.
Hallo Michael.
Deine Frage, ob es einen „Begriff dafür gäbe“ kann ich noch nicht beantworten, weil ich sie wahrscheinlich noch nicht verstanden habe. Kannst Du bitte noch mal erklären, worauf Du Dich beziehst, das heißt wofur Dein „dafür“ steht? (Hört sich wie ein Wortspiel an, ist aber nicht so gemeint.)
Ansonsten:
„Rapport“ erwächst aus empathischer Wahrnerhmung.
Das heißt: Empathie muß keineswegs bewußtseinsnah oder bewußt sein (kann es aber). Im Falle des echten unwillkürlichen Rapports hat man sozusagen mit den Vorstufen der Empathie zu tun. Der Terminus „Empathie“ ist in der gehobenen Umgangssprache ziemlich wertmäßig überhöht. Eigentlich aber sind etliche Aspekte der empathischen Vorgänge auf einer simplen eher unwillkürlichen Ebene angesiedelt.
(Damit bestreite ich gar nicht den fundamentalen Wert der Empathiefähigkeit für eine humane Geisteseinstellung.)
Ich nehme nicht an, daß Du auf szientistichen wichtigtuerischen Namensaufruf (name dropping) von Hirnregionen und dergleichen aus bist.
Ein Beispiel für das in der Praxis womöglich Schillernde an den Phänomenen der Empathie liefere ich Dir mit einer Vignette aus meinen Therapien.
Ein Mann freundet sich etwas mit einer Frau an. Die Frau aber ist subpsychotisch (was der Mann nicht weiß). Sie ist ganz und gar „hin und weg“, und zwar auf einer ungefilterten distanzlosen Art, die etwas von der üblichen Leidenschaft einer heftigen Verliebtheit abweicht. Sie ist auch eben nicht „heftig“ verliebt, sondern ziemlich auf Anhieb „verklebt“, so etwas wie eine Vorstufe von „verschmolzen“. Sie ahnt natürlich auch nichts davon. Ihr geht sehr gut, sie empfindet Freude, sie meint in (der) Liebe „den Richtigen“ gefunden zu haben, verliebt zu sein, hofft auf ein zeitloses Gelingen. Der Mann empfindet nicht derartig Bewegendes, aber auch ihm geht es gut, auch er freut sich - etwas verhalten - über die unerwartete freundschaftliche Annäherung.
Bei schönem Herbstwetter lädt die Frau den Mann zu einem sonntäglichen Brunch in einer Waldgastätte ein. Die Autos könne man an einem weit entfernten Parkplatz stehenlassen, dann über der Frau bekannte breite Waldwege in wunderbarer Entspannung und freier Atmung zur Gaststätte „pilgern“.
Mann einverstanden, gesagt, getan. Vier sind guter Dinge, wenn auch verschiedener guter Dinge, unterwegs zur Gaststätte:
Die zwei Hunde des Mannes. Sie freuen sich riesig über den freien Auslauf. Auch sie verfügen über eine ToM (eine „Theorie of Mind“) über ihre menschliche Mitrudler. Sie spüren die Gutgelauntheit des Mannes, die freudige Erregung der Frau. Selbst angeregt durch die frische Waldluft und die vielversprechenden Gerüche, rennen sie befreit hin und her, kosten die Situation aus.
Dann der Mann selbst. Freut sich über die Abwechslung, über das Sich-Anfreunden, über die erfreute Miene der Frau, über die gute Luft. Nur unterschwellig spürt er eine leichte anfängliche Besorgnis über die Übererregung der Hunde, welche er noch unterdrückt. Nimmt auch winzige Anzeichen von Übererregung bei der Frau wahr, schreibt sie der ungewohnten Situation zu, ignoriert sie.
Die Frau ist überglücklich. Was für die anderen drei Pilger ein Waldweg ist, ist für sie die Himmelsleiter: Alles wird gut, ihr ganzes Leben glänzt!
Die vier laufen hin.
Der Mann überwindet die Sorgen um die Hunde und fängt an befreit mit den Armen zu rudern, „Aahh, was für eine schöne Luft…“ ausrufend. Die Frau bestätigt, repliziert die Bewegungen und die Ausrufe, allerdings etwas dabei chargierend. Der Mann runzelt die Stirn, fragt sich, ist da was?, vergißt es und rudert erneut befreit, hüpft ein oder zweimal, ruft aus, „Wirklich schön!“ Die Frau übernimmt danach alles der Reihe nach, alles dabei etwas chargierend. Der Mann ist verblüfft und irritiert. Die Frau reagiert darauf mit nochmaliger Wiederholung, betonter, ausgedehnter, exaltierter. Der Mann merkt, daß er die Hunde nicht mehr sieht, fängt an nach ihnen zu schauen und zu rufen, die Frau steigert sich dabei & inzwischen in besagte „Nachahmungs-Übungen“ weiter hinein, was zum Erkalten der Freude des Mannes führt, etc. etc. Am Nachmittag verabschiedet sich der Mann mit einem Vorwand, ist durcheinander, überlegt, wie er sich von der Frau distanzieren könnte, etc. (Der Mann war mein Patient, nicht die Frau.)
