Man sollte kennen, was man verurteilt
Hallo,
Diese Ansage ist sehr hochmütig.
Leider beruht sie auf bitterer Erfahrung. Ich arbeite in einer Schule, die Erzieherinnen ausbildet und sehe sehr viele Einrichtungen. Besonders die zunehmend zu beobachtenden Ängste, die Eltern im Zusammenhang mit ihren Kindern entwickeln, erweisen sich als starker Hemmschuh für die pädagogische Arbeit.
Viele Eltern geraten bei der Vorstellung, dass ihr Kind sich nicht permanent unter der Kontrolle der Erzieherinnen befindet, in Panik. Dass aber genau das unabdingbar für die Entwicklung der Selbstständigkeit ist, wollen sie nicht hören, weil ihre Ängste das nicht zulassen können.
Pädagogische Konzepte - wie möglicherweise auch das, von dem die UP schreibt - die darauf abzielen, dass Kinder selbstständig und damit selbstbewusst werden, stoßen demzufolge häufig auf Ablehnung bei vielen Eltern. Ähnlich verhält es sich mit der Rundum-Bespaßung.
Es ist nachgewiesen, dass Kinder, die im Kleinkindalter nicht gelernt haben, Langeweile und Frustration auszuhalten, auch in der Schule Probleme kriegen. Ihre Aufmerksamkeitsspannen sind extrem kurz, weil sie gewöhnt sind, dass ihnen ständig etwas angeboten wird. Auch die Erfahrung, aus der Langeweile heraus eine eigene Motivation zum Handeln zu entwickeln, ist äußerst zuträglich fürs spätere Leben.
Für viele Eltern blockieren auch hier wieder Ängste die Akzeptanz entsprechender Konzepte. Sie befürchten, dass ihre Kinder schlechter in der Schule sind, wenn die KiTa nicht haufenweise Kurse anbietet, in denen die Kinder „gefördert“ werden. Die Vorstellung, dass ihre Kinder selbst aktiv sind und das spielen, worauf sie Lust haben, erweckt die Sorge, ihre Kinder würden wichtige Dinge verpassen und nicht ausreichend aufs Schulleben vorbereitet werden.
Das Gegenteil ist der Fall: Die wahre Leistung, die ein Kindergarten erbringen muss ist, in Kindern Entdecker- und Lernfreude zu wecken. Diese entsteht niemals dadurch, dass Kinder zu Dingen gedrängt werden, die sie nicht interessieren. Sie entwickelt sich aus dem eigenen Tun. Um an diesen Punkt zu kommen, müssen Kinder aber erst mal eigenständig tun dürfen.
Die Erzieherinnen begleiten und unterstützen sie dabei, aber sie sind nicht länger der Animateur, der als einziger weiß, wie die Welt funktioniert. Für Eltern kann das durchaus so aussehen, als täten die Erzieherinnen nichts mehr. Dass es keinen Schablonen-Marienkäfer mehr gibt und keine „Programme“, die prima klingen, aber an der Lebenswelt der Kinder vorbeigehen und damit verpuffen, können viele Eltern nur schwer akzeptieren. Vor allem dann nicht, wenn andere Kindergärten mit großartigen Förder- und Bildungsprogrammen werben.
Deswegen macht es vor einem Protest unter Umständen eine Menge Sinn, sich als Eltern mit Inhalten zu beschäftigen, bevor man sie ablehnt.
Schöne Grüße,
Jule