Verfälschung der deutschen Sprache

Hallo,

ich komme beruflich oft in den spanischen, italienischen und englischen Sprachraum. Bin also oft in den entspr. Städten der Großstädte. In keinem Land konnte ich feststellen, daß fremdsprachliche Inhalte sprachlicher Art, oder in Form von gedruckten Werbungen so großen Einfluss gefunden haben, wie in Deutschland.
Es gibt in der Sprache/Werbung von England, Spanien, Italien keine fremden deutschen, englischen, französischen oder spanischen Wort- oder Werbeinhalte.
Wenn ich nun unsere deutsche Umgangssprache aktuell betrachte bzw. anhöre, so ergibt sich der Eindruck, daß die deutsche Sprache nicht mehr ausreicht, um eine Aussage zu machen. Ebenso in der Werbung.
Meine Frage ist daher, weshalb ein Land - in diesem Fall das Volk von Deutschland - es nötig hat, diese fremdsprachlichen Inhalte in seine doch ausdrucksvolle Sprache zu integrieren? Danke für die Antwort.

Grüsse fuerte

hi,

goethe:

Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern,
Nun so sage doch, Freund, wie man
Pedant uns verdeutscht.
(aus den „xenien“)

lit.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Sprachpurismus
(der artikel ist - meine ich - recht gut.)

vermutlich hat keine sprache so gelitten wie die deutsche unter dem nazi-regime. das wirkt generationen nach: richter und henker statt dichter und denker. popmusik und computertechnologie haben das ihre zur verbreitung des englischen beigetragen. und deutsch ist definitiv in vielen fällen verdammt sperrig und im einzelfall sehr schwierig. deutsch klingt für viele ohren nicht unbedingt elegant und angenehm, sondern scharf, hart.

lit.:
mark twain über das deutsche:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/1671/2
http://www.alvit.de/vf/de/mark-twain-die-schrecklich…

oder auch der schriftsteller daniel glattauer (damals noch journalist)
/t/deutsche-treter/3552617

„hope that helps“ :smile:

m.

Hallo fuerte,

ich komme beruflich oft in den spanischen, italienischen und
englischen Sprachraum. Bin also oft in den entspr. Städten der
Großstädte. In keinem Land konnte ich feststellen, daß
fremdsprachliche Inhalte sprachlicher Art, oder in Form von
gedruckten Werbungen so großen Einfluss gefunden haben, wie in
Deutschland.

Im Englischen ist das noch viel mehr der Fall, allerdings nicht in gleicher Weise wie im Deutschen. Deutsche Werbetexte (wenn wir uns nur mal darauf beschränken) benutzen manchmal englische Begriffe oder sind gleich auf Englisch. Das hat viele Gründe, auf die ich nun nicht eingehen möchte. Zwei davon sind z.B. Provokation/Auffallen und (Pseudo-)Internationalität des Produktes.
Englisch ist bereits eine weltweit gesprochene und stark verbreitete Sprache, sie ist diejenige, die einer „internationalen Sprache“ oder Weltsprache noch am nächsten kommt. Englisch hat es kaum nötig, Texte internationaler zu gestalten, zumal die Chance, dass Englisch-Muttersprachler ausländische Begriffe kennen, weit geringer ist als die Chance (fast: Tatsache), dass Deutsch-Muttersprachler englische Begriffe verstehen. Werbetexte sind ja immer sehr stark auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten, deswegen wird Werbung für Treppenlifte und Faltencreme kaum viele englische Neologismen enthalten. Werbung für Computerspiele, Handykram oder McDonald’s dagegen umso mehr.

Gerade Werbesprache ist nun wirklich kein repräsentativer Indikator für den derzeitigen Zustand der deutschen Sprache, wie sie allgemein gesprochen wird. Hinter Aussagen in der Werbung steckt immer eine viel größere Menge an Intention, Überlegung, Spielerei und auch das Ziel ist ein anderes als bei mündlicher Kommunikation. Deswegen kann sich Werbesprache auch so viel herausnehmen.

