Hi Peter.
Hier wird mit einem Gegensatz „Religion vs Aberglaube“ gearbeitet, aber für mein Gefühl müsste es doch „Glaube vs. Aberglaube“ sein.
Du sagst ja selbst, dass der Unterschied zwischen beidem nur
eine Frage der Perspektive ist. Das liegt auf der Ebene der
Subjektität. Objektiv geht es aber darum, was den Aberglauben
von den Religionen (hier mal in den korrekten Plural gesetzt)
unterscheidet. Das ist zugleich die Frage, ob die Religionen
etwas ANDERES sind als Aberglaube.
Da spielt ja die Begriffsverwirrung wieder rein. Die Frage, die Du eigentlich stellst ist doch, ob die Glaubensbasis einer jeden Religion per se Aberglaube ist. Du setzt Religion mit Glaube gleich, aber das ist in meinen Augen eine unzulässige Vereinfachung. Wir haben es mit zwei Dingen zu tun.
Beispiel:
Die Kreuzzüge waren sicher eine Sache der Religion. Aber waren sie auch eine Sache des Glaubens? Hier wird es schwierig, weil viele der Gründe im damaligen gesellschaftlichen Kontext zu suchen sind, der ja nicht ausschließlich von Religion oder gar Glaube gepräft war. Da gab es das Raubritterproblem, die politischen Ziele des Papstes (und natürlich der weltlichen Herrscher), da gab es wirtschaftliche Gründe, da gab es einen sich aufbaueendern Erbdruck durch das Feudalsystem. Das hatte alles irgendwie mit Religion, aber sehr wenig mit Glaube zu tun.
Vereinfacht:
Glaube ist z.B. der Glaube an einen Gott.
Relifion ist, was das Bodenpersonal daraus macht.
und um den Atheisten auch mal was zu Denken zu geben.
Glaube ist, zu glauben, es gibt keinen Gott
Religion ist, das mit theologischem Unterbau belegen zu wollen.
Etymologisch soll sich „Glaube“ von Gelöbnis herleiten bzw.
beides hatte die gleiche Wurzel. Es geht um eine
Verpflichtung, die man eingeht. Das klingt ziemlich nach Zwang
und passt auch ein bisschen zur Geschichte des Glaubens…
Insofern ist die Verbindung des Glaubens-Begriffs mit
„glauben“ im Sinne von „für wahr halten ohne Beweise“ etwas
irreführend.
Ich habe mal eine Statistik gesehen, die eine Korrelation zwischen dem Prokopfverbrauch an Kartoffeln und Toren der Nationalelf bei Fußballweltmeisterschaften darstellte. So ähnlich kommt mir Deine Etymologie jetzt auch vor. Ich kann da jetzt nicht einmal die gleiche Wurzel sehen. Geloben, loben, ausloben kommt alles vom mittelhochdeutschen lobet. Während glauben bereits seit dem mittelhochdeutschen eine eigene Wurzel ist. Ich bin jetzt nicht weiter zurückgegangen, ich bin ja kein Sprachforscher. Mir kommt es nur seltsam vor.
Nun kann dieses Geloben sehr gut Hand in Hand gehen mit
Aberglaube. Nur stehen beide Haltungen auf verschiedenen
Ebenen: das Geloben ist rein äußerlich determiniert, der
Aberglaube hat eine innere, psychologische Dimension. Der
Aberglaube funktioniert nur, wenn gewisse psychologische
Bedingungen zu Inhalten (Symbolen) des per Gelöbnis
angeeigneten Glaubens kompatibel sind.
Also wie oben gesagt, Glöbnis/Glaube sehe ich nicht als einen Wortstamm. Lassen wir den Punkt hier also mal außen vor. Der Punkt, ein Gelöbnis zu einer Religion abzulegen funktioniert ja auch ohne den etymologischen Hintergrund. Hier haben wir genau wieder den Unterschied zwischen Glaube und Relgion. Du kannst kein Gelöbnis zu Gott ablegen. Nicht einmal, wenn der Text so formuliert ist. Du kannst lediglich gegenüber einer Organisation oder Gruppe etwas geloben. Insofern ist der Begriff der „Religion“ für diese Diskussion eigentlich untauglich. Weil, wenn Du Dich auf Religion beziehst, mehr oder weniger fragen müsstes „ist das, was Religion aus Glauben macht, Aberglaube“. Und diese Frage kann man sicher nicht für alle Religionen über eine Kamm scheren.
Diese Bedingungen sind psychologische Strukturen, die jeder
Mensch in seiner Kindheit durchläuft. Ken Wilber nennt sie
„magisch-mythisch“, sie sind die normalen Bewusstseinsstufen
eines Kindes zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr. Wie Menschen
nun einmal sind, bleibt ein Teil ihrer seelische Entwicklung
oft in frühkindlichen Phasen stehen (dh. es bilden sich
Fixierungen), so dass der erwachsene Mensch noch partiell die
frühkindlichen Strukturen in seinem Denken und Fühlen
anwendet.
