Hai, Thea,
Wie denn deiner Ansicht nach? *interessiert*
die Ecke von Neukölln, von der wir hier sprechen, war früher mal als Lehrer- und Beamtenbezirk „verschrien“ - jede Menge Altbauten mit wunderschönen Wohnungen, die zum Teil sorgfältig saniert wurden und so zum Wohnraum für eher betuchte Mieter wurden, zum Teil gelassen wurden und so billigen Wohnraum für nicht so Finanzstarke darstellte. Der billige Wohnraum hat natürlich auch Immigranten aller Nationen und sozial Schwache angezogen.
Das war zwar anstrengend, aber noch handhabbar…
Und dann kam irgendsoeine Schnapsnase auf die glorreiche Idee, daß man ja ruhig mitten in die sowieso schon belastete Gegend (wir haben hier, soweit ich weiß, die höchste Bevölkerungsdichte Deutschlands) einen gigantischen Sozialbaublock hinklatschen kann - aus vier Häuserblöcken mit relativ gleichmäßiger Durchmischung wurde ein unübersichtliches Konglomerat aus Gebäuden, das bis unters Dach mit Problemfällen aus ganz Berlin vollgestopft wurde.
Und da sind sie nun - die Verlierer unserer Gesellschaft - geballt auf einem Haufen. Familien, die in der dritten Generation von Sozialhilfe leben, Einwanderer und Nachgezogene, deren Traum vom guten Job im reichen Land geplatzt ist.
Und damit wurde die Spirale abwärts in Gang gesetzt: immer mehr Gutsituierte zogen weg - die Mieten fielen - mehr Verlierer zogen her - Geschäfte gingen pleite und machten zu - die Gegend verlor noch mehr „Wertigkeit“ - usw
Und die Schulen sind voll mit Kindern und Teenagern, die täglich sehen, daß die Erwachsenen, die versuchen mit ehrlicher Arbeit durch’s Leben zu kommen, dauernd die Gearschten sind, die erleben müssen, daß man sich nicht auf die Gesellschaft verlassen kann, sondern, wenn überhaupt, nur auf Familienbande oder die „Gang“. Für die die, uns von der Werbung als lebensnotwendige Utensilien weisgemachten, Dinge wie Gameboys und Markenklamotten nur dann erreichbar sind, wenn der Bruder Dealer oder die Schwester Prostituierte ist - oder sie eben Schwächere „abziehen“.
Und, statt dann diese Jugendlichen möglichst auf verschieden Schulen zu verteilen, damit sie erleben können, daß es zwischen ehrlich, aber arm, und unehrlich, dafür wenigstens gutsituiert, noch andere Möglichkeiten gibt, werden sie in der Reste-Auffang-Anstalt namens Hauptschule zusammengepfercht.
Aber alle sozialen Problemfälle auf einen Haufen zu packen und dann von der „Bronx von Berlin“ zu sprechen, reichte offenbar noch nicht:
- hier wurden Polizeireviere geschlossen
- hier wurde die Unterstützung für die letzten Jugend-Beschäftigungs-Projekte gestrichen
- selbst die öffentlichen Bibliotheken wollen sowohl für den Leseausweis, als auch für die Ausleihe Geld
- die Straßenreinigungshäufigkeit wurde halbiert (inzwischen wieder korrigiert) und als die Mülleimer dann überliefen, entblödete so ein Senatsheini sich doch tatsächlich nicht, in einem Interview zu behaupten, daß Neuköllner eben Dreckschweine wären
- in der Grundschule, in die ich zum Wählen muß, ist die Farbe an den Wänden älter als ich und die Toiletten sind nicht mehr nutzbar
- aus Spiel- werden Parkplätze
Den Jugendlichen hier im Bezirk wird im Prinzip täglich unter die Nase gerieben, daß „unsere Gesellschaft“ sie für nutz- und wertlos hält - wie sollen sie denn einem Lehrer, der ihnen, am Rande der Verzweiflung, versucht, klarzumachen, daß sie doch die Zukunft des Landes wären und sie mit Bildung hier 'was erreichen könnten, denn noch glauben? Den Worten des Lehrers stehen doch tausend praktische Beispiele gegenüber…
Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte
Gruß
Sibylle