Zurück zum Englischen: Englisch ist die Sprache schlechthin, die Wörter aus anderen Sprachen stiehlt, dafür aber dann eigene Wörter über den Globus verteilt. Das merkt man vor allem, wenn man etwas zurückblickt: Keine europäische Sprache enthält so viele Lehnwörter bereits in der Alltagssprache als das Englische. Es gibt für fast alle „einheimisch englischen“ Begriffe immer noch ein, zwei Synonyme aus dem Französischen, Lateinischen, Englischen, manchmal Spanischen oder Deutschen. Zur Demonstration entwende ich hier einfach mal einen Facebook-Kommentar eines australischen Freundes und markiere alle Wörter, die nicht ursprünglich direkt aus dem Proto-Germanischen durchs Altenglische ins heutige Englisch kamen, fett:

Listen here, Google: when I do an image search for „blackberry“, it’d be just dandy for you to do your level best to return at least one photo of a fruit , not thirty page s of pictures of Blackberry smart phone s WITH NARY A SINGLE ACTUAL BLACKBERRY amongst them. Fruit lessly yours, &c.

Drei Wörter für praktisch die gleiche Sache („image“, „photo“, „picture“, wobei „photo“ schon eher eine spezielle moderne Sache beschreibt), ein Lehnwort für ein absolut grundlegendes alltägliches Verb („search“), ein genauso alltägliches Adverb bzw. eine Partikel („just“), die Benutzung von „level“ hab ich nicht ganz verstanden, aber es ist natürlich auch ein Lehnwort, ein Lehnwort für eine Sache die benannt werden muss, seit es Bücher gibt („page“), zwei Lehnwörter für eher moderne Sachen („phone“ und ich wiederhole noch mal „photo“ von oben), zwei völlig gewöhnliche Adjektive („single“ und „actual“) und am Ende eine sehr übliche Abkürzung („etc.“).

Dagegen meine relativ wortgetreue Übersetzung mit den gleichen Markierungen für Lehnwöter („Google“ und „Blackberry“ sind dabei Produktnamen, fallen daher raus; der Text macht natürlich nicht mehr so viel Sinn, weil „Blackberry“ nicht mehr homonym zu „Brombeere“ ist):

Hör mal, Google: wenn ich eine Bildersuche nach „Brombeere“ mache, wäre es echt cool , wenn du dein Bestes gäbest um wenigstens ein Foto einer Frucht und nicht dreißig Seiten mit Bildern von Blackberry- Smartphone s UND KAUM EIN EINZIGE WIRKLICHE BROMBEERE darunter, auszugeben. Frucht los, dein … usw.

Es sind also im Deutschen viel weniger Lehnwörter. Eins davon ist wirklich ein Neologismus, obwohl sicher auch schon über 30 Jahre in Deutschland zuhause („cool“), eins davon ein so altes Lehnwort, dass man es nicht merkt („Frucht“), dann ein sehr spezifisches Wort für ein neuartiges Gerät („Smartphone“ ist auch schon fast eine Produktbezeichnung) und schließlich ein altes etabliertes Lehnwort aus dem Griechischen („Foto“).

Ich habe den Text einfach frei übersetzt. Man könnte natürlich hier extra Lehnwörter suchen, z.B. „Optimum“ statt „Bestes“ oder vielleicht „REALE“ statt „WIRKLICHE“, dann würde der Text aber leicht gekünstelt klingen. Versuch mal, im Englischen ur-englische Synonyme für „single“, „image“ bzw. „picture“, „page“ oder „search“ zu finden. Sogar fürs Deutsche könnten wir „Frucht“ noch mit „Obst“ ersetzen, was im Englischen nicht klappt.

Wenn ich nun unsere deutsche Umgangssprache aktuell betrachte
bzw. anhöre, so ergibt sich der Eindruck, daß die deutsche
Sprache nicht mehr ausreicht, um eine Aussage zu machen.

