Hi Oliver,
schön. Wenn Du mir auch noch versprichst, bei Leuten, die
ebenfalls unter Zeitdruck schreiben, nachsichtig zu sein, dann
wäre ich noch glücklicher. 
das muss ich mir nochmal überlegen. *g*
Hätte es auch anders formulieren können, dass sie so beginnen
können.
Dann hätte ich Dir aber nicht geschrieben … 
Stimmt. 
Ah, so. Du meinst, der Arzt, der nicht selbst Krebs hat, kann
Krebs nicht heilen? Der Arzt, der nicht selbst Halluzinationen
hat, kann Halluzinationen nicht behandeln? Der Arzt, der nicht
selbst Alkoholiker ist, kann Alkoholikern nicht beim Entzug
und bei der Entwöhnung helfen? Der Arzt, der nicht selbst
Depressionen hat, kann Depressiven nicht helfen? Denn er hat
ja nur theoretisches Wissen aus Büchern … Meinst Du das?
Nein, ich meine, dass der Arzt, der nicht selbst Depressionen hat, es nicht wirklich nachvollziehen und verstehen kann, wie es seinem Patienten geht. Ob er helfen kann, ist eine andere Frage, dafür ist er ja schließlich da.
Er kann mit seinem Wissen helfen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er es wirklich versteht. Mein Therapeut hat mir z.B. sehr gut geholfen, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass er mich nicht richtig versteht. Ist ja nicht schlimm. Solange er auf mich eingeht und es versucht zu verstehen, ich mich dort gut aufgehoben fühle und ihm entsprechendes Vertrauen entgegenbringe, hat die Thera auch gute Chancen, etwas zu nützen.
Versteh mich nicht falsch, ich behaupte nicht, dass niemand es verstehen könne - ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es jemand tut, der nicht selbst einmal depressiv war.
Der Vorteil der Literatur ist, daß sie komprimiertes Wissen
aus Erfahrungen von Menschen mit Menschen wiedergibt.
Allerdings kann man als Leser nicht selbst mit den Menschen in
Kontakt treten, von ihnen erfahren, wie sie ihre Krankheit /
Störung erleben und mit welchen Umständen die Krankheit /
Störung bei ihnen konkret einhergeht. Das sind große
Nachteile. Aus diesem Grund interessiert mich beides: Lesen
von Literatur und persönliche Kommunikation. Ein Beispiel: Ich
konnte mir nicht richtig vorstellen, daß Trainings Sozialer
Kompetenzen wirklich nützlich sein können, bevor ich so ein
Training nicht selbst mit Patienten durchgeführt hatte. Nun
weiß ich, daß es nützlich sein kann.
Ja, Literatur umfasst meinetwegen das gesamte Krankheitsbild, aber es ist und bleibt nunmal theoretisch. Die eigentliche Härte der Krankheit wird für andere erst deutlich, wenn sie mit einem Betroffenen direkten Kontakt haben. Und wenn dieser dann auch darüber spricht. Wenn ich lese, dass depressive Menschen sich leer und taub fühlen, dann nehme ich es so hin und denke mir: „Sicher nicht schön.“. Wenn aber jemand neben mir sitzt… jemand, der eigentlich immer stark und selbstbewusst durchs Leben gegangen und jetzt nur noch ein heulendes Häufchen ist… wenn dieser mir dann beschreibt, wir leer und taub sich alles anfühlt - das ist etwas völlig anderes.
Literatur ist trocken, es ist wirklich reines Wissen, das vermittelt wird. Das eigentliche menschliche kommt beim Lesen einfach nicht rüber. Und gerade bei solchen nicht-greifbaren Krankheiten wie Depressionen darf das Menschliche eben nicht fehlen. Das meinte ich.
Oft ist beides gleich wichtig, weil das Wissen ein
Unterschiedliches ist. Wenn ein Depressiver z.B. die Welt v.a.
negativ sieht, dann ist das allein schon wichtig für das
Verständnis seiner Situation, aber es ist auch wichtig zu
sehen, daß die Sichtweise des Depressiven für ihn momentan
zwar stimmt, aber nicht nützlich ist, wenn er seine Depression
überwinden will. Insofern ist gleichzeitiges Anerkennen und
Verändernwollen der negativen Sichtweise immens wichtig.
Allerdings ist es nutzlos, zu sagen: „Die Welt ist nicht nur
negativ. Du siehst das falsch“. Aber zu sagen: „Ja, Du hast
Recht, die Welt siehst Du negativ und weil das so ist, darf
ich nichts anderes sagen“ ist ebenfalls nutzlos. Ich sage: „Du
siehst die Welt v.a. negativ. Wollen wir ergründen, woran das
liegt? Vielleicht ändert sich dadurch Deine Sicht und Du
fühlst Dich besser.“ Und ab da kann eine spannende Reise
beginnen …
Jubb.
Grüße
Natascha