Hallo!
Ein paar Taschenrechnerübungen, um Größenordnungen abzuschätzen:
Die öff.-rechtl. Krankenkassen beschäftigen 120.000 Mitarbeiter. Jeder Beschäftigte kostet 50 T€ p. a… Darin ist bereits der Aufwand enthalten, der alle Hintern weich und warm sitzen läßt. Auf diese Weise kommt man auf jährliche Kosten des Apparats von 6 Mrd. €. Dazu kommen noch 17 kassenärztliche Vereinigungen. Die verschlingen insgesamt weitere 0,5 bis 1 Mrd. € jährlich, macht alles zusammen runde 7 Milliarden. Das ist gewiß viel Geld, aber ob der Betrag die Beiträge entscheidend beeinflußt, ergibt erst eine weitere Schätzung: Es gibt rund 26,5 Mio. beitragspflichtige Erwerbstätige. Nehmen wir einen Beitragssatz von 14% an und nehmen wir durchschnittlich 2.500 € an, von denen die 14% als KV-Beitrag abgeführt werden. Mit der Anzahl der Versicherten, dem angenommenen Gehalt und dem angenommenen Beitragssatz komme ich auf knapp 110 Mrd. Beitragsaufkommen jährlich. Feinheiten spielen jetzt keine Rolle; für die folgende Betrachtung ist es völlig egal, ob ich mit der Schätzung um ein paar Milliarden daneben liege. Von 110 Mrd. € Beitragsaufkommen gehen runde 7 Mrd. € für den Verwaltungsapparat drauf, über den Daumen also rund 1/15. Ganz ohne Verwaltung (kann natürlich nicht funktionieren) würde der Beitragssatz von 14% um 1/15 sinken, also auf 13 Komma irgendwas %.
Daraus folgt: So berechtigt die Kritik am Verwaltungsmoloch aus 250 Krankenkassen gewiß ist, so gewiß schießt man damit am Problem vorbei. Das ist auch schon an den Verhältnissen der Beschäftigtenzahlen erkennbar. Die 120.000 KV-Mitarbeiter machen weniger als 0,5% der beitragspflichtigen Beschäftigten aus. Das Problem liegt also weniger bei den 0,5% der Beitragszahler und auch nicht beim im Rauschen untergehenden Anteil von Vorstandsgehältern, sondern beim ganzen Rest, der 99,5% ausmacht sowie beim System an sich.
Die 99,5% sind wir alle. Wir bedienen uns eines Systems, ohne uns um die Kosten zu kümmern, ohne die Kosten auch nur zu kennen. Man sehe sich Werbeblöcke im Fernsehen an. Ein beträchtlicher Teil der Werbung betrifft weitgehend sinnfreie Pharmazeutika. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung schluckt aber jeden Scheißdreck und erwartet die Verordnung ähnlichen Scheißdrecks auch vom Arzt. Ein normaler Hausarzt kann nur eine kleine Minderheit seiner Patienten tatsächlich therapieren. Die meisten Zipperlein verschwinden mit oder ohne Arzt, mit oder ohne Medikamente von ganz alleine. Ein weiterer beträchtlicher Teil aller Beschwerden würde mit etwas weniger Alkohol, vielleicht nicht ganz so intensiver Qualmerei, etwas vernünftigerer Ernährung und ein bißchen mehr Bewegung gar nicht erst auftreten. Trotzdem rennen viele Leute lieber zum Arzt und lassen sich allerlei Zeug verordnen, das natürlich nichts nützt, solange man nichts an den Ursachen der Beschwerden ändert.
