Start ins Berufsleben mit 26

Ein guter Freund von mir ist 26. Seit seiner mittleren Reife 2017 hat er sich um seine schwerkranke Mutter gekümmert. Es blieb ihm keine Zeit, sich beruflich zu orientieren oder zu etablieren. Jetzt ist seine Mutter verstorben und er will ins Berufsleben einsteigen. Er würde gerne als texter arbeiten, weiß aber nicht, wie und wo er anfangen soll. Geld für teures coaching hat er nicht. Ausbildungsplatz in dem Alter und mit dem Lebenslauf zu bekommen ist schwierig. Hat jemand eine Idee, wie er möglicherweise durchstarten könnte?

Nur dass ich das recht verstehe: er hat seine Mittlere Reife mit 20 gemacht?

Gruß
C.

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Sorry 2015

Keine Handlungsempfehlung, aber angesichts der Entwicklungen im KI-Bereich (z.B. ChatGPT) sollte man wohl hier Tips und Tricks sowie Prompts kennen, welche Routinetätigkeiten (z.B. Texte verfassen) vereinfachen und um „menschliche“ Faktoren ergänzen.

Darf ich mal ganz und gar zurückhaltend und freundlich und keinesfalls auch nur irgendwas minimal böses unterstellend nachfragen, was ihn diesbezüglich so sicher macht? Klar, er ist nun mal 10 Jahre älter als seine Mitbewerber, aber nicht für jeden Ausbilder muss das ein riesiger Nachteil sein. Gerade weil er ja in diesen 10 Jahren nicht auf Malle als Call-Boy (oh Jana, was schreibst Du hier wieder?! Man kann sie schon hören wie man mit mehr oder weniger lustigen Fremdwörtern erklärt wie „anblaffend“ „anra(u)nzend“ das schon wieder war!) sondern er hat was sehr positives getan. Das sollte ihm tatsächlich nicht zum Nachteil gereichen. Und ganz ehrlich: in nem Laden, der seine Azubis eher als Leerlinge (für Spülmaschine, Kaffeemaschine und Mülleimer) sieht will er mit 26 vermutlich eh nicht mehr arbeiten.

Darum die Frage: will er das nicht oder gelingt das wirklich nicht? [Und Dingsnocheins, das ist kein Vorwurf, ich möchte die Geschichte erstmal verstehen] Und falls das nicht gelingt: liegt’s wirklich am Alter?

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wie finanziert sich der freund?
eventuell gäbe es über das neue „bürgergeld“, sprich jobcenter, eine möglichkeit zu erfragen.
auch sollte die azubi-variante nicht gleich ausgeschlossen werden, wie @Frau_Jana_Boemer bereits anmerkte.

e.c.

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Danke für den Tipp, werds weitergeben

Bis jetzt haben beide von der Rente der Mutter und Pflegegeld gelebt. Jetzt muss er das Bürgergeld beantragen. Berufsberatung für Erwachsene beim jobcenter habe ich ihm auch schon empfohlen. Aber vielen Dank für den Tipp

Wie wäre es, bei verschiedenen Werbeagenturen erstmal nach einem Praktikumsplatz zu fragen? Dann kann er idealerweise auch feststellen, ob ihm das überhaupt liegt. Das mit der Arbeitsagentur kann er unabhängig davon machen, aber Texter ist kein anerkannter Ausbildungsberuf.

