Klarstellungen (vielleicht)
Hallo Nescio,
Dämonisierst du ihn - und Wortwirkungen generell - da nicht zu
sehr ?
ich erlebe beinahe täglich die Auswirkungen dieser Denkweise. Natürlich ist Frank dafür nicht allein verantwortlich (und er macht das ja auch nicht, um mich zu ärgern, das weiß ich schon). Das wirklich Gefährliche daran ist aus meiner Sicht auch nicht die von ihm vertretene Theorie als solche, sondern die dahinterstehende Methode der Wissensaneignung und Wissensverarbeitung. Diese nämlich findet in allen Bereichen immer mehr Zuspruch, eben weil sie so verführerisch einfach ist. Man schnappt ein paar Worte auf, bildet daraus eine Theorie, von der man meint, dass sie „irgendwie“ stimmt, und vertritt diese dann auf aggressive Weise so lange, bis sie sich durchgesetzt hat.
Das hat Auswirkungen auf die gesamte Kultur genauso wie natürlich auf die jeweils einzelnen Diskussionen. Damit hängt z. B. die Vermischung von Philosophie und Politik Ende der sechziger Jahre zusammen, womit ich natürlich nicht meine, dass beides generell nichts miteinander zu tun hat, sondern dass die Übertreibung des politischen Einflusses auf die Philosophie der entscheidende Fehler ist. In der vermeintlichen Nachfolge von Marx und Nietzsche wird perspektivisches Denken zu philosophischem Denken erklärt.
Ausserdem: du ermöglichst ihm doch durch dein Tun erst die
volle Entfaltung seiner Denkweise coram publico.
Ich bin zwar nicht wirklich der Überzeugung, dass das so ist, aber es kann schon sein, und deshalb werde ich ab jetzt wieder dazu schweigen - soweit ich es zu verantworten können meine.
Aber im Ernst: Ich ärgere mich immer sehr, weshalb ich meine, das zurechtrücken zu müssen. Franks Art Ignoranz gegenüber hat sich die Gelassenheit bei mir noch nicht eingestellt. Aber ich arbeitet daran.
Ich denke, dass meine Reaktion darauf zurückzuführen ist, dass
meine Erfahrungen mir sagen, dass man diese Autoren gerne
liest, weil sie einfacher zu lesen sind als Kant oder Hegel
oder auch Marx…
Das erklärt mir deine Reaktion eigentlich nicht.
Ausserdem: stimmt das ? Liest „man“ diese Autoren gern ? Wer ?
Dass das meine Reaktion nicht erklärt, stimmt. Der Satz ist etwas missverständlich formuliert. Ich wollte das nur als Ergänzung anführen. Zur Frage, ob „man“ diese Autoren wirklich gerne liest, kann ich nur antworten, dass das mein Eindruck über die letzten zwanzig Jahre ist, der immer wieder bestätigt wurde. Ich selbst habe auch mit Nietzsche begonnen, allerdings - wie ich heute weiß - ohne ihn zu verstehen. Natürlich liest auch nicht jeder TV-Konsument, schon gar nicht philosophische Autoren, aber wenn jemand philosophisches Interesse zu entwickeln, dann geschieht das meist aus Unzufriedenheit über irgendetwas.
Wenn es die soziale Situation ist, rekurriert man eben gerne auf Marx und Engels (Feuerbachthesen, Manifest, Antidühring) - übrigens in der Regel, ohne einen Unterschied zwischen beiden zu machen, wo der sich doch schon in den beiden Fassungen der Feuerbachthesen deutlich zeigt. Wenn es fehlende Selbstverwirklichung ist, nimmt man gerne Nietzsche zur Hand und faselt etwas vom „Willen zur Macht“, den man eben nur erlernen oder sich im beugen könne. In beiden Fällen fehlt die kritische Distanz.
Nun könnte man versucht sein zu behaupten, dass man diese Phase durchmachen müsse, um zu einem adaequaten Urteil zu kommen, und das hat etwas für sich. Andererseits sehe ich mit großer Sorge, dass die meisten, die diese Phase berühren, in ihr steckenbleiben. Den Grund hierfür sehe ich in denkerischer Bequemlichkeit und dem Missverständnis, dass die Philosophie den Menschen „an die Hand“ nimmt, also einem gewissen Anspruchsdenken der Philosophie gegenüber, mit dem man sich des Denkenmüssens entledigt. Damit aber würde Philosophie dogmatisch, und das ist nicht hinnehmbar. Wenn du die Diskussionen im Forum verfolgst, wirst du diese Dogmatik fast überall spüren, vermute ich.
Da hat mir mein (ebenfalls erlerntes) Vorurteil gegen
„philosophierende“ Mediziner zugegeben einen zusätzlichen
Streich gespielt.
Meinst du Müchenich? Oder Lamettrie? Oder Reich? Oder alle 3 ?
Wie auch immer: bei Jaspers wärest du sicher nicht
ausgeflippt, oder?
