Zuschauer bei Hinrichtungen

Ert dieser Bericht:

Iran: Serienvergewaltiger an Kran erhängt - vor Hunderten von Zuschauern
In der südiranischen Stadt Marwdascht wurde am Dienstagmorgen ein 34-jähriger Kinderschänder öffentlich hingerichtet.
An einem Kran wurde der Serientäter, der acht Missbräuche von Kindern zugegeben hatte, vor Hunderten von Zuschauern erhängt, die ihn zusätzlich mit Steinen bewarfen oder pfiffen, um ihre Zustimmung auszudrücken.
Ein Gericht hatte ihn zum Tode verurteilt, weil es ihn für schuldig befand, 15 Minderjährige vergewaltigt, sowie 36 weitere Kinder verschleppt und belästigt zu haben.
Quelle: de.news.yahoo.com

Hallo,
ich behaupte seit langem, dass es für die meisten Menschen ein Vergnügen wäre, bei Hinrichtungen zuzusehen*. Weiter glaube ich, dass Hinrichtungen im Fernsehen gezeigt ungeahnte Einschltquoten bringen würde.
Einer der „Vorboten“ dieser Veranlagung ist z.B. der Unfalltourismus, bzw. die Gaffer bei Unfällen.
Was denkt Ihr darüber?
ist der Mensch tatsächlich noch so primitiv, dass er sich am Leid und Schmerz und Todvon anderer aufgeilt?
Grüße
Raimund
* bin strikter Gegner von Gewaltscenen im Fernsehen. Es geht auch ohne.
Ebenso so gegen Shows wie Big-Brother, Dschungelshow…

Hallo Raimund!

ist der Mensch tatsächlich noch so primitiv, dass er sich :am
Leid und Schmerz und Todvon anderer aufgeilt?

schlichte Antwort: Ja.
Neben der Neugier und dem Voyeurismus steckt dahinter das Bedürfnis nach Rache, danach, dass jemand „bekommt, was er verdient“.
In Deinem Beispiel ist es bestimmt so, dass sich diejenigen, die selbst Kinder haben, von diesem Mann umso schwerer angegriffen/ beleidigt/ erzürnt fühlen; durch die Sozialiation, in der wir gelernt haben, dass Kinder ein Recht auf eine gewalt- oder zumindest sexuell-Übergriffs-freie Kindheit haben, haben wir aber tendenziell alle das Gefühl, dass dieser Mensch etwas Böses getan hat.
Je persönlicher dieses Gefühl für uns ist, desto größer ist unser Rache-Bedürfnis.
Außerdem: Menschen haben eine Lust am Zuschauen, sie sind nunmal „augentiere“, und je besser, desto größere Emotionen mit im Spiel sind.

Es ist natürlich sehr einfach, all das, was man selbst nicht begreift oder bei sich selbst ablehnt, als „primitiv“ zu bezeichnen. Bei Unfällen hinzusehen, ist ein natürlicher Instinkt des Menschen, Hass auf den zu verspüren, der vergewaltigt hat und ihn dafür strafen zu wollen, ist ebenso ein natürlicher Instinkt.

Unnatürlich ist allenfalls das Verhaltensmuster, das den Europäern eingetrichtert wird: Zeig keine Wut, alle sind gleich, Vergewaltigern muss man helfen … die ganze politische Korrektheit eben.

In der südiranischen Stadt Marwdascht wurde am Dienstagmorgen
ein 34-jähriger Kinderschänder öffentlich hingerichtet.
An einem Kran wurde der Serientäter, der acht Missbräuche von
Kindern zugegeben hatte, vor Hunderten von Zuschauern erhängt,
die ihn zusätzlich mit Steinen bewarfen oder pfiffen, um ihre
Zustimmung auszudrücken.
Ein Gericht hatte ihn zum Tode verurteilt, weil es ihn für
schuldig befand, 15 Minderjährige vergewaltigt, sowie 36
weitere Kinder verschleppt und belästigt zu haben.

Bei dieser Konstellation würdest Du hier
in Deutschland bei weitem mehr Zuschauer
vorfinden.

Was denkt Ihr darüber?
ist der Mensch tatsächlich noch so primitiv, dass er sich am
Leid und Schmerz und Todvon anderer aufgeilt?

Ist die Frage wirklich so naív, wie sie
gestellt wurde? Der Mensch ist eben so,
wie der Mensch ist. Seit 50,000 Jahren
und noch länger. Kulturen werden immer
von ‚starker Symbolik‘ begründet und
zusammengehalten. Schon die Kinder lernen
im Märchen, dass der Böse zerstört und
zerfleddert wird und auf alle erdenk-
lichen Arten stirbt. Mit dieser Gewissheit
lassen sich Gemeinschaften stabilisieren.

Die hierbei aufzuwerfende Frage ist das
Problem der Alternative. Was wäre, wenn
nicht …

Euer CMБ

PS.: Die Hinrichtung mit den meisten Zuschauern
aller Zeiten, wenn sie heute so zu organisieren
wäre: „Die Kreuzigung Jesu“.