Das scheint im Englischen schon seit 1000 Jahren der Fall zu sein. Versuch mal, ein Alltagsgespräch ohne Lehnwörter im Deutschen zu führen. Das geht, da muss man manchmal überlegen, aber man kriegt das hin.
Versuch das gleiche mal auf Englisch: das dürfte sehr lustig werden, da du nicht mal „because“ sagen dürftest. Google mal nach „Anglish“ — das ist eine (nicht ganz ernst gemeinte) Plansprache, die versucht, für jedes Lehnwort im Englischen einen rein englischen Begriff zu finden. :smile:

Meine Frage ist daher, weshalb ein Land - in diesem Fall das
Volk von Deutschland - es nötig hat, diese fremdsprachlichen
Inhalte in seine doch ausdrucksvolle Sprache zu integrieren?
Danke für die Antwort.

Jede Sprache ist ausdrucksvoll. Und praktisch jede Sprache entlehnt Wörter. Auch das Spanische (viel aus dem Arabischen, einiges aus dem Baskischen, z.T. aus Englisch, dann wieder neuere Wörter aus Latein und Griechisch usw.; in Amerika auch aus den lokalen Sprachen).
Beim Englischen sieht man gut, dass die Sprache durch so viele Entlehnungen sogar noch an Ausdruckskraft gewinnt. Es gibt feine Unterschiede zwischen den scheinbaren Synonymen: „image“ und „picture“ ist nicht immer identisch, im Deutschen ist „suchen“ und „recherchieren“ auch nicht gleich. „Cool“ ist weder gleichbedeutend mit „lässig“, „schön“ noch „kühl“. Auch die vermeintlich sinnlosen Anglizismen wie „Event“ (was eben nicht identisch mit „Ereignis“ ist) beschreiben etwas, das man nicht mit einem deutschen Wort beschreiben könnte, da der semantische Raum im Deutschen teils von weitergefassten Wörtern, teils von engeren Wörtern belegt ist.

Man kann die Wörter einer Sprache nicht wirklich objektiv zählen, aber es ist gar nicht abwegig zu sagen, dass das Englische mehr Lexeme hat als z.B. das Spanische oder Deutsche, eben weil es so massiv aus anderen Sprachen entlehnt und sich so viele Lehnwörter bereits etabliert haben (anders z.B. als viele kürzlich entlehnte Anglizismen im Deutschen). Und diese Lexeme im Englischen sind eben oft sogenannte near synonyms, und es gibt kleinste Unterschiede dazwischen, die sehr genaue Beschreibungen zulassen.
Die häufig nachgeplapperte Behauptung, Englisch sei eine so ungenaue Sprache, ist völlig unhaltbar. Aber wenn du viel in Europa unterwegs ist, weißt du das sicher.

Mein Fazit: Entlehnte Wörter sind wirklich nicht so sinnlos und schädlich, wie man meinen mag. Denkt man mal weiter drüber nach, wird einem bewusst, wie sowas passiert und wie die deutsche Sprache oder das Verständnis eben nicht darunter leiden können.

Grüße,

  • André

Danke, André!
Ich hätt’s nicht besser schreiben können (und bin auch zu schreibfaul:wink:

Gruß

Jo

Hallo!

Mein Fazit: Entlehnte Wörter sind wirklich nicht so sinnlos
und schädlich, wie man meinen mag.

Was findest du daran so sinnvoll und nützlich, wenn man - ein Beispiel für viele - statt Nudeln nur noch Pasta hört?
Gruß!
H.

Ich nehme mal an, die bekannte Katz-und-Goldt-Zeichnung hat dich auf die Frage gebracht:
http://www.0509.org/blog/images/katzundgoldt.gif

Mein Fazit: Entlehnte Wörter sind wirklich nicht so sinnlos
und schädlich, wie man meinen mag.

Was findest du daran so sinnvoll und nützlich, wenn man - ein
Beispiel für viele - statt Nudeln nur noch Pasta hört?

Das ist ja nicht der Fall. Die Leute sagen nicht „Pasta“ statt Nudeln, die Leute sagen zusätzlich „Pasta“ für alle Teigwaren einer bestimmten Art (was Pasta eben beschreibt). So dürfte Lasagne auch eine Art Pasta sein, allerdings sagt niemand dazu „Nudeln“. Nicht-italienische (oder sagen wir: nicht-europäische) Nudeln werden auch nicht als Pasta bezeichnet. Glasnudeln sind gewiss keine Pasta, auch keine chinesischen oder georgischen Maultaschen oder Dampfbrötchen. Die letzten beiden sind auch keine Nudeln.
Auch Tortellini werden wohl kaum als Nudeln bezeichnet, wohl aber als Pasta.

