Hallo Bona,
da Du in Deinem Artikel weiter unten geanu auf die von mir gestellten -und von Nescio zitierten- Fragestellungen eingehst:
davon ausgeht, dass „uns“, der jetzigen Epoche, hier im
Westen, noch ein mächtiger Schub an „Aufklärung“ gut täte –
im Prinzip ist das richtig, nur ist aus meiner Sicht dieser
Ansatz nicht hinreichend, weil eben schon in JEDER Methode
eine Form von Vorurteil steckt. Das betrifft nicht nur die von
dir genannten Bereiche, sondern ALLE Bereiche einschließlich
der Naturwissenschaften.
Sie verweisen ja gerade darauf, dass unser Denken nicht
unabhängig von unserem Fühlen ist und sich das Fühlen immer
wieder in unser Denken schleicht. Wenn nun Aufklärung mit Kant
in der Vermeidung selbstverschuldeter Unmündigkeit besteht,
dann ist Aufklärung die EINZIGE Methode, die unhintergehbar
ist, weil sie sich - anders als andere Methoden - zusätzlich
rekursiv anwenden lässt, also immer auch offen lässt, dass
jemand irrt.
Bereits damit habe ich Probleme (vorab: die Möglichkeit, dass ich Dich schlicht missverstanden habe, möchte ich ausdrücklich betonen!).
Nescios „Schub an Aufklärung“ ist doch nur sinnvoll zu verstehen, wenn man die Aufklärung als ein historisches Projekt des (abendländischen) Denkens fasst (welches freilich dennoch als unabschließbar begriffen werden kann), nicht aber als die bloße Tatsache, dass „JEDE Methode“, damit auch jedes Wissen und jede Form von Wissenschaft auf höherer Ebene unter dem Aspekt „Vorurteil“ bzw. „Vermengung von Fühlen und Denken“ beobachtbar, kritikabel ist.
Wahrscheinlich haben beide Lesarten, die „historische“ und die „methodische“ von „Aufklärung“ vieles gemeinsam, ich halte sie aber keinesfalls für identisch, gerade dann nicht, wenn man „Aufklärung“ am Kantischen Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit festmacht.
Besitzt die „aufgeklärte“ Gesellschaft und ihre „aufklärenden“
Gesellschaftskritiker den selben Begriff von Aufklärung?
Kann man denn überhaupt von DER Gesellschaft sprechen?
Selbstverständlich; im Gegenteil kann man unmöglich sinnvoll von DEN GesellschafteN sprechen, wenn man über die heutige bestehende Gesellschaft sprechen möchte und nicht aus irgendwelchen pragmatischen Gründen kontrafaktisch Gesellschaftsgrenzen an Staatsgrenzen festmacht (was jenseits von pragmatischen Gründen dafür empirisch falsch ist).
Wovon man freilich nicht sprechen kann, ist von DER GesellschaftSBESCHREIBUNG! Darum eben „aufgeklärt“ in Anführungszeichen, weil eben die bestehende Gesellschaft nur aus einer bestimmten Beschreibungstradition heraus als „aufgeklärt“ gekennzeichnet wird.
Falls du hier „aufgeklärt“ wiederum
adjektivisch verwenden möchtest, wird man in der Frage ein
verstecktes Vorurteil entdecken müssen, nämlich dass es so
etwas wie einen „Endzustand“ gäbe, was lediglich eine
methodische (also vorurteilsbelastete) Massgabe ist, aber
keine Wirklichkeitsbeschreibung.
Das ist richtig, aber die „Aufgeklärtheit“ ist ja eben in der zitierten Gesellschaftsbeschreibungstradition als Endzustand konzipiert;
Genau dagegen aber richtet sich ja (u.a.) die Kritik der von Necio ins Feld geführten „Aufklärer“. Das „Vorurteil“ ist also nicht in meiner Frage zu suchen, sondern in der per Setzung von Anführungszeichen als solche gekennzeichneten zitierten Gesellschaftsbeschreibungstradition (oder welches bessere Wortungetüm man immer dafür finden mag);
Anders herum müsste man sagen, dass man mit dem Begriff
„aufgeklärt“ nur einen vorübergehenden Zustand der
Gesellschaft meint, der darin besteht, einige der vielen
Vorurteile revidiert zu haben.
hier verweist Du auf die angesprochene historische (wenn auch möglicherweise unendliche) Dimension der Aufklärung, weshalb ich nicht verstehen kann, weshalb Du dann …
Da die Subjekte in der
Gesellschaft aber immer wieder neue sind, die denselben Zyklus
nochmal durchlaufen müssen (wenn auch vielleicht an anderen
Stellen), ist der Vorgang der Aufklärung NIE abgeschlossen.
… hier mit dem sehr fragwürdigen Argument, dass die Subjekte der Gesellschaft jeder für sich den Prozess der Aufklärung von neuem zu durchlaufen hätten, entweder die Aufklärung unnachvollziehbarerweise mit individuellem Lernprozess der Subjekte vermengst, oder aber -je nach Lesart- die Aufklärung doch durch die Hintertür wieder in eine Form von Historismus verschiebst.
Wenn nun Aufklärung mit Kant
in der Vermeidung selbstverschuldeter Unmündigkeit besteht.
An dieser Passage kann ich das eben Gesagte vielleicht nochmal verdeutlichen:
Kant spricht nicht von „Aufklärung ist die Vermeidung selbstverschuldeter Unmündigkeit“, sondern von: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“.
Nicht nur im Wort Aus-Gang steckt die Betonung der Prozessualität der Aufklärung, auch in Zeitangaben wie dem „längst“ in der Passage: „… nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen …“.
Oder im „Werden“ der Passage „… sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten“
(jeweils in Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“)
diese Schrift lese ich eben nicht als eine Art Kantischer Discours de la Methode, sondern als die Kennzeichung eines bereits im Gang sich befindenen historischen Projektes.
Viele Grüße
franz
@Nescio: Mir erscheint Deine Frage hier -auch in seiner zweiten, abgespeckten Form- als dermaßen überkomplex, dass sie schlicht nicht sinnvoll beantwortbar ist. Man könnte sich allernfalls nur mit vielen kleinen Schritten an diese Frage heranschleichen.