Guten Morgen!
Das massive Terrorproblem in Israel wäre längst keines mehr,
wenn die Verantwortlichen das Elend wirklich beenden wollten.
Du hast grade bewiesen, daß du von diesem „massiven
Terrorproblem“ keine Ahnung hast. Hättest du eine Ahnung
davon, würdest du anders denken. Aber eine Lösung haben wir
natürlich parat - es ist natürlich das „Elend“ schuld.
Mit Elend war im Kontext der Darstellung der Terror selbst gemeint. Jeder Anschlag, jeder Gegenschlag, jede Antwort auf den Gegenschlag ist für die jeweils andere Seite der willkommene Anlaß, beginnende Gespräche und aufkeimende Wünsche nach Frieden zu ersticken. Wenn jeder Tat der einen Seite eine Tat der anderen Seite folgt, kann es niemals Frieden geben. Wenn sich vermeintliche Friedensbemühungen mit einem einzigen Anschlag beenden lassen und niemand bereit ist, ein umfassendes Konzept mit gegenseitigem Interessenausgleich vorzulegen und auch in den eigenen Reihen durchzusetzen, wird das Elend des Terrors in der Region endlos fortgeführt.
Auf beiden Seiten herrscht Unfähigkeit, die verfahrene Kiste zu lösen. Es ist natürlich keine praktische, sachlich begründete Unmöglichkeit; die Köpfe haben sich in ihren jeweiligen Positionen verrannt. Beide Seiten sind überzeugt von der Vorstellung des eigenen gerechten Tuns und der Vorstellung vom verteufelt bösen Tun der anderen Seite.
Ein Konflikt ist mit Gesprächen und Nachgeben von beiden Seiten lösbar. Jederzeit! Jetzt kann man natürlich laut lachen und von Elfenbeinturm reden und meinen, der Mensch hätte keine Ahnung, wenn er Gespräche und beiderseitiges Nachgeben vorschlägt. Konflikte beliebiger Art haben es aber so an sich, daß sie nur mit Gesprächen und beiderseitigem Nachgeben lösbar sind und sie haben es stets an sich, daß die unmittelbar Beteiligten meinen, der jeweils andere müsse nachgeben. Die Beteiligten eines jeden Konflikts sind stets fest von ihrer allein richtigen Position überzeugt, unabhängig davon, wie dauerhaft untragbar der Zustand auch sein mag. Das hat gar nichts mit Israelis und Palästinensern zu tun, es gilt für jeden Konflikt. Dann wird Krieg geführt. Der Krieg selbst löst gar nichts. Er schafft vielmehr neue Probleme, um die man sich dann kümmern muß. Irgendwann wurden genügend Menschen umgebracht, die einst umjubelten Hardliner zum Teufel geschickt und dann werden Lösungen gefunden, die man auch ohne Krieg hätte finden können. Wenn Menschen nur wollen, geht alles. Wenn etwas vermeintlich nicht geht, wollen es die Beteiligten nicht anders. Solche simplen Sachen muß man sich bei jedem Konflikt vor Augen führen, damit sie auch von klein Erna und Fritzchen verstanden werden.
Bei den Beteiligten in Nahost ist kein ernsthafter Friedenswillen erkennbar. Auf beiden Seiten agieren unbelehrbare Betonköpfe. Seit längerer Zeit wird versucht, den Konflikt auszuweiten, um auf Schauplätzen von Stellvertretern zu einer Lösung zu kommen, mit der man den Interessenausgleich vermeidet und den eigenen Kopf durchsetzt. Beide Seiten haben ihre Verbündeten und auch bei diesen Verbündeten sitzt viel Verantwortungslosigkeit und Dummheit an den Schalthebeln, vermengt mit allerlei weiteren Interessen um Einfluß und Öl.
Neutral halten können wir uns nicht. Wir sind längst Rädchen in diesem Konflikt. Aber wir können dafür sorgen, daß wir kein Rädchen im Getriebe der Hirnlosigkeit werden. Dazu gehört, daß wir an unserer Rechtsstaatlichkeit festhalten. Es gehört dazu, daß wir nicht stellvertretend für vernagelte Ideologen ein paar Leute mit arabischem Aussehen und arabischen Namen foltern und verschleppen. Dazu gehört, daß wir Glaubwürdigkeit bewahren und die eigenen Werte nicht zum Schönwetter-Papiertiger deklassieren. Was Werte wirklich wert sind, zeigt sich erst, wenn es hart auf hart kommt.
Wenn wir das Feld den Idioten überlassen, brennt absehbar die ganze Region vom Mittelmeer bis Afghanistan und dann brennt Europa auch. Das alles, weil sich ein paar religiös Durchdrungene nicht über Jerusalem einigen wollen, weil in Israel Hardliner sitzen, weil z. B. im Iran komplette Idioten das Zepter führen und in Washington jemand seinen katholischen Kreuzzug um Öl und Freiheit führt und ihm dennoch nichts anderes einfällt, als in Guantanamo die eigenen Werte mit Füßen zu treten und nicht nur im Irak das Pulverfaß ohne jede Perspektive weiter anzuheizen.
