Hallo Wolfgang,
schade, dass Du gerade auf Frage 4 eingehst zu der ich nicht geantwortet hatte.
- Funktioniert und überlebt eine beliebige Planwirtschaft in
einem Umfeld aus privatwirtschaftlich organisierten
Marktwirtschaften bei offenen Grenzen, Freizügigkeit des
Einzelnen und freiem Waren- und Kapitalverkehr?
dezidiert nein…
Es stellt sich die Frage, weshalb sich trotz der fehlenden
Überlebensmöglichkeit einige Leute unter den gegebenen
Voraussetzungen in unserem Land für eine wie auch immer
geartete Planwirtschaft einsetzen.
Was heißt „fehlende Überlebensmöglichkeit“?
der Kapitalismus als Witschaftssystem ist nicht zeitlos, sondern hat ein relativ genau erfassbares Geburtsdatum und Geburtsort (ca. Anfang des 16. Jhdts. in den oberitalienischen Stadtstaaten); vorher und lange Zeit noch parallel existierten andere Wirtschaftssysteme, welche lange Zeit „überlebt“ haben.
Die Frage des Überlebens ist also nicht die, ob ein Wirtschaftssystem „in der Welt“ überleben kann: dies ist eine Tautologie, weil dadurch das es ist, hat es ja schon überlebt, und das haben historisch viele verschiedenartige Wirtschaftssysteme,
sondern
ob mehrere verschiedene Wirtschaftssysteme zu gleicher Zeit überleben können, und hierzu ist zu sagen, dass der Kapitalismus keine „Götter neben sich“ duldet, weil er genuin grenzen-los ist, also nicht wie ein archaisch-patriarchalisches Wirtschaftssystem an Stammes- bzw- Landesgrenzen, oder wie das feudalistische an religiös-ideologische Grenzen gebunden ist.
Der Kapitalismus ist seinem Grundsatz nach „frei“, das heißt Kapital kann überall dort eingesetzt werden, wo es sich reproduzieren kann, unabhängig von politischen, religiösen, weltanschaulichen, etc. Grenzen (das heutige China ist eine redendes Beispiel dafür).
Es geht also darum, dass man diese Grundstruktur des Kapitalismus berücksichtigen muss, wenn man ihn bekämpfen möchte; und darum muss diese Bekämpfung eben ihrerseits in gleicher Weise „frei“, grenzenlos sein.
Wenn es kein Masochismus
ist, fällt mir als Motivation Kampf gegen ein verhaßtes System
oder Hoffnung auf Weltrevolution ein
Du psychologisierst die Ablehnung des Kapitalismus hier; das ist statthaft, muss dann aber erwidert werden, z.B. so:
Hast Du Angst vor etwas Neuem?
Bist Du Sadist, dass Du weiterhin weltweites Massenelend erzeugen willst?
Bitte nicht auf diese Fragen antworten, sie sollten nur zeigen, dass auf psychologischer Ebene schlecht über Nutzen und Nachteil eines Wirtschaftssystems diskutiert werden kann.
Planwirtschaft als Methode des Wirtschaftens kann unter den
Voraussetzungen des Mangels an lebenswichtigen Gütern
alternativlos sein. Planwirtschaft mit ihren Vorzügen unter
bestimmten Voraussetzungen hat aber wie jede andere
Wirtschaftsform ihre Grenzen. Diese sind regelmäßig erreicht,
wenn das ehemals knappe Gut in ausreichender Menge zur
Verfügung steht. Als Millionen Menschen kein Dach über dem
Kopf hatten, wurden Hauseigentümer nicht gefragt, ob sie
Mieter haben wollten oder nicht. Die Menschen wurden
einquartiert, Wohnraum bewirtschaftet und für Wohnungsbau gab
es sogar ein eigenes Ministerium. Was dabei an Wohnraum
entstand, genügte dem Anspruch trockener und warmer
Unterbringung, aber mehr eben auch nicht. In Zeiten akuter Not
gibt es dagegen keine vernünftigen Einwände.
Okay, da stimme ich zu; im Gegensatz zu Dir möchte ich aber darauf hinweisen, dass wir uns in einer Zeit „sehr akuter Not“ befinden.
Der Kapitalismus operiert zweifelsfrei global, er hat fast alle Winkel dieser Erde durchdrungen;
„frei von Not“ aber ist nur ein recht kleiner Teil dieser Erde, der größte Teil lebt in sehr großer Not, das dürfte unstrittig sein.
Die empirische Frage hierzu wäre, ob das eine Folge des Kapitalismus ist; und meine Antwort dazu ist eben: größtenteils ja
Sobald aber die
Versorgung gesichert ist, der nach „Wohneinheiten“ geplante
08/15-Bau nicht mehr den Ansprüchen genügt und individuelle
Wünsche wach werden, hat die Planwirtschaft ihre Grenze
erreicht. Der individuelle Wunsch ist planwirtschaftlich
buchstäblich naturgemäß nicht mehr erfüllbar.
