Moin,
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann
übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat
keine Auswirkung.“
Dieser Aussage ist ja meistens etwas vorausgegangen, nämlich sinngemäß: „Warum machst du so einen (ätzenden) Job? Wie kannst du nur!“
Dies beinhaltet eine Wertung des Fragestelles (was du machst finde ich nicht gut) und eine Aufforderung, sich zu rechtfertigen.
Hat die Person negative Konsequenzen zu fürchten, würde sie diese nennen. Ein: „Ich mach das, weil man mich über den Haufen schießt, wenn ich es nicht mache“ Ist nunmal eine bessere Rechtfertigung als „Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer“. Andererseits klingt es „ethisch“ immer noch besser, wenn jemand sagt, „Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer“, als wenn er sagt, „ich mach das, weil ich gut daran verdiene“. Beides setzt natürlich voraus, dass der Antwortende die Bedenken des Fragestellers überhaupt teilt. Sind die Bedenken eher dünn und der Gefrage ist sich in seiner eigenen Überzeugung unsicher, ist „Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer“ eine Möglichkeit, um eine Diskussion, ob das, was derjenige da macht, denn nun überhaupt ethisch vertretbar ist oder nicht, zu umgehen. Der Fokus wird geschickt verlagert von: ist es ethisch vertretbar? zu ist es nicht egal, wer das macht, irgendwer macht es sowieso.?
Ich würde aber gerne noch einen anderen Aspekt hier reinbringen. Jemand der seinerseits einen „ethisch sauberen“ Job macht, kann sich natürlich leicht hinstellen und von anderen eine Rechtfertigung verlangen (sogar dann, wenn er seinen „ethisch sauberen“ Job wie der letzte Arsch macht). Letztendlich gerät man aber in fast jedem Job in ethische Konflikte. Der Babysitter muss sich überlegen, ob er eine Familie beim Jugendamt anzeigt, weil er den Verdacht hat, dass dort vielleicht ein Kind vernachlässigt wird. Macht er es und setzt sich dieser Stresssituation aus, oder hält er um seines Friedens (und Jobs) Willen lieber die Klappe? Schmeißt die Verkäuferin einen zerlumpt aussehend Herrn aus dem Vorraum eines Kaufhauses raus, weil er den Eindruck erweckt, er wärmt sich da nur auf, oder drückt sie beide Augen zu? Schenkt der angestellte Imbissverkäufer dem Tatteropa kostenlos einen neuen Kaffee ein, weil dieser den alten Kaffee verschüttet hat, oder gibt er vor, das nicht gesehen zu haben? etc.etc.
Ich will damit keineswegs irgendwas verharmlosen. Sicher gibt es Berufe, in denen Entscheidungen getroffen werden, die weitreichendere Konsequenzen haben können, als in anderen Berufen. Allerdings möchte ich davor warnen, hier allzu schnell zu urteilen. Ein Betriebsleiter, der schweren Herzens 10 Leute entlassen muss, um die Arbeitsplätze von 50 Leuten zu sichern, ist mir letztendlich sympatischer als die ethisch tadellosen Herrschaften von der Gewerkschaft, die das alles einen furchtbaren Skandal finden, aber in ihrem Leben noch keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen haben.
Wenn derjenige zwar denkt dass die Menschen dort ausgebeutet
werden aber sich damit rechtfertigt:
„Wenn ich von dem Job, den ich mache, zurücktrete, dann
übernimmt jemand anderes meinen Job und mein Rücktritt hat
keine Auswirkung.“
Und wenn derjenige so arguemtiert, dass er sich gezwungen sieht, einen Teil der Produktion in solche Standorte auszusiedeln, um wenigstens einen Teil der hiesigen Arbeitskräft zu sichern? Dann soll doch bitte jeder Angestellte in der Firma selbst entscheiden, ob er einen Arbeitsplatz behalten möchte, der nur deshalb noch existiert, weil woanders Leute ausgebeutet werden.
Entschuldigungen vieler Deutscher nach dem 2. Wk, sie hätten
von nichts gewusst…mögen ja teilweise der Wahrheit
entsprechen, aber darf man: „Ich habe von all dem nichts
gewusst.“ überhaupt in dem fall heute noch anbringen?
Es läßt sich in den seltensten Fällen nachweisen, ob jemand tätsächlich irgendwas weiß oder gewußt hat, eigentlich nur in solchen Fällen, in denen derjenige direkt mit den fraglichen Vorgängen zu tun hatte. Somit kann man höchstens fragen: Hätter er es wissen können? Aber diese Frage bringt uns hinsichtlich der Verantwortung nicht weiter. Die meisten Menschen könnten z.B. wissen, wer ihr Bundestagsabgeordneter ist, dies ist wahrlich kein Staatsgemeinsis, trotzdem weiß es kaum einer. Es könnte auch jeder wissen, dass auf unserer Welt täglich 18.000 Kinder an den Folgen von Hunger und Armut sterben, und entsprechend verantwortlich handeln. Auch diese weiß kaum einer, obwohl die Bilder sogar über unsere Bildschirme flimmern. Auch hier ließe sich mit dem entsprechenden verantwortlichen Handeln vieler sicher das ein oder andere retten.
Aber warum sollten die Leute heute besser sein, als zur Nazi-Zeit? Zwar gibt es keine Auktionen mehr, auf denen der Hausrat von jüdischen Familien versteigert wird, aber wer freut sich nicht, wenn er dieses super billigen Teppich, ein echts schnäppchen, oder diese tollen preiswerten Klamotten ergattert hat, auch wenn er wissen könnte , dass diese Dinge nur deshalb so preiswert sind, weil irgendwo anders auf der Welt, Kinder dieses Dinge unter menschenunwürdigen Bedingungen herstellen müssen.
Tatsache ist nunmal, dass die wenigstens Leute interessiert, was sie selbst nicht betrifft. Da ist es dann letztendlich völlig egal, was sie „hätten wissen können“.
Gruß
Marion