Jetzt mal zu meinem eigenen Wahnsinn! (lang)
Hallo Sun Tsu und alle anderen,
Ob deine Intention, mit der du hier gegen die Religionen
vorgehst dann aber befriedigt sein wird, bezweifle ich.
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/Welt;art118,2…
Bisher habe ich nicht richtig
verstanden was dich bewegt, ich hatte auch deine
Vika nicht gelesen. Diese Aggression gegen
Minderheiten wird ein Abflachen „religiös-gesteuerter“
Umtriebe nicht ändern. Irgendwelche selbstgerechten,
gewalttätigen Arschlöcher finden sich immer.
Ich bin selbst nie Opfer einer homophoben Gewalttat geworden und was mich hier umtreibt, ist auch nicht, dass ich mich für etwas rächen will.
Ich will als Schwuler und als Atheist und seit neuestem (Himmelfahrt!) auch als Anti-HIV-Medikamente Schluckender einfach ein Teil dieser Gesellschaft sein, will sie auch mitprägen und dazu beitragen, dass auch andere -wie ich- sich nicht verstecken.
Als Schwule und Lesben haben wir es hier in Europa und überhaupt im westlichen Teil der Welt schon in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts gelernt, uns nicht mehr zu verstecken und es hat uns so auch geholfen, dass wir tatsächlich immer mehr ein ganz normaler Teil dieser Gesellschaften wurden.
Richard Dawkins und die Brights-Bewegung treibt nun Ähnliches um, nämlich, dass endlich akzeptiert wird, dass es uns Atheisten und Agnostiker überhaupt gibt und dass wir natürlich auch die Gesellschaft in unserem Sinne mitgestalten wollen.
In seinem Heimatland England rennt Dawkins da offene Türen ein. Dort und bei uns sind wir ja auch schon viel weiter als andernorts in der Welt und etwa in den USA.
http://www.the-brights.net/
Was mich im Moment am meisten bewegt, ist aber meine HIV-Infektion. Von der weiß ich schwarz auf weiß erst seit Januar dieses Jahres. Den Test hatte ich zuvor 25 Jahre lang verweigert (seit es ihn gibt). Ich habe aber fast mein ganzes aktives Sexualleben lang immer mit dem Bewusstsein gelebt, dass ich HIV-positiv sein könnte und mich auch entsprechend verhalten. HIV sollte aber auch nie im Vordergrund meines Lebens stehen und ich bin auch glücklich, dass ich nicht schon vor 25 Jahren in die Fänge der Medizin geraten bin, denn dann wäre ich Versuchskaninchen gewesen und wahrscheinlich schon tot.
Ich habe ein Virus, das vorher noch nie mit irgendeinem HIV-Medikament in Berührung gekommen ist. Das ist ziemlich selten, denn die meisten stecken sich jetzt mit Virusstämmen an, die gegen das eine oder andere Medikament schon resistent sind.
Schon vor 26 Jahren, als es noch keinen HIV-Test gab und man auch noch nicht so genau über die Übertragungswege Bescheid wusste, hat sich meine Ärztin gewundert, dass bei mir ein halbes Jahr später die Symptome von Pfeifferschem Drüsenfieber ein zweites Mal auftraten.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pfeiffersches_Dr%C3%BCs…
Sie mutmaßte schon damals, es könne sich bei den Symptomen ja auch um eine HIV-Erkrankung handeln. Es gab aber noch keinen Test.
Als ich 1985 von meinem einjährigen Austauschstudienaufenthalt aus den USA zurückkehrte, hatte sich auch an meiner Heimatuni Mainz ein Schwulenreferat gegründet, das beim AStA angesiedelt war. Den HIV-Test gab es mittlerweile auch.
AIDS und die AIDS-Hysterie waren ein großes Thema in diesen Jahren. Ich erlebte, wie viele meiner Mitschwulen, die sich positiv hatten testen lassen, dies als baldiges Todesurteil begriffen, sich in die Krankheit hineinsteigerten, frühverrentet wurden und dann tatsächlich auch bald tot waren.
Sinnlose Medikamente mit irren Nebenwirkungen wurden getestet. All das wollte ich nicht und habe den HIV-Test deshalb auch nicht gemacht, selbst als ein Freund, mit dem ich ein paar Jahre zusammen war, sich vor zehn Jahren (nach der Trennung von mir und weil er ungeschützt mit seinem neuen Freund rumvögeln wollte) ein positives HIV-Testergebnis abholte.
Meinem Freund (wir sind bis heute die besten Freunde) ging es schon bald danach sehr schlecht, aber er versuchte, ohne Medikamente auszukommen, bis vor ein paar Wochen.
Einen Tag, bevor bei mir die Entscheidung anstand, ob auch ich nun mit der Therapie, die heute viel besser ist als damals, beginnen sollte, traf ich ihn. Da hatte er seine Medikamente schon zwei Wochen lang geschluckt und er empfing mich mit den Worten: „Gernot, ich könnte Bäume ausreißen!”