Haha, ich muss dich enttäuschen, ich habe auch Bedenken - und zwar erhebliche - gegen Jaspers
. Ich meinte eigentlich auch niemanden persönlich, sondern ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mediziner dazu neigen, mal ebenso neben ihrem anstrengenden Studium Philosophie studieren zu können und ihre Einschätzungen dann möglicherweise zusätzlich in oben beschriebener Weise zu dogmatisieren. Ich will nicht missverstanden werden: Es ist nicht jeder Mediziner so überheblich, und es gibt natürlich auch positive Ausnahmen. Aber ich denke, dass die Mentalität im Studium vorbereitet wird: „Ich bin der Doktor, glaub mir einfach, was ich sage, nimm deine Medizin, es wird schon besser werden.“ Ich will darauf nicht näher eingehen, weil ich weiß, dass dieses Vorurteil (ich weiß ja, dass es eines ist) ungerecht ist, aber ich finde dies in vielen Formen und Fassungen immer wieder bestätigt (wobei man nun natürlich wieder sagen könnte, dass das die Natur von Vorurteilen ist). Vielleicht kannst du aus dieser Beschreibung meine Sicht entnehmen, aber eine ausführliche Diskussion wäre wohl unangemessen.
Aus meiner Sicht taugen die drei als schlechte Beispiele gut,
sind also philosophiedidaktisch durchaus interessant.
Dann wäre das doch eine gute Gelegenheit gewesen, auf die
Frage Müchenichs einzugehen
Ja, das weiß ich. Die Chance habe ich aber leider vergeben.
(didaktisch effektiver als die Frank-Dialoge).
Ja, das ist vermutlich auch wahr.
Historisch haben sie natürlich auch eine Berechtigung, aber
die Behauptung systematischer Bedeutung (aktuell) kann ich
nicht berechtigt finden.
Die hat doch, soweit ich sehe, niemand behauptet.
Soweit ich es jetzt in Erinnerung habe, ist das der Impetus des LRS-Projektes, aber ich kann mich da natürlich irren. Zumindest Reich und Stirner bekomme ich regelmäßig um die Ohren gehauen von Menschen, die meinen sich mir gegenüber positionieren zu müssen. Ich erhalte so viele Beschimpfungen, dass ich sie schon gar nicht mehr zählen kann. Da fällt die Retourkutsche von Müschenich im genannten Thread schon gar nicht mehr ins Gewicht, obwohl sie ja anders als die meisten nicht per Email mich erreicht, sondern öffentlich vorgenommen wurde. Und die Namen Reich und Stirner (Lamettrie weniger, weil die Pamphletverfasser den kaum kennen, was wieder dafür spricht, dass bestimmte Kreise dazu neigen, bestimmte Autoren ausschließlich wahrzunehmen) erscheinen in diesen Texten regelmäßig.
Aber das war ihm doch nach deiner ersten, vehementen Reaktion
kaum noch zuzumuten (daher mein Eindruck: Sabotage). Ausserdem trat
er ja gar nicht als Verteidiger dieser Positionen ins Brett, sondern
bat um philosophische Einschätzung.
Genau aus diesem Grunde bin ich sicher, dass kurz vorher etwas geschehen sein muss, was meinen Adrenalinspiegel so hoch gehoben hat, dass er diese Reaktion leider verursachte - und ich bin ziemlich sicher, dass es ein Frank-Thread war …
Gert hatte ebenso unpräzise geschrieben, dass seiner Meinung
nach in der gesamten Kulturentwicklung „etwas nicht stimmt“
Das würde ich sogar unterschreiben. 
Das überrascht mich jetzt aber.
Warum? 
Bist du vielleicht Vertreter der „Neuen Phänomenologie“ von
Hermann Schmitz ?
Nein, obwohl ich Schmitz eigentlich gerne lese, allerdings selten.
Traust du dir zu, hier zu beschreiben, was deiner Meinung nach
in der gesamten Kulturentwicklung „nicht stimmt“ ?
(Wenn nicht, hätte ich volles Verständnis).
Wenn ich es kurz (!) machen darf, dann würde ich sagen, dass die Gesellschaft am Bildungssystem krankt, dass aber dieses Bildungssystem nicht nur als System schlecht ist, sondern dass der Bildungsbegriff als solcher schon falsch ist. In einer Gesellschaft, wo Absolventen von Multiple-Choice-Fragen a la Jauch als intelligent gelten, steckt ein Wurm. Es muss meines Erachtens weniger für Wissen und mehr für Fähigkeiten getan werden. Ok, das ist sehr verkürzt, aber vielleicht ist hier auch nicht der Ort, das darzustellen.
Ich kann nicht finden, dass eine Unbeherrschtheit erfreulich ist
Ich doch - wenn nach einer solchen Spontanreaktion „beherrschte“
Besinnung und Analyse folgt.
Mir fällt da eine Passage aus dem „Zarathustra“ ein, wo
Nietzsche die verstaubten Gelehrten sehr schön charakterisiert. Du
wirst sie kennen. „Unbeherrschtheit“ gibt’s bei denen nicht.
Nietzsche darf das anmerken, weil er die Situation der Gelehrten kennt. 
Herzliche Grüße
Thomas Miller