Wenn ich den job nich mache, macht ihn wer anderes

Hallo!

Ich habe eine Frage, in der es weniger um Religion, sondern eher um Ethik geht. Vielleicht kann man auch wie die Theologie mit Auschwitz umgeht da noch reinspielen lassen.

Meine Frage ist:
Kann man noch so argumentieren?
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat keine Auswirkung.“

Das spielt zum Beispiel darauf an, ob jemand, der (im Auftrag seiner Firma) Aufträge an chinesiche Fabriken (oder an andere Fabriken, wo es keinen vernünftigen Arbeitsschutz, keine Sicherheit am Arbeitsplatz, kein Recht Arbeitnehmervertreter zu wählen gibt, wo keine Gewerkschaften gegründet werden dürfen die Menschen zu wenig verdienen, wo Menschen wegen Arbeitsunfällen mittellos auf die Strasse gesetzt werden, wo schwangeren Frauen gekündigt wird [Ich denke es kennen alle die Zustände] etc.)gibt und dabei bewusst um sich/seine Firma zu bereichern die Kosten so sehr drückt dass die Arbeiter in den betreffenden Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen.
Wenn derjenige zwar denkt dass die Menschen dort ausgebeutet werden aber sich damit rechtfertigt:
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat keine Auswirkung.“

Oder als Anderes Beispiel:
Ein grosser Konzern will die Gewinne erhöhen. Die Arbeiter, die darunter zu leiden haben, streiken. Die höheren Angestellten machen aber nichs, weil sie Angst haben ihren Job zu verlieren.
Wenn diese höheren Angestellten sich mit:
„Wenn ich in dem Job, den ich mache, die Arbeiter bei ihrem Streik/Boykott unterstütze, werde ich gefeuert und dann übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Engagement für die Arbeiterschaft hat nichts genutzt.“
rechtfertigen. Ist das ethisch, moralisch ohne faden Beigeschmack?

Worauf ich anspiele:
Entschuldigungen vieler Deutscher nach dem 2. Wk, sie hätten von nichts gewusst…mögen ja teilweise der Wahrheit entsprechen, aber darf man: „Ich habe von all dem nichts gewusst.“ überhaupt in dem fall heute noch anbringen?

Und bezogen auf:
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat keine Auswirkung.“
Haben mit dieser Aussage nicht KZ-Wärter ihre Handeln entschuldigt?

besonders hierzu würde ich mich über Quellen freuen.

Ich freue mich auf Antworten und Reaktionen

Birgit

p.s.: ich bin erst seit gestern hier registriertes Mitglied und hoffe meine Frage passt hier hinein.

Hallo,
ich kann deine Frage leider nicht per Quellen bzw. Links beantworten.
Diese Frage ist bestimmt schon oft diskutiert worden, aber ich würde sie gern von meinem Standpunkt bewantworten.

Ich denke die Antwort „dann mach es jemand anderes“ ist in dem Sinne nicht legitimiert, dass durch die persönliche Verweigerung ja auch ein Signal ausgeht. Dieser spricht den Fragesteller bzw. den Zwangausübenden ntl. auch an, und, wie so oft im Leben, ist doch eine Antwort, die von Herzen kommt, also die deine persönliche Einstellung zum Ausdruck bringt, die die auch vom Geist/Intellekt des anderen am wenigstens angreifbar ist.

Ich will es mal so sagen, wenn du dich nicht verweigerst, wer soll es sonst tut, wer wenn nicht ich/du…

Ein anderer Gesichtspunkt ist aber, wenn durch die Entscheidung dein Leben direkt bedroht ist. Also angenommen du bist Soldat (Szenario: WK2, totalitärer Staat) und sollst Zivilisten erschiessen, oder du wirst selbst ermordet.

In solch einer Situation kann der Gewissen und deine Willenstärke dir sonst etwas sagen, aber dein Überlebenswille ist stärker. Was wiederum, meiner Meinung nach darauf zurückzuführen währe, dass wir Tiere sind, klingt hart. Und du hast in diesem Fall auch die Entscheidungsgewalt, aber du (und damit ja auch deine Einstellung, die ja den anderen überlegen ist) soll überleben.

