Visionen und Auditionen
Es ist zwar nicht ganz so, wie unten Stucki in seinem Posting annahm (*smile*), aber ein paar Worte möcht ich doch gern verlieren, wo das Phänomen ‚Lorber‘ hier so intensiv diskutiert wurde.
Zunächst einmal: Visionen (nur subjektiv wahrgenommene Seherlebnisse) und Auditionen (Hörerlebnisse) sind ein in der Geschichte nicht gerade unbekanntes Phänomen. Und selbst für einen ausschließlich naturwissenschaftlich (und damit überhaupt wissenschaftlich) Orientierten sollte es nicht undenkbar sein, ein wenig auch über solche Erscheinungsformen zu staunen, zumal sie psychologisch noch kaum verstanden sind.
Daß mit den Interpretationen dieser Phänomene äußerst vorsichtig umzugehen geboten ist, sollte dabei natürlich ebenso selbstverständlich sein, denn Auditionen sind keineswegs immer so harmlos (und irgendwie auch rührend) wie im Fall des Herrn Lorber. Der Fall Charles Manson sollte als Andeutung reichen, ich will das nicht weiter ausführen. Aber ein anderes historisches Beispiel dürfte jedem ziemlich bekannt sein: Paulus, den es, glaubt man dem stilistisch extrem hochgeschraubten Bericht der ‚Apostelgeschichte‘, sogar physisch umgehauen haben soll…
In der Regel erlebt der Visionär dabei etwas, das ihm als eine von irgendwo außen herkommende Message vorkommt, die in der Regel erhebliche Handlungskonsequenzen für ihn hat.
Das Problem der Bewertung ist dabei, daß das, was derjenige dann erzählt, nicht unbedingt identisch ist mit dem, was er erlebte, sondern es ist eine Nacherzählung bzw. ist bereits notwendigerweise eine erste „Deutung“: Genauso, wie der erzählte Traum etwas ziemlich Verschiedenes ist von dem erinnerten Traum, und das Erinnerte wiederum nicht völlig deckungsgleich mit dem aktuell Geträumten sein kann. Es ist bereits interpretiert, und das geschieht natürlich immer aus dem persönlichen und kulturellen Erfahrungshintergrund des Probanden.
Interessant an solchen Berichten ist, daß die erzählten Inhalte sehr häufig den Ausbildungs- und Erfahrungshorizont dieser Personen bei weitem übersteigen, so daß die Sprache oft ein absolut kurioses, manchmal auch unbeholfen komisches Vokabular aufweist - wie es ja hier auch die Beispiele des Hauptposters zeigen. Sie greifen Vokabeln auf, die sie durchaus schon mal gehört haben können, aber verwenden sie gar nicht in dem gebräuchlichen Sinne, weil sie den nicht kennen. Oder sie versuchen das Erlebte halt in dem Vokabular auszudrücken, das ihnen geläufig ist.
In dem Fall Lorber ist es nun so, daß diese quasi-naturwissenschaftlichen Berichte (sie sind nur ein kleiner Teil der Unmenge von Schriften - Lorber hat von 1840 an 26 Jahre lang geschrieben und diktiert! Hat deshalb sogar ein Superjobangebot als Kapellmeister storniert) keineswegs für die damaligen Naturwissenschaften neues Material enthielten. So waren die Überlegungen zum Aufbau der Materie sehr vielfältig und die von Dalton postulierten „Atome“ wiesen wegen der Probleme, die Spektrallinien zu interpretieren, durchaus auf eine mögliche Substruktur.
Bereits Boscowich (*1711 in Dubrownik) hatte in seiner Theoria philosophiae naturalis 1758 außerordentlich folgenreiche Überlegungen über die Natur von Attraktion und Repulsion gemacht und damit zusammenhängend logische Überlegungen über die Kinematik und Dynamik von punktuellen (also absolut ausdehnungslosen) Elementen der Materie präsentiert, die viel diskutiert wurden - auch mit und bei den Newtonianern, bei denen Punktmassen nur der Mathematisierbarkeit halber angesetzt waren (ausdehnungslose Materie war für Newton undenkbar). Selbst Lord Kelvin (William Thomson) hatte sich noch als überzeugter Boscovichianer bezeichnet.