Wir haben’s bei „Nudeln“ und „Pasta“ also nicht mit Synonymen zu tun, wovon eins das andere verdrängt, sondern von Wörtern mit verschiedenen, sich überschneidenden Bedeutungen. Da wo sich die beiden Bereiche überschneiden (also bei den prototypischen Bandnudeln, Spaghetti, Makkaroni usw. im europäischen Stil) präferieren einige Leute eben den Ausdruck „Pasta“, wo andere „Nudeln“ sagen.
Ich lege dir da auch den Wikipedia-Artikel ans Herz:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pasta (besonders der erste Satz stimmt meiner Einschätzung auch zu: „…italienische Nudeln aus Hartweizengrieß, Kochsalz und Wasser…“)

Die deutsche Sprache kommt auch prima ohne das Wort „Pasta“ aus, da müsste man dann an den sich nicht mit „Nudeln“ überschneidenden Bereichen andere Begriffe verwenden, etwa „Teiggerichte“ (was aber auch wieder andere Dinge beinhaltet, wie etwa Eierkuchen, die ja aus Teig bestehen, aber weder Nudeln noch Pasta sind). Da das Wort bereits längst etabliert ist, können wir eine schöne neue Klassifizierung in unserer Sprache treffen, die recht ökonomisch ist.

Ich danke dir für das exzellente Beispiel eines nützlichen, Lehnwortes. :smile:

Guten Appetit!

  • André
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Wenn ich nun unsere deutsche Umgangssprache aktuell betrachte
bzw. anhöre, so ergibt sich der Eindruck, daß die deutsche
Sprache nicht mehr ausreicht, um eine Aussage zu machen.
Ebenso in der Werbung.
Meine Frage ist daher, weshalb ein Land - in diesem Fall das
Volk von Deutschland - es nötig hat, diese fremdsprachlichen
Inhalte in seine doch ausdrucksvolle Sprache zu integrieren?

Unsere Sprache hat gar nichts „nötig“, alles, was hinzukommt, ist eine BEREICHERUNG, die es schon immer gegeben hat und (hoffentlich) weiterhin geben wird. Nicht ganz richtig ist der Eindruck, dass andere Sprachen sich nicht des Deutschen bedienen würden, Beispiele dazu gibt es zuhauf: Schlagbaum in russisch = Schlagbaum, Kindergarten in amerikanisch = Kindergarden …

Eine Sprache, die im stetigen Wandel ist, ist eine gute, lebendige Sprache. Im „gestorbenen“ Latein kam nichts mehr hinzu, ein klares Indiz dafür, dass sie „tot“ ist. Allein in diesem Text, den ich oben geschrieben habe oder in unserem täglichen Miteinander benutzen wir seit Jahrhunderten Worte, die aus dem Jiddischen, Arabischen, Französischen usw. kommen. Niemand hat sich je darüber aufgeregt im Gegensatz zu heute, wo wir, zugegebenermaßen recht viele, Anglizismen in unsere Sprache einfügen. Wir verfälschen oder verwässern aber damit unser Deutsch nicht, sondern bleiben modern, aktuell, lebendig, fortschrittlich.

Oder glaubst du, dass du, wenn du eine Jacke anziehst, dann einen Kaffee trinkst, dazu ein Buch liest und schließlich mit dem Auto durch einen Tunnel fährst, echtes, altes, "unverfälschtes Deutsch gesprochen/geschrieben hast?

Ich empfehle die Lektüre „Sprachen die Neandertaler englisch?“, in der lebhaft und leicht vielerlei Etymologie erklärt wird.

LG
Kollo

alles, was hinzukommt,
ist eine BEREICHERUNG

Nein. Weder ist ALLES eine Bereicherung, noch ist ALLES eine Verfälschung. Es gibt Fremdwörter, die haben unsere Sprache bereichert (weil sie z.B. eine neue Ausdrucksmöglichkeit bieten), es gibt Fremdwörter, die haben die Sprache eher ärmer gemacht (weil sie z.B. mehrere differenzierende Begriffe verdrängt haben.)