Vielleicht wäre das eine Möglichkeit, anschließend über einen Quereinstieg zum Wunschberuf zu kommen:
https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/57883

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Also, um seine Situation ganz verständlich rüberzubringen müsste ich hier ein Buch schreiben. Deshalb versuche ich sie mal Stichpunktmäßig zusammenzufassen:
Vorweg, wollen tut er schon.
Sein Vater hat die Familie verlassen, ziemlich bald, nachdem die Mutter krank wurde. Zu ihm besteht auch kein Kontakt. Die Mutter war nicht nur physisch sondern auch psychisch sehr krank. In einem Alter also, in dem man normalerweise die Weichen stellt für sein Leben, war er permanent in einem problematischen Umfeld. Die beiden haben sehr zurückgezogen gelebt und das hat Spuren bei ihm hinterlassen. Er hat null Selbstbewusstsein und wenig Ahnung, wie die moderne Berufswelt funktioniert. Ausserdem hat er eine depressive Grundstimmung. Texter wäre sein Wunsch, weil er gerne schreibt.
Ich habe mit ihm Stellenangebote analysiert, dass er mal weiß, welche Anforderungen dort gestellt werden.
Fazit: Studium z.B. Kommunikationswissenschaften etc.,fundierte Kenntnisse von verschiedenen Programmen -hat er nicht. Anstellung als Texter schon mal illusorisch. Ausbildung z.B. in einer Werbeagentur-Voraussetzung Praktikum und Grundkenntnisse irgendwelcher Programme, hat er nicht. Für Praktikum Voraussetzung -dazu muss er wiederum Student sein.

Ich weiß nicht, ob ich das alles verständlich rübergebracht habe. Ich wollte hier einfach mal nachfragen, ob jemand eine Idee hat, wo man mal anfangen könnte…

Vielen Dank! Ich werde versuchen ihn dahingehend zu motivieren, da er bis jetzt, glaube ich, nicht selbstbewusst genug ist, eine Initiativbewerbung bei einer Werbeagentur zu starten. Wir hatten schon nach Praktikumsplätzen recherchiert, die waren ausschließlich für Studenten

Vielen Dank für die ausführliche Erklärung. Sowas in dieser Richtung hatte ich mir schon fast gedacht. Und bei allem was Du da so schreibst ist ihm mit ein wenig Hilfe einer engagierte Freundin (=Dir) und einer Berufsberatung nicht geholfen. Da muss wohl ein Profi ran. Hattet Ihr diese Thematik mal diskutiert? Steht er sowas prinzipiell aufgeschlossen gegenüber?

Und eines möchte ich in aller Deutlichkeit betonen: mit 26 ist er noch jung genug um genau alles zu machen was er möchte! Er will weltweit führender Herzchirurg oder Astrophysiker werden? Nun, dann macht er Abi, studiert und setzt dann seine Pläne um. Unser Schulsystem in Deutschland hat dramatische Nachteile und Probleme. Aber: man kann zu jedem Zeitpunkt in seinem Leben jeden gewünschten Abschluss kriegen [Und für meine besonderen Freunde 1: nein, dabei sind irgendwelche Karrieren für die man bestimmte körperliche Merkmale (Fotomodell) oder Talent (Fußballer) benötigt oder für die man besonders jung sein muss (Kinderstar) explizit ausgenommen, ey!] [Und Anmerkung 2: ja, verdammtnocheins, das ist Aufwand (unter Umständen sogar mehr Aufwand als auf dem ersten Bildungsweg) und ja, das kostet Geld, das möglicherweise an anderer Stelle fehlt!]

Will sagen: er sollte jetzt in mehreren Stufen vorgehen

  1. grundlegende Finanzierung sicherstellen (Bürgergeld, keine Ahnung - eventuell könnte auch der leibliche Vater zahlen müssen, aber da kenne ich mich tatsächlich nicht aus)
  2. Ich sag mal - meinem Rufe folgend sehr schnodderig - „Psyche in Ordnung bringen“, soweit möglich und nötig [Und gottverdammt, nein, damit unterstelle ich nicht, dass das nicht „möglich“ ist, aber es mag vielleicht Themen geben, deren Bearbeitung entweder ziemlich lange braucht oder die für die „Karriere“ erstmal zweitrangig sind oder sowas]
  3. Wunschberuf definieren und den Weg dorthin festlegen und dann Schritt für Schritt gehen - gegebenenfalls Punkt 2) parallel weiter verfolgen