Wahrscheinlich habe ich meinen besten Freund sogar angesteckt, denn einmal ist uns damals ein Kondom gerissen und dass man sich nicht ins Gesicht ejakuliert, war uns zu unserer Zeit vor 15 Jahren auch noch nicht so bekannt. (Das müsste übrigens auch in der Aufklärung noch viel klarer gemacht werden, dass das im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen kann!)
Auch sein Virus hatte keinerlei Resistenzen entwickelt.
Ich selbst habe an mir gemerkt, dass ich seit drei Jahren immer erschöpfter wurde, kaum noch meinen Haushalt geregelt gekriegt habe. Da ich vor drei Jahren aber auch zum ersten Mal im Leben fest angestellt in einem Stressjob war, sah ich die Ursache dafür einfach darin und in meinem für die Branche fortgeschrittenen Alter.
In der schwulen Sauna (für Heteros: das ist so eine Art Swingerclub), in der ich regelmäßig verkehre, traf ich vor ein paar Monaten nach langer Zeit einen anderen Stammgast wieder. Sein langes Fehlen fiel mir da erst auf und ich sprach ihn an. Es stellte sich heraus, dass er wegen AIDS ein halbes Jahr im Krankenhaus gewesen war. Sein Immunsystem war irgendwann zusammengebrochen. Auch er hatte nie einen Test machen lassen. Er ist dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen. Also machte auch ich im Januar endlich den Test.
Dass ich jetzt ausgerechnet am Himmelfahrtstag mit meiner eigenen Therapie begann, mag man in meinem Fall für kitschig halten, aber ich tue ja nichts ohne publizistisches Kalkül. (Es gibt auch Fotos davon, wie ich die erste Tablette schlucke. Vielleicht veröffentliche ich die mal.)
In der ersten Woche merkte ich keine besonderen (Neben-)Wirkungen der Medikamente; seit ein paar Tagen aber schon: Ich wache morgens schon um fünf Uhr auf und bin voller Tatendrang und räume endlich meine Bude auf.
Ich habe das Gefühl, dass auch mein Verstand messerscharf geworden ist und dass ich rücksichtsloser denn je von dieser Waffe Gebrauch mache. Das ist sicher alles ein bisschen zu viel und ich werde möglicherweise eines der Medikamente, das psychotische Reaktionen hervorrufen kann, wechseln müssen, vielleicht aber auch nicht, wenn ich mich nach zwei Wochen dran gewöhnt habe, was mein Arzt für möglich hält.
Ihr kennt mich hier bei Wer-Weiss-Was.de ja schon von vorher als Rampensau. Seid also beruhigt: Dass ich mich mit meiner eigenen Geschichte so nackig mache, ist eine bewusste Entscheidung und ihr müsst mich auch in anderer Weise nicht vor mir selbst schützen:
Ich kann austeilen und ich kann auch einstecken, auch weiterhin!
Ich glaube auch, ich entwickele mich gerade wieder mehr zu dem politischen Menschen, der ich vor 20 Jahren einmal war. Wie sehr ich ein solcher war, davon wusste ich selbst schon lange nichts mehr, bis ich gestern in meinem Messie-Fundus gewühlt habe.
Der Leiter des Rosa Archivs in Köln bekommt jetzt den ganzen Kram aus meiner ersten Sturm-und-Drangzeit, den ich nie weggeschmissen habe: Ich war u.A. einmal ein Jahr lang im Vorstand des ersten schwulen Bundesverbandes in Deutschland.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverband_Homosexua…
http://www.rosa-archiv.de/index.php
Jetzt blicke ich viel unbeschwerter in die Zukunft: Die Laborassistentin, die mir zweimal vor Beginn meiner Therapie Blut abgenommen hat, sagt, dass sie in den letzten zehn Jahren, seit sie in der HIV-Schwerpunktpraxis arbeitet, noch nie einen sterbenden AIDS-Patienten erlebt hat.
Das kann ich leider nicht sagen, ich kenne auch Leute, die trotz der neuesten HIV-Therapie gestorben sind. Die Nebenwirkungen sind ja auch nicht ohne und es kostet genauso viel, wie ich im Monat als Nettogehalt ausbezahlt bekomme.
Ich will weder als Schwuler, noch als Atheist, noch als HIV-Positiver irgendwelche Privilegien haben, aber auch nicht benachteiligt werden und deshalb bin ich bis zur Schmerzgrenze schamlos offen mit allem!
Weg mit den Burkas!
Gruß Gernot
P.S. @ Sun Tsu: Schreib doch auch mal was in deine Visitenkarte! Bist du KoreanerIn? Du brauchst ja nicht so weit zu gehen wie ich!