Das führt in ein weites Feld und daher möchte ich es nur kurz anreißen:
Ich bin nicht davon überzeugt, dass diese „individuellen Bedürfnisse“, ja sogar die Individualität selbst zuerst da sind, und dann sekundär durch Wirtschaften satisfiziert werden (das mag für Grundbedürfnisse noch gelten).
Es ist keineswegs absurd zu behaupten, dass diese „individuellen Bedürfnisse“ eher erzeugt werden, um die Reproduktion des Kapitals zu ermöglichen.
Um das kurz am Beispiel des Handys zu vedeutlichen: Natürlich hat heutzutage fast jeder Jugendliche ein echtes Bedürfnis, so ein Gerät zu besitzen, weil er sonst „out“ ist, seiner Freundin keine SMS schicken kannn, nicht „elternfrei“ telefonieren kann, etc., aber dieses Bedürfnis ist zwar individuell, aber nicht kollektiv vor dessen Befriedung entstanden;
bei den einzelnen ist es erst im Zuge der Befriedigung entstanden, weil nämlich erst dann andere Jugendliche so etwas hatten und er erst dann der Jugendliche ohne Handy „out“ sein konnte.
Was er also wirklich mit dem Handy will ist „in“ sein, „Freudin haben“, „Freiheit“, etc. nicht aber schnurlos telefonieren als solches. (wenn Du Dir gerade die Handy-Werbung anschaust, dann findest Du diese Assoziationen genau dort wieder; sie werden dort also sogar explizit eingesetzt)
Kurzer Rede langer Sinn: wenn man die Wichtigkeit des Kapitalismus auf der psychologisch-anthropologischen Ebene des „Bedürfnisses“ beweisen möchte, dann muss man erst zur Kenntnis nehmen, dass zwischen Bedürfnissen und ihrer Befriedigung zweifelsfrei ein dialektisches Verhältnis besteht, dass man also nicht so leicht sagen kann: ein Bedürfnis ist da und die Wirtschaft hat das zu befriedigen
Wird in diesem
Moment Planwirtschaft als sakrosankt angesehen, statt als
zeitweise zweckmäßiges Vorgehen begriffen zu werden, erfüllen
sich die Menschen ihre Bedürfnisse per Schattenwirtschaft und
Korruption. Angebot und Nachfrage, mithin
marktwirtschaftliches Geschehen, bildet sich von alleine.
Du spielst auf den „real existierenden Sozialismus“ an und das ist sicher nicht falsch, aber trifft nicht unbedingt den Punkt, weil „Planwirtschaft“ ja nicht heißen soll, dass „Angebot und Nachfrage“ ausgeschaltet werden, also dass Güter nicht gegeneinander getauscht werden sollen, weil verschiedene Individuen verschiedene Bedürfnisse haben;
was eine Planwirtschaft verhindern soll, ist dass etwa einer gar nichts zu tauschen hat (z.B. der Afrikaner) oder dass einer sich auf einen ungerechten Tausch einlassen muss, weil er keine andere Wahl hat, z.B. eben der Lohnarbeiter, der seine Arbeitskraft zu einem eigentlich inakzeptablen Preis verkaufen muss, weil er selbst kein Kapital besitzt
(hier mag man angesichts des Deutschen sagen: ja das erzählt die marxistische Theorie, aber dem Arbeiter gehts doch nicht schlecht! Stimmt, aber wenn man z.B. den mexikanischen Arbeiter sich anschaut, dann wird man sehen, dass es sich hier nicht um eine rein theoretische Frage handelt; dem mexikanischen Arbeiter geht es durchschnittlich heute viel schlechter, als etwa vor hundert Jahren, als seine Vorfahren, noch Bauern waren, welche Ende des 19. Jhdts. im übrigen per Gesetzesgewalt gezwungen wurden, ihr bäuerliches Dasein gegen das des Industriearbeiters „einzutauschen“; Frage hier: wer hatte von diesen Gesetzen einen Vorteil? „Mexiko“ steht hier übrigens nur als pars pro toto)
Schließlich gibt es in ganz Mitteleuropa keine knappen,
existenzwichtigen Güter, die vermittels der Planwirtschaft dem
freien Marktgeschehen entzogen werden müßten. So müssen also
afrikanische oder asiatische arme Teufel herhalten, um
Forderungen für Deutschland oder die ganze EU nach
Planwirtschaft zu begründen.
Das ist trifft absolut nicht den Sachverhalt; Es kann überhaupt nicht bestritten werden, dass der Kapitalismus global handelt (wir Mitteleuropäer beziehen Waren aus aller Welt), weshalb eben die „Armut“ und damit das Versagen dieser Wirtschaftsform nicht aufgeteilt werden kann in dem Sinne: hier klappts doch und woanders ist was anderes!
Das ist ein eindeutiger logischer , also gerade nicht bloß ideologischer , Denkfehler!