Ich denke, amn aknn auch sprachliche Veränderungen differenziert und auf der Basis von sachlichen Überlegungen betrachten, ohne in einen Pauschales „Alles Neue ist toll“ oder „Alles Neue ist böse“ zu verfallen. Leider tut das kaum jemand. .-)

Gruß,
Max

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bieten), es gibt Fremdwörter, die haben die Sprache eher ärmer
gemacht (weil sie z.B. mehrere differenzierende Begriffe
verdrängt haben.)

Hallo,

magst Du dafür mal ein Beispiel nennen?
Mir fällt keines ein. Gerade der Exkurs zur Pasta/Nudel hat doch gezeigt, dass Lehnwörter eher eine präzisere Ausdrucksweise ermöglichen.

Nicolle

magst Du dafür mal ein Beispiel nennen?

Dazu würde ich zum Beispiel schwammige Begriffe zählen wie „innovativ“ oder „interessant“, deren Beliebtheit gerade darin besteht, daß sie so schön ungestimmt sind. Auch „Event“ ist kein sehr differenzierender Begriff, ein „Event“ kann von der Party bis zur Messe eigentlich alles sein. Wenn ein schwammiger Begriff inflationär gebraucht wird und damit präzisere Begriffe verdrängt, betrachte ich das als eine Verarmung. (Es sei denn, man sieht die Möglichkeit, sich schwammig auszudrücken, als eine Bereicherung der Sprache an.)

Schwammigkeit macht die Sprache auf Dauer momoton und langweilig, ist aber auch kein Privilieg von Fremd- oder Lehnwörtern. Ich würde deshalb auch keinen Unterschied machen zwischen „innerdeutschen“ Sprachveränderungen und solchen, die von „außen“ kommen. Ein Wort ist nicht automatisch gut oder schlecht, nur weil es neu oder alt oder deutsch oder fremd ist. Es ist gut oder schlecht, wenn es gut oder schlecht ist.

Gruß,
Max

1 Like

Hallo Denker,
Solche pauschalen und unüberlegten Aussagen bin ich von dir gar nicht gewohnt. Hyperonyme verdrängen Hyponyme, und das soll schlecht sein? „Verarmung der deutschen Sprache“? Das ist doch Aberglaube.

magst Du dafür mal ein Beispiel nennen?

(ich wollte übrigens die gleiche Frage stellen)

Dazu würde ich zum Beispiel schwammige Begriffe zählen wie
„innovativ“ oder „interessant“, deren Beliebtheit gerade darin
besteht, daß sie so schön ungestimmt sind. Auch „Event“ ist
kein sehr differenzierender Begriff, ein „Event“ kann von der
Party bis zur Messe eigentlich alles sein. Wenn ein
schwammiger Begriff inflationär gebraucht wird und damit
präzisere Begriffe verdrängt, betrachte ich das als eine
Verarmung. (Es sei denn, man sieht die Möglichkeit, sich
schwammig auszudrücken, als eine Bereicherung der Sprache an.

Natürlich ist das eine Bereicherung der Sprache.
Denn das ist ja gerade eine wichtige Sache: schwammig bleiben zu können, wenn man das möchte. Auch deswegen halten sich Lehnwörter. Ein Event kann viele verschiedene Sachen beschreiben, ist aber nicht deckungsgleich mit dem Wort „Ereignis“ (der Tod eines Verwandten ist ein Ereignis, aber selten ein Event; eventuell sind aber alle Events Ereignisse?). Wenn man nun nicht immer von „Partys, Konzerten, Theateraufführungen, Straßenfesten, Liveübertragungen und Messen“ reden möchte, kommt einem ein Hyperonym bzw. ein vager Ausdruck sehr gelegen. Andernfalls wären auch Klassenbezeichnungen wie „Gemüse“, „Währungen“, „Tiere“ oder „Feste“ schwammig. Stellen diese Ausdrücke keine Bereicherung für die Sprache dar?

Schwammigkeit macht die Sprache auf Dauer momoton und
langweilig, ist aber auch kein Privilieg von Fremd- oder
Lehnwörtern.