Analysieren wir das Vorgefallene: Die Hunde haben empathisch reagiert, auch dann die Lage für sich ausgenützt. Der Mann ist mitgeschwungen, bis seine Irritation seine Empfindungen zum Umkippen gebracht hat. Was nun war aber mit der Frau?
Auf einer simplen Ebene hat sie „rapportiert“, was ja eine empathische einfache Wahrnehmung voraussetzt. Ihre eigene psychischen Eigenheiten haben sie aber dazu gebracht, den „Rapport“ zu überzeichnen, das heißt zu „manierieren“. Auf die Irritation des Mannes hat sie mit einer Steigerung des manierierten chargierenden Rapportierens reagiert, was zu einer Distanzierung seitens des Mannes führte.
Das heißt:
Empathie hat sie auf einfacher Ebene empfunden, daraus sogar rapportiert. Daß sie dabei chargiert hat, ist eine zweite ihr eigene Stufe gewesen, welcher sie nicht gewahr wurde.
Hier wird 's spannend: Des Mannes darauf einsetzende Irritation hat sie an sich nicht herangelassen, doch aber darauf reagiert (nicht ganz bewußt) ausgerechnet mit einer Verstärkung des irritierenden Verhaltens.
Das heißt:
Hier (wo es darauf angekommen wäre!) hat sie („höhere“) Empathie verweigert.
War sie empathiefähig: jein. Sie war es, aber inadäquat.
Es git also Empathieblindheit, es gibt Empathie auf simpler Ebene, und es gibt sie auf höherer Ebene (wo sie versagen kann). Je gekonnt einfühlsamer jemand geworden ist, desto „höher“ wird seine Empathiefahigkeit, das heißt, desto tiefere und komplexere „Gesamtmitteilungen“ seines Gegenübers nimmt er wahr. Es ist also ab einer gewissen Komplexitätsstufe offensichtlich, daß es sich nicht mehr nur um die wahrnehmende Aktivität der Spiegelneuronen dann handelt, sondern um die Tiefintegrierung deren Möglichkeiten in die gesamte Gehirnaktivitäten, bzw in das geistige Potenzial des „Betroffenen“. Unter erschwerenden/belastenden Umständen mannigfacher Art kann sich dies dann freilich wiederum auch verzerren.
Was ist mit der dissozialen Persönlichkeit, den ursrprünglich „Soziopathen“ genannten?
Eine Mehrheit (vielleicht um die 60-68% ca) von ihnen ist gar nicht im operationalen Sinne des Wortes empathieblind.
Sie können eine adäquate „ToM“ entfalten, ihr gefühlsmäßiges Mitschwingen dabei, die eigentliche Empathie im Sinne der gehobenen Umgangsprache, jedoch an- und abschalten.
Hier kommen wir in den Übergagsbereich zur Beobachtung. Je mehr das gefühlsmäßige Mitschwingen erkaltet oder eventuell abgeschaltet wurde, desto mehr entfernt sich die Beobachtung dann doch nach und nach von der spiegelneuronalen Wahrnehmung und wird von eher äußerlicher Beobachtung abgelöst (der Vorgang ist wie gesagt ein unmerklich gradueller).
Das erklärt warum intentionales Rapportieren gelegentlich befremdend - bei sehr empathiefähigen „Rapportierten“ - wirken kann.
War an meinen Schilderungen etwas noch (oder gerade erst…) unklar, dann bitte frage nach, oder sprich es an.
Zu mir:
Danke für Deine herzlichen guten Wünsche.
Freilich, eine weitere „Besserung“ ist ja nicht möglich, denkbar ist aber ein langes Anhalten der „guten Zeit“. In diesem Sinne verstehe ich Deinen Wunsch und freue mich darauf.
Zur Sprache: Ich lebe zwar seit Anfang 2007 in Deutschland, hatte aber schon immer nach und nach etwas Deutsch als literarische und wissenschaftliche Sprache gelernt, wenn auch nicht in einem Regelunterricht. Was mich erfreut, ist die Tatsache, daß mein Deutsch weniger hölzern geworden ist. Sprachliche Patzer an unerwarteter Stelle kann es aber immer noch geben, und gibt es mal. Dunkle Stellen allerdings werden weniger.
abifiz
.