Du verdrehst die Frage: es ist nicht von der Rechtssprechung die Rede, sondern vom Zuschauen.
Dass Verbrecher bestraft - nach unserer Rechtsauffassung resozialisiert - werden müssen, ist normal.
Dass aber Menschen teilweise von weit her anreisen, um zusehen zu können, wie jemand gequält und getötet wird, das halte ich für abartig, für primitiv.
Im Mittelalter war eine Hinrichtung ein Volksfest. Da wurde teilweise Eintrittsgeld verlangt (für besonders gute Plätze), da wurden Waren verkauft und die kinder auf den Schultern getragen. Da lachten die zuschauer, wenn das Opfer vor Schmerzen schrie.
In USA wurde noch vor nicht allzulanger Zeit aus der Hinrichtung ein volksfest gemacht.
Heute noch in Saudiarabien, Iran, Nigeria, usw.
Und im Prinzip sind die modernen TV-Shows nichts anderes. Sie haben nur ein Spielmäntelchen.
Grüße
Raimund

Hallo!
Natürlich würden hier auch tausende einer Hinrichtung beiwohnen wollen. Und so kultiviert wie wir tun sind wir ohnehin nicht. Sieh doch nur wie sich manche Leute im Strassenverkehr aufführen, oder in manchen Internetforen. Und während man früher den fahrenden Scharlatanen ihr Kombinatspräparat gegen Dummheit, Zahnschmerzen und Haarausfall abgekauft hat und war überzeugt dass es hilft, so werden auch heute noch Kettenbriefe für € 100 das Stück verkauft. Deutlich ist unser Kultur- u. Entwicklungsstand auch bei Nachmittagstalkshows und den Dschungelidioten zu sehen.
In Amerika hat eine Zeitung (fingiert) Henker gesucht die den Todeskandidaten die Giftspritze verpassen. Da haben sich massig Leute gemeldet, die an dem kleinen Nebenerwerb interessiert waren.
Gruß elmore

Dummheit ist grenzenlos
Hi,

ist der Mensch tatsächlich noch so primitiv, dass er sich am
Leid und Schmerz und Todvon anderer aufgeilt?

ja, aus einem einfachen Grund: Den meisten Menschen ist überhaupt nicht bewusst, was dort eigentlich passiert, sowohl physiologisch noch spirituell noch ethisch gesehen.

Es gibt im Netz eine Seite, auf der Du Dir zahlreiche Videos von Hinrichtungen, Unfällen u.ä. runterladen kannst - ich bin dort durch Zufall mal gelandet, und hab mir auch zwei drei Beispiele angeschaut, es aber hinterher noch nicht mal ertragen, die Dinger auch nur auf der Festplatte liegen zu haben.

Ich hab selbst auch schon genug unnatürliche Todesfälle gesehen, mit allem drum und dran, also inkl. die Menschen vorher erlebt zu haben, die Angehörigen zu sehen, die Angehörigen bei Entdeckung zu erleben, mit Gaffern, etc. pp.

Das Hässliche, Böse hat zweifelsfrei eine Anziehungskraft, das kann ich noch nachvollziehen, aber ich kann nicht nachvollziehen, wie man das noch anziehend finden kann, wenn man sich da auch nur ein paar Gedanken drüber gemacht hat, und ich kann ebenso wenig nachvollziehen, wie man sich da keine Gedanken drüber machen kann.

Letztlich hat das was mit dem ganz persönlichen Moralverständnis, Weltbild und Intellekt zu tun, denke ich. Brot und Spiele, Du kennst die alte Geschichte.

Gruß,

Malte.

Ich stimme Bitter Moon teilweise zu.
Es ist leicht, sich hier im Forum über solche Gaffer das Maul zu zerreißen - und dabei selbstgefällig so zu tun, als würde man selber das natürlich NIEEEEE machen.
Ich halte das aber auch für gefährlich.
Die Tatsache, dass in sehr vielen Länderun und Kulturen solche Exzesse vorkamen / vorkommen, zeigt doch, dass in uns ALLEN die Lust zum Gaffen schlummert.
Konstruktiver, als sich da selbtgefällig auszunehmen, ist, zu erforschen, WARUM es diese Lust gibt, wovon sie ausgelöst wird und ob man sie evtl. unschädlich machen kann.
Martina

1 Like

Nein, das ist falsch!
Hallo Malte,

nein, mit Dummheit hat das nichts zu tun. Dummheit ist ein Mangel an Urteilsvermögen. Hier aber handelt es sich um den klassischen Effekt der Katharsis, der Reinigung durch das Aushalten des Schauderns, den schon Aristoteles in seiner Poetik als Grund dafür angegeben hat, warum man im Theater Tragödien anschaut. 1853 hat Karl Rosenkranz in seiner „Ästhetik des Hässlichen“ das Phänomen noch dezidierter aufgegriffen.