Da hast du nicht gründlich genug über den Nutzen von vagen Ausdrücken nachgedacht. Stell dir vor, es gäbe keine vagen Ausdrücke, und du müsstest immer EXAKT sagen, was du möchtest, auch wenn du dich nicht festlegen willst. Jedesmal müsstest du alle Marken nennen, statt einfach „Auto“ zu sagen, oder du müsstest wie gesagt von Gemüse sprechen, wenn du stattdessen genauere Ausdrücke wie Erbsen, Bohnen, Mais oder Möhren verwenden könntest.
Nein, Vagheit ist in der Sprache seit jeher ein wichtiges Prinzip. Sie macht die Sprache vielleicht auf Dauer langweilig, aber dadurch leidet nicht die Sprache, sondern die Rede. Denn übertriebene Vagheit ist kein sprachliches, sondern ein diskursbezogenes Phänomen. Wenn ein Politiker sich schwammig ausdrückt, liegt das ja an ihm und nicht an der deutschen Sprache oder ihrem angeblichen Verfall.

Die Sprache verliert ja nur an Wörtern, wenn diese nicht mehr nötig genug sind, niemals entstehen dabei Lücken. Logisch betrachtet können häufig genutzte nützliche Wörter gar nicht verschwinden, da sie ja immer gebraucht werden. Es entstehen so also keine Lücken. Sollte tatsächlich mal ein Lehnwort als Hyperonym ein existierendes deutsches Wort mit exakterer Bedeutung erfolgreich verdrängen, bedeutet das ja nur, dass das Wort nicht wichtig genug für die Mehrheit der Sprecher ist. Niemand kann alle Wörter der deutschen Sprache kennen und aktiv benutzen. Natürlich fallen immer wieder Wörter raus, die keinen Nutzen mehr haben.
Ein Dreschflegel ist heute für Nichtbauern nicht mehr relevant, daher werden viele den Ausdruck nicht mehr kennen. Er stirbt also nach und nach aus und bleibt als Jargonausdruck noch in einigen Kreisen erhalten. Da man heute nicht mehr so viel mit Schwertern zu tun hat, kennt auch kaum jemand Bezeichnungen verschiedener Schwerttypen, dadurch scheint der Oberbegriff „Schwert“ diese Wörter zu verdrängen. Ist das schade? Nein. Die Wörter sind nur nich mehr in Gebrauch, sie sind nicht gleich weg.
Nun kommt auch ein Wort wie Pasta ins Deutsche, bezeichnet italienische Teigwaren aller Art, v.a. Nudelarten. Noch sind Nudeln für uns wichtig, noch unterscheiden wir gerne zwischen Spaghetti, Makkaroni, Tortellini, Lasagne und Farfalle. Viele andere Nudelarten kennen wir Deutschen gar nicht, weil sie für uns nicht so wichtig sind (z.B. Spaghettoni), sie fallen mit Oberbegriffen zusammen, aber unsere lieben Makkaroni möchten wir nicht missen. Diese Wörter werden sich halten, so lange bis irgendwann Nudeln einmal völlig out sind und keine Unterscheidung mehr nötig. Erst dann wird der Begriff Nudeln oder gar Pasta die anderen Sachen verdrängt haben. Und dann ist’s auch nicht mehr schade drum, weil es ja alte ungebräuchliche Begriffe sind, die man bei Bedarf noch nachschlagen kann (dadurch habe ich gestern von „Spaghettoni“ gelesen). Kein Grund zur Sorge also. Die deutsche Sprache leider hier nicht.

Ein Wort ist nicht automatisch gut oder
schlecht, nur weil es neu oder alt oder deutsch oder fremd
ist. Es ist gut oder schlecht, wenn es gut oder schlecht ist.

Wörter sind nicht gut oder schlecht. Es gibt keine „guten“ und „schlechten“ Wörter. Daher erübrigt sich dein letzter Satz, da er eine Tautologie ist und nur auf subjektivem Eindruck beruht. Objektiv gesehen gibt es keine guten und schlechten Wörter. Wörter bezeichnen einfach das, worauf sie referrieren.

