Hallo Alexander,
Ich finde, anders als verschiedene Vorredner, dass eine nur
minimal geänderte Bezeichnung, oder wie im Fall von „Hamburg“
ausgeführt wurde, sogar nur die geänderte Aussprache, noch
nicht dazu berechtigt, von einer wie-auch-immer gearteten
Übersetzung zu sprechen.
ich glaube, Du hast einen zentralen Punkt in meinen Ausführungen missverstanden. Mir ging es grundsätzlich um die Entstehung von Exonymen; den vom UP verwendeten Begriff „Übersetzung“ habe ich bewusst immer in Anführungszeichen gesetzt, da ich ihn für problematisch halte. Denn natürlich kann man Eigennamen in der Regel höchstens übertragen und nur in den allerseltensten Fällen direkt übersetzen. (Eine solche Ausnahme ist beispielsweise „Kaapstad“, das in unzählige Sprachen als „Kap“+„Stadt“ übertragen wurde.)
Mit dem Beispiel Hamburg wollte ich eigentlich auf folgendes hinaus (ohne es genauer ausformuliert zu haben): „Cologne“ erkennen wir sofort als Exonym, weil es sich in der Schreibung klar von „Köln“ unterscheidet; verkürzte etymologische Erklärung:
lat. Colonia Agrippina
a) > … > nhd. Köln
b) > … > frz. Cologne > engl. Cologne
Rein theoretisch könnte (!) sich das englische „Hamburg“ [ˈhæmˌbɜ:g] auch unabhängig vom neuhochdeutschen „Hamburg“ [ˈhambʊrk] aus dem niederdeutschen „Hamborg“ [ˈhambɔːχ] entwickelt haben, also:
nds. Hamborg
a) > … > nhd. Hamburg
b) > … > engl. Hamburg,
wodurch der englische Name nicht die englisch ausgesprochene Version des neuhochdeutschen Endonyms wäre, sondern es sich um eine unabhängig voneinander entstandene homographe Bezeichnungen handeln würde. Mit diesem Gedankenspiel wollte ich andeuten, dass es eben nicht nur Exonyme gibt, die auf den ersten Blick erkennbar sind.
Auch die beiden Beispiele, die aus
dem Litauischen genannt wurden, sind nur die Anpassung an das
Lautvokabular der dortigen Sprache.
Und genau dadurch werden sie zu Exonymen. Denn ein Exonym ist, so sagt der Duden, eine „von dem amtlichen Namen abweichende, in anderen Ländern gebrauchte Ortsnamenform“. Dazu zählt auch die Anpassung an Phonemik und Morphologie der Zielsprache.* Die Wandlung von „Saarbrücken“ zu „Zārbrikene“ bzw. „Sarbriukenas“ unterscheidet sich, auch wenn sie vermutlich auf dem Reißbrett entstanden ist, meines Erachtens nicht stark vom Anpassungsprozess, den Städtenamen wie „Venedig“ oder „Florenz“ im Zuge ihrer „Eindeutschung“ durchlaufen haben.
* Wie man das Weglassen von Sonderzeichen (z.B. Łódź/Lodz, İstanbul/Istanbul) oder die Übertragung aus einer anderen Schrift (z.B. Скопје/Skopje, Θεσσαλονίκη/Thessaloniki) in diesem Fall einordnet, ist sicherlich eine andere Frage.
Wenn ich aber Tolmezzo habe und der deutsche Begriff
„Schönfeld“ ist (siehe Wikipedia), so kann man das Eine nicht
mehr aus dem Anderen herleiten.
Hingegen ist ein Budyšin durchaus in einem „Bautzen“
erkennbar.
Gute Beispiele waren die von Aix-La-Chapelle (Aachen) und
Lille (Rijsel).
Um es auf den Punkt zu bringen: Es gibt Exonyme, die etymologisch mit den entsprechenden Endonymen verwandt sind (z.B. Roma/Rom, Αθήνα (Athína)/Athen, ירושלים (Yerushalayim)/Jerusalem), und solche, die es nicht sind.
Zu Letztgenannten zählen z.B.
– Fälle wie Aachen/Aix-la-Chapelle oder ירושלים (Yerushalayim)/Kudüs (tr.), bei denen sich das Exonym von einem anderen (anderssprachigen) Namen der Stadt herleitet (Aquae Granni (lat.) bzw. القدس /al-Quds (ar.)),
– unterschiedliche Namenstraditionen und Etymologien wie im Fall von Wien, dessen ungarische und slowenische Exonyme („Becs“ bzw. „Dunaj“) sich aus anderen geographischen Gegebenheiten hergeleitet und parallel zum Endonym entwickelt haben, und schließlich
– gezielte Umbenennungen wie bei Tolmezzo/Schönfeld, Sibiu/Hermannstadt, Калининград (Kaliningrad)/Königsberg usw., wobei es sich bei einigen solcher deutschen Exonyme um historische Namen handelt und man heutzutage oft eher die aktuellen Endonyme verwendet.
Aber ob ich nun „Rom“, „Roma“ oder „Rome“ sage/schreibe, das
fällt für mich nicht in diese Kategorie.
Genova / Genf ist sicher ein Zweifelsfall. Ich persönlich
würde es aufgrund der dortigen Landessprache (französisch
Genève) eher in die Kategorie „Rom“ stecken, genau so wie
Milano/Mailand.
Das Problem bei einer Kategorisierung, wie Du sie da angedeutet hast, ist meines Erachtens jedoch, dass Du eher mit „gefühlten“ Maßstäben arbeitest als mit wissenschaftlichen. (Nebenbei: Du meinst sicher „Geneva“ bzw. „Ginevra“ für Genève/Genf und nicht „Genova“, oder? „Genova“ wäre nämlich eine andere Stadt.
) Diese Unterteilung halte ich jedoch für ein wenig problematisch. Nimm beispielsweise folgende zwei Fälle:
– Aachen/Aix[-la-Chapelle]: Ohne die Etymologie zu kennen, könnte man eine vermeintliche Verwandtschaft annehmen, da sich aa/ai und ch/x ähnlich sehen. In Wahrheit leiten sie sich aber, wie oben gezeigt, aus unterschiedlichen Namen her.
– Kaapstad/Höfðaborg (isl.): Auf den ersten Blick haben beide Namen so absolut nichts miteinander zu tun. Auf den zweiten ist es jedoch eine eins-zu-eins-Übersetzung, wodurch Endonym und Exonym deutlich näher miteinander verwandt wären als Aachen/Aix-la-Chapelle. Ähnliches gilt wohl für Liège/Luik/Lüttich, die mutmaßlich auf denselben lateinischen Namen zurückgehen, auch wenn sie heute sehr unterschiedlich aussehen.
Aber ich glaube, ich habe mich zu sehr mitreißen lassen und bin mittlerweile so weit von der Ursprungsfrage abgedriftet, dass ich besser aufhören sollte… 
Gruß,
Stefan