Es gibt im Netz eine Seite, auf der Du Dir zahlreiche Videos
von Hinrichtungen, Unfällen u.ä. runterladen kannst

Davon gibt es nicht nur eine Seite, sondern hunderte, die auf einschlägigen Portalen regelmäßig fein säuberlich aufgelistet werden. Auch das spricht dafür, dass es sich eben nicht um ein Problem des falschen Urteilens handelt, sondern um ein gefühlsgesteuertes Bedürfnis (wenn man die Vielzahl der Angebote ansieht, ein Bedürfnis recht vieler Menschen), das mit der bloßen Abkanzelung durch Begriffe wie „Dummheit“ und „Primitivität“ nicht zu verstehen ist.

Das Hässliche, Böse hat zweifelsfrei eine Anziehungskraft, das
kann ich noch nachvollziehen, aber ich kann nicht
nachvollziehen, wie man das noch anziehend finden kann, wenn
man sich da auch nur ein paar Gedanken drüber gemacht hat, und
ich kann ebenso wenig nachvollziehen, wie man sich da keine
Gedanken drüber machen kann.

Gerade daher ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, woher das kommt, damit man nicht bei der Behauptung, man könne es nicht verstehen, stehen bleibt.

Letztlich hat das was mit dem ganz persönlichen
Moralverständnis, Weltbild und Intellekt zu tun, denke ich.

Dein Bild ist natürlich von deiner Erfahrung (wenn du beispielsweise schon viele mehr oder weniger persönliche Erlebnisse dieser Art hattest, als Sanitäter vielleicht) geprägt. Aber das ist weder eine Frage der Moral, noch des Intellekts und auch nicht des Weltbildes. Der Marquis de Sade war hochintelligent und schrieb seine Bücher trotzdem. Die amerikanischen Einwanderer hatten ein überwältigendes moralisches Selbstverständnis und haben doch ein ganzes Volk geschlachtet. Und über das Weltbild der Inquisition brauche ich wohl auch kein Wort zu verlieren. Diese Beispiele sind natürlich nur Stellvertreter für weitere solche Vorkommnisse in der Geschichte der Menschheit.

Man macht es sich in der Regel gewohnheitsmäßig zu einfach mit solchen Phänomenen.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

11 Like

Hallo,

und wie ist es mit dem Gefühl der Erleichterung, daß es „mir“ nicht passiert ?

Ich denke, das spielt auch eine Rolle.

Gruß
Scarlet

hallo,

hier werden zwei dinge vermischt.

  1. die lust beim ansehen von grausamkeit und gewalt
  2. das bedürfnis nach vergeltung.

beides kommt in dem beispiel zur sprache. beides ist in unserer zeit/kultur mit einem tabu belegt, was man flapsig mit „zivilisation“ im gegensatz zur „barbarei“ bezeichnet. beide bedürfnisse sind aber nichtsdestotrotz m.e. menschlich bzw. „normal“.

nummer 1 wird durch das erleben virtueller gewalt kompensiert. actionfilme, gruselfilme, geisterbahn, aber auch sport sind beispiele. dazu kommt noch die seelische gewalt. die lust am öffentlichen bloßstellen, beschämen, auslachen, verspotten („pranger“) wird befriedigt durch paparazzi-journalismus, talkshows und „reality shows“.

nummer 2 wird durch recht und ordnung ersetzt. verbrecher werden zwar immer noch verfolgt, bestraft und unschädlich gemacht, es wird unrecht immer noch vergolten, aber zugeben darf man das nicht mehr (es heißt „resozialisierung“ statt „strafe“ usw.).

ich stimme dem auch zu, daß jeder mensch „von natur aus“ nicht nur gern gewalt beiwohnt sondern sogar ein mörder und folterer sein kann. dazu braucht es eigentlich sehr wenig. es reicht legitimation von oben und gruppendruck (milgram-experiment).

gruß
datafox

Hi Datafox,
wenn ich Dich richtig verstanden habe, stimme ich dir zu:
Der Zuschauer ist „Stellvertreter“ - in einem Falle für das Opfer, im anderen Falle für den Henker.
Jedem dieser Stellvertreterpositionen wohnt die Eigenschaft der Selbstgerechtigkeit inne. Dem einen aus Mitleid, dem anderen aus Genugtuung.
Sensationslust rührt nach meinem Verständnis immer aus dem Vergleich: mit dem Täter möglicherweise, aber auch mit dem Opfer; aus dem Mit-leiden einerseits aber auch mit der Erleichtung, nicht selbst der Delinquent zu sein.
Ich verurteile dies nicht, bin aber der Meinung, dass man sich dieser eigenen Haltung bewusst sein sollte…
(seit einem eigenen schweren Verkehrsunfall fühle ich mich auch magisch von Unfällen angezogen, aber ich weiß, woher das kommt…).
Gruß, Anja

