Was müssten denn die indianer als wiedergutmachung

Moin Marion,

Bei „Geschädigten“, die nicht selber geschädigt wurden und
„Schädigern“, die nicht selber schuldig wurden habe ich immer
ein bisschen das Gefühl, dass sie miteinander umgehen wie zwei
Menschen, deren Beziehung unter Verletzungen gescheitert ist,
die aber nicht neuanfangen können.
Was soll das, Vermögen, das dem Urgroßvater genommen wurde,
zurückzuverlangen?

hm…beziehst du dich jetzt auf ein konkretes Beispiel ? Wenn
ja, welches ? Wo verlangt jemand Vermögen seines Urgroßvaters
zurück ?

Auslöser der Diskussion war ja die Anspielung auf ein scheinbares oder tatsächliches Recht der amerikanischen Ureinwohner auf Entschädigung…

hm…weiß jetzt nicht genau, was du meinst. Bezüglich
Tschechien und Polen kenne ich nur gegenseitige
„Schuld“-Vorwürfe. Anscheinend ist es ein Bedürfnis der
Völker, in der Geschichte wenigstens halbwegs „sauber“
dazustehen. Dazu ist es offensichtlich von großer Bedeutung
herauszufinden, wer den ersten Schuss abgefeuert hat, grade
so, als ergäbe sich daraus eine automaitsche Legitimation für
Massaker, Gemetzel und Menschenrechtsverletzungen aller Art.
Das ist eine „Moral“ mit der ich nun wiederum nicht so ganz
klarkomme.

Na ja, die „Schuld“-Vorwürfe gipfeln ja immer in der Bewertung von Entschädigungszahlungen, die erfolgt oder nicht erfolgt sind. Und hier stehe ich ebenfalls recht sprachlos dabei, denn wie sollen wir ein Europa bauen mit solchen Hürden aus der Vergangenheit…

Das ist richtig, aber ich denke, grade die Anerkennung der
Verantwortung für die Gräuel der Nazi-Zeit in D und der
Versuch um Wiedergutmachung (egal wie gelungen dieser nun
gewesen sein mag) hat IMHO für unser Land erst den Weg in eine
Zukunft geebnet.

Natürlich. Das war nach den Untaten nie die Frage. (Wobei, Japan fühlt sich z.B. bis heute nicht wirklich verantwortlich für die Gräuel der kaiserlichen Armee und ist interessanterweise trotzdem in der Zukunft:wink:)
Nein, ich halte die freiwillige Anerkenntnis der Verantwortung für einen ersten Schritt und die Entschädigung der tatsächlichen(!) Opfer für einen unabdingbaren zweiten Schritt. Traurig, dass diese beiden Schritte im Völkerrecht in der Regel nicht erfolgen.
Problematisch wird es, wenn man es unterläßt und es keine tatsächlichen Opfer mehr gibt.
Ein Beispiel: Die deutschen Gräuel an den Hereros in Afrika. Gibt es heute noch ein Recht auf Entschädigung? Schwierig, denn ich sehe schon die (auch heute nicht wirklich anerkannte) Verantwortung der Deutschen. Nur: Ist eine schnelle Entschädigung der richtige Ansatz? Sollten beide Seiten nicht lieber versuchen, über eine Entwicklungspartnerschaft zukunftsgerichtet zusammenzuarbeiten? Würde das nicht den natürlich unschuldigen, heutigen Deutschen das Gefühl einer ungerechtfertigten Bereicherung nehmen und den Hereros das Gefühl, nur Opfer zu sein?
Andererseits sehe ich natürlich den Anreiz eines schnellen und großzügigen Entschädigungstransfers. Wir könnten uns ein für alle mal loskaufen und die andere Seite kann sich sofort deutsche Autos kaufen (war zynisch, ich weiß). Die Geschichte lehrt uns aber regelmäßig, dass solche Transferleistungen schlicht verpuffen, was für beide Seiten schade wäre…

Wenn ich mir andere Länder anschaue, in denen
keine Vergangenheitsaufarbeitung jenseits kleiner,
wissenschaftlicher Kreise stattfindet oder stattgefunden hat,
dann hab ich den Eindruck, dass sich hier die Vergangenheit
viel eher wie ein Geschwür durch die Generationen zieht, dass
immer mal wieder hässlich aufbricht, nur um erneut krampfhaft
übertüncht zu werden (Beispiele: USA -> Völkermord an den
Ureinwohnern, Sklaverei oder GB -> Kolonialismus).

