'zweiter Versailler Vertrag'

Liebe Freunde,

folgenden Artikel fand ich - ist es wirklich derart dramatisch oder „Zweck-Pessimismus“?

Reginald Grünenberg, der Geschäftsführer des Technologieunternehmens Audiantis in Berlin, macht in der Zeitschrift Cicero auf eine bedrohliche Entwicklung aufmerksam: Deutschland hat sich mit seinen Pensionszusagen für Beamte in eine finanziell aussichtslose Lage gebracht. Der Autor wörtlich:

„Das Drama der deutschen Staatsfinanzen liegt nämlich nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Und dann bringt er einen durchaus zutreffenden Vergleich mit dem Versailler Vertrag. Zur Erinnerung: Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg ging es um die Reparationszahlungen, die Deutschland zu leisten hatte. Der damals noch unbekannte britische Finanzexperte und Nationalökonomen John Maynard Keynes hatte festgestellt, dass die Zahlungsfähigkeit Deutschlands für die folgenden 30 Jahre maximal 40 Milliarden Goldmark betragen könnte. Dabei berücksichtigte er die 5 % Zinsen, die von Anfang an auf die Gesamtschuld fällig sein würden. Er zeigte, dass der Zinseffekt bereits ab 1930 höher wäre als alle liquidierbaren Werte. Deutschland könnte die Kriegsschulden niemals tilgen, sie würden unaufhörlich weiterwachsen.

Diese Argumentation interessierte die Vertreter der Siegermächte nicht. Im Januar 1921 präsentierten sie in Paris ihre Forderungen an Deutschland in Höhe von sagenhaften 269 Milliarden Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten. Bei einer angenommenen Kaufkraftparität von einer Goldmark zu zehn Euro ging es nach heutigen Begriffen um rund 2,7 Billionen Euro, die Deutschland bezahlen sollte. Das konnte nicht gut gehen.

Sie kennen die Geschichte: Der Deutsche Reichstag lehnte den Vertrag ab, woraufhin die Siegermächte das Ruhrgebiet besetzten. Sie senkten ihre Forderung zwar auf 132 Milliarden Goldmark, aber Deutschland wollte immer noch nicht bezahlen. Dem folgten im Rahmen internationaler Konferenzen der Dawes- und der Young-Plan, womit die Reparationen nochmals deutlich gesenkt und zeitlich bis 1988 gestreckt wurden. Auf der Konferenz von Lausanne 1932 wurden sie dann wegen der Weltwirtschaftskrise vorerst ganz eingestellt und läuft seit Ende des 2. Weltkriegs weiter (4 Millionen Euro/Jahr, noch bis 2010). Trotzdem wird die Summe der deutschen Reparationszahlungen am Ende kaufkraftbereinigt nicht einmal so groß sein wie der Betrag, den Keynes damals für realistisch hielt, nämlich 40 Milliarden Goldmark.

Wo liegt nun die Parallele zur heutigen Schuldensituation der Bundesrepublik?

Offiziell beträgt die Staatsverschuldung derzeit über 1,4 Billionen Euro oder 66 % des Bruttoinlandsprodukts. Das ist die explizite Staatsverschuldung. Der gigantische Schatten, der über allen öffentlichen Haushalten liegt, ist nicht berücksichtigt: Es sind die Versorgungszusagen, die Pensionen und Zusatzleistungen für Beamte und Angestellte des öffentlichen Diensts.

Die Summe aller Versorgungszusagen übersteigt bis 2040 die Marke von zwei Billionen Euro und bildet den größten Posten der impliziten Staatsschulden. Konkret:

Die jährlichen Versorgungsausgaben werden von 44 Milliarden Euro in 2004 (Pensionen plus Zusatzversorgungen) auf mindestens 65 Milliarden Euro in 2040 ansteigen - vorausgesetzt, die Pensionen werden über all die Jahre eingefroren und die Ruheständler erhalten nur noch einen Inflationsausgleich. Damit ergibt selbst das optimistischste Szenario für die Jahre 2005 bis 2015 Versorgungsausgaben in Höhe von 430 Milliarden Euro. Bis 2040 wird die Summe mindestens auf die genannten zwei Billionen Euro steigen.

Fatal: Die Versorgungslasten sind keine Auslandsschulden wie damals die Reparationen, aber das macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil. Es sind verbriefte Schuldtitel.