Ähnliches gilt auch für den chin. Vorgesetzten der seine Angestellten gefährliche/lebensbedrohliche Arbeiten ausführen läßt. Aber wenn er sich dieser Anforderung verweigert, er somit wahrscheinlich seinen Job verliert, sich dass rumspricht, und seine Familie elendlich verarmt da er keinen Job mehr findet, ist dies eine ähnliche Situation.

Meine Aussage ist etwas wiedersprüchlich, aber ich denke dem Gewissen kann nur solange Rechnung getragen werden, wie man sicht nicht selbst in einer existenziellen Situation befindet.

Bon noite,
Julius

Hallo Biggi

Meine Frage ist:
Kann man noch so argumentieren?
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann
übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat
keine Auswirkung.“

mit diesem Satz wurde schon viel Feigheit und (Denk)Faulheit bzw. Bequemlichkeit rechtfertigt.

Er führt in letzter Konsequenz zum absoluten Chaos und Rechtlosigkeit bzw. Faustrecht.

Nein! Man kann nicht so argumentieren.
Mir deiner Weigerung setzt Du ein Zeichen. Wenn viele sich weigern geht es vorran und wenn alle es tun, dann ist es gut.

Gandalf

Hallo Birgit,

[Theologie mit Auschwitz umgeht]

:wink:

Meine Frage ist: Kann man noch so argumentieren?
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann
übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt
hat keine Auswirkung.“

Das ist die „Normative Kraft des Faktischen“, wie
man so schön sagt. Am Ende „arbeitet“ man weiter.

Warum?

Es ist schon „in Ordnung“, denn es wird ja
von Leuten mit ernsten Gesichtern befürwortet.

„In unserem Betriebsteil zur Fertigung von
Gefechtsköpfen für Biologischen Waffen gibt
es jetzt eine Gewerkschaft, die sich für die
Rechte von Behinderten einsetzt!“

Haben mit dieser Aussage nicht KZ-Wärter ihre
Handeln entschuldigt?

Der „KZ-Wärter“ brauchte gar nichts „zu entschuldigen“,
denn er wurde nicht angehört. Der durchschnittliche SS-
Beamte fuhr jeden Morgen mit dem Fahhrad nach Birkenau
oder Monowitz oder ins Hauptlager, ging dort „zur Arbeit“
und fuhr abends wieder mit dem Fahrrad nach Hause zu
seiner Frau und zu seinen zwei Kindern, denen er beim
Einschlafen eine Geschichte vorlas (z.B. Deutsche
Volksmärchen der Gebr. Grimm).

Letztlich waren das Arbeiter und Angestellte einer
„Industrie“, wenn auch einer „radikal neuen“. Und
keinesfalls einer konzeptionell Unmodernen bzw.
Altmodischen.

Und: Moderne Industrie - das finden wir doch auch
gut, wenn jemand unsere Panzerbrechenden Waffen
(Rheinmetall) oder Clusterbomben (EADS bis 2006)
kauft usw.

Resumé: Ausbrechen unmöglich :wink: Man kann sich
höchstens einen „schönen Schein“ verpassen

Mein Senf,

Grüße

CMБ

Hallo,

das Ganze ist ja ein uraltes Thema und letzlich immer wieder eine heikle persönliche Entscheidung.
Es läßt sich darauf reduzieren, inwieweit materielle Vorteile einen Vorrang vor moralischen und ethischen Aspekten haben - und abnehmen kann Dir die Entscheidung keiner.
Eigentlich hatten die KZ-Aufseher da noch die besseren Argumente. Denn da ging es ja nicht nur um den Verdienst - die hätten bei einer Weigerung den zumindest sehr lebensgefährlichen Fronsteinsatz als Alternative gehabt im besten Fall und im schlimmsten Fall ein eventuell gleich tötliches Verfahren wegen Befehlsverweigerung (Vorher wußte ja keiner, wie die Vorgesetzten reagieren würden).
Da ging es knallhart um die Frage, zum Mörder zu werden oder unter Umständen selber zu sterben.
Hier ist natürlich nun die Möglichkeit der moralischen Ausrede viel größer. Die Globalisierung kommt sowieso und letztlich stirbt ja keiner dabei. Und mit etwas gutem Willen kann man auch noch das Argument konstruieren, daß ja damit in der 3. Welt zumindest Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten geschaffen werden. Ganz von der Hand zu weisen ist das ja nicht - die mieseste Hungerlohn ist immer noch besser als gar kein Verdienst. Ganz so einfach mit Schwarz-Weißdenken funktioniert ja das Schema nicht.
Trotzdem bleibt natürlich das moralische Problem.

