Wann ist krank eigentlich krank ?

Hallo,

ich bin Naturwissenschaftler und habe mit dem Gebiet der Psychologie nur sehr wenig zu tun, wobei ich es durchaus sehr interessant finde aber es mir auch Probleme bereitet.

Zunächst einmal sehe ich die Psychologie nicht als Wissenschaft an. Dies bedeutet nicht, dass sie deswegen schlecht ist. Sie ist in meinen Augen nur keine Wissenschaft, d.h. ein durch Experimente belegtes Wissen. Doch das nur nebenbei.

Vielmehr frage ich mich Folgendes:

Wann wird ein Verhalten als psychologisch Krankhaft eingestuft und wann nicht?

Ich frage deswegen, weil ich mir bei einigen Menschen, die angeblich psychisch krank sein sollen, gar nicht so sicher bin. Außerdem zeigt uns die Geschichte doch Beispiele (z.B. die Homosexualität) auf, wo von einem Tag auf den anderen, per Definition, die „Krankheit“ Homosexualität geheilt wurde.

Ist es nicht vielmehr so, dass wir ein bestimmtes menschliches Verhaltensmuster, welches unserer (derzeitigen) gesellschaftlichen Norm nicht entspricht, zwanghaft therapieren wollen, damit diese Verhalten unseren Wertvorstellungen und unserem Verständnis von Norm entspricht.

Ist es nicht denkbar und ggf. sogar möglich, dass eigentlich das Verhalten der Gesellschaft krankhaft ist und nicht derjenigen Person, auf die sie es gerne projizieren möchte?

Gruß,

MrLobaLOba

Hi, ich bin kein Experte und stehe der Psychologie - nach eigenen Erfahrungen - auch eher skeptisch gegenüber. Zur Wissenschaftlichkeit der Psychologie sollte vielleicht lieber jemand was sagen, der sich damit intensiver auseinandergesetzt hat als ich. So, wie du Wissenschaft charakterisierst, fallen jedoch die meisten Geisteswissenschaften aus dem Raster raus. Aber zurück zum Thema: ich denke, dass es psychisch krank durchaus gibt. Als krank würde ich ein Verhalten beschreiben, dass zwanghaft ist und unter dem derjenige, der es an den Tag legt, selbst stark leidet. Eine Freundin von mir zum Beispiel bestraft sich gern selbst, aber nicht, indem sie sich das Abendessen verweigert, sondern richtig drastisch. Das kann bis zu Suizidversuchen gehen. Das würde ich als krankhaft und behandlungswürdig bezeichnen.
Auch denke ich nicht, dass krank ein negativer Begriff ist, wie das bei dir anklang, krank ist einfach nur behandlungswert, reparaturbedürftig sozusagen. Was ist daran schlimm? Und warum sollte die Psyche nicht auch krank werden können, so wie der Körper auch?

Gruß, die Elbin

Hallo,

so wie es verschiedene Wissenschaftsbegriffe gibt (und also die alleinige Kennzeichnung durch Experimente ziemlich oberflächlich ist), so gibt es auch der Begriff der Krankheit nicht so einfach definierbar. Es gibt ein schönes Bonmot, nachdem man mal darüber nachdenken sollte, warum es so viele verschiedene Krankheiten, aber nur eine Gesundheit gibt. M. a. W.: Jeder hat seine Macke - und so lange sie keinen stört, ist es in Ordnung.

Im Netz habe ich noch folgende Seite gefunden:
http://www.sgipt.org/medppp/krank/iwk1.htm . Gib doch einfach mal den Begriff „krankheitsbegriff“ oder „krankheitsbegriffe“ bei Google ein. Da bekommst du viele Informationen.

Ist es nicht denkbar und ggf. sogar möglich, dass eigentlich
das Verhalten der Gesellschaft krankhaft ist und nicht
derjenigen Person, auf die sie es gerne projizieren möchte?

