Sterben fürs Vaterland - seit wann eigentlich?

Hallo,

wenn ich mir so die Parolen der Ukrainischen Soldaten und auch der Russen und so anhöre, ist da immer vergleichsweise viel Nationalismus dabei - der Stolz aufs Vaterland und die Bereitschaft und die Pflicht fürs das Vaterland zu verteidigen und zur Not auch dafür zu sterben.

Ich persönlich finde das einigermaßen bescheuert.

Aber ich frage mich schon: Wie lange gibt es das eigentlich schon? Den Bewohnern der Städte und Dörfer im späten Mittelalter konnte noch ziemlich egal sein, wessen Banner da nun grade über der Stadt wehte.

Wann ist den Machthaber eigentlich der Geniestreich geglückt, den Stolz auf die eigene Nation so aufzuwerten, dass Menschen es für eine gute Idee hielten, sich für die Nation in einem Krieg verheizen zu lassen?

PS: Wohlgemerkt, es geht mir um Nationen. Russland und Ukraine sind ein Beispiel, wo sich Regierung und System unterm Strich nicht viel nehmen. Der Kampf gegen Hitler und seine genozidalen Pläne wäre was anderes.

Zunächst wird das ein Gedanke nur bei den Oberschichten gewesen sein. Edelleute starben sicher auch mal für König und Vaterland. Die einfachen Leute kämften zunächst nur für ihren Sold, für einen Anführer, für die Besatzung ihrers Schiffes oder gegen einen konkreten Feind vorm Dorf, der Besitz und Familie bedrohte etc. Für die hat man auch mal sein Leben geopfert. Breite Massen und den einfachen Bürger waren m E. erst seit der Französischen Revolution soweit, für ein Nationalgefühl ihr Leben zu geben.

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Bei den Japanern war es sehr ausgeprägt.
Stichwort
Kamikaze
Vg
Werner

Das ist aus dem zweiten Weltkrieg! Da hatten man sich in den europäischen Nationalstaaten schon längst damit angefreundet, dass Sterben fürs Vaterland eine großartige Sache ist.

Die Eingangsfrage ist, zumindest für den europäischen Kulturkreis, durch @raketenbasis schon beantwortet.

Die irrsinnige Übertreibung in der Folge wurde vor allen Dingen durch die interessierte Obrigkeit (Zivil, militärisch, kirchlich) gefördert.

Nachtrag:

Sterben für die Sippe wurde schon mit Beginn des Ackerbaus und der Sesshaftigkeit interessant, weil um diese Zeit zunächst im kleinen Rahmen sich das entwickelte, was wir Krieg nennen: organisiertes, geschäftsmäßig betriebenes Morden.
Im Laufe der Zeit übernahmen Dynastien die Rolle der Sippe.
Die französische Revolution war der Beginn, der die Bedeutungslosigkeit von Dynastien einläutete und uns den Nationalstaat bescherte.

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Servus,

zwar ist Horazens ausgeleierte Parole Dulce et decorum est pro patria mori ziemlich genau 2.000 Jahre alt, aber seine patria und die seit 1789 so betitelten Vaterländer sind verschiedene Dinge.

Der moderne Begriff „Vaterland“ hängt unmittelbar mit dem Begriff des Nationalstaats zusammen, der - außerhalb von ideologischen Konzepten - erstmals 1789 einen konkreten Gegenstand hatte.

Edelleute starben natürlich nicht für irgendwelche Vaterländer, schlicht weil es im Mittelalter und den ersten Jahrhunderten der Neuzeit keine gab.

Für gerne ein bisselchen grob geschnitzte moderne deutsche Stereotypen in diesem Zusammenhang ziemlich interessant, dass die letzten - bewaffneten - Kämpfer der misslungenen bürgerlichen Revolution 1848/49 sich für Freiheit und Vaterland (nämlich eine deutsche Republik im Gegensatz zu den Fesseln der 36 Zaunkönigreiche) schlugen, und dass Hoffmann von Fallerslebens „Deutschland über alles“ eine revolutionäre Hymne war.

