unsere Differenz
Hallo Flora,
ich denke, unsere Differenz ist gar nicht so groß, nur dass dir eben die Ratio zu trocken ist und mir das Spüren zu diffus.
Für falsch halte ich deine Meinung
dass Philosophie eben über ein Spiel, das seine Reize durchaus hat,
nicht hinaus geht.
- das kann man nun wirklich nicht sagen. Allenfalls gilt das für die reine (aber auch wirklich nur für die reine) Philosophiehistorisiererei, wo die Philosophie dem Alltag nichts mehr zu sagen hat. Aber selbst hier würde ich sagen, dass es nicht wirklich nur ein Spiel ist, eher vielleicht die nötige Zuarbeit für die Anderen, die darüber hinausgehen wollen.
Habe nie verstanden, warum nicht ihre Bücher in den Schulen
zum Thema Deutschlandvergangenheit gelesen werden.
Auszüge aus „Eichmann in Jerusalem“ werden - soweit ich weiß - durchaus gelesen bzw. liegen gedruckt in Schulbüchern vor.
Es passiert Dir hin und wieder, dass Du Schlüsse ziehst, die
Du nicht überprüfst am Gegenüber, und darauf Thesen aufbaust.
Wenn du das Wort „wenn“ durch das Wort „falls“ ersetzt, dann hast du meine Absicht besser beschrieben. Ich ordne dir nicht zu, sondern formuliere mögliche Antworten von dir und beantworte sie prophylaktisch. Wenn etwas davon nicht zutrifft, ist das doch in Ordnung. Ich schreibe nur nicht jedesmal dazu, dass die Bemerkung hypothetisch gemeint ist.
Es geht mir nicht um den Gefühlsaspekt- das ist wichtig-, …
Was ich gesagt habe, war „Spüren“.
Die Gefahren für solch ein Spüren sind aus meiner Sicht zu groß, selbst wenn es im positiven Sinne gelegentlich wertvoll ist.
Mit Spüren meine ich, als ganzes Wesen, ohne Verstand, welcher
nur Werkzeug sein darf, isoliert zu haben, die Angemessenheit
in einer Situation zu erspüren. Es kommt dem Begriff der
Intuition nahe, und setzt unbedingt Bewusstsein vorraus.
Das Thema der Angemessenheit ist seit der Antike ein philosophisches Thema.
Das richtige Maß wird schon bei den Vorsokratikern diskutiert. Was die Angemessenheit von Situationen angeht, so interessiert mich das selbst brennend, weil ich darüber schon seit etwa 10 Jahren intensiv nachdenke. Allerdings meine ich das Problem nicht durch Intuition oder „Spüren“ lösen zu können/dürfen/müssen, sondern durch logische Analyse von Situationskonstanten. Freilich würde eine eingehende Diskussion hier zu weit führen, ich wollte nur deutlich machen, dass ich an derselben Sache interessiert bin. Was mir bei deiner Formulierung missfällt, ist die aus meiner Sicht unkritische Verwendung des Begriffs „Bewusstsein“. Jedenfalls sagt der Begriff so verwendet nicht sehr viel aus.
[Wenn (falls *g*) es dich interessiert, habe ich auch einen moderneren Literaturtipp: Klaus Günther, Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht, Frankfurt 1988 (Günther ist Habermas-Schüler). Der Ansatz geht mir nicht weit genug, ist aber - wie ich finde - bedenkenswert.]
So mag ich auch einen Begriff, der aus der Jungianischen
Richtung kommt, „Spürbewusstsein“.
Ich kenne Jung recht gut (wenn auch nur aus dem Gedächtnis - lange her), aber an diesen Begriff erinnere ich mich nicht. Die Gefährlichkeit des Jungschen Ansatzes ist dir bewusst? Ich will den Ansatz von Jung ja nicht schlecht machen, ich habe ihn sogar lange für den einzig richtigen gehalten, aber die möglichen (!) Gefahren sind doch zu groß, denke ich.
Woran es mangelt, ist die rationale Beurteilung.
Vollste Zustimmung.
Das wundert mich jetzt aber sehr …
Ich glaube nicht, dass in unserer Zeit, die sich durch eine
hochgradige Tendenz zur Spaltung auszeichnet, insbesondere zur
Abspaltung von Gefühlen, die sich in Folge dann
verselbstständigen,das ein weiser Weg ist.
Ganz richtig, die Abspaltung von Gefühlen ist ein Irrweg, das sehe ich auch so. Nur würde ich sagen, dass die nötige Integrierung von Gefühlen nur dann sinnvoll möglich ist, wenn man *intern sozusagen* klar trennt. Wer diese Trennung als Spaltung bezeichnet, der überstrapaziert schon in der Begrifflichkeit. Eigentlich ist die Gleichsetzung von Trennung und Spaltung schon ein Beispiel dafür, dass die Trennung (und eben nicht die Spaltung) notwendig ist, nämlich sozusagen die Trennung zwischen „Spaltung“ und „Trennung“. Nenn es meinetwegen „Differenzierung“, aber es kommt auf dasselbe hinaus. Wer zuviel vermischt, hat am Ende keine Möglichkeit mehr, sein eigenes Handeln zu bewerten - und das hat seinen Grund darin, dass die Wertung schon in der Handlung steckt und damit immun wird gegen Argumente.
