Spinoza und Thomas von Aquin⊠[etwas lĂ€ngerâŠ]
Hallo ihr beidenâŠ
wunderbar, dass wieder einmal eine Frage der Philosophiegeschichte auftaucht, ich kam mir schon richtig nutzlos vorâŠ
Erstmal: ein riesengrosses Lob an Thomas von mir als Thomas-Spezialistin! Deine ErklĂ€rung ist super und trifft genau auf den Punkt. D.h. fĂŒr mich: ich bin nutzlos *heul*
Zweitens: da ich mal nicht anders kann und ein furchtbares Exemplar unserer Gilde bin, schiebe ich hier noch ein paar Anmerkungen hintennach, die vielleicht auch noch zur weiteren KlĂ€rung beitragen⊠[dabei wollt ich mir doch abgewöhnen zu allem meine Meinung abzugebenâŠ]
âŠdass Gott die âWirklichkeit aller
Wirklichkeitenâ istâŠ
Die persona personalissima oder das individuum specialissimus (i.e. Gott) bei Thomas stammt von Aristoteles, oder besser baut darauf auf. [Ich weiss: was jetzt kommt hab ich auch schon mehrfach erklĂ€rt⊠ich weissâŠ] In der aristotelischen Welt besteht alles aus Aktivem und Passivem oder aber anders ausgedrĂŒckt aus Form und Materie. Ein Baum besteht aus der Form eines Baumes und der entsprechenden Materie. Form und Materie existieren nie getrennt. Existenz erhalten sie erst, wenn sie zusammenkommen (in der Befruchtung beispielsweise). Logisch, wie immer gibt es eine Ausnahme: Gott. Er ist immateriell und am ehesten mit einer Form zu vergleichen. Da Gott aber das Erste Prinzip ist, kann er nicht auf eine bestimmte Form reduziert werden. ZurĂŒck zum Aktiven und Passiven: in dieser Vorstellung der Welt als Form/Materie-Kompositum, ist die Form der edlere Teil und ihr kommt ein aktives Element zu, insofern sie die Materie zum Sein vervollstĂ€ndigt. Klingt wie Heidegger, ist aber Aristoteles. Die Materie ist demnach passiv und sie âerleidetâ die Struktur der Form. Da Gott das edelste aller Prinzipien darstellt und er alle Dinge geschaffen hat, trĂ€gt er alle Formen in sich [ein verkappter Platonismus in Aristoteles
]⊠und zwar gleichzeitig. Bei Thomas heisst es dazu im Sentenzenkommentar II (auch an mehreren Stellen in der Summa Theol. Prima Pars und Contra Gentiles I⊠aber auch vor allem in De ente et essentia): Gott ist alle Dinge, zu jeder Zeit. Die âWirklichkeit aller Wirklichkeitenâ ist in diesem Zusammenhang besser zu verstehen.
âŠalso ein Wesen, dass in seiner
Allgemeinheit von uns als Menschen nicht begriffen werden
kann.
Eine kleine Korrektur hier: Gott ist nicht die Allgemeinheit, sondern das Spezifischste ĂŒberhaupt, da er alle Individualisierungen der allgemeinen Formen in sich trĂ€gt und sie âistâ, zu jeder Zeit.
Denn wir sehen nur jeweils die realisierten
Wirklichkeiten, zu denen es aber auch in Gott laut dieser
Theorie immer die jeweiligen (im Moment eben nur potentiell
wirklichen) GegensĂ€tze geben mussâŠ
Hier bist Du zu sehr von Cusanus und vorher noch von Dionysius beeinflusst. Bei Thomas spielen die GegensĂ€tze keinerlei Rolle in der Definition Gottes. Wenn ich aber thomasisch antworten wĂŒrde, meinte ich, dass alle GegensĂ€tze in Gott aktuell existieren⊠reine entelechie oder WirklichkeitâŠ
Wenn nÀmlich dieser Tisch hier vor
mir entweder da oder eben nicht da ist und er eben jetzt da
ist, dann sehe ich natĂŒrlich den (jetzt daseienden) Tisch (und
nicht auch noch den in Gott gleichzeitig auch existierenden
nichtdaseienden Tisch).
Ein grundlegender Punkt, der sich ĂŒber das Universalienproblem erklĂ€rt: der in Gott existierende Tisch entbehrt der Materie und somit auch der IndividualitĂ€t oder bei Thomas der _haecceitas, auf Deutsch dem âSo-seinâ oder dem âdies-seinâ. Die menschlichen Erkenntnisorgane (Ă€ussere Sinne, innere Sinne, Intellekt etc.) gebrauchen aber der Materie, da alle Erkenntnis von den Sinnen ausgeht (Summa Theol. I, q.79) und die Sinne selbst materiell sind (cf. Aristoteles De anima II), können wir mit der Erkenntnis nur Dinge erfassen, die einst (vor dem Erkenntnisakt) materiell realisiert waren.