Uhhhh, immer, wenn es psychologisch wird, spüre ich den Schmerz! Nein, mal ganz im Ernst. Wir bewegen uns hier auf einem Gebiet, auf dem man nichts messen kann und noch weniger wirklich beweisen kann. Das ist an sich nicht unbedingt ein KO-Kriterium, aber man sollte nicht vergessen, dass diese Dinge, auch die Schriften des Herrn Wilber, Ansichten sind. Genauso wenig wie das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes bei mir verfängt, so verfängt die Technik, einfach einen Namen von jemand zu nennen, der ein Buch geschrieben hat, um diese Sache als „richtig“ zu definieren.
Es geht bei der Sache um die Fragestellung, wie viel aus frühester Kindheit in den psychologischen Strukturen eines Menschen enthalten sind und wie viele davon zu Glaubens- oder meinetwegen auch Aberglaubensvorstellungen führen. Aber das würde ich erstens als individuell bewerten, zweitens, da Du immer an der Wirkung (Religion) statt an der Ursache (Glauben) sägst, kommen wir hier so nicht weiter. Denn das, was frühkindlich eingeprägt wird (lassen wir offen in welchem Maße) sind Religionsvorstellungen, nicht notwendigerweise Glaubensvorstellungen.
So kommt es zu den vielfältigen Symptomen des „Aberglaubens“.
Sachlich falsch. Wie oben ausgeführt ist Aberglaube eine Frage der Perspektive, sprich des eigenen (hier bewusst so verwendet) religiösen Empfindens. Nicht notwendigerweise des Glaubens. Du versuchst hier durch die kalte Küche als Fakt hinzustellen, dass jede Form von Religion Aberglaube ist. Ist es aber nicht. Viele Formen der Religion sind nicht einmal Glaube. Das betrifft sogar dioe Hardcore-Atheisten, deren Religion explizit als Nicht-Glaube auftritt.
Ich zitiere hier mal einen eigenen älteren Text, der im Detail
auf die Entwicklung dieser Strukturen eingeht, basierend auf
Ausführungen von Ken Wilber in „Eros, Kosmos, Logos“, so um
die Seite 266.
„Noch in „Eros, Kosmos, Logos“ geht (Wilber) mit Piaget und
anderen davon aus, dass das Neugeborene mit einem vollständig
ungespaltenen Bewußtsein ausgestattet ist, in welchem sich
allmählich erste Differenzen zwischen Selbst- und
Fremdbereichen herausbilden. Zwischen dem fünften und neunten
Lebensmonat tritt ein Entwicklungsschub ein: das Kind beginnt
seinen Körper von Fremdgegenständen zu unterscheiden. Nach
etwa anderthalb Jahren hat das Kind ein Körper-Ich entwickelt,
aber noch kein annähernd ausgereiftes Ich-Gefühl. Es kann
nämlich oberhalb der Ebene seiner Selbst- und
Fremdkörperwahrnehmung, also auf der Ebene der geistigen
Interpretation der Objektwelt, immer noch nicht hinreichend
Selbst und Anderes auseinanderhalten: „… die geistigen Bilder
und Symbole (sind) zunächst mit der Außenwelt verschmolzen und
werden ihr gleichgesetzt …“ Piaget nennt diese Art der
Objektbeziehung ‘egozentrisch’: die Dinge der Außenwelt stehen
hier in magischer Beziehung zum Ich, richten sich nach diesem,
indem sie den Wünschen des Ich Folge leisten. „… die Dinge
folgen uns“, schreibt Piaget, „und wir brauchen uns nur zu
bewegen, schon gehen sie mit; die Dinge - der Wind, die
Wolken, die Nacht etc. - bemerken uns und gehorchen uns; der
Mond, die Straßenlaternen etc. schicken uns Träume, ‘um uns zu
ärgern’ oder aus dergleichen Gründen.“
Also gut, dann gesteh ich Herrn Wilber zu, dass bei ihm etliches Frühkindliche enthalten ist. Wie gesagt, das ist ja individuell zu bewerten.
Zunächst geht er von einem vollständigen Bewußtsein aus. Beweislos und einfach als Axiom in den Raum gestellt. Dann geht er über zur Unterscheidung zwischen Körperteilen und Fremdobjekten. Das ist eine durchaus materielle Wahrnehmung. Der nachfolgende Sprung zu einer „magischen“ Beziehung ist also völlig zusammenhanglosm wieder bewesilos aber als Axiom in den Raum gestellt. Und schon spüre ich wieder diesen Schmerz, den Populärpsychologie immer wieder in mir auslöst. Nichts gegen Amateurpsychologie, es geht schließlich ohnehin um Sensibilitäten. Aber Popularpsychologie, die ihre eigenen Fakten schafft und auf deren Basis etwas zu beweisen sucht ist in meinen Augen etwas zweifelhaft.