Das vermutlich größte Problem des Gesundheitswesens ist seine fehlende Transparenz. Es beginnt beim Patienten, der sich überfrißt und zu lange in der Sonne brät, um dann vom Arzt Hilfe zu erwarten. Wer wie ein Geistesgestörter Ski, Auto oder Motorrad fährt und dabei zu Schaden kommt, wird auf Kosten der Solidargemeinschaft zusammen geflickt. Wer sich alltäglich besäuft oder zukifft und dabei seine Gesundheit nachhaltig ruiniert, erfährt die gleichen Segnungen. Dem Patienten ist völlig egal, was der fragwürdige Spaß kostet, schließlich wird er an den Kosten seines Tuns in keiner Weise beteiligt (wer 10 € Quartalsgebühr als Selbstbeteiligung bezeichnet, hat das Problem nicht begriffen). Der Arzt seinerseits kann aufschreiben, was immer er möchte. Nur die kassenärztliche Vereinigung, also seine eigene Interessenvertretung, kontrolliert ihn und weist ihm sein Geld zu. Das ist ungefähr so, als würde man Aufgaben des Zolls von Zigarettenschmugglern durchführen lassen. Der Patient erfährt nichts und die Krankenkasse auch nicht. Eine seltsame Konstellation: Der Patient hat ein Vertragsverhältnis mit dem Arzt, Kosten spielen aber keine Rolle. Der Arzt hat ein Vertragsverhältnis mit der Krankenkasse, Kosten spielen schon wieder keine Rolle. Dazwischen hockt die kassenärztliche Vereinigung - ein genial konstruiertes Kostenverschleierungssystem, an dem sich jeder nach Gutdünken selbst bedient.
Für jede Geringfügigkeit wird der komplette Apparat in Gang gesetzt. Das ist wie eine Kaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung und deshalb sehr teuer. In allen anderen Lebensbereichen versichern wirtschaftlich vernünftig vorgehende Menschen nur existenzbedrohende Risiken. So kommt wohl kaum jemand auf die Idee, lebenslang Beiträge für eine Versicherung zu bezahlen, die eintritt, falls die 10€-Scheibe des Klofensters kaputt geht. Dagegen reicht die Vernunft in der gesetzlichen KV nicht einmal bis zur Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu der es sinnvoller ist, den Schaden selbst zu begleichen, statt eine riesige Organisation zu beschäftigen. Beim durchschnittlichen Versicherten fällt fast alles, was er jemals an ärztlichen Leistungen erhält, in die Kostenkategorie der Inspektion eines Kleinwagens oder weit darunter. Mit solcher Maßnahme, die in der privaten KV mit individuell gewähltem Selbstbehalt bestens funktioniert und zugleich Kostenbewußtsein und Kontrolle durch den Patienten bewirkt, ließen sich Beitragssätze spürbar senken. .
Weil es vermeintlich alles umsonst gibt, begeben sich zahllose Patienten völlig kritiklos und bei abgeschalteter eigener Urteilsfähigkeit in die Hände von Ärzten und Krankenhäusern. In der Folge wird nicht nur viel unsinniges Zeug verordnet und kritiklos geschluckt, sondern auch viel zu viel herumgeschnippelt. Es ist schon merkwürdig, daß ausgerechnet Ärzte und ihre Familienangehörigen signifikant seltener unter dem Messer landen als der Rest der Bevölkerung.
Ein weiterer Teil des Problems ist aus den oben verwendeten Zahlen erkennbar. Es gibt nur 26,5 Mio. Zahler, die ihren Beitrag aus versicherungspflichtiger Beschäftigung bestreiten und das ganze System tragen. Die Zahl der Empfänger von Versicherungsleistungen ist aber deutlich höher. Damit belasten wir die Minderheit der beitragspflichtig Beschäftigten mit den Kosten der Gesundheitsfürsorge für beinahe die gesamte Bevölkerung. Unter dem Strich macht es für die arbeitende Bevölkerung nur einen geringfügigen Unterschied, ob das Gesundheitssystem aus Steuern finanziert wird oder aus einer anderen Abgabe - bezahlt werden muß das System in jedem Fall von den wirtschaftlich Leistungsfähigen in der Gesellschaft, also von denen, die auf irgend eine Weise Einkünfte erzielen.
Das alles ist übrigens keine Befürwortung, es bei 250 Krankenkassen mit 120.000 Beschäftigten zu lassen. Es soll nur eine Warnung sein, daß man das Kostenproblem an dieser Stelle nur geringfügig ankratzen, aber nicht lösen kann.
Wie wir genau die Politiker haben, die wir verdienen, haben wir auch genau das Gesundheitssystem, das wir verdienen. Wir wollen es offenkundig nicht anders, weil Veränderungen unbequem sind und etwas mit Verantwortung, womöglich mit - igittigitt - Eigenverantwortung zu tun haben.
Gruß
Wolfgang