1 Like

hallo Thomas,
sollte man aber nicht gerade deswegen, weil es im Menschen steckt (er also zumindest auf diesem Sektor eine Fehlentwicklung der Natur ist) dagegen ankämpfen?
Wir sagen uns doch auch nicht: Mord kommt so häufig vor, das ist im Menschen. Also lassen wir jeden Morden wie er will (etwas überzogen, ich weiß).
Trotzdem weicht unsere Moral immer mehr auf. Das TV wird immer brutaler, die Shows immer härter.
Bringt ein Showmanster nicht irgend etwas, was negativ für einen Menschen ist (gleich ob Spott, Schadenfreude…) wird seine Sendung als lahm bezeichnet und er als Weichei.
Wie Du schon sagst, mit Intelligenz hat das überhaupt nichts zu tun.
Dass es auch anders geht, sehe ich daran, dass es Menschen gibt, die bei Unfällen nicht stehen bleiben, wenn sie nicht helfen können, die Töten ablehnen, selbst das Töten von Tieren nur mit Widerwillen akzeptieren. Ja sogar bei der Flora sich genau überlegen, dass das Leben ist und möglichst nicht zerstört (getötet) werden darf. Die genau um ihre Fehler wissen und die diese möglichst bekämpfen.
Und denen es ein Vergnügen ist, anderen zu helfen, auch wenn der Geholfene nicht weiß, wer ihm da geholfen hat.
Man könnte natürlich auch sagen, dass gerade diese Lust am Schmerz anderer mit Intelligenz zu tun hat. Denn diese kommt nur bei hochentwickelten Lebewesen vor: dem Affen und den Menschen.
Grüße
Raimund

Selbstverständlich, aber nicht ganz!
Hallo Raimund,

du hast natürlich ganz Recht, dass man solchen Dingen nicht freien Lauf lassen kann (schon im Interesse des Zusammenlebens), aber auch das scheint mir so, wie du es vermutlich meinst, zu einfach zu sein.

Dass die Häufigkeit nicht entscheidend ist, ist richtig. Und dass die „Moral aufweicht“, ist auch richtig. Aber wenn wir gegen das Letztere vorgehen, müssen wir den klaren Blick für Verhältnismäßigkeit behalten. Solche von dir angesprochenen TV-Shows zu verbieten, halte ich für den falschen Weg, ebenso Sanktionen gegen Pornographie oder Gewaltdarstellungen. Denn die Gewalt beginnt nicht bei den Unfallbildern oder abgehackten Gliedmaßen oder Vergewaltigungsdarstellungen, sondern sie beginnt im Miteinander (oder eben auch Gegeneinander) der Menschen in Elternhaus, Kindergarten und Schule.

Ich jedenfalls finde die Schadensfreude mancher Verstehen-Sie-Spaß-Klone wesentlich schlimmer als solche Nischen, die nur ein Zeichen dafür sind, dass die Ursachen viel früher gelegt wurden. Warum hat denn die Dschungelshow so hohe Einschaltquoten gehabt? Weil man sich hinterher (!) so gut amüsieren konnte, indem man über die Überwindungen der prominenten Opfer spricht. Die Katharsis wird zur Abgrenzung. Und diese Abgrenzung wird von Seiten der Medien gefördert, weil sie inzwischen sogar staatstragend ist (Ausländer, Arbeitslose etc.).

Dass es auch anders geht, sehe ich daran, dass es Menschen
gibt, die bei Unfällen nicht stehen bleiben, wenn sie nicht
helfen können, die Töten ablehnen, selbst das Töten von Tieren
nur mit Widerwillen akzeptieren. Ja sogar bei der Flora sich
genau überlegen, dass das Leben ist und möglichst nicht
zerstört (getötet) werden darf. Die genau um ihre Fehler
wissen und die diese möglichst bekämpfen.

Das ist differenziert zu sehen, denke ich. Denn man kann vom Handeln der Menschen nicht unbedingt auf ihre Gedanken/Gefühle schließen und auch umgekehrt geht das nicht immer. Wer Pflanzen schützt, hat meinen Respekt, aber wer deshalb keinen Rasen mehr betritt, ist zumindest potentiell gefährdet, seine immer auch vorhandenen Aggressionen anderswo abzuladen (ohne dass er sich dessen bewusst sein muss). Übrigens spreche ich jetzt nicht über Ausnahmemenschen - die mag es geben oder auch nicht - ich rede vom Normalbürger.

Sich gegenseitig helfen, ist schön, aber man muss jedem seine dunkle Seite zugestehen. Denn wenn man das nicht macht und gezwungen ist, diese Seite völlig zu unterdrücken, wird sie sich in den meisten Fällen nur von selbst verstärken. Das ist bei allen Grundtrieben so, Aggressivität ist auch eine.

Die Lösung liegt in einem Mittelweg, der aber - das gebe ich zu - nicht leicht zu finden ist.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

so falsch, wie Du behauptest, liegt Malte gar nicht. Daß Du Aristoteles´ Auffassung bzgl. Karthasis heranziehst, beleuchtet auch nur eine Seite, nämlich die kurzfristige. Langfristig hat das Betrachten solcher Dinge den tendenziellen Effekt, die Häufigkeit gewaltätigen Verhaltens zu steigern und nicht sie zu senken.

Hier aber handelt es sich um den
klassischen Effekt der Katharsis, der Reinigung durch das
Aushalten des Schauderns, den schon Aristoteles in seiner
Poetik als Grund dafür angegeben hat, warum man im Theater
Tragödien anschaut.

