Hallo,
zunächst sei auf eine hier schon geführte Diskussion verwiesen:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
Dann grundsätzlich: Wir können wohl schlecht die allgemeinen Menschenrechte von dem kulturellen und geistesgeschichtlichen Kontext trennen, in dem sie verfasst wurden.
Wer somit die allgemeinen Menschenrechte von der Rezeptionsgeschichte (sic!) der Bibel bzw. der heiligen Schriften den Juden- und Christentums trennen möchte, hängt einer bestimmten Geschichtsphilosophie, dessen aber wohl eher unbewusst einer gewissen Ideologie an.
Das gälte übrigens (und der Vollständigkeit halber) auch für eine Trennung europäischer Geistesgeschichte von der Antikenrezeption des Humanismus und der späteren Aufklärer.
Die ideologisch vorgenommene Trennung, „Antike oder Christentum“, ist historisch nun mal falsch und ignoriert grundlegende Erkenntnisse der Geistes-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte.
Und um nicht wieder unsinnige Diskussionen hervorzurufen: Wenn man von christlicher Geistesgeschichte redet, dann heißt das sicherlich nicht, hier ist von der Kirche als Institution die Rede.
Es geht vielmehr um die Frage der Plausibilität von (Grund)werten und deren Gültigkeit. Man kann die jeweilige Referenzfunktion sowie vor allem die zeithistorisch spezifische Hermeneutik einer Schrift wie bspw. der Bibel nun mal nicht ignorieren.
recht häufig begegnet man der Meinung, dass die Grundlagen für
die allgemeinen Menschenrechte in der Bibel gelegt wurden.
Die Begründung der Forderung nach der Gleichheit aller Menschen wurde in den ersten Formulierungen der Menschenrechte (siehe z.B. die Amerikanische Verfassung) immer biblisch (Schöpfung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes) begründet.
Umgesetzt wurde diese Gleichheitsvorstellung übrigens weder von den USA noch von den französischen, säkularen Revolutionären.
Die Frage ist, ob wir das heute tun…
Manche würden vielleicht sogar behaupten, dass die
Menschenrechte, wie wir sie heute haben und sie uns als
selbstverständlich erscheinen, heute gar nicht in dieser Form
geben würde, wenn sie nicht damals in der Thora, in den 10
Geboten, in der Bergpredigt als Gebote festgelegt worden
wären.
Für den europäischen Kontext ist die Bibel nunmal - zumindest bist ins letzte Jahrhundert hinein - eine entscheidende Autorität gewesen.
Was ich mich aber frage ist, hätten die Menschen eigentlich
selber darauf kommen können?
Ich meine, braucht man tatsächlich göttliche Führung, um zu
erkennen, dass es falsch ist zu töten oder zu stehlen und dass
es andererseits etwas Gutes ist, dass man seine Eltern ehrt?
Man kann diese einfachen Regeln herleiten, auch ohne die
Existens eines Gottes oder göttlicher Gebote vorauszusetzen,
das hat die Philosophie gemacht.
Zur Vollständigkeit: Zumindest die antike Philsophie als ein dem religiösen völlig Fernes zu verstehen, ist schwierig. In Platons Staat möchte ich übrigens auch nicht leben.
Aber: Hier wird die mE falsche Alternative gemacht.
Eigentlich ist es lustig: Jeder, der hier laut aufschreit „Nein, nein, die Menschenrechte haben gar nichts mit der Bibel zu tun, sondern nur mit der menschlichen Vernunft!“, scheint damit auch zu argumentieren: Die Bibel ist göttlich inspiriert. Deswegen wird in der Argumentation die Bedeutung der Bibel abgelehnt zugunsten einer nicht weiter definierten (hauptsache nicht christlichen / kirchlichen) menschlichen Vernunft.
Dann werden noch andere, angeblich nicht religiöse Völker aufgezählt, die angeblich auf dieselben Ideen gekommen seien.
Richtiger wäre es mE, die BIbel als das zu lesen, was sie mit Sicherheit ist (und zumindest für einen nicht-religiösen Menschen nur sein kann): Ein Stück antiker Literatur.
Dann sind eben nicht nur Azteken und Griechen auf die dolle Idee gekommen, dass es besser ist, niemanden zu töten, sondern eben auch Juden.
Die Frage nach der sakralen Begründung ist eine völlig andere.
Die Frage, ob wir heute zur Begündung allgemeiner Menschenrechte von numinosen /sakralen/ religiösen Legitimierungen absehen können, ebenfalls.
Die historische Frage, welche Rolle derartige Legitimierungen gespielt haben, auch.
Was denkt ihr? Kann man wirklich behaupten, dass unser
Rechtssystem, unsere Werte, heute andere wären, wenn es die
Bibel nicht gebe?
Eine kaum zu beantwortende Frage.
Und weiter: Hat denn die Bibel durch die Einführung 10 Gebote
tatsächlich etwas neues gebracht oder den bereits bestehenden
Regeln des Miteinander eine verbindliche, schrifftliche Form
verpasst?
Das müsste man bei den einzelnen Geboten der Bibel (Elimelech machte ja allein schon auf die Menge aufmerksam) entscheiden.
Die schriftliche Niederlegung von Gesetzen (!) ist jedoch ein entscheidenden Kriterium für ein Rechtssystem, dass ja erst dadurch verbindlich werden kann.
grüße
Taju