Grüße,

  • André

P.S.: Zu guter Letzt fällt mir ein Zusammenfall zweier Wörter in der Umgangssprache ein, der damit zu begründen ist, dass die Unterscheidung nicht mehr getroffen wird, nicht mehr wichtig ist, sondern großteils nur künstlich aufrecht erhalten wird. Lustigerweise führt ihre angebliche Falschverwendung praktisch nie zu Missverständnissen: nämlich „dasselbe“ vs. „das gleiche“ — in der Umgangssprache ist das vielerorts schon seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, gleichbedeutend (sollte das nicht „selbbedeutend“ heißen?). Manche Leute regen sich drüber auf, man solle die Unterscheidung doch treffen. Aber warum? Wäre die Unterscheidung in der Sprache wichtig, würden die Wörter ja nicht zusammenfallen. Sprache reguliert sich selbst, das kennt man ja. Andere Sprachen (wie das Englische) kommen prima ohne diese Unterscheidung aus.
„Dasselbe“ wird hier zu einem Hyperonym und verdrängt damit (vielleicht nicht vollständig) „das gleiche“. Das stört Sprachpuristen, und nur die. Den Sprecher, der diesen Ausdruck benutzt, stört es nicht, da wie gesagt, praktisch keine Missverständnisse auftauchen. Sollte es doch einmal wichtig werden, einen Unterschied zu machen, lässt sich dieser auch anders ausdrücken (wie das ja auch im Englischen geschieht). Ich denke, das Beispiel zeigt ganz gut, dass man sich über vage Ausdrücke, Bedeutungsverschiebungen, Lehnwörter und andere natürliche Arten des Sprachwandels nicht aufregen braucht — sie stellen keine Gefahr dar, im Gegenteil, sie garantieren Sprachökonomie.

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Sprachkritik und Gesellschaftskritik
Hallo Andre,

das wird jetzt richtig kompliziert. :smile: Ich versuche dennoch, es mal grob zu vereinfachen.

Wenn ich Sprache rein linguistisch betrachte, sehe ich das ganze genauso wie Du. Eine zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit ist eine Zeichen für Vielfalt, egal, was man damit anstellt. Linguistik ist da völlig wertfrei. „Sozialverträgliches Frühableben“ ist ein völlig korrektes Wort. Schön, daß wir das so sagen können. :smile:

Betrachte ich das ganze dann aus der Sicht der Stilistik und der Verständlichkeitsforschung, stelle ich fest: „Sozialverträgliches Frühableben“ ist ein Blähwort. Es ist blaß und unnötig lang, es verschleiert, warum es eigentlich geht - nämlich sterben. Es macht die Sprache unklarer. Wer es verwendet, obwohl er klar kommunizieren möchte, spricht stilistisch schlechtes deutsch.

Nehme ich als drittes dann die Gesellschaftskritik hinzu, frage ich mich: Vielleicht will derjenige gar nicht klar kommunizieren? Und wenn ja: Warum nicht? Welche Ansicht steckt dahinter?

Sprachkritik bewegt sich für mich immer eher auf diesen beiden zweiten Ebenen. Es gibt wenig sprachliche Veränderungen, die aus linguistischen Gründen kritisch zu betrachten sind. Wenn jemand „Stet’s heiße Würst’l“ schreibt, dann sind die linguistischen Argumente, warum wir das nicht zur Norm erheben sollten, eher die schwächeren, die stilistischen und gesellschaftskritischen die Stärksten.

Der Blödsinn, den die meisten Sprachkritiker machen, ist der, daß sie Sprache aus der Sprache heraus ablehnen, aber nicht sagen können, was gena daran nun schlecht sein soll. „Es ist ist schlecht, weil’s früher anders war, basta aus!“ Das ich das vehement ablehne, weißt Du. *lächel* Sprachliche Veränderungen an sich sind in der Regel völlig wertfrei zu betrachten. Hinterfragen kann man aber in der Regel die Gründe, warum eine bestimmte sprachliche Veränderung so begeistert aufenommen wird, und diese Motive kritisieren.