Weshalb bist Du Dir so sicher, daß es so ist? Oder denkst Du Dir das nur in Anlehnung an die Meinung des Aristoteles?

sondern um ein
gefühlsgesteuertes Bedürfnis (wenn man die Vielzahl der
Angebote ansieht, ein Bedürfnis recht vieler Menschen),

Ja, und doch hat es etwas mit geringer Bildung und „Primitivität“ zu tun, sich über *diese* Dinge den „Schauder“ zu verschaffen. Es gibt da wahrlich Anspruchsvolleres und Wertvolleres. Wenn ich mir „Schauder“ verschaffen will, dann greife ich z.B. zu den Klassikern der Horror-Literatur. Der deutliche Unterschied zeigt sich z.B. bei klassischer Horror-Literatur und solchen Dingen, wie Raimund sie beschreibt, darin, daß bei ihnen im Gegensatz zum Hinrichtungsvideo nicht alles im Detail oder exzessiv gezeigt und genau dadurch der Horror und das Grauen hervorgerufen wird. Einige Autoren unterscheiden anhand dieses Merkmals auch Kunst und Schund. Dieses Kriterium kann man auch auf anspruchsvolle Erotik vs. Pornographie ausdehnen.

Aber das ist weder eine Frage der Moral, noch des
Intellekts und auch nicht des Weltbildes.

Doch, das ist auch eine Frage des Intellekts, der Bildung und der Geisteshaltung.

Grüße,

Oliver Walter

4 Like

Hallo Oliver,

selbstverständlich hat Malte nicht ganz Unrecht. Meine Überschrift bezog sich vor allem auf den Begriff „Dummheit“ - und das scheint mir außer Frage, jedenfalls begrifflich.

Was den langfristigen Gewöhnungseffekt angeht, weiß ich, dass deine Meinung vertreten wird, aber die Gegenmeinung wird ebenso vertreten. Nicht jeder, der häufig Gewalt sieht, wird gewalttätig. Das ist aus meiner Sicht ein statistischer Fehlschluss, weil bei den berücksichtigten Fällen die das Gegenteil anzeigende Dunkelziffer, also diejenigen, die Gewalt sehen, aber eben nicht gewaltätig werden in der Grundmenge überhaupt nicht erfasst sind. Man sieht sich die Gewalttäter an und schaut dann nach, wieviele von denen Gewalt konsumiert haben. Und wenn natürlich überproportional aufgrund von Gewaltkonsum gewalttätig gewordene Menschen herangezogen werden, dann ist natürlich von vorn herein klar, dass die sich statistisch in der Mehrzahl befinden. Außerdem: Wenn es so wäre, dann bräuchte man ja nur die optisch zugängliche Gewalt zu entziehen, aber das funktioniert nicht.

Langfristig hat das Betrachten solcher Dinge den tendenziellen
Effekt, die Häufigkeit gewaltätigen Verhaltens zu steigern und
nicht sie zu senken.

Ich weiß, dass es Studien gibt, die meinen, das nachweisen zu können. Aber ich weiß auch, dass es die gegenteilige Meinung gibt. Ich bin im Moment mit diesen Dingen nicht befasst und habe daher kein empirisches Material. Aber ich habe solche Studien schon gesehen - und nicht etwa solche, die von Fernsehmachern gemacht waren, sondern die stammten schon von Psychologen.

Hier aber handelt es sich um den
klassischen Effekt der Katharsis, der Reinigung durch das
Aushalten des Schauderns, den schon Aristoteles in seiner
Poetik als Grund dafür angegeben hat, warum man im Theater
Tragödien anschaut.

Weshalb bist Du Dir so sicher, daß es so ist? Oder denkst Du
Dir das nur in Anlehnung an die Meinung des Aristoteles?

Warum bist du so sicher, dass es nicht so ist? Oder denkst du dir das nur in Anlehnung an die Meinung der Vertreter der Studien, die du kennst? :smile: - - - Aber im Ernst: Die Theorie ist zwar von Aristoteles aufgestellt worden, aber sie zieht sich durch die Jahrhunderte (ich hatte De Sade und Rosenkranz erwähnt). Ich meine, dass die Theorie einen guten Grund anbietet, warum „Böses“ fasziniert. Dass man diesen Effekt übersteigern kann, habe ich selbst gesagt. Dieses Phänomen des Übersteigerns kannte freilich Aristoteles noch nicht, wohl aber z. B. De Sade (oder Sartre, Beauvoir, Foucault …). Ok, das sind alles Leute (mit Ausnahme von De Sade natürlich), die mehr oder weniger von Freud abhängen. Vielleicht macht dir das die Annahme nur noch weniger annehmbar.

Ja, und doch hat es etwas mit geringer Bildung und
„Primitivität“ zu tun, sich über *diese* Dinge den „Schauder“
zu verschaffen.

