So, liebe Hanna,
endlich zuhause angekommen wollte ich Dir wie auch etliche der anderen Mitposter versichern, dass diese von Dir geschilderten Gedächtnislücken sehr deutlich auf Überlastung schließen lassen. Ich hoffe, der Harald liest mit und zieht die notwendigen Schlüsse.
Du solltest Dich in der Tat mal ein wenig zurücknehmen und wenn es nur eine halbe Stunde am Tag ist, mit Dir allein, wo keiner von Dir etwas wollen darf und wo auch Du den Haushalt und Deine Verantwortlichkeiten bei einem schönen Kaffee, mit einem leichten Buch einfach vergisst und Luft holst.
Ob jetzt die Wäsche noch einen Tag liegenbleibt - soll doch die Nachkommenschaft sie in die Maschine räumen, wenns gar so pressiert. Ob jetzt das Wohnzimmer für diese Woche einmal ungesaugt bleibt - wenn Du ganz umkippst, dann bleibt es länger ungesaugt!
Also setze Dich nicht selbst so unter Druck und lasse Dich auch von der Familie nicht über jede Gebühr in Anspruch nehmen. Irgendwo zwischendrin hast Du noch einen Menschen, dem Du Aufmerksamkeit schuldig bist, für den Du verantwortlich bist: Dich!
Ach, jetzt hätte ich beinahe das versprochene Gedicht vergessen. Hier ist es:
Zu spät
Ein Mensch, dass er sie nicht vergesse,
Hat aufgeschrieben die Adresse
Auf eine alte Streichholzschachtel:
Da steht nun deutlich: Erna Spachtel,
Theresienstraße Numero sieben -
Doch, wozu hat ers aufgeschrieben?
Wer ist das Weib? Was sollte sein?
Er grübelt lang - nichts fällt ihm ein.
Dient sie verruchter Liebeslust?
Er ist sich keiner Schuld bewusst.
Ist heil- sie oder sternenkundig?
Schwarzhandelt sie am Ende pfundig?
Wenn schon nicht niedre Erdenwonne -
Verabreicht sie wohl Höhensonne?
Doch er kann bohren, wie er mag,
Er bringt es nicht mehr an den Tag.
Er wirft daher, weil ohne Zweck,
Die Schachtel samt Adresse weg.
Das hätt er besser nicht getan;
Er zieht sein frisches Nachthemd an
Und schon fällts ein ihm mit Entsetzen,
Dass seine Wäsche ganz in Fetzen.
Nicht Wunschmaid oder Seherin -
Das Weib war einfach Näherin,
Und hätt ihm Hemden flicken sollen.
Zu spät - ihr Name bleibt verschollen.
(Eugen Roth)
Lieben Gruß
Eckard.