zu einigen gängigen Wahlirrtümern …
Soll man am 27. September wirklich wählen gehen?
Ja. Die Staatsgewalt geht nach der Verfassung originär vom Volk aus und das (einzige!) verfassungsmäßige Mittel, mit dem das Volk seine Staatsgewalt ausübt, sind Wahlen. Wer nicht wählt, verzichtet also auf seine einzige Möglichkeit, an der Ausübung von Staatsgewalt unmittelbar teilzunehmen. Ein Souverän jedoch, der seine Souveränität nicht lebt, hat die Souveränität und den demokratischen Staat, der in unserem Fall hierauf beruht, mit all seinen Vorteilen - die heute leider gar nicht mehr wahrgenommen, sondern für ganz selbstverständlich und naturgegeben gehalten werden - nicht verdient. Und ob das wirklich eine Alternative ist, sollte man sich mit Blick auf die gemeinsame braune und regional rote Vergangenheit ganz genau überlegen. Churchill hat das bereits einmal anschaulich auf den Punkt gebracht:
„Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, daß es der Milchmann ist, dann weiß ich, daß ich in einer Demokratie lebe.“
Ist es gerechtfertigt eine Wahlpflicht einzuführen und
Zuwiderhandlungen mit Ordnungsgeld zu belegen?
Nein. Wahlrecht ist ein Freiheitsrecht und zu jedem Freiheitsrecht gehört zwingend auch das Recht, von seiner Freiheit keinen Gebrauch zu machen.
Oder darf auch
der Ausdruck des Nichtwählens als eine Art „Wahl“ (Nach dem
Motto: Es gibt keinen auf dem Zettel der eine Stimme verdient
hätte) Beachtung finden?
Nein. Was nicht da ist, wird auch nicht beachtet.
Wenn man mit der Parteienlandschaft derart unzufrieden ist, dass man keiner Partei seine Stimme geben mag, dann ist die Lösung nicht, nicht wählen zu gehen. Die Lösung ist vielmehr, selbst politisch aktiv zu werden - sei es in der Form, dass man sich in einer bestehenden Partei einbringt oder eine neue Partei gründet.
Dass das funktioniert, hat die Kommunalwahl in NRW eindrucksvoll unter Beweis gestellt: In Monheim haben vor ein paar Jahren ein paar junge Erwachsene eine Partei gegründet (Peto). Heute stellt die Partei den Bürgermeister.
Dieser Weg verlangt allerdings viel Engagement und Durchhaltevermögen, ist steinig (man erinnere sich an das Zulassungsdebakel einiger kleiner Parteien für die anstehende Bundestagswahl) und führt auch nicht von heute auf morgen zu Ergebnissen. Für Menschen, die darauf konditioniert sind, in sämtlichen Lebenslagen „den Arsch nachgetragen“ zu bekommen, und erwarten, dass ihnen selbst ihre Wahlentscheidung mundgerecht vorgekaut in den eigenen vier Wänden dargeboten wird, was heute leider verbreitet en vogue ist, ist das allerdings - das gebe ich zu - eine eher fernliegende Alternative. Wie ungleich bequemer ist es da, sein Mißfallen dadurch „kund zu tun“, am Wahltag auf dem Sofa hocken zu bleiben. Allerdings - das wird gerne übersehen - ist diese Form der Mißfallenskundgabe für einen Außenstehenden nicht von bloßem Desinteresse bzw. Faulheit zu unterscheiden. Daher sollten sich die „Protest-Nichtwähler“ auch nicht wundern, wenn ihre „Mißfallenskundgabe“ übersehen und nicht gewürdigt und - zu Recht - erst recht nicht im politischen Prozeß berücksichtigt wird.
Was ist wenn der Politiker vor der Wahl was anderes zusagt,
als er nachher einhält? Ist das nicht Betrug am Wähler?
Nein. Der Abgeordnete ist nach der Verfassung allein seinem Gewissen verpflichtet. Er ist weder an seine Versprechungen noch an die Erwartungen oder gar etwaige Weisungen der Bürger „seines“ Wahlkreises gebunden (ganz abgesehen davon, dass Abgeordnete, die kein Direktmandat errungen haben, sondern über die Liste ins Parlament eingezogen sind, ohnehin keinen „eigenen“ Wahlkreis haben). Er ist nicht im Rechtssinne „Vertreter“ „seiner“ Wähler und es kann ihm grundsätzlich auch niemand vorschreiben, nach welchen Maßstäben er seine Entscheidungen im Parlament zu treffen hat.
Ob es allerdings für den Abgeordneten mit Blick auf eine etwaige Wiederwahl opportun ist, seine Wähler nach Strich und Faden „zu bescheissen“, ist eine ganz andere Frage.
Wie
könnte dem vorgebeugt werden? Enthebung aus dem Amt per
Verwaltungsakt wegen Nichteinhaltung des Wahlgesetztes.
Überhaupt nicht. Jede Art von Sanktionierung ist mit dem soeben dargestellten Prinzip des freien Mandats unvereinbar und indiskutabel. Die einzige legitime Sanktionsmöglichkeit hat der Wähler in der Hand - indem er beim nächsten Mal einen anderen Abgeordeten bzw. eine andere Partei wählt - oder einen eigenen Verein aufmacht.