Ich habe auch einmal eine Studie gelesen, wonach z. B. der Konsum von Gewalt unter Bildungsbürgern höher ist, wenn ein pornographischer Aspekt hinzukommt. Ich traue weder den einen noch den anderen Studien, solange mir nicht richtig erklärt wird, wie diese Studien zustande kommen. Ich weiß nicht, ob du mit deinem statistischen Wissen jede Studie mit anderen Augen siehst als ich, oder ob du dich nicht auch gerne auf Studien verlässt, wo Leute mitmachen, die du normalerweise schätzt. Aber der Streit um dieses Phänomen scheint mir alles andere als geklärt und statistisch auch nicht wirklich greifbar. Wenn das so wäre, müsste man solche Vorfälle wie die von Erfurt auch klar erklären können. Ist das deiner Ansicht nach so?

Es gibt da wahrlich Anspruchsvolleres und Wertvolleres.

Keine Frage, dass Subtilität hier eine Rolle spielt, aber doch nur für die Wenigsten, möchte ich meinen. Der Bildungsdurchschnitt steigt, aber die Bild-Leser bleiben nahezu konstant.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo,

nein, mit Dummheit hat das nichts zu tun. Dummheit ist ein
Mangel an Urteilsvermögen. Hier aber handelt es sich um den
klassischen Effekt der Katharsis, der Reinigung durch das
Aushalten des Schauderns, den schon Aristoteles in seiner
Poetik als Grund dafür angegeben hat, warum man im Theater
Tragödien anschaut. 1853 hat Karl Rosenkranz in seiner
„Ästhetik des Hässlichen“ das Phänomen noch dezidierter
aufgegriffen.

Mein Titel war sicher angreifbar formuliert - ich betrachte das zudem mit einem anderen, wesentlich unfundierteren Background als Du bspw.

Auch das spricht dafür, dass es sich eben nicht um ein
Problem des falschen Urteilens handelt, sondern um ein
gefühlsgesteuertes Bedürfnis (wenn man die Vielzahl der
Angebote ansieht, ein Bedürfnis recht vieler Menschen), das
mit der bloßen Abkanzelung durch Begriffe wie „Dummheit“ und
„Primitivität“ nicht zu verstehen ist.

Nun, das ist eine Frage des Maßes, welches man anlegt. Ich lege die Messlatte lieber etwas zu hoch als etwas zu niedrig, und dann rutscht allein schon die Tatsache dieses Bedürfnisses unten durch. Aber auch das ist lediglich persönliche Meinung.

Letztlich hat das was mit dem ganz persönlichen
Moralverständnis, Weltbild und Intellekt zu tun, denke ich.

Dein Bild ist natürlich von deiner Erfahrung (wenn du
beispielsweise schon viele mehr oder weniger persönliche
Erlebnisse dieser Art hattest, als Sanitäter vielleicht)
geprägt. Aber das ist weder eine Frage der Moral, noch des
Intellekts und auch nicht des Weltbildes. Der Marquis de Sade
war hochintelligent und schrieb seine Bücher trotzdem.

Nun, „Dummheit“ ist nicht nur als Gegenteil von „Intelligenz“ gemeint, sondern auch als Gegenteil von „Reife“ und „Kurzsichtigkeit“.

Die
amerikanischen Einwanderer hatten ein überwältigendes
moralisches Selbstverständnis und haben doch ein ganzes Volk
geschlachtet.

Da müsste man jetzt darüber diskutieren, was „Moral“ beinhaltet :wink: In meinen Augen waren (und sind) die hochgradig unmoralisch.

Man macht es sich in der Regel gewohnheitsmäßig zu einfach mit
solchen Phänomenen.

Mag sein, klar. Vielleicht spielen da tatsächlich meine eigenen Erlebnisse eine Rolle, so hautnah wird ja selten jemand damit konfrontiert. Wer kommt heutzutage schon noch dazu, einen Erhängten selbst abschneiden zu müssen?

Gruß,

Malte.

„Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche gibt ihr den Wert.“

Außergewöhnlich
Hallo Malte,

Mein Titel war sicher angreifbar formuliert - ich betrachte
das zudem mit einem anderen, wesentlich unfundierteren
Background als Du bspw.

mein Background ist ja in seiner Fundierungskraft schon von Oliver angezweifelt worden.

Nun, das ist eine Frage des Maßes, welches man anlegt. Ich
lege die Messlatte lieber etwas zu hoch als etwas zu niedrig,
und dann rutscht allein schon die Tatsache dieses Bedürfnisses
unten durch. Aber auch das ist lediglich persönliche Meinung.

Ich versuche ebenso, die Messlatte hoch anzulegen, aber - und das scheint mir bedeutend - im wesentlichen für mich selbst. Und damit ist man immer noch nicht im sicheren Sinn auf der richtigen Seite, denn es kommt ja auch darauf an, ob andere diese Messlatte ebenso empfinden oder gar von einer ganz anderen Perspektive an die Dinge herangehen - wie etwa Oliver. Ich halte seine Ansicht für falsch, aber das bedeutet ja nicht, dass sie falsch ist.

Nun, „Dummheit“ ist nicht nur als Gegenteil von „Intelligenz“
gemeint, sondern auch als Gegenteil von „Reife“ und „Kurzsichtigkeit“

Der Begriff „Dummheit“ wird zugegebenermaßen oft umgangssprachlich so verwendet, als bedeute er Unreife oder fehlende Voraussicht.