Der Originalbegriff bei Thomas von Aquin ist âactualitas
omnium actuumâ, also die âWirklichkeit alles Verwirklichtenâ.
Darin steckt der actus, die Handlung, also das ins Werk
Gesetzte, das Gewirkte.
Nicht ganz: das âactuumâ wĂŒrde hier mit âaktuellâ ĂŒbersetzt werden, und meint âalles aktuell Existierendeâ entweder in seinem Geist oder in der Welt: primĂ€r jede einzelne Form als âactualitasâ und âin actuâ. Mit Handlung hat diese Bezeichnung (hier noch) nichts zu tun.
Die Substanz ist als das, was der
RealitÀt zugrundeliegt (z. B. als Materie, aber eben auch als
jeder andere, z. B. geistige Inhalt), darĂŒberhinaus aber auch
das, was noch als Potenz (Kraft, Möglichkeit) in Gott als
Gegenteil des Verwirklichen sozusagen schlummert.
Ich kann mich grad nicht entscheiden ob wir hier den cartesischen oder den cusanischen Substanzbegriff haben⊠FĂŒr Aristoteles und Thomas ist nur Existierendes Substanz, also nur Materie und Form zusammen. Die Potenz, Möglichkeit oder potentia ist nicht im Gegensatz zum Aktiven zu sehen, sondern als Teile des Ganzen. Cusanus spielt Dir hier einen StreichâŠ
Die Substanz ist (bei Spinoza) das, was allem anderen
zugrundeliegt, also das Allgemeinste ĂŒberhaupt, nĂ€mlich das es
ĂŒberhaupt âEtwasâ ist.
Eigentlich ist es noch allgemeiner als Etwas, weil es auch die
Existenz von Nichts umfasst, aber das ist dann wirklich schon
etwas scholastisch und rein logisch gedacht.
Tut mir einen Gefallen und benutzt scholastisch bitte nicht als Schimpfwort⊠sonst kann ich meine ganze Forschung spĂŒlen⊠*heul*
Zur Substanz: bei Spinoza ist die Substanz das Universale. Wenn ich mich richtig an die Ethica erinnere: das was einem Begriff zugrundeliegt und selbst nicht durch einen anderen Begriff erklÀrt werden kann.
Die Frage, warum wir nur 2 Modi erkennen können, kann ich im
Moment nicht beantworten, weil ich die Textstelle nicht parat
habe. Kannst du mir die Stelle einmal nennen?
Thomas, ganz speziell fĂŒr Deine Linksammlung hier nochmal die Bibliotheca augustana: http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/LspostâŠ
Die Modi bei Spinoza und Thomas sind grundlegend dieselben: eigentlich alles was nicht Substanz oder Universale ist. Es gibt beispielsweise den modus essendi oder den modus intelligendi, dann ist eine Substanz in einem bestimmten Modus realisiert oder wird durch ihn erklÀrt. Ein Universale kann ich im Seinsmodus erklÀren, wenn ich davon ausgehe, dass sie wirklich existieren und sie dann so erklÀren, oder aber ich betrachte sie im Erkenntnismodus, d.h. als Begriffe meines Denkens.
Hinzukommt, dass Spinoza ziemlich stark auf Elemente des Liber de causis aufbaut, indem er Gott zur absoluten causa efficiens aller existierenden Dinge macht.
Ausserdem lehnt Spinoza jegliche PassivitĂ€t des Intellekts oder den passiven Intellekt als Konzept ab, d.h. wir haben nur einen aktiven Intellekt [er weist einmal auf Verwirrungen diesbezĂŒglich hin, die er verhindern will⊠damit meint er die lateinischen Averroisten des 14. Jahrhunderts, aber das fĂŒhrt hier jetzt zu weitâŠ] darum muss auch Gott Ursprung (efficiens) der Erkenntnis sein, da die Dinge uns nicht mehr affizieren, wie sie das bei Aristoteles und Thomas getan haben.
FĂŒr jeden der sich jetzt hier zugelabert vorkommt tuts mir leid, ich hab mich redlich bemĂŒht, das verstĂ€ndlich zu erklĂ€ren.
Tychi: hoffentlich hatâs etwas geholfenâŠ
Herzlichst
Yseult_