Ein ordentlicher Kaufmann oder eine Kapitalgesellschaft hätte für solche Verpflichtungen über viele Jahre hinweg Rückstellungen gebildet. Nicht so die Bundesrepublik. Die staatlichen Rückstellungen für die Beamtenversorgung belaufen sich bundesweit auf zwei Milliarden Euro - und sollen bis 2017 auf 28,5 Milliarden Euro ansteigen. Damit könnten gerade mal ein halbes Jahr lang alle Pensionen bezahlt werden. Wenn man die Zahlenreihen der tatsächlich anstehenden Auszahlungen zusammenfasst, dann kommt man bis 2040 auf mindestens 2,6 Billionen Euro. Dieser Posten der impliziten Schulden (die enormen Nachhaltigkeitslücken des Gesundheits- und Rentensystems sind noch nicht einmal berücksichtigt) addiert sich mit den expliziten Staatsschulden zu sagenhaften vier Billionen Euro. Ab 2040 wären dann theoretisch 350 bis 450 Milliarden Euro an jährlichen Zinsen fällig.

Das Fazit:
Die Bundesrepublik wird diesen Ressourcenabfluss nicht überleben. Sie wird im Jahr 2040 nicht mehr in ihrer heutigen Form existieren. Die Bundesrepublik hat durch die ungedeckten Pensionsversprechungen für den expandierenden Staatsdienst einen zweiten Versailler Vertrag mit sich selbst abgeschlossen.

Hallo,

Ein ordentlicher Kaufmann oder eine Kapitalgesellschaft hätte
für solche Verpflichtungen über viele Jahre hinweg
Rückstellungen gebildet.

und wenn schon: Rückstellungen stehen in der Bilanz eines Unternehmens, stellen aber kein Sparschwein dar, dem man im Notfall etwas entnehmen kann. Mehr:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Der Unterschied zwischen Bund/Ländern und Unternehmen ist also gar nicht so groß.

Gruß,
Christan

Hallo Gunter,

Das Fazit:
Die Bundesrepublik wird diesen Ressourcenabfluss nicht
überleben.

wohin fließen denn die Ressourcen ab?
Das was an die Pensionisten ausbezahlt wird, kehrt ja in erster Linie über Steuern wieder zum Staat zurück; der Staat kann sogar über die Steuerschraube in bestimmten Grenzen steuern, wieviel davon;

Und warum etwa nicht eine Sonderbesteuerung für gutsituierte Rentner/Pensionisten einführen, wenn es gar nicht anders möglich sein sollte?

Dieser Unterschied zu den Zahlungsverpflichtungen des Versailler Vertrags ist aus meiner Sicht eklatant.

Sie wird im Jahr 2040 nicht mehr in ihrer heutigen
Form existieren.

das ist richtig, aber trivial, weil die BRD 2040 sicher anders sein wird als 2006.

Mein Fazit: der Kern des Argumentes, die hohe zukünftige Belastung mit Pensionsleistungen, und die Tatsache, dass man diese zur Staatsverschuldung zählen könnte, ist durchaus treffend, die Hülle aber, der „zweite Versailler Vertrag“, ist eine dumme Effekthascherei, ohne jeglichen Sinn.

Viele Grüße
franz

Hallo Gunter,
was spricht dagegen, dass Beamte (wie jeder andere Angestellte) ihre Altersversorgung selbst übernehmen?
Es war früher (vor WK II) absolut richtig dass der Staat die Altersvorsorge übernahm. Damals verdiente der Beamte weniger als ein AN.
Heute ist es fast umgekehrt.
auf alle Fälle sollten sie genauso in die Rentenkasse einzahlen, wie jeder andere auch.
Oder wir machen ein Generalaufwischen und zahlen nur noch eine Grundrente. Wer mehr möchte muss Zeit seines Arbeitslebens dafür privat vorsorgen.
Das problem sind hier nur diejenigen, die keine Zeit mehr dafür haben. Aber da kann eine Lösung gefunden werden.
Grüße
Raimund

Hallo,

Der Unterschied zwischen Bund/Ländern und Unternehmen ist also
gar nicht so groß.

Der Unterschied ist nur so groß wie der zwischen einem Sparplan und einem Ratenkredit.

Der Unterschied zwischen Bund/Ländern und Unternehmen ist also
gar nicht so groß.

Der Unterschied ist nur so groß wie der zwischen einem
Sparplan und einem Ratenkredit.

Es ging nicht um die Gebietskörperschaften und die Unternehmen insgesamt, sondern um die Frage, wer für zukünftige Pensionszahlungen besser Vorsorge getroffen hat. Die Antwort lautet: Keine von beiden. Die große Pleitewelle wird spätestens 2015 anrollen.

Gruß,
Christian

Hallo,

Es ging nicht um die Gebietskörperschaften und die Unternehmen
insgesamt, sondern um die Frage, wer für zukünftige
Pensionszahlungen besser Vorsorge getroffen hat. Die Antwort
lautet: Keine von beiden. Die große Pleitewelle wird
spätestens 2015 anrollen.

Hier widerspreche ich lautstark.