Ich halte das nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo,

ich glaube auch Du verwechselst hier etwas grundlegendes.
Menschen mit echter Geisteskrankheit (Schizophrenie z.B.)
werden psychiatrisch behandelt.
Leute mit seelischen Problemen, unter denen sie meist sehr leiden und deshalb Hilfe suchen, werden in der Regel psychologische Betreuung suchen. Diese wird tatsächlich nur
ausgeführt, wenn der Klient, wie es heute heißt (also in der Regel sind das keine Patienten mehr) es von allein wünscht.
Der Unterschied zwischen psychiatrischer Krankheit und psychol.
Störung wird medizinisch abgeklärt (Neurologie, Innere Medizin etc.).

Herzl. Grüße
hd

ich bin Naturwissenschaftler und habe mit dem Gebiet der
Psychologie nur sehr wenig zu tun, wobei ich es durchaus sehr
interessant finde aber es mir auch Probleme bereitet.

Zunächst einmal sehe ich die Psychologie nicht als
Wissenschaft an. Dies bedeutet nicht, dass sie deswegen
schlecht ist. Sie ist in meinen Augen nur keine Wissenschaft,
d.h. ein durch Experimente belegtes Wissen. Doch das nur
nebenbei.

Vielmehr frage ich mich Folgendes:

Wann wird ein Verhalten als psychologisch Krankhaft eingestuft
und wann nicht?

Ich frage deswegen, weil ich mir bei einigen Menschen, die
angeblich psychisch krank sein sollen, gar nicht so sicher
bin. Außerdem zeigt uns die Geschichte doch Beispiele (z.B.
die Homosexualität) auf, wo von einem Tag auf den anderen, per
Definition, die „Krankheit“ Homosexualität geheilt wurde.

Ist es nicht vielmehr so, dass wir ein bestimmtes menschliches
Verhaltensmuster, welches unserer (derzeitigen)
gesellschaftlichen Norm nicht entspricht, zwanghaft
therapieren wollen, damit diese Verhalten unseren
Wertvorstellungen und unserem Verständnis von Norm entspricht.

Ist es nicht denkbar und ggf. sogar möglich, dass eigentlich
das Verhalten der Gesellschaft krankhaft ist und nicht
derjenigen Person, auf die sie es gerne projizieren möchte?

Gruß,

MrLobaLOba

Hallo!

Ich finde Deine en passant aufgestellten Thesen ziemlich aufschlußreich: Obwohl Du schreibst, recht wenig mit Psychologie zu tun zu haben, siehst Du sie nicht als Wissenschaft an. Starker Tobak für einen Naturwissenschaftler. Sollte man nicht den Gegenstand kennen, bevor man Aussagen über ihn macht? Wie würdest Du einen Naturwissenschaftler bezeichnen, der Aussagen über etwas macht, von dem er gleichzeitig sagt, daß er mit ihm sehr wenig zu tun hat?

Sie ist in meinen Augen nur keine Wissenschaft,
d.h. ein durch Experimente belegtes Wissen. Doch das nur
nebenbei.

Nun, da meine Wissenschaft auch stark auf Experimenten aufbaut und ich das gebündelte Wissen hübsch verpackt in haufenweise Prüfungen wiederkäuen durfte, erzeugt dies bei mir doch ein gewisses Schmunzeln, Herr Kollege.

Wann wird ein Verhalten als psychologisch Krankhaft eingestuft
und wann nicht?

Schwierige Frage, auf die es keine eindeutige und endgültige Antwort gibt. Hier ein paar Kriterien:

  • Abweichendes Verhalten (Abweichung von Normen),
  • Leidensdruck,
  • Beeinträchtigung von lebenswichtigen Funktionen,
  • Fremd- und Selbstgefährdung.

Ich frage deswegen, weil ich mir bei einigen Menschen, die
angeblich psychisch krank sein sollen, gar nicht so sicher
bin.

Das ist möglicherweise eine andere Frage: Ob jemand - eine Person - psychisch gestört ist, ist eine Frage der Diagnose, keine nach der Existenz von psychischen Störungen an sich. Durchaus können sich 2 Diagnostiker in der Diagnose nicht einig sein.