Stell Dir mal vor, ob es uns Mitteleuropäern noch genauso gut ginge, wenn wir jeden Außenhandel einstellen würden; erst dann wäre Dein Argument sinnvoll (Frage als Beispiel: Wie kann es sein, dass Äpfel vom Bodensee genau so teuer sind, wie Bananen aus Costa Rica, obwohl bei denen der Hauptprofit auf dem Transportweg anfällt? Die Antwort dürfte klar sein)
Was sicher richtig ist, ist dass es für die privilegierten Mitteleuropäer rein „egoistisch“ betrachtet unsinnig ist, den Kapitalismus in Frage zu stellen, weil er für sie ja hervorragende Ergebnisse bringt, aber wie könnte man den „Verdammten dieser Erde“, wie Fanon sie nennt, eine Bekämpfung des Kapitalismus als irrational ausreden, es sei denn durch Waffengewalt oder Ideologisierung; nichts anderes aber besagt Marx’ Topos der „Verelendung“.
Oder ein paar hundert Superreiche
werden bemüht
bei allem Respekt, über das empirisch klar belegte Argument, dass 300 Familien die halbe Welt an Kapital besitzen, einfach in einem Teilsatz hinwegzugehen, halte ich für Diskussionsverweigerung;
wenn schon, dann müsstest Du belegen, warum das aus den und den Gründen akzeptabel ist, etc. Vielleicht bringt das ja tatsächlich die berühmten „Vorteile für alle“, dem kann ja nicht a priori widersprochen werden, aber es einfach für ein rhetorisches Stilmittel zu halten, ist nicht akzeptabel, weil Du Dir damit wie der sprichwörtliche napolitanische Affe Augen und Ohren zuhältst.
und über die Konstruktion, daß Geld nicht der
einzige Antrieb des Menschen ist, wird nach ein paar
Klimmzügen Gewinnstreben als Triebfeder des Menschen in Abrede
gestellt.
Nein, falsch, das habe ich nicht getan; ich habe lediglich gesagt, dass es Gesellschaften bzw. Vergesellschaftungsformen gibt, die natürlich auch nach Gewinn streben, bei denen aber dieser Gewinn nicht rein pekuniär ist;
Die Rechtfertigung des Kapitalismus auf einem Menschenbild zu begründen, das einfach nur (zugespitzt gesagt:smile:die Ausformulierung des heutigen westeuropäisch-amerikanischen Mittelschichtmannes ist, halte ich für sehr bedenklich;
da müsste der Mensch die 40000 Jahre vor dem Kapitalismus ja arg am Mensch vorbei gelebt haben.
Sehe mir die Ausdrucksweise nach, aber das ist
weltfremder, ideologischer Dünnpfiff.
Wir Marxisten sehen die Meinung der Kapitalismus-Apologenten wenigstens noch als wahres Vernunftmoment…
BTW: Ich selbst sehe meine Postings zwar durchaus als partei-ergreifend, keine Frage, aber nicht als plump-ideologisch;
man muss wohl der Gegenposition auch zuhören können, denn was ist gewonnen, wenn man sich in einen autistischen Konkon einschließt, um seine Glaubenshaltungen vor der Meinung anderer zu schützen? (Dieser Vorwurf betrifft in diesem Board sicher nicht nur Dich; übrigens genauso auch Vertreter „meines Lagers“!)
Es heißt auch, den alten
Marx zu mißbrauchen, mindestens aber nicht im Kontext seiner
Zeit zu sehen, wenn man seine Postulate heutigen
mitteleuropäischen Verhältnissen überstülpt. Die Zeit ohne
jede soziale Sicherung, ohne Krankenversorgung, ohne Dach über
dem Kopf, ohne rechtlichen Schutz Obrigkeit und Arbeitgeber
ausgeliefert, ohne ausreichende Ernährung, insbesondere ohne
Zugang zu Bildung als dem heute mit Abstand wichtigsten
Schlüssel für jeden individuellen Lebensweg, diese Zeit aus
Perspektivlosigkeit, nackter Not und Ausgeliefertsein für die
breite Masse einerseits und ererbter gesellschaftlicher
Stellung andererseits ist vorbei.
…für große, nicht alle, Teile Westeuropas/Mitteleuropas und der USA, aber:
- nicht aber für den Rest der Welt, dort hat sich die Lage eindeutig verschärft (natürlich müsste man dazu auch die Bevölkerungsexlosion berücksichtigen)
und
- bin ich auch nicht so sicher, dass dies für Mitteleuropa noch in 100 Jahren gelten wird, wenn die Kapitalströme sich z.B. nach Südostasien verlagern (so etwas ist möglich, nicht nur für marxistische Theoretiker)
Gewiß wäre auf diese Weise so manches
Spitzeneinkommen nicht mehr möglich. Es ist aber irrig, darin
für irgendjemanden einen Nutzen zu erhoffen.
Da hast Du Recht, und das hoffen ja auch nur die Münteferings dieser Welt, nicht Marxisten.
Viele Grüße
franz