Die Pensionen der Gebietskörperschaften sind im Umlaufverfahren finanziert. Da die Zahl der Mitarbeiter dort in den 70er und 80er Jahren stark ausgeweitet wurden, wird die Belastung der kommunalen Haushalte in den nächsten 20-30 Jahren spürbar ansteigen. Da der Anteil der Personalausgaben der Gemeinden sehr hoch ist, wird dies die Gemeindefinanzen im voller Wucht treffen.

Die Betriebsrenten der Unternehmen sind hingegen kapitalgedeckt. Im Idealfall werden daher die heute bestehenden Zusagen in den Bilanzen der Unternehmen in den Folgejahren keine Gewinnauswirkungen haben.
Natürlich bestehen auch hier Risiken, die aber derzeit nicht erwarten lassen können, dass hier ähnlich gravierende Auswirkungen entstehen wie bei den öffentlichen Haushalten.

  • Das Risiko des Konkurses ist über die Pensionssicherungsvereine abgesichert. Aus Sicht des Unternehmens besteht das Risiko hier in einer stark steigenden Zahl von Insolvenzen und damit steigenden Beiträgen hierzu.
  • Das Hauptrisiko ist, dass der Abzinsungszinssatz zu hoch angesetzt ist. Dies ist in der aktuellen Tiefzinsphase sicher der Fall. Aber: Wir reden hier von Fälligkeiten in Jahrzehnten. Und: Wir sind nicht in Amerika, wo Zinssätze von 8,9,10 % verwendet werden.

Ob das Kapital zur Deckung der Betriebsrenten intern über Rückstellungen oder extern über Pensionsfonds angelegt ist, ist jedoch weitgehend irrelevant.

Es ging nicht um die Gebietskörperschaften und die Unternehmen
insgesamt, sondern um die Frage, wer für zukünftige
Pensionszahlungen besser Vorsorge getroffen hat. Die Antwort
lautet: Keine von beiden. Die große Pleitewelle wird
spätestens 2015 anrollen.

Hier widerspreche ich lautstark.

Aha.

Die Pensionen der Gebietskörperschaften sind im
Umlaufverfahren finanziert. Da die Zahl der Mitarbeiter dort
in den 70er und 80er Jahren stark ausgeweitet wurden, wird die
Belastung der kommunalen Haushalte in den nächsten 20-30
Jahren spürbar ansteigen. Da der Anteil der Personalausgaben
der Gemeinden sehr hoch ist, wird dies die Gemeindefinanzen im
voller Wucht treffen.

Stimmt.

Die Betriebsrenten der Unternehmen sind hingegen
kapitalgedeckt.

Ich rede nicht von Betriebsrenten sondern von Pensionsrückstellungen bzw. -zusagen. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Die kapitalgedeckte bzw. insolvenzsichere Betriebsrente gibt es erst seit wenigen Jahren in nennenswertem Ausmaß.

Im Idealfall werden daher die heute
bestehenden Zusagen in den Bilanzen der Unternehmen in den
Folgejahren keine Gewinnauswirkungen haben.

Das ist schlichtweg falsch. Es wird Auswirkungen auf die Gewinnsituation haben und in noch viel größerem Umfang Auswirkungen auf die Liquiditätssituation. Wenn ich mich nicht irre, habe ich dazu in dem verlinkten Artikel reichlich geschrieben.

Natürlich bestehen auch hier Risiken, die aber derzeit nicht
erwarten lassen können, dass hier ähnlich gravierende
Auswirkungen entstehen wie bei den öffentlichen Haushalten.

Wenn Du die Insolvenz von mutlinationalen Unternehmen als uninteressant bezeichnen möchtest, bleibt Dir das freigestellt. M.E. sind die Pensionszusagen eine der größten Bedrohungen der Weltwirtschaft der nächsten 20 Jahren. http://www.handelsblatt.com/pshb/fn/relhbi/sfn/build…

  • Das Hauptrisiko ist, dass der Abzinsungszinssatz zu hoch
    angesetzt ist. Dies ist in der aktuellen Tiefzinsphase sicher
    der Fall. Aber: Wir reden hier von Fälligkeiten in
    Jahrzehnten. Und: Wir sind nicht in Amerika, wo Zinssätze von
    8,9,10 % verwendet werden.

Wir sind in Deutschland, wo Sätze von 6% die Regel sind, und das bei einer Nettoverzinsung, die derzeit um 1-2% kreist. Und bitte nicht vergessen: Eine Rückstellung ist keine zurückgelegte Liquidität sondern ein buchhalterischer Erinnerungsposten.

Ob das Kapital zur Deckung der Betriebsrenten intern über
Rückstellungen oder extern über Pensionsfonds angelegt ist,
ist jedoch weitgehend irrelevant.

Siehe oben: Eine Rückstellung ist keine Geldanlage sondern ein Erinnerungsposten. Daher ist der Unterschied von existentieller Bedeutung.

Gruß,
Christian