Ist es nicht denkbar und ggf. sogar möglich, dass eigentlich
das Verhalten der Gesellschaft krankhaft ist und nicht
derjenigen Person, auf die sie es gerne projizieren möchte?

Das ist die These der Antipsychiatrie von Thomas Szasz. Diese Position halten die meisten Kliniker für falsch. Es gibt dagegen viele Argumente. Ein wichtiges Argument ist das folgende: Selbst wenn man jemanden, der heute als „schizophren“ bezeichnet wird, nicht mehr als „schizophren“ bezeichnet werden würde, man seinen Zustand gar nicht benennen würde - wäre er dann fähig, sich am Leben zu erhalten? Schwer vorstellbar, wenn man weiß, wie „Schizophrenie“ aussehen kann.

Einen schönen Gruß!

Oliver

Zu psychischen Krankheiten
Ich denke, daß man sehrwohl einen Menschen als psychisch krank bezeichnen kann - sehe mich momentan in der gleichen Lage.
Aufgrund von bestimmten Lebensumständen komme ich momentan mit gar nichts mehr zurecht. Dadurch leidet nicht nur mein berufliches, sondern auch mein privates Leben sehr. Irgendwie geht momentan alles den Bach runter.
Durch diese Verzweifelung darüber mache ich Dinge, die ich mir nicht so recht erklären kann (Selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken). Ich versuche ständig dagegen anzukämpfen, dennoch bin ich der Resignation sehr nahe. Ich möchte etwas gegen diesen Zustand tun, kann es aber aus eigener Kraft nicht - deshalb auch psychisch krank.
Ich denke aber, daß sehr vieles mit unzureichenden Problemlösungsstrategien zusammenhängt - also keine Krankheit im medizinischem, sondern eher im menschlichen und emotionalem Sinn.

Zustimmung
Hallo Herr Kollege!

Es ist sehr gut, daß Du bereits auf die schon fast als satirisch zu kennzeichnenden Worte des Posters geantwortet hast - damit ersparst Du mir das.

Grüße und noch weiterhin viel Erfolg,
Der Captain

1 „Gefällt mir“

das ist doch meine Position! Das nämlich:

Ich denke, daß man sehrwohl einen Menschen als psychisch krank
bezeichnen kann - sehe mich momentan in der gleichen Lage.

Deshalb verstehe ich nicht, was Du mir damit sagen willst.

Zum Kriterium eingeschränkte „Lebenstüchtigkeit“:

Aufgrund von bestimmten Lebensumständen komme ich momentan mit
gar nichts mehr zurecht. Dadurch leidet nicht nur mein
berufliches, sondern auch mein privates Leben sehr. Irgendwie
geht momentan alles den Bach runter.

Zum Kriterium „Fremd- und Selbstgefährdung“:

Durch diese Verzweifelung darüber mache ich Dinge, die ich mir
nicht so recht erklären kann (Selbstverletzendes Verhalten,
Suizidgedanken). Ich versuche ständig dagegen anzukämpfen,
dennoch bin ich der Resignation sehr nahe. Ich möchte etwas
gegen diesen Zustand tun, kann es aber aus eigener Kraft nicht

  • deshalb auch psychisch krank.

Zum Thema „Medizinisches Krankheitsmodell“:

Ich denke aber, daß sehr vieles mit unzureichenden
Problemlösungsstrategien zusammenhängt - also keine Krankheit
im medizinischem, sondern eher im menschlichen und emotionalem
Sinn.

Deine gesamten Statements unterschreibe ich hiermit, weil sie auch meine Meinung sind! Wir sind uns also 100%ig einig! Kein Dissens! Völliges Konformgehen! (weiß noch jemand, wie ich es klar machen könnte, daß ich mit Stage einer Meinung bin?)

Außerdem wünsche ich Dir viel Kraft und eine kompetente Behandlung, damit Du aus Deiner jetzigen Situation herausfindest.

Hochachtungsvoll,

Oliver

War eigentlich zur Untermauerung Deines Statements
Ich weiß, wie schwierig rationale Menschen in solchen Dingen sein können. Bin selber sehr rational und daher wollte ich Dir ein wenig Rückendeckung geben.