Es gibt nur eine Antwort: Die einzige wirkliche Instanz, vor der Du Dich verantworten mußt, ist Dein eigenes Gewissen. Und Du mußt für Dich sehen, mit welcher Entscheidung Du auf Dauer zufrieden kannst.
Natürlich wirst Du nichts wirklich ändern mit einer Weigerung. Aber Du kannst dann wenigstens für Dich in Anspruch nehmen, nicht selber dabei zu sein. Und das kann eine ganze Menge sein, wenn außer Dir noch mehr die Kraft aufbringen „nein“ zu sagen.

Gernot Geyer

ich denke nicht, dass man die beiden punkte china und kz miteinander vergleichen kann. bei einer Weigerung eines KZ wärter ging es ja tatsächlich um die frage:; er oder ich. es ist daher auch verständlich (wenn auch moralisch für uns nicht tragbar)dass ein kz-wärter seinem eigenen leben den vorzug gibt, besonders deshalb, weil ja durch jahrelange propagandaarbeit (und das begann schon lange vor der errichtung des ersten KZ)bei kindern und jugendlichen und auch bei erwachsene das rassengefühl geschürt wurde. wer wäre auf die Idee gekommen, anzuzweifeln, dass die ins kz deportierten keine menschen zweeiter klasse und damit nicht lebensberechtigt wären? schliesslich ist sich doch jeder selbst der nächste und sündenböcke werden da nur zu gern angenommen. mit unserem verständnis von menschenwürde ist das natürlich nicht vereinbar.
ich wage zu bezweifeln, dass jemand, der sich im kz geweigert hätte, den anweisungen zu folgen, ein zeichen gesetzt hätte, ausser dem, dass er sein eigenes leben in gefahr gebracht hätte.
natürlich verhält es sich ähnlich bei firmen die in genannter weise die ausbeutung chinesischer arbeiter fördern. im normalfall wird auch hier ein einzelner durch eine weigerung kein zeichen setzen. natürlich liegt der unterschied darin dass das leben nicht bedroht ist. ich kann dem satz „Wenn ich den job nich mache, macht ihn wer anders“ zustimmen, denn die einzige möglichkeit besteht darin, das problem aktiv anzugehen

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hi Biggi,

„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann
übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat
keine Auswirkung.“
Haben mit dieser Aussage nicht KZ-Wärter ihre Handeln
entschuldigt?

Irgendwie erinnert mich das an das Milgram Experiment: http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment

mfg Ulrich

Hallo Biggi,

Worauf ich anspiele:
Entschuldigungen vieler Deutscher nach dem 2. Wk, sie hätten
von nichts gewusst…mögen ja teilweise der Wahrheit
entsprechen, aber darf man: „Ich habe von all dem nichts
gewusst.“ überhaupt in dem fall heute noch anbringen?

Mich würde bei einer solchen Aussage interessieren, welche Funktion sie hat. Meine Erfahrung ist, wer damals als Erwachsener lebte und es wissen / wahrnehmen wollte, konnte wissen, daß Juden diskriminiert, ausgegrenzt und deportiert wurden.

„Judenauktionen“, in denen die Haushalte von Deportierten versteigert wurden, wurden regelmässig in Lokalblättern und im Völkischen Beobachter inseriert. Ich war bei meiner Arbeit in Archiven sehr erstaunt, daß da Leute aus kleinen Orten, die 150 - 200 km entfernt lagen, Gegenstände ersteigerten. Es ist nämlich heute noch nachvollziehbar, wer die fünf Mokkatassen aus dem Haushalt xy ersteigert hat.

Dazu zwei Beispiele aus meinem Erfahrung:

Eine Frau, die ich öfter bei öffentlichen Veranstaltungen erlebt habe, und die nach eigenen Aussagen bei Kriegsende 17 Jahre alt war, insistierte immer wieder vehement darauf, man habe nichts davon wissen können. Das sei alles nachts und in aller Heimlichkeit gelaufen.
Nun, die Frau wohnte um die Ecke eines Deportationssammellagers, das für tausend Personen ausgelegt war. Und es gibt Fotos, daß die zu Deportierenden tagsüber in Fünferreihen durch die Straße getrieben wurden, in der jene Frau wohnte.

