Hallo Iris,
schön, Dich hier wieder zu lesen! :o)
Aber was war so revolutionär an Jesu Lehre? Jesus stellte das
„göttliche“ Gesetz der Israeliten in Frage und verwarf alle
vom Menschen gemachten Regeln und Vorschriften.
Für Jesus war die Torah - das was Du göttliches Gesetz nennst
(warum eigentlich in Anführungszeichen?) - verbindlich. Er hat
selbst gesagt - laut Neuem Testament - er sei gekommen um das
Gesetz zu erfüllen
In Anführungszeichen, weil es für Christen eigentlich kein „göttliches Gesetz“ gibt. Gott ist das „Gesetz“ bzw. das höchste Gebot ist Gott als einzigen Gott anzuerkennen und den Nächsten zu lieben, wie sich selbst. Diese „Gesetze“ - vielmehr Gebote - hat Jesus mehrfach bekräftigt. Jesus hat die „Gesetze“ darüber hinaus nicht als „Gesetz“ erfüllt, sondern die zahlreichen Prophezeiungen aus dem Alten Testament bezüglich des Messiases (siehe entsprechende zahlreiche Links in den Evangelien) bzw. er hat versucht, die Menschen wieder zur eigentlichen Bedeutung des Gesetzes hinzuführen. Er hat alle Gesetze (siehe Sabbat, Speisevorschriften etc.) in Frage gestellt, wenn sie GEGEN den Menschen angewandt worden sind - wie zahlreich in den Evangelien geschildert.
In seiner Lehre gab es nicht so besonders viel Neues. Es würde
in etwa auf eine Postkarte passen. Nur was daraus gemacht
wurde, das ist wieder eine andere Sache.
Richtig! Gott ist unendliche Liebe. Was die Menschen damals daraus gemacht haben, kennen wir - und was sie heute daraus machen, ebenfalls. Leider. Das absolut Neue an Jesu Lehre war, anderen - auch nicht-jüdischen - Menschen von Gottes frohe Botschaft zu erzählen! Sie zu verkünden. Bis heute ist dieser Gedanke den Juden fremd bzw. eine Mission oder sogar Konversion in traditionellen/orthodoxen Kreisen unmöglich. Für mich persönlich erschließt sich da schon ein exklusiver Anspruch.
Ja, warum meinst Du das? Meistens kommt bei dieser
Argumentationskette dann eine Bibelstelle, die sich auf dem
Schabbat bezieht: „Der Schabbat ist für die Menschen da und
nicht der Mensch für den Schabbat.“
Nur: das ist kein Jesuswort, sondern Jesus zitiert hier aus
der Torah. Also nix Neues, sondern Verweis auf Bekanntes
Richtig. Das tut er nicht nur einmal, sondern an zahlreichen Stellen - er ist ja auch Jude, so wie die ersten Christen i. d. R. Juden waren. Nur die Israeliten in seinem Umkreis damals haben die eigentliche Bedeutung des Sabbats leider allzu sehr vergessen bzw. stellen ihn über den Menschen. Das mahnt Jesus an - so wie die Mahnung heute noch für uns Christen gilt, wenn wir uns mit uns selber und den Regel, Vorschriften und kirchlichen Gesetzen (!) zu sehr beschäftigen und den Menschen außen vor lassen.
Die Iraeliten damals (und die Juden heute?) fanden Gott in der Thora und in den zahlreichen Schriften; die Christen fanden Gott in Jesus und „benutzten“ (ich weiß, kein schönes Wort…) die Schrift dazu, Jesus im jüdischen Kontext besser zu verstehen.
Darüber hinaus bekräftige Jesus zwar den ersten Bund zwischen
Gott und den Juden,
Ich weiß nicht, wie im Christentum gezählt wird, aber schon in
der Torah gibt es mehrere Bundesschlüsse. Spontan würden mir
fünf einfallen. Ein Bund ist ein Vertrag - und legt
wechselseitige Rechte und Pflichten fest.
Wir Christen fassen vereinfacht die Bundesschlüsse mit den Israeliten u. a. in dem „alten Bund“ auf dem Sinai (Ex 19-24) zusammen. Für alle Menschen - inkl. Christen - gilt Jesus als „neuer“ Bund, da er eben nicht nur sein Volk anspricht, sondern die Heilsbotschaft allen Menschen verspricht, die „guten Willens“ sind.
Das mag auc christlicher Sicht so sein. Aus jüdischer Sicht
ist das, was Du neuer Bund nennst, nicht nötig. Man
muss nicht Jude sein, um an der kommenden Welt Anteil zu
haben. Aus jüdischer Sicht hat jeder Anteil an der kommenden
Welt, der sich an die sieben noachidischen Gebote hält.
Eben das ist lt. Jesus nicht nötig, wenn der Mensch die beiden wichtigsten Gebote (s.o.) hält. Alles andere ist davon abgeleitet bzw. findet sich dort wieder. Die Frage ist nur, wie ein Mensch, der nicht Jude ist, an der kommenden Welt Anteil erhält?!
Das heißt Jesus wurde zum neuen oder
zweiten Bund zwischen Gott und ALLEN Menschen! Das war nun in
der Tat revolutionär, denn bis dahin war Jahwe für die
Israeliten IHR Gott;
Ist das die christliche Sicht?
Im zentralen Gebet des Judentums heißt es, daß Gott
EINER ist. Gott ist aus jüdischer Sicht nicht nur der
Gott der Juden. Das würde ihn einschränken und reduzieren.
