Der Manager - Das Opferlamm der Gesellschaft?
Hallo Christian!
Was die Millionengehälter angeht, so gibt es hierzulande doch mehr Unternehmen, als man denkt, die diese bezahlen. Geht man nur einmal vom Durchschnittseinkommen aus, gibt es lt. „Wirtschaftswoche“ im DAX - E.On und Epcos blieben unberücksichtigt - nur Infineon, das unter einer Million jährlich zahlt. Keine Erwähnung finden jedoch die Aktienoptionen, die bestimmte deutsche Manager erhalten. Selbst das Magazin „Forbes“ warf etwa dem DaimlerChrysler-Chef Schrempp vor, Gewinne würden ausbleiben, aber sein Gehalt hätte sich seit der Übernahme von Chrysler 1998 auf 5,6 Mio. Dollar (!) verdoppelt, wobei seine Aktienoptionen in Höhe von geschätzten 9,5 Mio. noch hinzugezogen wurden. (Die Bezüge der Vorstandsvorsitzenden der DAX-Unternehmen haben sich von 1998 auf 1999 um durchschnittlich 20% erhöht. Zudem genehmigten sie sich ergebnisabhängige Boni und Aktienoptionen.)
Als die höchstdotierten deutschen Manager gelten lt. „Der Spiegel“ der Deutsche-Bank-Chef Rolf Ernst Breuer mit geschätzten 16,4 Millionen Mark p.a., der Porsche-Chef Wendelin Wiedeking (rd. 17 Millionen) und Jürgen Schrempp von DaimlerChrysler (gut 12 Millionen).
Im MDAX sind es noch mehr als 30 Unternehmen, die über diese „magische“ Millionengrenze hinausgehen. Besonders erstaunlich und herausstechend dürfte hierbei Philip Holzmann mit im Schnitt 1,59 Mio. DM pro Vorstandsmitglied sein; wir wissen ja, was mit dieser Firma war bzw. ist. Es ist schwer, den Arbeitern zu vermitteln, dass sie Arbeitsplatzabbau befürchten oder Gehaltskürzungen hinnehmen müssen, Vorstände hingegen in einem Jahr so viel erhalten, wie sie in einem ganzen Leben nicht zusammenbekommen.
Im Neuen Markt existieren noch vier Unternehmen mit solch hohen Gehältern, wobei auch hier ein Mangel an Verständnis vorherrscht, sieht man sich etwa EM.TV mit 1,61 Mio. pro Vorstandsmitglied an. Auch Inkompetenz vermag lohnend zu sein, was allerdings nicht nur Unternehmen des Neuen Markts zutrifft. Wenn aufgrund des Shareholder Value die Prämisse lautet, möglichst kurzfristig Gewinne zu machen, und dies im wahrsten Sinne auf Kosten der Arbeiter geschieht, kann man nur den Kopf schütteln.
Heutzutage wird so oft personalisiert, von den Schicksalen der Entlassenen hört man hingegen wenig. Aber man möge sich nur kurz einmal in deren Situation hineinversetzen, wenn sie bloss als Bauern (-opfer) im internationalen Schachspiel hin- und hergeschoben werden. (Neue Arbeiter lassen sich ja schnell finden, und sie werden es auch für weniger Lohn machen, wenn die Not nur gross genug ist.) Wir haben es mit Menschen zu tun, die keine sonderlichen Finanzpolster besitzen, von denen sie zehren könnten. (Mal abgesehen davon, dass etliche Manager nach ein bis drei Jahren gar nicht mehr arbeiten müssten, sofern sie bescheiden wären.)
Gar zynisch und obszön wird es, wenn Beteiligungen abgestossen werden; nicht etwa, weil sie keinen Gewinn abwerfen würden, sondern weil der Gewinn zu niedrig war. Diese Beteiligungen sind dann in anderer Hand, und die Beschäftigten dürfen sich nun mit neuen Arbeitgebern herumschlagen, die selbstverständlich auch aus dem erkauften Anteil ihren Profit herausholen wollen.
Aus eigener Anschauung weiss ich von der Zerschlagung des Hoechst-Konzerns. Was in Generationen von Arbeitern - die natürlich nur eine anonyme Masse bleiben - erschaffen wurde, wusste ein Dormann innerhalb weniger Jahre auseinanderzunehmen. Aber nicht etwa, weil die Hoechst AG keine Gewinne gemacht hätte; zudem hat sich der Aktienkurs im letzten Jahrzehnt verdreifachte und steht damit in einer Linie zu Bayer und BASF. Doch allmählich fing es an: erst haderte man mit der einen Sparte (Pharma), dann mit der anderen (Farben), und „plötzlich“ schien es unausweichlich, mit Rhône-Poulence zum Life-Sciences-Unternehmen Aventis zu fusionieren, um eine grössere Marktposition einzunehmen.
