit einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich anfordern. Nicht selten wird dann aus der mündlichen Absage eine schriftliche Zusage.

Gruß
Ingrid

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Ich habe gerade die Zuschriften der Antwortenden gelesen. Die Antworten sind, meines derzeit aktuellen Wissens nach, teilweise richtig.

  1. Das BVerfG hat klargestellt, dass die Kosten für Umgang und Fahrt des Kindesvaters zu seinem Kind / zu seinen Kindern als Sonderbedarf (im Amtsdeutsch Mehrbedarf nach § 21 SGB II) zu berücksichtigen sind. Auf die Details der Urteilsbegründung möchte ich hier bewusst nicht eingehen, denn sie ist erstens zu komplex für dieses Forum.
    So weit so gut.

  2. Die Arbeitsagentur hat mit den fachlichen Hinweisen zu § 21 SGB II ausdrücklich die (so muss man sagen derzeit geltenden) Kriterien festgelegt, ob und wann ein Kindesvater / eine KIndesmutter KOsten für das Umgangsrecht aufgrund dieses Urteils beantragen kann.
    Zum Anfang (das dürfte klar sein), muss die Kindeseltern eindeutig feststehen. Dann müssen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beider Elternteile geprüft werden. Und als Schmankel: Die tatsächlich entstehenden Fahrtkosten und der Mehraufwand für die Verpflegung der Kinder während der Ausübung des Umgangsrechts müssen nachgewiesen werden.

Hilfreich ist auf jeden Fall der gerichtlich festgestellte oder vereinbarte Umgang mit dem Kind / mit den Kindern, also wann kommt das KInd zu wem zu welchen Zeit wie lange. Eine vor Gericht erklärter Umgang heißt noch lange nicht, dass der Umgang tatsächlich auch so wahrgenommen wird, denn das Gericht kann nur Kernzeiten zustimmen, wann das Besuchs- und Umgangsrecht des anderen Elternteils wahrgenommen werden KANN. Eine Bestätigung des anderen Elternteils, ob und wie lange das Kind beim anderen Elternteil war, ist sehr hilfreich.

Zu beachten ist auch, dass der Mehrbedarf für Alleinerziehung, den der Elternteil in der Regel erhält, wo die Kinder polizeilich mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, für die Fahrt- bzw. Verpflegungskosten einzusetzen ist, der betragsmäßig die beantragten Kosten senkt.

Wenn die Mutter und die Kinder Arbeitslosengeld II erhalten, ist auch zu prüfen, wer die Regelleistung in voller Höhe für die Kinder erhält. Können die Kinder durchgehend 14 Tage beim anderen Elternteil bleiben (und bleiben auch tatsächlich so lange), werden die Regelsätze halbiert und der andere Elternteil muss Leistungen nach dem SGB II beantragen. Delikat wird die Angelegenheit dann, wenn der Antrag des andere Elternteils wegen übersteigenden Einkommens oder Vermögens abgelehnt wird. Bloß stellt sich anderseits die Frage, ob nicht mehr Unterhalt gezahlt werden kann und sich damit die Antragstellung eh erledigt hat.

Verweisen möchte ich (aus einem aktuellen Fall), dass, wenn das Jobcenter den Antrag (gleich aus welchen Gründen) ablehnt und auch der Widerspruch keinen ERfolgt hat, immer noch die Möglichkeit, die Kosten des Umgangs in der Einkommensteuererklärung geltend zu machen. Das wissen leider die wenigsten. Es ist ein schwacher Trost, man muss in Vorleistung gehen, aber besser als nichts!