Achja, zum Thema Praktika: das ist heutzutage nimmer so, dass man das nur als Student machen kann. Es gibt auch Schüler- und Schnupper- und Gottweisswas-Praktika, die man auch ohne Study-Status absolvieren kann. Versuch macht kluch. Und gerade Kenntnisse in irgendwelchen Programmen kann man sich auch prima zuhause oder im Rahmen von Volkshochschul-Kursen aneignen. Wobei mir beim Schreiben grad eh einfällt, dass vhs-Kurse (oder sonstige Anbieter, je nachdem was es halt vor Ort gibt) vielleicht eine gute Idee sind, um ihn auch wieder ans Lernen zu gewöhnen. Da isser ja nun auch 10 Jahre „raus“. Vielleicht findet er da ein bis zwei nette Kurse, die auch ggf. berufsspezifische Themen abdecken?

Mein persönlicher Gedanke war: Hat er ggf. überlegt, erstmal das Abi nachzumachen? Das gibt ihm nochmal zwei Jahre Zeit, seine Seele zu heilen, eventuell auch „Jugend nachzuholen“ (keine Ahnung, auf wie vielen alterstypischen Partys er in den letzten 10 Jahren war, aber vermutlich eher auf wenigen). Und dann hat er auch nochmal zwei Jahre Zeit, sich klar zu werden, wo die Karriere denn hingehen soll. Und selbst wenn er sich dann für eine Ausbildung entscheidet, hat er mit nem „aktuellen“ Abi vermutlich bessere Karten für die Bewerbung als mit nem „alten“ Realschulabschluss.

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Nach allem, was Du hier so über ihn geschrieben hast, erscheint es mir sehr sinnvoll, wenn der junge Mann zunächst einmal Struktur in sein Leben bringt. Nicht nur bzgl. Broterwerb, sondern auch für sich selbst. Und dafür ist mE der Berufswunsch „Texter“ gar nicht geeignet, weil er damit aller Voraussicht nach in dem Strudel landet, den man tagtäglich auf LinkedIn und Co. beobachten kann, wo eine Vielzahl von „Textern“ und Co. einerseits auf dicke Hose machen, andererseits aber um jeden noch so kleinen Auftrag betteln um irgendwie über die Runden zu kommen.

Insoweit würde ich zu einem klassischen Ausbildungsberuf raten, bei dem man eine feste Struktur mit einem klaren Weg hat und schon während der Ausbildung jeden Monat planbar festes Geld aufs Konto bekommt und eine gute Chance auf eine Festanstellung mit sicherem Geld hat. Dann kann man immer noch sehen, ob man nebenbei mit Spaß am Texten vielleicht noch ein kleines Taschengeld generiert und nach und nach damit ein Business aufbauen kann.

Das Alter sehe ich vor dem Hintergrund dessen, was da jemand in der Zwischenzeit gemacht hat, auch nicht als tragisch an. Es gibt auch Leute, die ein paar Jahre im Knast gesessen haben und dann erst in dem Altr wieder Fuß fassen müssen. Die haben es da sicher deutlich schwieriger einem Ausbildungsbetrieb zu erklären, warum sie erst jetzt dort aufschlagen. Zudem ist der Ausbildungsmarkt aktuell so dermaßen heiß auf jede(n), die/der da kommt und willig ist, dass eine große Chance besteht, bei anständigen Bewerbungsunterlagen eine nette Auswahl potentieller Ausbildungsbetriebe zu finden, zwischen denen man sich dann entscheiden kann.

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Hallo,

in der derzeitigen Situation würde ich für die meisten Ausbildungsberufe bei dieser Aussage

ein dickes Fragezeichen machen.
Azubis sind in vielen Bereichen gesucht und derzeit auch sehr oft mit Übernahmegarantie bei Bestehen der Abschlussprüfung.

