Hallo guvo
Deiner Ansicht nach ist es also eine „Tatsache“, dass der
Glaube ein Näherungsprozess an das Ideal ist. Das ist zunächst
einmal eine durchaus fragwürdige Aussage. Wovon ist hier genau
die Rede?
Ich glaube - also wandle ich.
Schön für Dich. Ich vermute, das soll eine Antwort sein. Nur wohl nicht auf meine Frage.
Ich habe eher den
Eindruck, dass Glaubensüberzeugungen etwas Statisches sind,
weil man idR darauf verzichtet, sie zu hinterfragen und somit
prozesshaft auf ein ‚Wissen‘ hin weiterzuentwickeln.
Es ist daher zwischen Glaube und Glaubensüberzeugung zu
unterscheiden. Das erstere als Prozess das letztere als plökes
Dogma.
Nein, man kann zwischen Glauben als einer geistigen Haltung und den Inhalten des Glaubens, den Glaubensüberzeugungen, unterscheiden. Glauben ist lediglich dann ein Prozess, wenn sich die Inhalte des Glaubens wandeln. Was eben in der Regel speziell bei religiösen Glaubensinhalten nur selten stattfindet. Persönliche Glaubensüberzeugungen können sich mit Dogmen (bitte mach dich einmal kundig, was man unter einem ‚Dogma‘ versteht) decken, zwingend ist dies durchaus nicht, auch wenn gewisse kirchliche Bürokraten dies gerne so hätten.
Wo es nun
vollends nebulös wird, das ist ‚das Ideal‘, von dem hier die
Rede ist. Ideal wovon? Oder Ideal an sich?
Das IDEAL AN SICH.
Auch wenn Du es groß schreibst, macht es nicht mehr Sinn.
Unerreichbar. Unerfahrbar. Unsichtbar.
Natürlich ist ein Ideal, erst recht das Ideal an sich, unerreichbar, unerfahrbar und unsichtbar. Das liegt in der Natur der Sache. Wir Menschen gruppieren, typisieren und kategorisieren unsere sinnliche Wahrnehmung und schaffen so Ideale/Idealtypen, die in der Realität nie existieren. Etwa das Ideal eines Baumes, einer schönen Frau usw. usf. Ein Ideal ist die Abstraktion einer Klasse empirischer Erfahrungen mit imaginären, optimalen Eigenschaften - so hat das Ideal eines Baumes beispielsweise keine welken Blätter, keine wurmstichigen Früchte usw… Das Ideal an sich ist der unabhängig von seinem Inhalt betrachtete Begriff des Ideals. Die Abstraktion einer Abstraktion. Mithin etwas reichlich blutleeres.
Und
dennoch bedingt Vertrauenswürdig.
Mit Sicherheit nicht für jemanden, der weiss was ein Ideal ist.
Nicht bedingungslos, weil
missbrauchbar, wie die Wirklichkeit zeigt (Evolutionsethiker,
Evangelikale, Islamisten, Totalitaristen etc.)
Missbrauchbar werden Ideale nur dann, wenn man sie eben nicht erkennt als das, was sie sind, sondern ihnen eine tatsächliche Existenz zubilligt und diesen Geschöpfen der Einbildungskraft dann „vertraut“. Missbraucht werden nicht eigentlich Ideale, sodern das ‚Vertrauen‘ auf/in sie. Weniger leisetreterisch: es ist der von Dir so gepriesene Glaube, der Rattenfänger aller Couleur zum Missbrauch einlädt.
Was spricht denn nun - um Deine etwas krause Argumentation
aufzugreifen - beispielsweise dagegen, dass („umgekehrt“)
Ideale Näherungsprozesse an ‚Glauben‘ sind - anders
ausgedrückt, Rationalisierungen? Was wiederum etwas Anderes
ist als empirisches Verifizieren oder Falsifizieren …
Nichts.
Eben. Und warum schreibst Du dann:
aufgrund der Tatsache, dass der Glaube ein Näherungsprozess
an das Ideal und nicht umgekehrt ist
?
Ohne Ratio kein Glaube.
Nun ja, das ist eine Binsenweisheit. Jemand völlig ohne Ratio ist ohne intensive pflegerische Betreuung kaum lebensfähig - was wohl eine Voraussetzung dafür ist, glaubensfähig zu sein. ‚Glaube‘ ist ein recht untaugliches Instrument, das Leben zu bestehen. Wenn Du allerdings einen kausalen Zusammenhang zwischen Ratio und Glaube andeuten möchtest, so wäre ich an einer Begründung interessiert. Ratio kennt ihre Grenzen - und sie verweist das, was jenseits dieser Grenzen liegt, in das Reich der Spekulation, des Glaubens oder einfach des schlichten Nichtwissens. Anders herum ausgedrückt: die Ratio setzt dem Glauben Schranken.
Nicht nur, dass gerade
unter stark Gläubigen Toleranz nicht sonderlich weitverbreitet
ist, so ist mir auch nicht ersichtlich, wie denn der kausale
Zusammenhang zwischen Toleranz und Glaube aussehen soll.
Toleranz verstehe ich u.a. bildlich als die uns zugesandte
Seite des Torbogens zwischen den erfahrbaren und den
unerfahrenbaren Welten. Die abgewandte Seite (im
bestverstandenen Sinne) ist begründeter Glaube.