Schöne Grüße

MM

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HI

nur zu deinem PS :slight_smile:

Genau die genozidalen Pläne postuliet Herr Putin aber - er möchte angeblich „entnazifizieren“ und damit die armen Ukrainer von der Naziherrschaft befreien

… was auf den ersten Blick wie ein heres Ziel klingt ist nur leider völlig Banane ist, weil es dort keine Naziherrschaft gibt und die Ukrainer deswegen not amused sind, dass ihr Land und ihre Demokratie aktuell von einem fehlgeleiteten weissen alten Mann zerbombt werden

Die Soldaten und Bürger kämpfen für den Erhalt ihres Landes, ihrer Familien, ihrer Wirtschaft, ihrer Häuser und der mühsam erworbenen und aufgebauten Demokratie, denn wenn sie von Russland annektiert wurden, ist es mit dem allen vorbei - „Vaterland“ steht hier für alle Werte gemeinsam

Gruß H.

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Das hatte sich so ergeben. Die französische Revolution sollte ja von den umliegenden Königreichen zerstört werden.
Die Tatsache dass sich die Bürger selbst so für die Revolution einsetzten, dass sie alles, auch ihr Leben, in die Waagschale warfen hat ja letzten Endes die Revolution, gegen alle Vorhersagen, gerettet.

Die später an die Macht kommenden Politiker und ganz besonders natürlich Napoleon haben sich das zunutze gemacht.
Und das erfolgreiche militärische Vorgehen Napoleons machte für die unterlegenen Könige, Herzöge, Fürsten die Argumentation mit der Vaterlandsliebe attraktiv. Deshalb häufig auch die Formel für König und Vaterland.

Die sich daraus entwickelte Perversion des Militarismus, speziell gepaart mit dem Nationalsozialismus, ist uns bekannt und das Ergebnis auch.

Sicherlich hat die Wehrpflicht dazu beigetragen, dass die Ukraine noch nicht überrollt wurde Du brauchst aber auch einen Wehrwillen für eine wirksame Verteidigung. Nach deiner Meinung sollte jeder zunächst an sich selbst denken, so dass „an jeden gedacht“ wäre. Für die Werte seines Landes kämpfen zu wollen ist doch nicht „bescheuert“. Diese Werte werden im Nationalgefühl focussiert.
Es ist nun mal nicht immer so, dass „irgendwann der Ami kommt und die Banditen verjagt“ und das alle abhauen dürfen. Gerade wegen der Kernwaffenbedrohung ist ein Eingriff von außen ziemlich unmöglich. Ergebnis: Die Ukrainer kämpfen mit dem Rücken zur Wand. Da ist Nationalgefühl eine wirksame Motivation für den Widerstandswillen, um ein „wir“-Gefühl zu erzeugen.

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Keineswegs.

Meiner Meinung nach sollte das Opfer die Kosten wert sein. Wie schon gesagt: Für die meisten macht es kaum einen Unterschied welcher Fetzen Stoff über seinen Köpfen weht.

Um mal bei dem Beispiel Ukraine zu bleiben: Für die tatsächlichen Lebensumstände in der Ukraine hätte es kaum einen Unterschied gemacht, ob man jetzt russisch oder ukrainisch ist. Der Hauptunterschied wäre, dass der Demokratisierungsprozess 8 Jahre zurückgeworfen wird. Ob das all die Opfer und die Zerstörung wert ist, muss jeder selber wissen.

Das ergibt ja auch Sinn, weil die Revolution die Lebensumstände der Menschen ja nachhaltig zum Besseren ändern sollte. Wie schon gesagt: Wenn es um Ideologien und nicht um Nationalitäten geht, ist der Kampfeswille für mich nachvollziehbar.

Interessanter ist da z.B. der erste Weltkrieg, wo die Lebensqualität und die Lebensweise in den meisten europäischen Staaten durchaus vergleichbar war und es kaum einen Unterschied gemacht hätte, wer am Ende der Sieger ist.