Andererseits habe ich einen Jugendlichen erlebt, der aus einem Kuhkaff in Ostfriesland aufwuchs. Der sagte mir: „Wir wußten alles. Bei uns gab es zwar keine Juden. Aber wir wußten alles, denn wenn die jungen Soldaten aus dem Osten im Fronturlaub zuhause waren, dann erzählten sie, was sie dort gesehen hatten.“

Viele Grüße

Iris

Hallo Iris

[„Ich habe von all dem nichts gewusst.“]

Mich würde bei einer solchen Aussage interessieren,
welche Funktion sie hat.

Da ist nicht viel. Das tritt doch immer auf, wenn
die Tragweite des „Ereignisses“ weit jenseits der
Verständnismöglichkeiten des Individuums liegt.

Ich vermute daher mal, dass es den tatsächlichen
KL-Insassen und Opfern nicht anders gehen wird.
Auch diese können oder konnten das nicht „wissen“,
was dort geschieht. Man hat immer nur Wahrnehmungs-
fragmente, die sich in das „Vorstellungsmögliche“
einpassen müssen.

Wir „heutigen“ operieren mit Symbolen und
Sprachkonstrukten, in deren Geltung wir
hineingeboren wurden.

Eine Frau, die ich öfter bei öffentlichen Veranstaltungen
erlebt habe, und die nach eigenen Aussagen bei Kriegsende 17
Jahre alt war, insistierte immer wieder vehement darauf, man
habe nichts davon wissen können.

So ist es (s.o.)

Das sei alles nachts und in aller Heimlichkeit gelaufen.

Das ist einerseits natürlich eine (an sich unnötige)
Rationalisierung der Fakten „vor der eigenen Psyche“.

Aber: Bestimmte Aktionen wurden natürlich vor
der Bevölkerung zu verbergen versucht, sofern
man aus pragmatischen und ästhetischen Gründen
„Verstimmungen“ der „noch nicht so national-
sozialistischen Volksgenossen“ befürchten musste.

Andererseits habe ich einen Jugendlichen erlebt, der aus einem
Kuhkaff in Ostfriesland aufwuchs. Der sagte mir: „Wir wußten
alles. Bei uns gab es zwar keine Juden. Aber wir wußten alles,
denn wenn die jungen Soldaten aus dem Osten im Fronturlaub
zuhause waren, dann erzählten sie, was sie dort gesehen
hatten.“

Das ist quasi die „umgekehrte Rationalisierung“.
Genausowenig wie obige Beispiele konnte dieser
Jugendliche „es wissen“ oder gar begreifen, was
über Fragmente aus Erzählungen hinausging.

Aber nachgerade klingt es natürlich sehr heroisch,
„alles gewusst zu haben“, sofern es nicht darauf
ankommt - und es einen nun auf die Seite der Guten
setzt.

Mein Senf,

Grüße

CMБ

Hallo,

nun möchte ich ja bezweifeln, obv die wirklich alles wußten, nur weil sie an der Ostfront waren. Mir wird nämlich nicht so ganz klar, wieso man als Soldat an der Ostfront automatisch das Ausmaß von Auschwitz gekannt haben sollte. Ganz abgesehen von der Frage, wieso die nichts dagegen getan haben, wenn sie doch alles wußten…

In Wirklichkeit wußte nämlich kaum einer „alles“. Und da sind auch die Versteigerungen jüdischen Eigentums und die Deportationen kein Gegenbeweis. Es hieß ja, die Juden würden umgesiedelt - irgendwohoin nach dem Osten. Und der war groß, das lies viel Platz für Spekulationen. Man mochte es zwar für nicht in Ordnung finden, wenn die dabei das Eigentum zurücklassen mußten (wobei an dieser Stelle sicher noch am ehesten die Propaganda vom unrechtmäßig erworbenen Judeneigentum griff) - aber wer wußte denn, wie es in Theresienstadt oder im warschauer Ghetto wirklich zuging? Die Frontsoldaten bestimmt nicht - die fuhren in warschau durch oder stiegen nur auf dem Bahnhof um und Auschwitz oder Theresienstadt bekamen die nie zu Gesicht.
Da war von Umerziehung und von Arbeitslagern die Rede - nicht von gezieltem Massenmord.
Selbst die KZ im Lande - wer wußte denn, wie viele da wirklich drin starben? ES hat sicher viele gegeben, denen die Häftlinge leid taten auf Grund ihres äußeren Aussehens - aber es kannte keiner das wahre Ausmaß des Schreckens. Da sprachen ja aus Angst selbst die Häftlinge selber nicht drüber, wenn sie bei Arbeitseinsätzen mit deutschen Einwohnern zusammenkamen.