Ja

Ich denke, es gibt viele Familien, wo der Opfer-Status gradezu
zur Identität dazu gehört. Diese
Gruppen/Familien/Personen/Generationen definieren sich als
Gruppe durch eine Form des Opfer-Seins und dies wird auch
entsprechend zelebriert. Wenn ich mir anschau, wieviel Zulauf
immer noch diese Vertriebenenverbände finden, kann ich mich
nur wundern. Allerdings ist es natürlich immer sehr viel
schöner, eine Opfer-Identität zu haben (insbesondere dann,
wenn man selbst gar nicht Opfer war, sondern diesen Status
quasi „ererbt“ hat) als eine Täter-Identität zu haben.

Ja, ich sehe das ganz genauso. Opfersein ohne eigenes Opfer erleichtert scheinbar tatsächlich manches. Man kann wunderbar die Verantwortung für seine eigene Zukunft auf andere abwälzen nach dem Motto: „Das kann ich nicht, weil ich ja Opfer bin und die Täter mir die Möglichkeit genommen haben“ Es ist einfach bequem.
Aber es ist ebenfalls bequem, sich als Reicher von seiner Verantwortung loszukaufen…

Manchmal glaube ich, wir bräuchten eine internationale Schiedstelle für solche Dinge. Es kann nicht sein, dass Siegerjustiz die Verantwortungsübernahme definiert. Es kann nicht sein, dass Reichtum die Verantwortungsübernahme definiert. Es kann nicht sein, dass Größe die Verantwortungsübernahme definiert. Ein Traum…

Grüße
Jürgen

Moin Jürgen,

hm…beziehst du dich jetzt auf ein konkretes Beispiel ? Wenn
ja, welches ? Wo verlangt jemand Vermögen seines Urgroßvaters
zurück ?

Auslöser der Diskussion war ja die Anspielung auf ein
scheinbares oder tatsächliches Recht der amerikanischen
Ureinwohner auf Entschädigung…

Ach ja, ich vergaß. Mir erschien der Einwurf von Oberasi dermaßen uninformiert, dass ich das gar nicht ernst nehmen konnte.

Zur Erläuterung: Zwischen den USA (bzw. diversen US-Amerikanischen Regierungen) und Gruppen der Ureinwohner gibt Verträge, die im Grunde staatsrechtlich bindend waren und sind. Der Wiederholte Bruch dieser Verträge durch dieverse US-Regierungen, sowie die Anstrengungen der Ureinwohner, doch noch zu ihrem vertraglich gesicherten Recht zu kommen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte seit Beendigung des Unabhängigkeitskriegs 1784 bis in die 50-er Jahre hinein bis heute.

Einen kleinen Überblick findest du z.B. hier:http://www.geocities.com/kurtjost/zeittafel1.htm

Hier geht es also bis heute keineswegs um „Wiedergutmachungsleistungen“ bezüglich Eigentum was irgendwelchen Urgroßvätern weggenommen wurde, sondern um das Einhalten von Verträgen mit einem Staat, der seitem eine kontinuierliche Rechtsnachfolge hatte. Das ist nach meinem Verständnis eine völlig andere Situation.

Na ja, die „Schuld“-Vorwürfe gipfeln ja immer in der Bewertung
von Entschädigungszahlungen, die erfolgt oder nicht erfolgt
sind. Und hier stehe ich ebenfalls recht sprachlos dabei, denn
wie sollen wir ein Europa bauen mit solchen Hürden aus der
Vergangenheit…

Ehrlich gesagt glaube ich, dass das nur noch ein paar letzte Zuckungen sind, angeregt durch den Fall des „Eisernen Vorhangs“ und die Integration erster Staaten in die EU. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa will doch eine friedliche, gemeinsame und wirtschaftlich starke Zukunft. Mittlerweile steht es ja vielen Nachkommen von ehemaligen Vertriebenen frei, für eine Hand voll Euro ihr ach so geliebten Länderein in Osteuropa wieder zu erwerben und sich dort niederzulassen. Allerdings macht das kaum einer, komisch, nicht ? Ich wage mal zu behaupten, dass das nicht daran liegt, dass die Leute das Geld nicht haben, um ihren Besitz zurückzukaufen.