Zu Deinen Vorstellungen von Überwachung: Wir leben hier nicht im winzigen Israel. Deutschland ist ein Land mit 82 Millionen Menschen. In einer einzigen deutschen Großstzadt bewegen sich täglich mehr Menschen, als die gesamte israelische Armee je zu Gesicht bekommen hat. „Stark frequentierte Orte überwachen“ ist kompletter Unfug. So viele Sicherheitskräfte hat der ganze Globus nicht. Was ist denn stark frequentiert? Die allein Dutzende riesiger Einkaufszentren in jeder einzelnen Großstadt? Oder so viele Betriebe, wie Ost-Jerusalem Einwohner hat? Und ebenso viele Brücken? Und mehr Kilometer U-Bahn, als Israel lang ist? Oder hunderte Kraftwerke? Oder tausende Kirchtürme? Mit Überwachung und Kontrolle der Bewegung ist in einem so großen Land nur subjektiv etwas zu machen, aber keine tatsächliche Sicherheit zu gewährleisten.
Wir müssen die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß man in einem großen, dicht industrialisierten Land mit polizeilichen und/oder militärischen Mitteln keine Sicherheit vor Ereignissen herstellen kann, die unvermittelt an beliebigem Ort zu beliebiger Zeit eintreten können. So ein riesiges Gebilde läßt sich, so es denn funktionsfähig bleiben soll, überhaupt nicht im polizeilichen Sinn „beherrschen“. Wir haben die weltweit am dichtesten frequentierten Wasserstraßen, wir sind das vermutlich weltweit am dichtesten frequentierte Transitland, hier finden Warenströme statt, die weltweit ihrgesgleichen suchen. Gestern war ein guter Tag, um einen Blick auf den Hamburger Jungfernstieg zu werfen oder auf die Spitalerstraße. Und dann kannst Du ja mal an Kontrolle denken - einfach lächerlich. Es sei denn, jemand führt totale Lähmung im Schilde oder hat dörfliche Vorstellungen. Bei großen Werken, seien es Flugzeugwerke oder BASF - überall kannst Du Dir aussuchen, ob Du wenige Stichproben machst oder den ganzen Laden lähmst. Beim VW-Werk in Wolfsburg stehen LKW-Schlangen und produzieren Warenverkehr, den mancher komplette Staat nicht hat.
Letztlich bildet die in Bevölkerung und Staatsorganen verankerte Rechtsordnung das Fundament für unsere Sicherheit. Die Polizei kann sich um Stichproben und konkrete Einzelfälle kümmern, aber mit Überwachung ist gar nichts zu machen. Das System in sich und die weit überwiegende Mehrzahl aller Bürger, die systemkonform handeln, gewährleisten Funktion und Sicherheit. Wollte man Sicherheit mit Polizeimaßnahmen gewährleisten, kollabiert das Gesamtsystem augenblicklich.
Ich lebe auf dem Land, extrem dünn besiedelt, es gibt nur wenige Menschen pro qkm. Hier umfaßt ein nicht einmal großes Gehöft 10 qkm und dort arbeitet ein halbes Dutzend Menschen. Aber gar nicht weit weg fließt die Elbe, nicht weit weg verläuft eine Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn, ebenfalls nicht weit weg gibts eine stark frequentierte Autobahn. Dann gibts noch Trinkwasserförderung, Hochspannungstrassen, eine überregionale Gaspipeline überwiegend unterirdisch quer durch Wälder. Hier ist also gar nichts los, überwachbar ist das riesige Gebiet definitiv nicht, aber es ist leicht verwundbar und das auch noch mit erheblichem überregionalen Schaden. Alles funktioniert nur, weil rechtsstaatliche Werte auch ohne Kontrolle gelebt werden. Dabei gibt es Wechselwirkungen. Würde permanent kontrolliert, würden Rechtsnormen nur noch aufgrund der Kontrolle eingehalten. Man baut mit der allgegenwärtigen Kontrolle den rechtsstaatlichen Automatismus ab und das System funktioniert nicht mehr.
Wenn es also um die Abwehr von Terror geht, betreiben wir mit Geheimdiensten, Militär, Polizei, Eindampfen der Rechtsstaatlichkeit o. ä. aussichtslose und sogar kontraproduktive Bastelei an Symptomen. Der wirklich wirksame Hebel liegt in Jerusalem und nicht in Folterkellern, nicht auf Polizeiwachen und nicht in Änderungen unserer Verfassung.
Gruß
Wolfgang