Klar - hinterher sind immer alle klüger. Aber da weiß man ja auch, was passiert ist. Und dann zu schlußfolgern, man hätte ja voher die richtigen Schlußfolgerungen zioehen können, weil… das ist einfach. Nur wenn man dabei ist - dann sieht vieles oft anders aus.

Gernot Geyer

Hallo,
ist vielleicht nicht theologisch/philosophisch wasserdicht, aber ich musste dabei an eine Kurzgeschichte denken, die ich vor einigen Jahren gelesen habe: Ein Leiter eines Tierversuchslabors stand vor dem jüngsten Gericht, das ausschließlich mit Tieren besetzt war (sein Anwalt war ein Stier etc.) Als der Mann sagte: „Wenn ich es nicht getan hätte, hätte es ein anderer getan“, anwortete der Richter ungerührt: „Dann stände jetzt auch ein anderer hier.“
Gruß - Petra

Tach zusammen,

hier tritt wieder ein Mechanismus zutage, der bei solchen Anfragen und Diskussionen unweigerlich greift: irgendjemand kommt mit dem Beispiel Nationalsozialismus und KZ und alsogleich beginnt eine Hin- und Herwerferei von Argumenten und Kenntnisfragmenten darüber, ob „man“ etwas habe wissen können.

Erstens geht es darum gar nicht; und wenn jemand Genaueres darüber wissen will, so lese er von Ralph Giordano „Die zweite Schuld“.

Zum anderen will mir aber auch das Beispiel des KZ-Wächters nicht so recht passend erscheinen: Es setzt - mindestens unterschwellig - voraus, daß da auf einmal ein Terrorregime war, das plötzlich Konzentrationslager einrichtete. Und in diesen Lagern mußten dann naive und unschuldige junge Männer (auf Fahrrädern?) die ungeliebte Tätigkeit verrichten, die Gefangenen zu beaufsichtigen, zur Arbeit zu führen, zu quälen, hin und wieder einen zu erschießen und - in manchen Lagern - größere Zahlen von Menschen auszusondern und in die Gaskammer zu führen. Und das alles nur, um ihr Leben zu fristen, ihren Unterhalt zu verdienen und am nächsten Tag für ihre Familie etwas zu essen zu haben.

Mir ist klar, daß ich karikiere!
Aber der Nationalsozialismus kam eben nicht von ungefähr und von heute auf morgen und schon gar nicht ohne Zutun auch derer, die von gar nichts gewußt haben.

Gruß - Rolf

Sternchen für narrative Theologie
Hallo.
Find ich theologisch/ethisch vollkommen passend!
Dafür ein Sternchen.
Gruß
Werner

Hallo,
trotzdem dies eine fast schon klassische Frage ist, ist sie doch eine sehr seltsame. Zu der sozialen Signalwirkung ist ja schon etwas gesagt worden. Es geht aber im Kern hier immer um Verantwortung für das eigene Handeln und letztlich um persönliche Schuld, auch dann wenn ich damit kein Signal setzen kann.
Die Erkenntnis, dass jemand anderes eine moralisch verwerfliche Tat begeht trägt zu meiner Schuld oder Unschuld nichts bei - solange es nicht in meiner Macht steht dies zu verhindern.
Zunächst bin ich gefordert richtig zu handeln und wenn ich die Alternative habe das Falsche nicht zu tun und es trotzdem mache aus welchen Gründen auch immer, dann ist dies meine Schuld. Da braucht es keine zusätzlichen Betrachtungen.

Die hier gestellte Frage ist eigentlich ein fast schon naiver Winkelzug. Ich will die Vorteile der falschen Handlung (meinen Arbeitsplatz sichern) einheimsen, die Schuld will ich aber fiktiv einem Anderen anhängen, demjenigen der die Tat ja an meiner Statt begehen würde. Eigentlich ist „Der“ ja schuld. Gäbe es „Ihn“ nicht könnte ich ja verweigern ohne Konsequenzen für mich. Außerdem gäbe ich der Schuldhaften Tat auch noch etwas transzendet schicksalhaftes. Es wird ja sowieso passieren, eigentlich unabhängig von meinem Tun. Warum soll ich dann noch darunter leiden, dass das sowiso passiert?

