Hallo Hardy,
Eine weitere heikle Frage treibt mich um (die ich hier lieber
etwas versteckt stelle).
Na ja, ganz so versteckt ist es hier ja nicht mehr. Aber:
Ja, Deine Frage ist durchaus schwierig: sachlich und emotional.
Warum hat es 60 Jahre und 2 Generationen gedauert, bis in
Deutschland wieder Rabbiner ordiniert wurden? Freilich, der
Holocaust wirft einen langen Schatten, aber ist die
Rabbinerausbildung nicht eine innerjüdische Angelegenheit, bei
der die Deutschen ohnehin außen vor sind und die es in keiner
Weise tangiert?
Dafür sehe ich mehrere Gründe, wobei ich im Hinblick auf Deutschland zwischen der Situation in der DDR und der BRD unterscheiden möchte.
DDR: Die Zahl der Juden war verschwindend klein, sodaß sich die Frage nicht stellte. 1990 waren 500 Menschen Mitglieder in sieben jüdischen Gemeinden der DDR. Tendenz: Eher schwindend, denn die Alten starben und Junge kamen nicht nach.
BRD: Über Jahrzehnte lebten in der BRD so zwischen 23000 und 27000 Juden. Bis in die 1980iger Jahre galt war eine sehr weit verbreitete Haltung unter Juden in Deutschland die, auf gepackten Koffern zu sitzen. Nur wenige konnten sich ein jüdisches Leben auf Dauer in Deutschland vorstellen. Wenn man sich in einem Land ein Leben auf Dauer nicht vorstellen kann, dann etabliert man keine Strukturen die auf Dauer angelegt sind.
Außerdem: Die Lehrer aus dem deutschen Vorkriegsjudentum waren emigriert oder ermordet worden. Und die überlebenden Juden, die in Deutschland (BRD) lebten und die meist ihre familiären Wurzeln in Osteuropa hatten, waren mit dem Überleben nach dem Überleben beschäftigt: sich eine Existenz aufzubauen, mit den körperlichen und seelischen Folgen der Verfolgung klarzukommen.
Schon im Bereich des jüdischen Grundschulwesens war es ein Problem geeignetes Personal zu finden. Du kannst Dir vorstellen, daß das dann umso schwieriger für ein Rabbinerseminar ist. Da sind die Anforderungen ja noch etwas anspruchsvoller.
Du hast recht, wenn Du schreibst, daß ein Rabbinerseminar eine Innerjüdische Angelegenheit ist - was die Organisation betrifft - aber da braucht es einiges an Logistik und Finanzen. Die beiden Rabbinerseminare, die es in Berlin gab und das in Breslau sind enteignet worden. Es ist also durchaus auch eine Sache der Finanzen, und hier sehe ich den deutschen Staat durchaus in der Verantwortung für die Strukturen, die zerstört worden sind.
Fast kommt es mir vor, als hätten sich die deutschen Juden in
der vergangenen Zeit irgendwie selbst bestraft,
Ich sehe auch den Aspekt, daß Deutsche (Nichtjuden) andere Deutsche (Juden) verfolgt und vernichtet haben. Man kann das durchaus auch - wenn auch nicht nur - unter dem Aspekt der Selbstdestruktivität sehen, wenn man betrachtet, was die deutschen Juden an Positiven in den unterschiedlichen Gebieten beigetragen haben.
Von der Vertreibung und Ermordung jüdischer Philosophen, Wissenschaftler, Künstler, Kaufleute (und damit Mäzene, Dichter, Musiker … hat sich Deutschland bis heute nicht erholt.
indem sie
ihren Rabbiner quasi Knüppel in den Weg warfen.
Ich denke nicht, daß die in Deutschland lebenden Juden ihren potentiellen Rabbinern Knüppel in den Weg warfen. Das würde aktives Handeln voraussetzen. Und das kann ich in dieser Situation nicht erkennen.
Ich denke eher, daß die Energien einfach nicht da waren um längerfristige Perspektiven zu entwickeln und auch eben nicht die Finanzen etc.
In den 90iger Jahren als dann viele Juden aus der ehemaligen SU gekommen sind, hat das die Gesamtsituation verändert. Außerdem gab es zu dieser Zeit schon einige, die in Deutschland aufgewachsen waren und im Ausland studiert hatten und Rabbiner geworden waren. Die hatten dann durch ihre Ausbildung die entsprechenden Verbindungen um eine Rabbinerausbildung in Deutschland ins Auge zu fassen.
Dazu kommt noch die politische Entwicklung: Durch die Wiedervereinigung und die damit einhergehenden Veränderungen sind ab Mitte der 90iger Jahre internationale jüdische Organisationen nach Deutschland gekommen und haben hier Zweigstellen aufgemacht. Von daher kamen dann auch Impulse für das jüdische Leben, aber auch für eine orthodoxe Rabbinerausbildung. In Berlin gibt es inzwischen auch eine orthodoxe Ausbildungsmöglichkeit.
Warum? Ich bitte um Erhellung.
Und: Bist Du jetzt etwas erhellter
???
Viele Grüße
Iris