Moin Marion,
Grundsätzlich immer sinnvoll entschädigen kann man, wenn ein
Eigentumsschaden entstanden ist. „Wiedergutmachen“ kann man
nichts, aber man kann versuchen, die Folgen zu dämpfen (z.B.
in Form von Renten für Verfolgungsopfer, psychologische
Betreuung, Hilfe bei Neuanfang etc.). Zumdem finde ich es
wichtig, die Qualen, die Menschen erleiden oder erlitten haben
auch anzuerkennen. Das wichtige Stichwort in diesem
Zusammenhang ist meines erachtens Aussöhnung. Nur wenn
dies gelingt, kann man auf einen dauerhaften Frieden zwischen
Volksgruppen hoffen. Hier müssen sich aber gelegentlich beiden
Seiten mal etwas aus dem Fenster lehnen.
So spontan denke ich, dass man im allgemeinen sehr schnell(!) Entschädigung, Wiedergutmachung etc. leisten muss, will man Aussöhnung erreichen. Nur wenn Betroffene(!) beider Seiten sich in das Gesicht schauen und sich wieder langsam annähern, kann für mich Aussöhnung gelingen.
Bei „Geschädigten“, die nicht selber geschädigt wurden und „Schädigern“, die nicht selber schuldig wurden habe ich immer ein bisschen das Gefühl, dass sie miteinander umgehen wie zwei Menschen, deren Beziehung unter Verletzungen gescheitert ist, die aber nicht neuanfangen können.
Was soll das, Vermögen, das dem Urgroßvater genommen wurde, zurückzuverlangen? Ich habe ehrlich gesagt auch noch nie verstanden, warum ich von jemandem die Anerkenntnis einer Schuld verlangen sollten, die gegenüber meinen Vorfahren übernommen wurde. Was bringt das mir? Ich rätsele darüber immer, wenn ich die Diskussionen mit Tschechien und Polen höre etc.
Kann ein Anspruch aus einem Diebstahl oder Mord über
Generationen vererbt werden? Wo ist die Grenze?
Ich denke nicht, dass man hier überhaupt eine Grenze setzen
kann. Grundsätzlich muss ja erst überhaupt ein
Unrechtsbewusstsein vorhanden sein. Je länger etwas her ist,
desto schwerer ist es, bei den Tätern oder ihren
Rechtsnachfolgern ein Unrechtsbewusstsein zu finden.
Ich meine, es kommt doch viel mehr auf das heute und morgen an als auf das gestern. Das gestern verstellt doch häufig in unglaublichem (und für mich unverständlichen) Maße die Zukunft.
Hier
spielt natürlich der Gedanke rein, dass Täterschaft und die
damit verbundene Verantwortung nicht vererbt wird, Opfer-sein
hingegen häufig schon (z.B. wenn nachfolgende Generationen im
Dreck von irgendwelchen Flüchtlingslagern, Reservaten,
Homelands, pseudo-autonomen Gebieten etc. festsitzen oder wenn
im Familienstammbaum hinter jedem dritten Namen „ermordet“
auftaucht). Der Mensch vergisst nicht so schnell, was er oder
seine Vorfahren einmal ihr Eigen genannt haben.
Und das genau verstehe ich nicht. Aber wahrscheinlich bin ich viel zu wenig ein Familienmensch, als dass mich die vergangene „Schmach“ meiner Familie interessieren würde. Und da ich noch dazu eigentlich nicht an Besitz hänge (den ich mehr als Last denn als Genuss empfinde), kann ich vieles nicht nachvollziehen.
Denn in letzter Konsequenz artet ja eine
generationsübergreifende Entschädigung schnell in Sippenhaft
aus…
Um grade diesen Eindruck nicht entstehen zu lassen,
wurde ja die Entschädigung in D gesetzlich geregelt. Somit
sind für jeden, der sich wirklich dafür interessiert, die
Entschädigungsleistungen transparent.
Bleibt aber der Fakt, dass ggf. Nichttäter Nichtopfer entschädigen:wink:
Ich persönlich käme als Abkömmling von mehrmals vertriebenen
Hugenotten
oh, sind wir vielleicht verwandt ? 
Ich glaub, da gabs mehr davon, oder?
nicht auf die Idee, von Frankreich oder Polen
irgendetwas zurückzuverlangen. Das ist doch absurd…
Ich finde, da sprichst du einen sehr wichtigen Punkt an,
nämlich die Frage, warum kämst du nicht auf die Idee ?
s. auch oben.
a) Ich sehe es als Vergangenheit an. Geschichte ist für mich etwas, das war. Es ist für mich wichtiger, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, als die Vergangenheit zu ändern.
b) Wie gesagt: Besitz ist für mich kein Ziel an sich.
c) Ich fühle mich nicht als Opfer. Das ist vielleicht das wichtigste. Egal, was wer meiner Familie genommen hat (wenn überhaupt, wer weiß), es betrifft mich nicht. Wenn ich mich als Opfer fühlen würde, hätten andere Menschen als Täter „Macht“ über mich und ich wäre nicht frei.
Was unterscheidet dich z.B. von einem Opfer der NS-Diktatur ?
Genau das!
Interessanter Punkt
Grüße
Jürgen