Das ist natürlich Selbstbetrug. Die potentiellen Verfehlungen Anderer können niemals meine konkrete Schuld aufheben.

Gruß
Werner

Hallo,

Du vergisst hier eine (imho). Aus der sicht
der Deutschen (99%) …

Zum anderen will mir aber auch das Beispiel des KZ-Wächters
nicht so recht passend erscheinen: Es setzt - mindestens
unterschwellig - voraus, daß da auf einmal ein Terrorregime
war, das plötzlich Konzentrationslager einrichtete.

… war es eben *nicht* ein „Terrorregime“ sondern
ein an die kindlichen Omnipotenzvorstellungen
eines Jeden appellierender psychoökonomischer
Befreiungsschlag hinsichtlich eines vermeintlichen
„historischen“ Schlechtbefindens.

Und in diesen Lagern mußten dann naive und unschuldige junge
Männer (auf Fahrrädern?) die ungeliebte Tätigkeit verrichten,
die Gefangenen zu beaufsichtigen, zur Arbeit zu führen, zu quälen,
hin und wieder einen zu erschießen und - in manchen Lagern -
größere Zahlen von Menschen auszusondern und in die Gaskammer
zu führen. Und das alles nur, um ihr Leben zu fristen, ihren
Unterhalt zu verdienen und am nächsten Tag für ihre Familie
etwas zu essen zu haben.

Das ist Kant. Die Deutschen lieben diesen Philosophen.
Ich bin 100% sicher, dass der einzelne SS-Mann den
Aspekt der „Erfüllung des vorgeschriebenen Dienstes“
für sein persönliches Handeln in den Vordergrund stellte.

Die Idee, dort hätten „verrückte sadistische Monster
in Offiziersuniform gewütet“ ist absurd (hat es sicher
als Ausnahme gegeben). Nein, die sind „zu ihrer Arbeit“
gegangen. Die „sadistische Kontrolle“ oblag bis auf
wenige Ausnahmen einer Schicht der Gefangenen selbst -
den „Kapos“. Der Rest ist eher „Wirtschaftsunternehmen
mit bewaffneten Wachen“, also nichts Ungewöhnliches.

Und *gerade* diese „Gewöhnlichkeit“ macht es für
mich so ungewöhnlich, so verblüffend.

Wenn Du das nachvollziehen kannst.

Mir ist klar, daß ich karikiere!
Aber der Nationalsozialismus kam eben nicht von ungefähr und
von heute auf morgen und schon gar nicht ohne Zutun auch
derer, die von gar nichts gewußt haben.

Du vergisst wieder: *damals* war der Nationalsozialismus
(nach anfänglichen Bedenken) „etwas Gutes“, selbst Martin
H. war bekennender „Hitlerfan“, wie man heute weis.

Grüße

CMБ

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Hallo!

Ich bins nochmal! ich freue mich erstmal dass ich meine Frage hier stellen durfte und nochmehr darüber dass hier innerhalb so kurzer Zeit so viele Rückmeldungen gekommen sind.
Im nachhinein hab ich jetzt festgestellt, dass ich dieses Beispiel mit den KZ-Wächtern nicht hätte bringen sollen. Das wurde so stark diskutiert dass ich meine eigentliche Frage etwas untergegangen ist.

Ich würd mich auf Rückmeldungen, die sich konkret auf das „Sich-Rausreden“ mittels des Satzes „Wenn ich den Job nicht machen würde, würde jemand anderes meine Stelle einnehmen. Ändern würde sich nichts.“

Es wurde ja bestätigt dass diese „Argumentationsweise“ bekannt oder sogar weit verbreitet ist.

Sehr weitergeholfen hat mir die Antwort von Werner:

Die hier gestellte Frage ist eigentlich ein fast schon naiver
Winkelzug. Ich will die Vorteile der falschen Handlung (meinen
Arbeitsplatz sichern) einheimsen, die Schuld will ich aber
fiktiv einem Anderen anhängen, demjenigen der die Tat ja an
meiner Statt begehen würde. Eigentlich ist „Der“ ja schuld.
Gäbe es „Ihn“ nicht könnte ich ja verweigern ohne Konsequenzen
für mich. Außerdem gäbe ich der Schuldhaften Tat auch noch
etwas transzendet schicksalhaftes. Es wird ja sowieso
passieren, eigentlich unabhängig von meinem Tun. Warum soll
ich dann noch darunter leiden, dass das sowiso passiert?