Die amerikanischen Einwanderer hatten ein überwältigendes
moralisches Selbstverständnis und haben doch ein ganzes Volk
geschlachtet.

Da müsste man jetzt darüber diskutieren, was „Moral“
beinhaltet :wink: In meinen Augen waren (und sind) die hochgradig
unmoralisch.

Ich bin deiner Meinung, denn ich schrieb ja auch von ihrem moralischen Selbst verständnis.

Wer kommt heutzutage schon noch
dazu, einen Erhängten selbst abschneiden zu müssen?

Ich habe drei Nabelschnüre durchgeschnitten, das Gefühl stelle ich mir ähnlich vor … :smile:

„Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das
Außergewöhnliche gibt ihr den Wert.“

Tut mir Leid, ich muss diesen schön klingenden Satz tadeln …:
Auch Hitler war alles andere als Durchschnitt, jedenfalls wenn man seinen Werdegang ansieht. Der Satz ist also zumindest missverständlich - aber ich weiß natürlich, wie du ihn meinst, und in dieser Bedeutung schätze ich ihn auch.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas,

Das ist aus meiner Sicht ein statistischer
Fehlschluss, weil bei den berücksichtigten Fällen die das
Gegenteil anzeigende Dunkelziffer, also diejenigen, die Gewalt
sehen, aber eben nicht gewaltätig werden in der Grundmenge
überhaupt nicht erfasst sind.

nein, solche Studien sind es nicht. Ich beziehe mich u.a. auf Zufallsstichproben und für die Bevölkerung repräsentative Stichproben.

Man sieht sich die Gewalttäter
an und schaut dann nach, wieviele von denen Gewalt konsumiert
haben.

Das Versuchsdesign ist ein anderes als dasjenige, das Du ansprichst.

Ich weiß, dass es Studien gibt, die meinen, das nachweisen zu
können. Aber ich weiß auch, dass es die gegenteilige Meinung
gibt.

Es ist inzwischen durch Meta-Analysen hunderter Studien belegt, daß Gewaltfilme langfristig einen gewaltsteigernden Effekt auf die Konsumenten haben. Unter diesen hunderten von Studien befinden sich auch experimentelle Untersuchungen. Siehe zum Vergleich mein erstes Posting.

Weshalb bist Du Dir so sicher, daß es so ist? Oder denkst Du
Dir das nur in Anlehnung an die Meinung des Aristoteles?

Warum bist du so sicher, dass es nicht so ist? Oder denkst du
dir das nur in Anlehnung an die Meinung der Vertreter der
Studien, die du kennst? :smile:

Weil ich weiß, wie die Forschungsergebnisse lauten, wie sie zu interpretieren und zu bewerten sind (siehe mein erstes Posting und siehe oben).

Aber im Ernst: Die Theorie
ist zwar von Aristoteles aufgestellt worden, aber sie zieht
sich durch die Jahrhunderte (ich hatte De Sade und Rosenkranz
erwähnt).

„Die Sonne kreist um die Erde“ ist auch eine Theorie, die sich durch die Jahrhunderte zieht. Dein Argument ist also kein überzeugendes.

Ich meine, dass die Theorie einen guten Grund anbietet,
warum „Böses“ fasziniert.

Das Problem der Katharsis-Theorie ist nicht, daß sie völlig falsch ist, sondern daß sie unvollständig ist (siehe mein erstes Posting und s.o.)

Dieses Phänomen des
Übersteigerns kannte freilich Aristoteles noch nicht, wohl
aber z. B. De Sade (oder Sartre, Beauvoir, Foucault …). Ok,
das sind alles Leute (mit Ausnahme von De Sade natürlich), die
mehr oder weniger von Freud abhängen. Vielleicht macht dir das
die Annahme nur noch weniger annehmbar.

Konrad Lorenz und seine Schüler vertraten auch die Karthasis-Hypothese. Aber inzwischen erkennen Ethologen an, daß die Sache differenziert gesehen werden muß - eben kurz- und langfristig. Wie es langfristig aussieht: siehe mein erstes Posting und s.o.

Ich habe auch einmal eine Studie gelesen, wonach z. B. der
Konsum von Gewalt unter Bildungsbürgern höher ist, wenn ein
pornographischer Aspekt hinzukommt.

In Prozentzahlen oder absolut?

Ich traue weder den einen
noch den anderen Studien, solange mir nicht richtig erklärt
wird, wie diese Studien zustande kommen.

Wenn man gründlich Forschungsmethodik und Statistik studiert hat, dann versteht man Studienergebnisse zu interpretieren sowie qualitativ hochwertige von qualitativ minderwertigen Studien zu unterscheiden.

Ich weiß nicht, ob du
mit deinem statistischen Wissen jede Studie mit anderen Augen
siehst als ich,

Rate mal.

Aber der Streit um dieses Phänomen scheint mir alles andere
als geklärt und statistisch auch nicht wirklich greifbar.

Es ist inzwischen durch Meta-Analysen hunderter Studien belegt, daß Gewaltfilme langfristig einen gewaltsteigernden Effekt auf die Konsumenten haben.