Früher bedeutete ein Job in der „Rotfabrik“ quasi eine Lebensstellung. Die Löhne waren verhältnismässig gut, ebenso Urlaubs- und Weihnachtsgeld und weitere Leistungen. Nicht selten folgten die Kinder ihren Eltern in den Betrieb. Damit ist es zu Ende. Die Belegschaft ging von 30.000 auf mindestens 20.000 zurück, und das Gelände der ehemaligen Hoechst AG ist eine Ansammlung und Gewirr von Firmen geworden, das sich beschönigend Industriepark nennt. Die Folgen konnte bzw. kann ich nach wie vor „live“ erleben: Immer häufiger hingen an den leeren Schaufenstern „Zu vermieten“-Schilder; kleine, nicht zentral liegende Geschäfte schlossen - wie etwa mein Stammcafé -; das Leben konzentriert sich nun auf die kurze Fussgängerzone. Mitten darin steht übrigens das dreistöckige Hertie-Kaufhaus, das dort existiert, seit ich denken kann. Vor wenigen Jahren begann man zuerst, das obere Stockwerk anderweitig zu vermieten; die VerkäuferInnen, der Service sowie die Produktauswahl wurden weniger. Wie ich inzwischen gehört habe, wird Hertie demnächst ganz geschlossen werden. Ich gehe selten dorthin, aber letzte Woche war ich mal wieder darin. Ich empfand es als furchtbar, die bereits geleerten Regale zu sehen, wo sich früher einmal die Buch-, später die Musikabteilung befand…
Es ist mir selbstverständlich bewusst, dass wieder von Sachzwängen die Rede sein wird, die solche Eingriffe belegen sollen, die aber letztendlich nur dem Prinzip des Shareholder Value folgen. Klar, es sind auch die US-Fondsmanager, die die Unternehmen unter Druck setzen, noch mehr und noch schneller Gewinne zu erwirtschaften. Aber das liegt ja ebenso daran, dass Unternehmen unbedingt auf dem Weltmarkt mitspielen wollen und glauben, ihm nicht gewachsen zu sein, wenn nicht rationalisiert, fusioniert und zugekauft wird. (Dabei sind wir doch Exportweltmeister.)
Gut, es ist nun eine ganz persönliche Meinung, zumal Du wohl weisst, was ich von Privatisierungen halte, aber ich hatte mich gefragt, weshalb eine Deutsche Telekom resp. Deutsche Bundespost unbedingt privatisiert und zum Global Player werden musste. Die letzten Jahrzehnte versorgte man überwiegend deutschen Markt, doch auf einmal war das nicht mehr ausreichend. Staatsbetriebe galten als marode - allerdings nur, weil man sie vernachlässigt hatte -, anschliessend machte man sie mit Steuergeldern attraktiv, sprich: Entlassungen, Abschreibungen und Schuldenerlassen, und warf sie dann auf den Markt. Ähnliches sahen wir bei der Gelben Post alias Deutsche Post World Net AG, und gleiches gilt für die ehemalige deutsche Bundesbahn, die bis 2003 vom Steuerzahler 26 Mrd. Mark erhalten wird. Da man spätestens 2005 an die Börse gehen will, glaube ich nicht, dass dies die letzte Subvention war, die die Bahn einsteckt.
Es wird mir niemand erzählen können, dass für solche gravierenden Eingriffe eine solche Notwendigkeit bestand oder Misswirtschaft Schuld daran wäre. Aber den Preis dieser Zäsur und das „Verscherbeln unseres Tafelsilbers“ zahlen die BürgerInnen dieses Landes. Was „uns“ einmal allen gehörte - klingt das sozialistisch? -, was wir alles an Infrastruktur aufbauten, was wir durch Steuergelder finanzierten - hat sich nun binnen weniger Jahre in Luft aufgelöst. Und selbst nach diesen Verkäufen sind anscheinend die ganzen Kassen leer, wodurch wiederum der Druck auf der Bevölkerung sitzt. Es muss weiter und weiter gespart werden, dass man den Eindruck erhalten kann, in den letzten 40 Jahren hätten keine halbwegs mit Verstand versehene Menschen dieses Land regiert, sondern die Inkompetenz.
Und wie müssen sich Menschen fühlen, die ihre Lebensarbeitskraft hergaben, heute mit etwas mehr als 60% an Rente auskommen sollen, während Industrielle innerhalb kurzer Zeit mehr zu verdienen wissen, als dies die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben können?
Oder etwa Politiker, die unter bestimmten Umständen schon nach acht Jahren Rentenansprüche in Höhe von 75% haben, was zudem ab dem vollendeten 55. Lebensjahr gilt? (Natürlich unter Bezug auf das bisherige Gehalt, was bei Politikern „naturgemäss“ höher liegt.)