Dazu kommt im Fall Lorber, der ein begabter Musiker und Musiklehrer war, daß er mit mystischen Schriften durchaus vertraut war (Jacob Böhme, Swedenborg) und auch regen Kontakt unterhielt mit Leuten, die mit Geisterseherei auf gutem Fuß standen (Justin Kerner, der 1829 „Die Seherin von Prevorst“ herausgegeben hatte).
Obwohl es schon bemerkenswert ist, daß er überhaupt solche Phantasien entwickeln konnte, zeigt sich in seinen Schriften aber, daß er im Umgang mit begrifflichen und quasi-mathematischen Angelegenheiten keineswegs vertraut war. Es handelt sich um eine (wie gesagt keineswegs unübliche) Spekulation über einen affinen Aufbau des Universums, in dem alle Strukturen konfokal (also um ein jeweiliges Zentrum herum) bis in alle Größenordnungen hinein angeordnet waren. Ihr könnt aber selbst in den im Hauptposting hier zitierten Texten bereits erkennen, daß er mit den Größenordnungen einfach nur formal spielt (man übersetze einfach die Trillionen und Quadrillionen in Zehnerpotenzen, dann sieht man das - es kommt ein Universum von 10- bis 106-fachem Durchmesser heraus. Die Begriffe „Größe“, „Volumen“, „Durchmesser“ werden durcheinandergepurzelt und mit „Masse“, „Helligkeit“ analogisiert… Die als Zentralkörper vorgestellten Gebilde sind teils "größen"mäßig identisch mit dem gesamten System… usw.
Es ist die Phantasie eines schlicht konfokalen Systems von Systemen, das einfach größenordnungsmäßig (auch zeitlich dann bei den „Atom“-Vorstellungen) extrapoliert wird - ohne irgendeine Ahnung von der Rolle der Kräfte zu haben, die dabei eine Rolle spielen müssen… und kaum läßt sich etwas finden, was nicht in der einen oder anderen Weise schon längst diskutiert worden war.
Problematisch ist für mich nicht, daß es solche Phantasiebildungen gibt (im Gegenteil, es ist psychologisch außerordentlich interessant). Problematisch ist vielmehr, daß man um solche Erscheinungen einen Kult aufbaut, der in charakteristisch unlogischer Weise proklamieren will, daß hier ein einfach denkender und ganz sicherlich redlicher Mensch plötzlich die wissenschaftlichen Errungenschaften der zukünftigen Jahrhunderte vorweg nimmt - als ob plötzlich jahrhundertelang erarbeitete Methoden zur Verhinderung von Täuschung und Selbsttäuschung und der möglichst strengen Überprüfung an empirischem Material ersetzt werden könnten durch plötzliche Eingebungen.
Ein einfacher Gedanke - jemand hat eine beliebige (aber relativ triviale) Idee, die er aber nicht in Begriffen ausdrücken kann, die bereits bekannt sind. Er sagt es also in einer selbsterfundenen Sprache. Später wird - vor dem Hintergrund späterer Erkenntnisse und mit dem zugehörigen Vokabular diese Idee beurteilt. Man muß also suchen, ob das, was wir heute wissen, bei geeigneter Übersetzung irgendwie in dem überlieferten Traummaterial wiederzufinden wäre. Klar, daß einige Teile auf diese Weise wiederzuerkennen sind (weil sie trivial sind) - dann sieht man das als eine wissenschaftliche Voraussage an. Andere Teile sind nicht wiederzuerkennen - die übersieht man dann geflissentlich.
Die Wissenschaften sind so blöd, gigantische Fernrohre und Beschleuniger zu bauen, statt Lorber zu lesen, denn dann wüßten sie alles besser als jetzt. Aber daß Lorber Voraussagen gemacht habe, können die Schlaumeier dann doch wieder nur dadurch
behaupten, daß sie wissenschaftliche Erkenntnisse („Tatsachen“, Zitat) für voll nehmen und daraus zurückschließen. Also nehmen auch die Anhänger zuerstmal die Wissenschaften ernst - oder?