Keine Frage, dass Subtilität hier eine Rolle spielt, aber doch
nur für die Wenigsten, möchte ich meinen. Der
Bildungsdurchschnitt steigt, aber die Bild-Leser bleiben
nahezu konstant.

Na ja, wenn ich mir die Ergebnisse von PISA 2000 ansehe, dann kann höchstens etwas auf niedrigem Niveau steigen. Wenn da überhaupt etwas steigt. Aber die Ergebnisse und Zahlen von PISA 2003 werden wir der Öffentlichkeit am Ende dieses Jahres vorstellen.

Gute Nacht!

Oliver Walter

4 Like

Grauen als Faszinosum
Hi Thomas

nein, mit Dummheit hat das nichts zu tun.

Da gebe ich dir völlig recht. Die Faszination des Grauens, die ja auch den Grundgedanken in Francis Coppola’s Apocalyse Now lieferte, hat nichts mit Dummheit zu tun (auch wenn man diese nicht als Mangel an Urteilsvermögen auffaßt). Allerdings ist es eine Frage der Fähigkeit, die Motive des eigenen Denkens sensibel zu reflektieren, ob man das Wie und Warum dieser Faszination durchschaut - einfach ist es nicht, denn dieses Durchschauen ist durch extrem sanktionierende gesellschaftliche Tabus bzw ethische Grundsätze mit Stahltüren verriegelt - sprich: aus der Kommunikabilität des Alltagslebens verdrängt. Es gehört Mut im Denken dazu, diese Absicherung zu druchbrechen.

Hier aber handelt es sich um den klassischen Effekt der Katharsis, der :Reinigung durch das Aushalten des Schauderns, den schon Aristoteles in :seiner Poetik als Grund dafür angegeben hat, warum man im Theater :Tragödien anschaut. 1853 hat Karl Rosenkranz in seiner „Ästhetik des :Hässlichen“ das Phänomen noch dezidierter aufgegriffen.

Das glaube ich allerdings nicht. Die aristotelische Katharsis hat das Theater, die (Re-)Inszenierung in der virtuellen Realität, in der Welt der Bühne zur Voraussetzung. Dabei geht es um das begreifende Durchschauen (auch das Sich-selbst-Durchschauen) mit dem Mittel der gestalteten Reproduktion der Realität, worin Erkenntnismöglichkeit liegt. Der Oidipous Tyrannos des Sophokles ist ja das Paradestück dafür und auch das Theaterstück, das Hamlet durch seine Freunde im Schloß aufführen läßt, hat diesen Zweck der Entlarvung derer, die ihre Schuld zu verbergen suchen.

Bei der Faszination des Grauens - nach der ja im Posting gefragt war - geht es aber um die unmittelbare Teilnahme (Methexis) an der Tatsächlichkeit des Grauens (Folter, Tod, Zerstörung), nicht der vermittelten. Insofern ist das etwas anderes, und zwar mehr als nur eine ganz andere Dimension der Intensität, als die, die beim Anschauen von Gewalt in filmischen Inszenierungen eine Rolle spielt. Dort fehlt ja gerade das Entscheidende, weil es gar nicht inszeniert werden kann.

Davon gibt es nicht nur eine Seite, sondern hunderte …

Ja, und diese rotten pages werden heimlich (aber eifrig) durchwühlt, wenn der Rest der family nichts davon erfährt … und es wird nur unter vorgehaltener Hand geoutet - eben weil die gleichsam unmittelbare Teilhabe am Geschehen ansonsten so stark tabuisiert ist.

So selbstverständlich diese Tabuisierung auch gesellschaftlich notwendig ist: Warum dennoch eine so große Anziehungskraft darin liegt, ist sehr wohl erklärbar, allerdings würde die Publikation der Erklärung selbst wiederum dasselbe Tabu brechen (wie es ja bei Apocalypse Now geschehen ist, ob dieser Film nur die These aufstellt, nicht aber die Erklärung liefert): Es gibt halt Wahrheiten über die Natur des Menschen, die nicht öffentlich „gewußt“ werden dürfen.

Aber wenn z.B. eine öffentliche Hinrichtung, die ja zumindest systemimmanent legitimiert ist, schon mal anliegt, dann ist Tabubruch kanalisiert - ebenso wie die Einrichtung der KZs Wege für ganz individuelle persönliche Sadismen freimachte: Die Äußerung „ich habe nur Befehle ausgeführt“ läßt sich ja leicht in dieser Richtung in psychologisch stimmigeren Klartext übersetzen. Dasselbe gilt für das Hinschauen bei Unfällen oder Katastrophen: „Man kann ja nicht dafür, wenn man schon mal zufällig da ist“ …

Schmerz, Tod, Vernichtung hat wie alles Heilige zwei Momente, die untrennbar sind: Die Faszination - und den Schrecken. D.h. die überflutende Faszination ist ebenso grauenhaft, wie das überflutende Grauen faszininierend. De Sade - wie überhaupt das ganze Gebiet des Sadomasochismus - ist ein Beispiel dafür, Schillers „Das verschleierte Bild zu Sais“ ein anderes …

Gruß

Metapher

4 Like