Sind die Menschen tatsächlich so wenig… wert? Anscheinend ja, glaubt Rolf Haubl, Psychologieprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg. Die Diskussion wäre noch immer mit dem „protestantischen Arbeitsethos“ verknüpft, und „im Zuge der Globalisierung sind auch deutsche Unternehmen längst dazu übergegangen, die Höhe der Gehälter nicht mehr an der Dauer der Firmenzugehörigkeit festzumachen, sondern die Mitarbeiter danach zu bezahlen, welchen Wert sie aktuell für das Unternehmen darstellen“.
Es ist nicht nachvollziehbar, wenn eine Gruppe Privilegierter grosse Gehälter bezieht und auch noch erhöht, während sie der Masse erklärt, man müsse mit noch weniger zufrieden sein und/oder noch mehr Abgaben, Zuzahlungen, Gebühren, Einschnitte, Verluste als einzelner bewältigen.
Extrem zynisch wird es zudem, wenn der Diplombetriebswirt Rainer Schätzle in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ zum Ausdruck bringt, deutsche Manager verdienen im Vergleich zur USA noch zu wenig und es ein deutsches Problem wäre, dass wir „seit Jahren Fragen der Vergütung nicht vom Geschäft, sondern von Prinzipien getrieben diskutieren“. Dies wäre blosser Neid, und „Realeinkommen von Arbeitern mit den Vorstandsbezügen in Relation zu setzen“, würde uns nicht weiterbringen. (Also wenn das kein Neid der deutschen gegenüber den US-Managern ist!)
Das sind natürlich nur Vorwände, um die Diskussionen auf andere Ebenen zu lenken. Statt sich mit den Argumenten der Verhältnismässigkeit auseinanderzusetzen, greift man den Neid an. Doch dieser ist vollkommen berechtigt! Wenn jemand von morgens bis abends arbeitet und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommt (Stichwort: Arbeitszeit), wenn Pflegepersonal Einschränkungen trotz grosser Verantwortung hinnehmen muss (Stichwort: Verantwortung), dann ist nicht einzusehen, weshalb Manager mit ihrem Mass an Arbeitszeit und Verantwortung - um einen gewissen Durchschnitt zu nehmen - zwischen 2000 und 10000% mehr verdienen sollen.
Man sollte statt solcher Diskussionen über internationale Managerlöhne und den wirtschaftlichen Wert eines Menschen die Berechtigung für solch hohen Gehälter hinterfragen! Wenn es also nur darum geht, Löhne zu drücken, Sozialabbau zu betreiben und sich selbst die Taschen zu füllen, könnte man dies alles schon von heute auf morgen bewerkstelligen. Dies ist jedoch, trotz ihrer sonstigen Lethargie gegenüber solchen Eingriffen, weder den Beschäftigten noch der Bevölkerung zu vermitteln, weil diese augenblicklich erkennen würden, wieso und weshalb überall tatsächlich gekürzt wird und welch geringen Wert sie tatsächlich besitzen. Ergo folgt der Wandel latent; die Schraube wird immer nur ein Stückchen angezogen, wobei man beachtet, dass sich möglicher Zorn nicht gegen die Entscheider selbst richtet, sondern gegen andere Personengruppen oder angeblich unvermeidbare Zustände.
Wenn ich oben von der Verhältnismässigkeit sprach, so ist diese auch bei den Zinsen nicht vorhanden. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob ich im Jahr 8% Zinsen auf 1.000.000 oder 1.000 DM bekomme (Differenz 79.920 DM p.a.). Das muss man ebenso in Überlegungen zur Verbesserung der Siuation einfliessen lassen. „Wir müssen in der Lage sein, auch Einschnitte in Besitzstände durchzusetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit und unsere Arbeitsplätze zu erhalten“, meinte 1996 BDA-Chef Dieter Hundt. Sollte er seine eigenen Besitzstände damit tatsächlich nicht gemeint haben!?
Wir müssen davon ausgehen, dass hohe Gehälter und Besitzstände eben zu einem gewisse Masse stärker herangezogen werden müssen, wenn schon jeder Opfer bringen. Ein Arbeitsloser oder Sozialhilfeempfänger wird durch die Ökosteuer zusätzlich belastet, da er die Vorzüge der Steuerreform nicht auszunutzen vermag, weil er zwangsläufig keinen Lohnsteuerausgleich machen kann, aber über diese Kürzung auf Umwegen regt sich schliesslich auch niemand auf. Und es ist doch eine rhetorische Frage, wer es besser verschmerzen kann: Derjenige, der von knapp 400 DM gerade mal seine Lebensmittel bezahlen kann, oder derjenige, dessen Vermögen zwar unangetastet bleibt, der jedoch nicht so hohe Zinsen erhält. Es sollte eben alles ein gewisses Mass haben, und das bedeutet nicht, masslos gegen andere vorzugehen und masslos sich selbst die Taschen zu füllen. Dann gäbe es weniger Neid und mehr Gerechtigkeit und sozialen Frieden in der Gesellschaft. Daran scheint allerdings keinem der „Oberen“ gelegen zu sein, sonst hätte ich dies alles nicht schreiben müssen.
Quellen:
Marco