Wenn noch keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt und somit auch keine Beiträge gezahlt wurden, dürfte das Jobcenter für den jungen Mann zuständig sein.
Neben eigenen Instrumenten wie zB Berufsberatung hat das Jobcenter auch Unterstützungsmöglichkeiten zur Überprüfung von Eignung und Neigung sowie Möglichkeiten zur Begleitung (Coaching) beim Berufsstart.

„Texter“, insbesondere im Bereich von Marketing/Werbung ist idR keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sondern eine freiberufliche Tätigkeit, die mit schöner Regelmäßigkeit bei den Allermeisten zur Aufnahme in den Club der „working poor“ führt.

&tschüß

Wolfgang

Vielleicht sollte er sich in der grossen Palette der Ausbildungsberufe auch mal anderswo umsehen, Es könnte doch sein, dass es da etwas gibt, das ihm auch (oder besser) zusagt.

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Hi!

Als Berufsschullehrerin habe ich jedes Jahr Schülerinnen oder Schüler, die deutlich über 20 sind und dennoch einen Ausbildungsplatz gefunden haben.

Inzwischen sind (gute) Azubis schwer zu kriegen - das steigert die Chancen deines Freundes um einiges, denn er ist reifer und hoch motiviert.

Sollte er einen Ausbildungsberuf beginnen, kann er Ausbildungsbeihilfe beantragen als Ergänzung zum Lehrlingslohn, das reicht durchaus zum Leben.

Als schüchterner, zurückhaltender Typ wird er als Texter zuviel harte Konkurrenz haben. Da halte ich die Tipps, nach einem anderen Ausbildungsberuf zu schauen, für sinnvoll. Eine Berufsberatung, die nach seinen Stärken und Bedürfnissen schaut, wäre jetzt angesagt.

Viel Glück!

Diva

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Vielen Dank für deine Tipps. Du hast genau richtig erkannt, dass er sich zunächst mal eine völlig neue Struktur aufbauen muss. Meine Hoffnung liegt auf einer Berufsberatung, die idealerweise mit ihm seine Stärken herausfindet und sich dadurch ein möglicher Ausbildungsberuf ergibt.

Liebe Diva, ich danke dir für deine Tipps. Ich hatte schon geantwortet, weiß aber nicht, ob dich das auch erreicht hat. Ich bin neu hier auf diesem Portal und hab noch nicht ganz kapiert, wie das alles funktioniert.

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Liebe Jana, zunächst einmal herzlichen Dank für deine engagierte, detaillierte, Mut machende Antwort.
Leider muss ich sagen, dass er der Schulmedizin generell und Psychologen/Therapien im Speziellen, äußerst kritisch gegenüber steht. Da ist wohl nicht mit ihm zu diskutieren. Außerdem bin auch ich der Meinung, dass qualifizierte Therapeuten eine immense Wartezeit haben…
Meine Hoffnung besteht darin, dass er durch Struktur und einer Perspektive (zu der ihm alle hier im Forum und du besonders, verholfen haben) einen Weg für sich findet. Ihr habt ihm auf jeden Fall eine Menge Tools an die Hand gegeben.

Viele Grüße
Gaby

P.S. Ich bin ganz neu hier auf dieser Plattform und kenne mich mit der Frage/Antwort noch nicht so gut aus. Irgendwie verschwinden meine Antworten im Nirwana. Auch weiß ich nicht, wie man Textpassagen herauskopiert und entsprechend wieder einsetzt. In anderen Beiträgen sehe ich immer, dass alles schön der Reihe nach erscheint. Vielleicht könntest du mir ganz kurz erklären, wie das funktioniert!?!

An alle hier ein Dankeschön für die vielen wertvollen Tipps. Ich hatte jedem einzelnen geantwortet, weiß aber nicht, ob das alles so angekommen ist. Ich kenne mich hier noch nicht so gut aus und meine Antworten verschwinden einfach…
Nochmal danke,
Gaby