Das ist richtig, aber ich denke, grade die Anerkennung der
Verantwortung für die Gräuel der Nazi-Zeit in D und der
Versuch um Wiedergutmachung (egal wie gelungen dieser nun
gewesen sein mag) hat IMHO für unser Land erst den Weg in eine
Zukunft geebnet.

Natürlich. Das war nach den Untaten nie die Frage. (Wobei,
Japan fühlt sich z.B. bis heute nicht wirklich verantwortlich
für die Gräuel der kaiserlichen Armee und ist
interessanterweise trotzdem in der Zukunft:wink:)

Dafür sind die japanisch-chinesischen Beziehungen ein ständiger Eiertanz. Ich denke, Frankreich und selbst Polen und Deutschland sind da doch schon um einiges weiter.

Ein Beispiel: Die deutschen Gräuel an den Hereros in Afrika.
Gibt es heute noch ein Recht auf Entschädigung? Schwierig,
denn ich sehe schon die (auch heute nicht wirklich anerkannte)
Verantwortung der Deutschen. Nur: Ist eine schnelle
Entschädigung der richtige Ansatz? Sollten beide Seiten nicht
lieber versuchen, über eine Entwicklungspartnerschaft
zukunftsgerichtet zusammenzuarbeiten? Würde das nicht den
natürlich unschuldigen, heutigen Deutschen das Gefühl einer
ungerechtfertigten Bereicherung nehmen und den Hereros das
Gefühl, nur Opfer zu sein?
Andererseits sehe ich natürlich den Anreiz eines schnellen und
großzügigen Entschädigungstransfers. Wir könnten uns ein für
alle mal loskaufen und die andere Seite kann sich sofort
deutsche Autos kaufen (war zynisch, ich weiß). Die Geschichte
lehrt uns aber regelmäßig, dass solche Transferleistungen
schlicht verpuffen, was für beide Seiten schade wäre…

Einverstanden, nur denke ich, die Priorität sollte sich aus einer generellen Verantwortung für die Welt, in der wir Leben ergeben, und nicht daraus, ob wir noch bezüglich irgend einen Volkes ein schlechtes Gewissen haben sollten.

Ja, ich sehe das ganz genauso. Opfersein ohne eigenes Opfer
erleichtert scheinbar tatsächlich manches. Man kann wunderbar
die Verantwortung für seine eigene Zukunft auf andere abwälzen
nach dem Motto: „Das kann ich nicht, weil ich ja Opfer bin und
die Täter mir die Möglichkeit genommen haben“ Es ist einfach
bequem.

Nun ja, das muss zum Glück nicht unsere gesellschaftliche Sorge sein, auch wenn es um den Einzelnen natürlich schade ist. Ich denke, die Zahl derer in D, die sich noch als historisches Opfer (z.B. von Vertreibung) sehen, ist doch reichlich gering. Letztendlich kann hier wohl nur eine Psychotherapie helfen.

Aber es ist ebenfalls bequem, sich als Reicher von seiner
Verantwortung loszukaufen…

Ja, natürlich.

Manchmal glaube ich, wir bräuchten eine internationale
Schiedstelle für solche Dinge. Es kann nicht sein, dass
Siegerjustiz die Verantwortungsübernahme definiert. Es kann
nicht sein, dass Reichtum die Verantwortungsübernahme
definiert. Es kann nicht sein, dass Größe die
Verantwortungsübernahme definiert. Ein Traum…

IMHO kann nur das eigene Gewissen Verantwortungsübernahme definieren.

Gruß
Marion

Hallo Juergen,
eine Aussöhnung kann nur funktionieren, wenn die finanziellen Mittel auch bei den Geschädigten ankommen. Das tun sie aber meist nicht (lt.Finkelstein).
Genauso klappt es nicht, wenn der Geschädigte dem Schädiger trotz dessen Reue und Leistungen permanent ins Gesicht schlägt.
Wie soll da eine wirkliche Freundschaft entstehen?
Grüße
Raimund

Nix. Die haben doch damals Feuerwasser und Glasperlen bekommen und somit ihr Land „rechtmäßig“ verkauft.

… würde Bush sagen.

Gruß Holger