Hallo Nescio,
— und irgendwie beschleicht mich mein alter Verdacht, dass jene
Denker und einige ihrer Kollegen vor allem wegen ihrer flotten
„Überwindung“ der Moderne, sprich: der freudo-marxistischen Ansätze
und Richtungsvorgaben, gefeiert wurden.
Wer sind „jene Denker und Kollegen“?
Ich meinte die beiden genannten, dann Foucault, Deleuze,
Derrida u.a.
ja, aber da ist das „Kollegen“ problematisch; natürlich gibt es Übereinstimmungen etwa zwischen Althusser und Foucault, oder zwischen Foucault und Deleuze; aber genauso gibt es Übereinstimmung zwischen Foucault und Adorno, und zwischen Althusser und Spinoza, und zwischen Lacan und Levi-Strauss, und zwischen Althusser und Gramsci, und sicherlich kann man Foucault als Radikalisierung Kants lesen, undundund
Du verstehst bestimmt, worauf ich hinauswill. Wenn Habermas, der in seinem Buch „Der philosophische Diskurs der Moderne“ eindeutig zeigt, dass er überhaupt keine Ahnng davon hat, was etwa Foucault da macht, auch nur ein einziges Mal Recht hat, dann da, wo er sagt, die sog. „Postmoderne“ sei lediglich eine Weiterführung/Radikalisierung der Moderne (er meint das zwar wiederum anders als ich und die entsprechenden Autoren selbst, aber egal)
die „Postmoderne“? was ist das?
was ist daran „flott“?
haben sie tatsächlich die „Moderne“ überwunden?
wollten sie das überhaupt?
von wem wurden sie gefeiert und für was und mit welchem Recht?
Du störst dich an „flott“. Stimmt, das ist zu flapsig gesagt.
Das sollte nicht heissen, dass „jene Denker und Kollegen“ es
sich bei
ihrer Theorieproduktion leicht gemacht haben; eher im
Gegenteil:
Ich habe sogar den Eindruck, dass sie einen grossen Aufwand
trieben,
um die auf Marx und Freud kritisch aufbauenden Ideen (die
„Speerspitze“ der Moderne in den 30ern), die in den 60er
Jahren
wiederentdeckt worden waren, mittels attraktiver,
publikumswirksamer
(hier kam mir wohl das „flott“ in den Sinn) Theoriekonstrukte
zu
verdrängen (und deshalb auch die Auseinandersetzung mit den
Freudo-
Marxismen mieden).
Das ist teilweise richtig, aber zu kurzsschlüssig;
ich glaube, man kann diese Fragen nicht beantworten, ohne diese seltsame Rubrik „Postmoderne“ zu zerschlagen.
Zwei Gedanken:
-
Inwiefern soll Lacan „flotter“ sein als Freud?
Freud ist einigermaßen leicht lesbar, er hat enorme Breitenwirkung erzielt, er war und ist publikumswirksam und für alles mögliche Denken sehr attraktiv;
Lacan dagegen ist das exakte Gegenteil: er ist extrem schwierig zu lesen, und bietet keinerlei Modelle/Theorien, die gut über die Massenmedien ins Publikum zu tragen wären.
-
die meisten von Foucaults Texten sind absichtlich so gestaltet, dass sie von praktisch jedem gelesen werden können, und praktisch jeder glauben kann, sie verstanden zu haben;
viele seiner Texte sind als Aufruf zum Widerstand, zu politischer Aktion lesbar;
aber Foucault ist nicht das allein;
zum einen bietet er eine sehr interessante Verknüpfung von Ontologie, Epistemologie und Soziologie, zum anderen hat er seine Rezeption genau durchdacht, hat eine Strategie des sozialen Kampfes entworfen und zwar in expliziter Abgrenzung zu dem Kampf-Modell der Großgruppen des Marxismus, aber nicht einfach in bloßer Revision des Marxismus, sondern als Korrektur-Angebot. (was immer man davon halten mag)
Dass sie damit die Moderne überwunden
haben,
möchte ich sehr in Zweifel ziehen.
Keiner der Angeführten hat behauptet, er habe die Moderne überwunden.
Ich denke eher, sie haben
sie,
zusammen mit anderen Kräften (z.B. den ja noch lebenden
Vertretern
der kritischen Theorie), abgewürgt.
Das mag aus Deiner Sicht so sein, aber hier müsstest Du zwangsläufig beschreiben, was „abgewürgt“ wurde, und vor allem erklären, warum genau das und nur das „die Moderne“ war.
Ob sie wollten, was sie erreichten ?
Auch hier kann man von „sie“ nicht sprechen:
Lacans Antrieb mag wohl die bedingungslose Zurschaustellung seines Egos gewesen sein.
Althusser wollte die proletarische Revolution
Foucault wollte Bücher-Waffen (sein Ausdruck) für die Kämpfe gegen die Psychiatrie, gegen die Unterdrückung der Homosexualität, gegen das Gefängnis, etc. produzieren
Das ist natürlich ein schwierige Frage, darum meine eher lapidare Antwort;
Hm. Einem grossen
Publikum kamen
ihre Ideen jedenfalls sehr zupass, und man sprach von da ab
begeistert von der Postmoderne (als Epoche, die nach
Vollendung der
Moderne kam).
ich kann Deine Einschätzung nicht teilen; sie ist irgendwie ultra-voluntaristisch;
Richtig ist, dass dieses „sehr große Publikum“ nicht die von Dir so genannte „Moderne“ aufgegriffen hat, aber ist denn wirlich Lacan, Focault, Derrida daran schuld? Verführer sozusagen)
dieses „sehr große Publikum“ hat genauso Habermas oder Rawls oder Popper oder Goodman oder weiß der Teufel aufgegriffen, und bejubelt jetzt das „Ende der Ideologie“ oder des „metaphysischen Denkens“ oder des Ost-West-Konflikts, oder was auch immer.
es dürfte also wohl eher die Entwicklung dieses „sehr großen Publikums“ sein, die von „der Moderne“ wegführt, und weniger die Arbeiten Foucaults oder Derridas.
Ich glaube, diese unsinnige Marke „Postmoderne“, die von fast allen so Titulierten zurückgewiesen wird, ist ein totaler Hemmschuh, sich unbefangen in die Texte einzulesen.
Was kann Foucault dafür, dass Lyotard auf dümmlich Weise das Ende der Meta-Erzählungen feiert, und damit den Begriff „Postmoderne“ prägt, welcher halt dann auch Foucault aufgedrückt wird, wenn auch aus Gründen, die für Lyotards Namensgebung der Epoche keine Rolle spielten …
Ich denke, dass man so ein „Moderne -> Postmoderne“ eben gerade nicht à la Sokal diskutieren kann, sondern nur auf der Grundlage von Texten, die diesen Schritt verdeutlichen, z.B. wäre das in Deinem Fall vielleicht dies ersten Seiten von Foucaults „Wille zum Wissen“ (S+W I), also die Kritik der Repressionshypothese, die ja wohl durchaus dem Kreis der Freudomarxismen entstammt.
Viele Grüße
franz