Ein Freund von mir hat darüber einen sehr klugen Text geschrieben:
http://www.apostroph.de/motivation.php

Eine Geste an sich ist auch völlig wertfrei - sich die Hände schütteln ist nicht besser als die Nase reiben. Trotzdem wäre es bedenklich, würde jemand mit der erhobenen Rechten grüßen - er müsste sich fragen lassen, ob er nun unwissend ist oder unsebsibel oder dumm oder ein Neonazi.

Solche pauschalen und unüberlegten Aussagen

Ganz und gar nicht pauschal. :smile: Und auch nicht unüberlegt. Du kennst mich doch … Ich habe auch nichts grundsätzlich gegen Hyperonyme oder sagen wollen, daß Hyperonyme grundsätzlich die Sprache verarmen. Nur, daß der inflationäre Gebrauch bestimmer Hyperonyme aus Sicht der Stilistik, Verständlickeitsforschung, Gesellschaftkritik nergativ zu sehen ist.

Wenn man nun nicht immer von „Partys, Konzerten,
Theateraufführungen, Straßenfesten, Liveübertragungen und
Messen“ reden möchte, kommt einem ein Hyperonym bzw. ein vager
Ausdruck sehr gelegen.

Klar. Ich bin mir sicher, jeder der dieses Wort benützt, ist früh darüber, daß es dieses Wort gibt.

Andernfalls wären auch
Klassenbezeichnungen wie „Gemüse“, „Währungen“, „Tiere“ oder
„Feste“ schwammig.

Sind sie auch. Und ja, natürlich gibt es Situationen, in denen diese Vagheit völlig angebracht und nützlich ist. Der Gemüsehändler ist froh, nicht alle 234 Sorten über die Tür schreiben zu müssen, und ich bin froh, dieses Schild nicht lesen zu müssen, um zu wissen, daß es hier Gemüse gibt. Würde aber auf der Speisekarte bei jedem Gericht nur noch „Fleisch mit Gemüse“ stehen, ganz egal, ob es nun ein „Steak mit Kartoffeln“ oder „Lamm mit Bohnen“ ist, dann wäre das für mich als Gast aber ärgerlich. Ein Begriff wie „Event“ wird aber häufig in dieser zweiten Art verwendet und desinformiert dadurch mehr, als dass er aufklärt.

Stellen diese Ausdrücke keine Bereicherung
für die Sprache dar?

Linguistisch - ja. Stilistisch und inhaltlich - nicht in jedem Fall.

Stell dir vor, es gäbe keine vagen
Ausdrücke, und du müsstest immer EXAKT sagen, was du möchtest,
auch wenn du dich nicht festlegen willst.

Das wäre manchmal ein Segen für den Empfänger, wenn sich Sprecher genau überlegen müssten, was sie eigentlich sagen wollen, und sich festlegen müssten. :smile:

Nein, Vagheit ist in der Sprache seit jeher ein wichtiges
Prinzip.

Mit Sicherheit.

Denn übertriebene Vagheit ist kein sprachliches, sondern
ein diskursbezogenes Phänomen. Wenn ein Politiker sich
schwammig ausdrückt, liegt das ja an ihm und nicht an der
deutschen Sprache oder ihrem angeblichen Verfall.

Der Begriff „deutsche Sprache“ geht für mich über die reine Linguistik hinaus und umfasst auch solche Aspekte. Das ist schlicht eine Definitionsfrage, über die wir uns nicht streiten müssen.

Ein Wort Wort ist sicher nicht auschließlich gut oder schlecht. Aber es gibt Wörter, deren häufiger Gebrauch an bestimmten Stellen hinterfragt werden kann ist, und die dadurch zumindest in ihrer häufigsten Verwendung ein „schlechtes Wort“ sind.

Gruß,
Max

Hallo,

Wenn ich nun unsere deutsche Umgangssprache aktuell betrachte
bzw. anhöre, so ergibt sich der Eindruck, daß die deutsche
Sprache nicht mehr ausreicht, um eine Aussage zu machen.
Ebenso in der Werbung.

wobei gerade hier der Schuß nach hinten losgehen kann, weil die fremdsprachlichen Kenntnisse der Deutschen überschätzt werden. Der Slogan „Come in and find out“ soll von der Mehrheit der Befragten mit „Kommen Sie herein und finden Sie wieder heraus“ übersetzt worden sein.

MfG,

ujk