Hallo, Mandy,
es gibt doch einige Unterschiede zwischen Deinem Mann und mir.
Zum einen war ich nie so heftig. Einmal habe ich meiner Frau, als sie saß, mit den Fäusten auf die Knie getrommelt (geschlagen), einmal habe ich sie mit meiner Brille beworfen. Zweimal haben wir uns gegenseitig geschlagen. Ich habe beide Male hinterher geblutet, sie nicht. Die Aggression ging dabei jedesmal von mir aus. Aber ich werfe keine Gegenstände aus dem Fenster, ich vergesse auch nicht unser Kind. Hauptsächlich bin (oder war) ich so laut, daß die Leute sich bedroht fühlen.
Zum zweiten mache ich mir nichts aus Alkohol. Man verliert da ja die Kontrolle. Ich brauche aber mehr Selbstkontrolle, nicht weniger. Dein Mann auch. Das Trinken von Alkohol sollte man ihm eigentlich verbieten.
Drittens hat meine Frau es nur mit mir zu tun. Meine Mutter lebt nicht mehr, und die anderen in meiner Familie sind nicht jähzornig und finden es auch nicht in Ordnung, wenn ich es bin. Dadurch hatte meine Frau es sicher leichter, an mich ranzukommen. Bei Euch scheint die Schwiegermutter Deinen Mann von Dir abzuschirmen.
Der größte Unterscheid zwischen Deinem Mann und mir ist aber, daß ich unheimlich gern über mich selbst spreche. Wie jetzt gerade. Ich bin gern ich selbst. Ich hätte gern weniger Fehler und weniger Probleme, aber ich möchte niemand anderes sein. Dein Mann, sagst Du, spricht überhaupt nicht gern über sich selbst, schon gar nicht über seine Vergangenheit. Und er kann nicht zugeben, daß er Probleme hat, sondern ertränkt sie lieber im Alkohol. Und wenn die ganze Familie so ist, bin ich mir sicher, daß die eine gewaltige Leiche im Keller haben. Da denke ich wieder, der Mann muss auf die Couch.
Also, ja, meine Frau konnte mit mir reden, und an manchen Tagen war ich auch bereit, zuzugeben, daß ich ein Problem habe. Für mich war wichtig, dass sie es nicht ausnutzt, nach dem Motto: ich bin besser als du, du hast ein Problem und ich nicht, ha! Ich wollte gemeinsam mit ihr eine Beratung aufsuchen, aber das wollte sie nicht. Um allein Rat zu suchen, war ich zu stolz.
Einer Lösung näher kamen wir aber erst, als unser Kind eingeschult wurde, und die Lehrerinnen uns nach wenigen Wochen einbestellten, weil sie Angst um die anderen Kinder hatten. Sie haben uns gehörig ins Gewissen geredet, bis meine Frau weinte. Dann haben sie uns Adressen genannt, wo wir uns hinwenden können. Unser Kind ist in eine Spieltherapie gegangen, bei einer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Wir beide haben verschiedene Stellen nacheinander aufgesucht, wohin meine Frau nicht zu jedem Termin gekommen ist. Dann haben wir bei einer Mediatorin ums Sorgerecht gestritten, ohne Ergebnis.
Am besten geholfen hat uns letztendlich die Kindertherapeutin, für die ganz klar das Wohl unseres Kindes das Wichtigste war. Und sie hatte Recht damit. Auf ihre Anregung setzen wir uns seitdem einmal in der Woche zusammen und bereden vor allem Erziehungsdinge.
Wir haben uns also beide verändert. Und wir hatten Glück. Unser Kind ist inzwischen zwölf und völlig unauffällig. Das hätte auch anders ausgehen können.
Jetzt habe ich aber die ganze Zeit ein wichtiges Detail ausgelassen. Wir haben nur kurz zusammen gewohnt. Seit fast zwölf Jahren wohnen wir zwei Straßen voneinander entfernt. Das ist nah genug, um Spiel- und Schulsachen hin- und herzutragen, und weit genug, um nichts voneinander sehen und hören zu müssen. Wir haben die Woche unseres Kindes in zwei exakt gleiche Hälften geteilt, auf den viertel Tag genau. Das Kind sagt ab und zu, dass wir doch zusammenziehen sollen, denkt dann aber nach und sagt schließlich, wir sollten es lieber nicht tun. Als Paar verstehen wir uns jetzt besser denn je. So zu leben ist sicher nicht jedermanns Traum, aber ging ja nicht darum, uns einen Traum zu erfüllen, sondern uns von einem Alptrtaum zu befreien.
Warum aber meine Frau soviel Geduld hatte und mich nicht schon am Anfang in die Wüste geschickt hat, hat sie mir nie gesagt. Ich habe mich auch nie getraut, direkt danach zu fragen.
Ich hoffe, damit kannst Du etwas anfangen.
Mein Ansatz wäre wohl, dem Mann zu erklären, dass beide gemeinsam ein Problem haben. Nicht locker lassen. Plan B wäre ausziehen, also nicht mit Auszug drohen, sondern vollendete Tatsachen. Das Wichtigste ist immer das Wohl Eures gemeinsamen Kindes. Einen Mann, auch einen ganz tollen, kann man ersetzen, so weh es tut. Eine unglückliche Kindheit ersetzt einem niemand.
Grüße, GoThen