Ich behauptete damit, dass mir das „Spürbewusstsein“ in der
Philosophie fehlt.
Es fehlt nicht, es ist nicht das Thema der Philosophie.
Computer haben nicht nur keine Gefühle (ein Glück, dass sie
die nicht haben), sondern vor allem auch keine Seele, und kein
Bewusstsein.
Der Begriff „Seele“ ist so vieldeutig, dass man mit ihm alles und also gar nichts besagt. Die Verwendung des Begriffs „Seele“ ist ein Appell, aber die Seele ist keine sinnvolle Entität. Ich kann natürlich - wie Jung das gemacht hat - die Seele definieren und vom Ich absetzen etc. Aber was ist damit gewonnen?
ich meine, es ist nie gut zu spalten.
Aber ich hoffe, dass man differenzieren darf.
Und es ist in jeder Lage wichtig, bewusst zu sein.
Das sagt mir nichts, weil das Wort „bewusst“ sich nicht selbst bewusst ist (wenn ich das mal etwas überspitzt formulieren darf).
solange bleibt es immer nur -relatives- Wissen, und somit ein Spiel, und kann
nicht Weisheit werden.
Hier wirfst du wieder alles in einen Topf. Nur weil es „relativ“ ist, soll es ein „Spiel“ sein? Warum denn das? Und „Weisheit“ will ich nicht beurteilen, die Philosophie setzt sich nicht umsonst von Weisheitsansprüchen ab. Ich zitiere Nietzsche, der nun wirklich nicht im Ruf steht, „wissenschaftlicher Philosoph“ zu sein: „Der falsche Gegensatz von vita practica und contemplativa ist asiatisch. Die Griechen verstanden es besser.“ (aus: „Wissenschaft und Weisheit im Kampfe“)
Und das gelingt mal besser und mal schlechter…
Das gilt für alles Menschliche, selbst für das „Spüren“.
Das ist per definition unmöglich und auch nicht erstrebt, weil
dann ja wieder ein Teil, ein Werkzeug zu viel mehr gemacht
würde, als es sein kann.
Deswegen kritisiere ich ja die Definition, weil sie der Sache nicht gerecht wird.
Philosophie ist nicht in der Lage, Mystik zu beurteilen.
Einverstanden, nur will sich Mystik ja auch nicht mitteilen. Mit anderen Worten: Jedes Plädoyer für Mystik ist ein Widerspruch in sich.
Das ist ein Weg unter vielen.Meiner wäre es nicht.Warum denn
die Leiter wegwerfen???
Wen stört denn die Leiter?
Auch einverstanden. Nur: Viele Ganzheitstheoretiker nehmen statt der Leiter lieber die bequemere Treppe oder gleich den Lift (wenn du verstehst, was ich damit sagen will).
Nun, ich messe der Leiter einfach nicht die Bedeutung bei, die
Du ihr gibst.Und vor allem identifiziere ich mich nicht mit ihr.
Was soll denn das heißen? Identifikation als Vorwurf? Nein, das kann nicht dein Ernst sein. Philosophie ist mein Beruf, und weil ich meinen Beruf ernst nehme, versuche ich ihn, gut zu machen. Dass die Philosophie aufgrund ihres besonderen Status auch ins Privatleben reicht (jedenfalls bei mir), müsste von dir doch eigentlich positiv gewertet werden (weil ich nicht zwischen Beruf und Leben trenne - oder spalte, wenn du willst). Spaltest du nur da, wo es dir gerade passt? Ich sehe da einen Widerspruch.
es geht um Bewusstsein, und aus dem ergibt sich, dass
Verstand nicht mehr als ein Werzeug ist, und zu diesem Schluss
kann man eben auch durch ein tieferes „Wissen“, als das das
Verstandes kommen.
Dazu bedarf es dieses „tieferen Wissens“ eigentlich nicht, denn jeder, der Philosophie richtig betreibt, weiß das schon (seit der Antike). Was du kritisierst, sind Auswüchse, aber indem du die Auswüchse kritisierst, schüttest du das Kind mit dem Bade aus. Es ist nicht die Philosophie, die das Maß verloren hat, sondern es sind die, die behaupten, „tieferes Wissen“ (als das der Philosophie) zu haben: Denn diese Menschen dürfen fröhlich spalten (zwischen Wissenschaft und Weisheit, zwischen Denken und Fühlen, zwischen Wissen und Handeln), aber sie verbieten den Anderen einfache und notwendige Differenzierungen. Das ist der - eigentlich offensichtliche - Fehler.
Herzliche Grüße
Thomas Miller