Das ist natürlich Selbstbetrug. Die potentiellen Verfehlungen
Anderer können niemals meine konkrete Schuld aufheben.

Gruß
Werner

Er hat das Argument schön zerlegt und gedeutet. Danke dafür!
Über weitere Antworten dieser Art würde ich mich besonders freuen. Ich habe das Thema letztens im Freundeskreis diskutiert. Um ihn von der „Falschheit“ der Argumentationsweise zu überzeugen hlft mir Werners Antwort sicherlich weiter. Aber da viele diese Argumentationsweise kennen, lautet meine Frage: Haben sich schon irgendwelche klugen Leute dieses Thema in ihren Publikationen behandelt? Ich denke da an Adorno, Heidegger oder Kant? (oder soll ich die Frage dann besser nochmal in der Kategorie Philosophie stellen? :wink:

Hallo Gernot,

ich wundere mich immer wieder, wie auf Behauptungen reagiert wird, die ich nicht aufgestellt habe.

Habe ich behauptet, jeder Soldat an der Ostfront sei in Auschwitz gewesen? Und jede/r habe alles wissen können?

Viele Grüße

Iris

Hallo Biggi

Im nachhinein hab ich jetzt festgestellt, dass ich dieses
Beispiel mit den KZ-Wächtern nicht hätte bringen sollen.

Im Gegenteil. Gerade dieses Beispiel verdeutlicht die Situation am besten. Es ist oftmals besser, scharfe Beispiele zu briungen als watteweiche.

Es wurde ja bestätigt dass diese „Argumentationsweise“ bekannt
oder sogar weit verbreitet ist.

Wodurch sie nicht richtiger wird. Lass dich also nicht beirren durch massenhaft ausweichende Argumentation. Du kennst ja wahrscheinlich den Spruch „Esst mehr Scheiße - 100 Millionen Fliegen können nicht irren.“

(oder soll ich
die Frage dann besser nochmal in der Kategorie Philosophie
stellen? :wink:

Micht nötig.
Gruß,
Branden

HAllo,

ich zitiere Dich:

Andererseits habe ich einen Jugendlichen erlebt, der aus einem Kuhkaff in Ostfriesland aufwuchs. Der sagte mir: „Wir wußten alles. Bei uns gab es zwar keine Juden. Aber wir wußten alles, denn wenn die jungen Soldaten aus dem Osten im Fronturlaub zuhause waren, dann erzählten sie, was sie dort gesehen hatten.“

Wie willst Du das in diesem Zusammenhang sonst interpretieren?

Gernot Geyer

Hallo Petra,

Ein Leiter eines
Tierversuchslabors stand vor dem jüngsten Gericht, das
ausschließlich mit Tieren besetzt war (sein Anwalt war ein
Stier etc.) Als der Mann sagte: „Wenn ich es nicht getan
hätte, hätte es ein anderer getan“, anwortete der Richter
ungerührt: „Dann stände jetzt auch ein anderer hier.“

Mir gefällt Deine Anekdote, weshalb ich noch eine hinzufügen will.

Damals im Grundstudium kam irgendwann unsere Statistik-Professorin zwischen Tür und Angel auf die Idee, uns etwas von der „ethischen Verpflichtung des Statistikers“ zu erzählen, und zwar meiner Erinnerung nach etwa so:

Statistik kann mit ihren Formeln und Schemata den (statistisch) benötigten Stichprobenumfang (Zahl der Versuchsobjekte) benennen, ab dem statistische Repräsentativität gesichert ist;
von ethischer Bedeutung wäre das besonders bei Tierversuchen, weil so der Statistiker verhindern würde, dass (statistisch) unnötig viele Tiere einbezogen würden und ihnen damit Leid zugefügt würde.
Als Statistiker an Tierversuchsreihen mitzuarbeiten sei also ethisch geboten, weil es Leid minimiere …

Was bekäme der Statistiker vom alten Mann des jüngsten Gerichts zu hören?

Viele Grüße
Franz