Das gibt es schon lange. Man findet es z.B. schon bei den Römern:

„dulce et decorum est pro patria mori“ (Horaz, Carmen saeculare, 3, 2, 13).
(Süß und ruhmvoll ist es, für das Vaterland (patria) zu sterben.)

und bei den Griechen:

„Auf, zum Kampf um die Schiffe mit Heerskraft! Welcher von euch nun
Tod und Schicksal erreicht, mit Wurf und Stoße verwundet,
Sterbe! Nicht ruhmlos ist’s, für des Vaterlandes Errettung
Sterben: in Wohlfahrt lässt er die Gattin zurück und die Kinder,
Und sein Haus und Erb’ unbeschädiget, wann die Achaier
Heimgekehrt in den Schiffen zum lieben Lande der Väter!“ (Homer, Ilias, 15,494ff).

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Nur dass eben, wie bereits ausgeführt, die dort angeführten Vaterlands-Begriffe nicht allzu vieles mit denen der Nationalstaaten nach 1789 gemein haben.

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Da muss man dann den zum Chauvinismus gesteigerten Nationalismus ins Auge fassen. Den gab es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und in anderen Staaten.

Die Ursache dieser Fanatisierung um 1800 sehe ich in der
Entpersönlichung der Menschen, hervorgerufen durch:

  1. Schwindende Religiosität
  2. Durch steigende Bildung schwindende Sicherheit durch scheinbare Wahrheiten.
  3. Auflösung kleiner Lebensräume z.B. Zünfte

Diese Aufzählung ist naturgemäß unvollständig, zeigt aber in welche Richtung es damals ging - die innere Unsicherheit wuchs.

Jeder Mensch hat das Bedürfnis seine inneren Defizite aufzufüllen. Das macht er auf verschiedene Weise: Drogen, Hobby und durch Anschluss an eine größere Gruppierung, die ihm persönliche Auswertung verspricht. Letzten Endes ist es gleichgültig, ob es sich um ein Fußballverein, eine Partei, Militär, Beruf oder Nation handelt.
Alles wird unternommen um die durch diese Hilfsmittel vermittelte Sicherheit nicht zu verlieren.
Große und größte Leistungen (Mondlandung) werden dafür erbracht.
Aber auch größte und bestialischste Verbrechen, die man sich denken kann. Auch die eigene Selbstauflösung (Tod) wird in Kauf genommen. Kriege sind das eindrückliche Beispiel.

Zusammenfassend ist meine Meinung: je geringer der Einzelne sein Ego einschätzt, desto fanatischer wird er einer Gruppe anhängen. Je schwächer ein Ego ist, desto stärker ist es darauf angewiesen sich möglichst stark in der Gruppe zu profilieren. Daraus ergibt sich: der Drang nach Macht ist nicht Stärke sondern Schwäche.
Wer sogenannte „Machtmenschen“ bewundert, bewundert Schwächlinge.

Der Geniestreich der Obrigkeit war, dieses Bedürfnis der Menschen für ihre Zwecke auszunutzen und einzusetzen.

Ich glaube es wäre auch kein Russe davon abgehalten worden, für die ukrainische Seite zu kämpfen. Höchstens von den Russen selbst. Es stehen na nicht die ehemaligen Lebensverhältnusse zur Debatte, sondern die ukrainische Nation kämpft mit dem Eücken zur Wand um seine Unabhängigkeit. Es ist eben so wie es ist.

Für die tatsächlichen Lebensumstände in der Ukraine hätte es kaum einen Unterschied gemacht, ob man jetzt russisch oder ukrainisch ist.

Auch eine Mitgliedschaft z.B. in der EU nicht?

???

Etwas anders sieht es Caspar Hirschi:

Süß ist die Pflicht, fürs Vaterland zu streiten

Erstens habe ich nicht von Nation oder Nationalstaaten gesprochen und zweitens hat der moderne Vaterlandsbegriff weiter zurückliegende Wurzeln, u.a. den römischen Patria-Begriff.