Hallo Jeanne,
Ich ging von dem Punkt aus, dass der Mensch sich über die
Fähigkeit, etwas an sich verändern zu können, bewusst ist.
Ebenso, dass er sich über seine Struktur/en bewusst ist.
ich glaube, das ist meistens nicht der Fall. Das Bewußtsein ist keine Konstante, nicht einmal im Wachzustand. Man kann in einer Art Trance durch den Tag kommen, und was so zu tun ist, mehr oder weniger automatisch erledigen, reine Routinearbeiten kann man ganz gut auf diese Weise hinter sich bringen. Oder man kann mit voller Aufmerksamkeit da sein. Ich glaube, der Trance-Zustand ist viel häufiger. Die von Dir genannten Strukturen sind auch so eine Art Routine, die eher trance-haft unbewußt abläuft. Vielleicht ist der Zustand der wachen Aufmerksamkeit einfach ziemlich anstrengend und gewöhnungsbedürftig.
(Ich gebe mal zwei Beispiele zwecks besseren Verstehens. Eine
Freundin von mir, Grafikdesignerin, hadert zeitlebens damit,
dass sie sich in ihrem Job nicht gut genug fühlt. Alles, was
sie macht, könnte/ sollte besser sein.
Eine Möglichkeit wäre natürlich, daß diese Dame von ihrem Job leben muß und sich unsicher ist, ob ihre Arbeit gut genug ist, um vom Kunden akzeptiert und bezahlt zu werden. Wahrscheinlicher scheint mir, daß es das Thema „Ich bin nicht gut genug“ oder „Was ich mache, ist nicht gut genug“ für sie schon lange existiert, z. B. früher in der Schule und gegenüber ihren Eltern, aber das herauszufinden und aufzuarbeiten wäre eine Aufgabe für die Therapie, in die sie geht.
Eine andere Bekannte ist nicht in der Lage, auf ihren
Gegenüber einzugehen. Wenn ich ihr etwas erzähle, ist sie mit
dem nächsten Satz schon wieder bei sich. Wenn ich ihr
Verhalten kritisiere, sagt sie, sie würde ja gerne auf mich
bzw. ihren Gegenüber eingehen, aber sie weiß nicht wie. Ich
gebe ihr manchmal Beispiele oder sage, du hättest ja einfach
was nachfragen können,egal, Hauptsache, du vermittelst mal
Interesse. Angenommen, ich glaube ihr, dass sie ihr Verhalten
ändern möchte - da wundere ich mich wirklich stark, dass ihr
das so schwer fällt! Auch sie macht übrigens ´ne Therapie.
Viele Möglichkeiten, z. B.:
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Angst, ein neues Verhalten, mit dem sie nicht vertraut ist, auszuprobieren; was kommt dabei heraus?
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Scham, mit einem Verhalten aufzufallen, das die anderen bisher an ihr nicht gewohnt sind.
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Soll die Dame aus Interesse nachfragen, oder um der Erwartung von anderen nachzukommen (so eine Art Watzlawicksche Kommunikationsfalle)?
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Es ist einfach schwierig, als erwachsener Mensch einen Mangel an sozialen Fertigkeiten aufzuholen. Als Erwachsener kann man eher nicht mit der Nachsicht rechnen, die Kindern und Jugendlichen zuteil würde.
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…
Gehe ich nun gemäß deiner Theorie davon aus, dass es Angst
ist, ist es dann Angst vor dem was „rauskommt“, wenn ich tief
in mir wühle und nach den Ursachen meines Verhaltens schaue?
Muß nicht sein. Ich glaube, oft ist es auch bloß Unsicherheit mit neuen Verhaltensweisen durch Mangel an Geübtheit.
Was macht die Angst im Gehirn? Blockiert sie den
Informationsfluss? Was hindert den Menschen daran, seine Angst
zu überwinden?
Dazu lese ich gerade in einem Buch nach und finde folgende interessante Informationen (Neuropsychotherapie, von Klaus Grawe):
Die Amygdalae (Mandelkerne) im Gehirn sind die Angst- und Alarmzentrale. Sinnesreize kommen alle zum Thalamus, der letzten Umschaltstation vor dem sensorischen Cortex, werden von dort auch zum den Amygdalae weitergeleitet (das geschieht schneller, als wir denken können), im Falle bedrohlicher Reize wird das autonome Nervensystem aktiviert und Adrenalin ausgeschüttet, der Körper für Schutz- oder Angriffsreaktionen mobilisiert.
Es gibt viel mehr Nervenverbindungen von den Amygdalae zum Cortex als umgekehrt. Deshalb kann die Angst (wie starke Gefühle überhaupt) das Denken viel eher beeinflussen als umgekehrt.
„Zu den Reizen, auf die die Amygdala von Natur aus besonders stark reagiert, gehören ängstliche, wütende und ärgerliche Gesichter. Das gilt sogar dann, wenn diese Gesichter nicht bewußt wahrgenommen werden… Wir können … sicher sein, daß in einer Psychotherapie die Amygdala des Patienten auf jedes kleinste Zeichen von Ärger in der Mimik des Therapeuten reagiert, auch wenn dieser Gesichtsausdruck nur sehr kurz war…“
(Die ersten beiden Absätze sinngemäß, der dritte wörtlich zitiert.)
Grüße,
I.