Wer spricht heutzutage noch Wuppertaler Dialekt?

Hallo,

ich habe meine ersten acht Lebensjahre in Wuppertal verbracht. Als meine Eltern dann mir mir nach Dortmund verzogen, wurde ich auf der Straße lange Zeit verprügelt. Oft umringte mich eine ganze Gruppe, und wenn ich irgendwo aus dem Kreis ausbrechen wollte, schlugen sie dort auf mich ein. Wenn ich jammerte „Warum macht ihr das, ich habe euch doch gar nichts getan“, antwortete man mir „du sprichst so blöd“.

Wuppertal hat (oder hatte?) einen dem Rheinischen ähnlichen eigenen Dialekt. Ich kann den nur auf der Straße und in den ersten zwei Schuljahren von den Klassenkameraden gelernt haben. So ganz verstehe ich das trotzdem nicht, denn meine Eltern waren beide aus Westfalen und sprachen keinen Dialekt.

Als meine Eltern gut ein Jahr nach unserem Umzug Freunde in Wuppertal besuchten, mein kleinerer Bruder und ich weggingen und uns die Nasen an den vorweihnachtlichen Schaufenstern von Spielwarenläden platt drückten, sagte einmal ein erwachsener Wuppertaler zu uns: „Das hört man aber, dass ihr aus dem Ruhrpott kommt!“ Da wusste ich, dass ich es geschafft habe.

Das ist nun lange her. Trotz meiner vielen Wohnsitze, die ich bis heute in Deutschland und anderswo gehabt habe, empfinde ich Wuppertal immer noch als meine Heimat. Symbolisch dafür ist mir die Schwebebahn, mit der fahre ich, wenn ich einmal wieder nach Wuppertal komme, jedes Mal die ganze Strecke ab.

Mit Freunden von damals habe ich keinen Kontakt mehr. Die einzigen, die ich dort kenne, sind zugezogene dialektfreie Norddeutsche. Aber wenn ich durch die Stadt bummele, den Leuten um mich herum zuhöre, etwas einkaufe und ein paar Worte mit den Verkäufern wechsle, habe ich nie den Eindruck, dass die Dialekt sprechen.

Ich habe kürzlich bei Wikipedia nach dem Wuppertaler Dialekt gesucht. Das war nicht ergiebig, denn dort ist die Rede von mehreren verschiedenen Dialektgebieten innerhalb des Stadtgebiets. Also, ich komme aus (Elberfelder, bitte nicht böse sein!) Barmen, nur zwei Schwebebahnstationen von Oberbarmen entfernt. Die einzigen Wörter, an die ich mich noch erinnere, sind deuen und fitschen.

Es gibt im Internet Wörterbücher Deutsch – Österreichisch – Bayerisch - Rheinisch und andere. Ein Wörterbuch für Wuppertalerisch gibt es nicht. Und selbst wenn ich bei Google nach „deuen“ und „fitschen“ suche, bekomme ich keine Antwort.

Spricht man in Wuppertal überhaupt noch Dialekt?

Grübelt
nostalgisch verträumt
Carsten

PS
Ich habe gerade, als ich den Beitrag bis hierher schon fertig hatte, zum ersten Mal ins Wörterbuch des Rheinischen reingeguckt. Ich sagte ja, dass Wupertalerisch dem Rheinischen ähnlich, wenn auch teilweise anders ist. Da fand ich dann sowohl „deuen“ wie auch „fitschen“ - und viele andere mir bekannten Wörter, die ich nicht mehr aktiv im Wortschatz hatte, deren Sinn mir aber, als ich sie las, sofort klar war, ohne dass ich erst in die Erklärung egucken musste.

Ich kenne „deuen“ und „fitschen“ auch aus meiner Kindheit im Oberbergischen Kreis bei Drabenderhöhe.

Während meiner Ausbildung im Bauhandwerk kam ich viel „über die Dörfer“ und da gab es für mich schon von Dorf zu Dorf oft deutlich hörbare Unterschiede in der Mundart.
Selbst aus mehr norddeutsch- dialktarm geprägtem Elternhaus stammend, habe ich mich dem Einfluss der örtlichen Sprache nicht verweigert. Anders hätte man da mit den Kunden und erst recht nicht mit den Handwerkern anderer Gewerke, kommnizieren können. :smile:
Ebenso habe ich mir nach meinem Wegzug recht schnell die sprachlichen Eigenheiten meiner neuen Heimat angeeignet.

Klar. Aber halt nicht jeder und immer.

Hallo,

in der freien Wildbahn (im Supermarkt, im Restaurant, beim Arzt, …) wirst du dir schwertun. Im Sprachenbrett hat Aprilfisch ein Video gepostet (ursprünglich ging es um eine Verständnis/Grammatikfrage von Nadja) von Chako Habekost, ein Ausschnitt aus seinem Programm. Er spricht in diesem Clip mindestens zwei Versionen des Kurpfälzer Dialekts, einen breiten und einen breiten veralteten. Keine dieser Variationen findet man normalerweise einfach so, kaum noch jemand spricht heute im normalen Leben so.

Ich kann den alten, ganz breiten, weil meine Verwandtschaft früher so sprach (nicht ganz wie Habekost, da liegen gut 50km dazwischen, aber darum geht es hier nicht). Ich benutze ihn nur, wenn ich bei einer Theateraufführung so sprechen muss. Aber ich kann ihn.
Den anderen breiten Dialekt benutze ich eigentlich auch sehr selten, manchmal mit meinen Schwestern, auch nur bei gewissen Themen, oder wenn ich mich bei älteren Menschen als einheimisch outen will. Normalerweise spreche ich eingefärbtes Hochdeutsch, auch hier je nach Gegenüber durchaus mehr oder weniger ausgeprägt.

Von daher würde ich sagen, du wirst bei oberflächlichen Besuchen deinen Kindheitsdialekt nicht mehr finden.

Grüße
Siboniwe

Zu recht !

Stellvertretend für meine Eltern?

Weil sie Wuppertal verlassen haben?
Weil sie nach Dortmund gezogen sind?
Weil sie mir vor dem Umzug kein Ruhrpottdeutsch beigebracht haben?

Dieses Zusammenrotten in der Gruppe, um gefahrlos und mit viel Freude einen Schwächeren zu quälen - es gibt kaum etwas für das tiefere Verachtung empfinde als für dieses jämmerliche Verhalten.

1 Like