Das ist ein sehr schöner und tiefer Gedanke - allerdings einer, der Deinem persönlichen Empfinden und Glauben entspringt, mithin nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann. Eben dies tust Du - Du triffst eine allgemeine Aussage über das Verhältnis von Toleranz und Glauben, deren Gültigkeit für Dich ich nicht anzweifle, deren von Dir postulierte Allgemeingültigkeit allerdings durch die Realität nur zu deutlich widerlegt wird.
Das Bild des ‚Tores‘ kenne ich übrigens auch aus meiner Religion. Genauer gesagt, gibt es unzählige davon - und wir legen das Gelübde ab, sie alle zu durchschreiten. Es gibt nach unserem Verständnis keine „unerfahrbaren“ Welten (‚Hinterwelten‘ nannte sie Nietzsche). Es gibt nur diese eine hier und jetzt - lediglich verschiedene Arten, sie zu erfahren.
… eine Korrelation von Glaube und Intoleranz.
Nur zwischen Intoleranz und Dogmen.
Auf den Unterschied bin ich oben schon eingegangen. Gerade bei dieser Aussage von Dir wird deutlich, dass es eben nicht um Dogmen geht. Die Verfolgung von ‚Ungläubigen‘ und Andersdenkenden etwa durch christliche Inquisitoren oder muslimische Taliban ist nicht durch Dogmen der jeweiligen Religionen gedeckt - im Gegenteil. Gerade hier spielen persönliche heterodoxe Glaubenshaltungen und -inhalte eine entscheidende Rolle.
Hingegen lässt sich aus
der These, die du hier zur Diskussion stellst, zwanglos im
Umkehrschluss folgern, dass ‚Ungläubige‘ intolerant sind -
ihnen fehlt halt nach Deiner Aussage die Voraussetzung für den
Glauben. Etwas gewagt, findest Du nicht auch?
Vermeintliche Ungläubige bleibt die Toleranz als höchst
erstrebbare Tugend.
Danke für die Klarstellung. Im Zusammenhang mit dem oben Gesagten wird damit auch etwas klarer, wie Du dir die Beziehung zwischen Toleranz und Glaube vorstellst. Offensichtlich nicht als eine Wechselbeziehung, sondern als eine einseitige. Mithin ist Deinen Ausführungen folgend Toleranz zwar nicht Ursache, aber eine Bedingung für Glauben. Nur fehlt mir nun immer noch die Begründung für diese These. Insbesondere die logische Folgerung, dass somit Glaubende zwangsläufig tolerant sein müssen, widerspricht ganz offensichtlich der Realität.
Du verfällst zur Auflösung dieses Widerspruchs einfach auf ein altbekanntes Argumentationsmuster - diejenigen, bei denen das nicht so ist, haben eben nicht den ‚wahren‘ Glauben sondern sind ‚Dogmatiker‘. Ein - wie weiter oben vielleicht deutlich geworden - unglücklich gewählter weil unzutreffender Begriff. Treffender wäre ‚Irrgläubige‘. Und eben da wird klar, dass Deine These - so menschenfreundlich sie klingt - doch nur ausgetretenen Pfaden folgt.
Im übrigen verbietet das Grundgesetz den
Gedanken, zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu unterscheiden.
Da bist du gewaltig im Irrtum. So etwas kann man nicht verbieten. Was man hingegen verbieten kann (und das tut das Grundgesetz) ist Ungleichbehandlung aufgrund solcher Unterscheidungen.
Ein Zusammenhang ist bei dem Rest Deiner ‚Kausalkette‘ schon
eher nachvollziehbar - auch wenn ich auch hier die genannten
Beziehungen nicht unmittelbar kausal verstehen würde. Sicher
treten die genannten Verhaltensweisen - Toleranz, Solidariät,
Respekt und Akzeptanz - idR in Verbindung miteinander auf.
Hier aber eine Kausalkette, also eine ‚Hierarchie‘ zu
konstruieren (die dann auch noch im ‚Glauben‘ gipfelt) halte
ich für reichlich verstiegen.
Einen anschaulichen Einstieg bietet, wenn auch nur abstrakt,
die Mathematik. Sie beschäftigt sich mit allen möglichen
Relationen und Kostelationen: Ausgangspunkte, linieare und
komplexe Strukturen. So strukturiert wie diese
Größenverhältnisse untereinander sind, so logisch lassen sich
auch die Tugenden Akzeptanz, Respekt, Solidarität und Toleranz
aufreihen.
Nein - im einen Falle handelt es sich um ein loses Netz nicht näher definierter Beziehungen. Dass diese existieren, habe ich ja nicht bestritten. Bei Deiner These hingegen handelt es sich, wie Du auch jetzt wieder sagst, eben um ein „aufreihen“, eine (vorgeblich) logisch gegliederte Abfolge von Ursachen und Wirkungen. Das sind zwei Paar Stiefel. Einen kausalen Zusammenhang kannst Du hier ebenso wenig nachweisen wie den zwischen Glaube und Toleranz.
Das hätte ich dann doch gerne
etwas näher erläutert und begründet, bevor ich das glaube -
bei aller Toleranz.
„Bei allem Respekt“ ist, den Umständen wegen, passender.
Im Gegenteil. Anscheinend hast Du den kleinen Scherz nicht verstanden. Tolerant bin ich wohl - allein, mir fehlt der Glaube …
Freundliche Grüße,
Ralf