(das war die Ausbildung der magischen Phase – das Kind geht ab
dem 5. Jahr zur mythischen Phase über)
Na ja, mal abgesehen, dass die von Dir so geliebten Phasenmodelle den Tatbestand der Individualität vergessen haben, dass unterschiedliche soziale Kontexte unterschiedliche Phasen hervorbringen und daher die Generalisierung grundsätzlich falsch ist und der Sprung zur „magischen“ Phase einfach behauptet wurde, aber nicht belegbar ist … meinetwegen, und nu?
Mit diesen Voraussetzungen tritt das etwa zweijährige Kind in
die von Piaget wiederum so benannte präoperationale Phase ein.
Nun kann aufgrund der Fortentwicklung der sprachlichen
Kompetenz allmählich auch die kognitive Kompetenz
fortschreiten. Ab dem fünften Lebensjahr geschieht ein Wandel
vor allem im magischen Verhältnis zwischen dem kindlichen
Subjekt und seiner Objektwelt: ausgehend von der Einsicht,
dass die Dinge doch nicht dem eigenen Ich untertan sind,
verlagert das Kind die magische Dominanz in eine andere
Person. Es beginnt jetzt Mythen zu bilden, was zeigt, dass es
im wesentlichen in die intersubjektive Struktur
hineingewachsen ist: es versucht, die objektive Welt unter den
magischen Schirm einer dominanten (realen oder fiktiven)
Gestalt zu stellen, deren Ego nicht mit dem eigenen
zusammenfällt. So erfährt die ursprüngliche Egozentrik eine
erhebliche Differenzierung: das Kind, in der nachödipalen
Entwicklung zu einem Element der sozialen Sphäre geworden,
kann nun auch in ein anderes - reales oder fiktives - Ego die
Quelle magischer Kraft hineinprojizieren. Gerade diese
Operation macht die eigentliche Grundstruktur des mythischen
Denkens aus; sie tritt zu der ursprünglichen magischen
Egozentrik hinzu und gibt dieser einen übergreifenden Kontext.
‘Egozentrisch’ ist auch die mythische Struktur noch insofern,
als es ja stets Personen, Individuen, Egos sind, welche den
Dreh- und Angelpunkt des mythischen Weltgeschehens bilden.“
Also die schleichende Redefinition von Egozentrik? Zunächst einmal vergisst diese Vorstellung völlig die Individualität. Zweitens vergisst sie die begrenzte Auswahl an Bezugspersonen sowie deren sozialen Kontext. Diese Bezugspersonen sind es aber, die größtenteils die Objekte in der Umwelt eines Kindes auswählen. Nur, wenn diese Bezugspersonen entsprechenden Einfluß auf die Entwicklung des Kindes nehmen, wird es derartige Vorstellungen überhaupt entwickeln können. Hier werden wieder einmal zwei Dinge vermischt. Einerseits haben wir den Versuch des Geistes, Dinge erklärbar zu machen. Das ist m.E. auch die geschichtliche Wurzel einer jeden Glaubensvorstellung. Das ist etwas, was sich auch in jedem Kleinkind immer aufs Neue abspielt. Aber es sind die Eltern, die mit „dem lieben Gott“ anfangen. Dadurch jedoch werden zunächst einmal nicht Glaubens- sondern Religionsvorstellungen Schritt für Schritt implementiert.
Ich sehe sowieso ein Problem in der zanghaften Kategorisierung in Phasen. Wir hatten das ja schon einmal bei unserem Geplänkel über Kontext in der Geschichte. Nun also auch hier. Wer versucht, so und so vile Milliarden Menschen (alle die leben, alle die gelebt haben und alle die noch leben werden) in ein Bild mit drei bis fünf Schubladen zu pressen, muss vorsichtig sein,. Weil die Anzahl der Ausreißer ebenfalls mindestens in Millionen, wenn nicht Milliarden geht. Zweitens sollte man seine Schubladen nie nach dem wählen, was man gerne beweisen möchte sondern man sollte eher beobachten, weche Schwerpunkte sich wo ergeben und dann entsprechend über die Abgrenzungen nachdenken. Alleine schon die kategorische Behauptung, dass Kinder im Alter von fünf Jahren die Phase wechseln ist in Anbetracht der Entwicklungsunterschiede und der großen Unterschiede im äußeren Kontext etwas gewagt. Fragt sich doch, was ein Fünfjähriger in Afghanistan dazu meint. Oder in Indien, in Südafrika oder in Frankreich.
Gruß
Peter B.