Für uns Christen gibt es nur einen Gott, der jeden Menschen anspricht. Da scheint mir eine zentrale Gemeinsamkeit.
quasi ein exklusiver Gott.
Die Torah wurde allen Völkern angeboten, aber sie wollten sie
nicht halten
Am Sinai schließt Jahwe und sein Volk - der Tochter Zion - einen Bund, der mit Blut besiegelt wird. Dieses Ereignis ist für das jüdische Volk sicher mit der Exoduserfahrung an sich identitätsstiftend. Nachfolgend gibt Gott „seinem“ Volk die entsprechenden Gesetzte (siehe auch Pentateuch), die für uns nicht die gleiche Bedeutung haben, wie für die Juden früher und heute.
Mit Jesus
.haben sie ihren „Premium-Zugang“ verloren.
Es gibt aus jüdischer Sicht keinen „Premium-Zugang“.
Ich vermute mal, daß das eher ein psychologisches Phänomen
ist. Weil die christliche Dogmatik davon ausgeht, daß das
Christentum die einzige Wahrheit und der alleinige Weg ist,
wird häufig von Christen auf das Judentum dieselbe Annahme
projiziert.
Nicht das Christentum spricht von der „alleinigen“ Wahrheit, sondern Jesus als Jude spricht davon. Er spricht von sich als „Weg, Wahrheit und Leben“. Damit meint er sich nicht als Sohn Gottes, sondern er bezieht das auf sich als Mensch, als Geschöpf Gottes, als Gott selber. Der Mensch kommt zu Gott, wenn er sich als Mensch und als Geschöpf Gottes wahrnimmt. Weil Gott in uns Menschen ist und wir in Gott. Die Dimension ist hier viel weiter gefasst, als Du womöglich in die christliche „Wahrheitslehre“ implizieren magst. Hier kommen wir sicher an die Grenzen des gemeinsamen Gottesverständnis… :o) Und hier kamen wahrscheinlich auch die damaligen Israeliten (außer die ersten Judenchristen) an ihre Grenzen, in Jesus mehr als nur einen „Wanderprediger“ zu sehen. Was nicht bedeuten kann und darf, daß die christliche Lehre besser oder schlechter als die jüdische Lehre - die basiert nur auf einem verschobenen Gottesbild bzw. auf einer essentiell anderen Gotteserfahrung. Gott als Mensch - Mensch als Gott; in Jesus Christus und jedem Menschen.
Man muss und braucht nicht Jude zu sein, um ein Gerechter zu
sein und um Anteil an der künftigen Welt zu haben. Nur: Für
Juden gelten - aus jüdischer Sicht - strengere Standards,
nämlich die 613 Gebote.
Für einen Nicht-Juden tun es die sieben noachidischen Gebote.
Verstehst Du das unter „Premium“-Zugang?
Oder als Analogie gefragt: Hat man als Katholik einen
Premium-Zugang wenn man in ein Kloster eintritt?
Nein - dieses Verständnis kennen wir Christen und Katholiken nicht. Wer das so sieht, hat die Botschaft Jesu nicht verstanden. :o)
Daß dies vielen
Israeliten nicht passte, liegt auf der Hand.
Vielleicht aus christlicher Sicht?
Aus jüdischer Sicht trifft das nicht zu - siehe oben.
Unsere - innerjüdischen - Quellen (siehe Evangelien) sprechen eine andere Sprache. Aber das mag auch daran liegen, daß es sicher damals ein anderes Verständnis der Iraeliten und damaligen Judenchristen gab und sich sicherlich unterscheidet, was wir als aufgeklärte Juden und Christen heute darunter verstehen.
Gott hat mit Noach einen Bund geschlossen. Noach war kein
Jude. Einer von mehreren Bundesschlüssen, die in der Torah
benannt sind.
Aha.
Natürlich gibt es „innerjüdische“ Dokumente über den
„unbedeutenden Wanderprediger“. Immerhin sind neben Heiden und
Griechen auch Juden Autoren der Evangelien.
Meines Wissens: Hauptsächlich Juden 
Nur: Die Tatsache, daß jüdische Verfasser Evangelien und
Briefe verfaßt haben, macht diese Schriften noch nicht zu
„innerjüdischen Dokumenten.“
*schmunzel* Ist mir klar, daß Du das so definierst. Was sind die Evangelien denn sonst, wenn die Autoren nicht hauptsächlich Juden sind? Außerjüdische Dokumente?
Das wäre so ähnlich, wie wenn ich sagen würde, die
buddhistischen Schriften von Ayya Khemah oder Bernard Glassman
- beide geborene Juden - seien innerjüdische Dokumente.
Ich möchte Birnen ungern mit Äpfeln vergleichen. Die Evangelien sind aus jüdischem Kontext, mit jüdischen Hintergrund, aus jüdischer Geschichte, aus jüdischer Prophezeiung und zumeist von Juden verfasst. Das macht sie aus wissenschaftlicher und theologischer Sicht u. a. zu jüdischen Schriften. Das ist übrigens nicht nur meine persönliche Meinung.
Allerdings kann man aus religionswissenschaftlicher
Perspektive sagen, daß die Schriften des „Neuen Testaments“
ebenso wie die zur gleichen Zeit niedergelegten Schriften der
ursprünglich mündlichen Tradition des Judentums wichtige
Dokumente sind, um das Judentum der Spätantike zu
verstehen.
Das heißt konkret?
Schönes Wochenende noch und viele Grüße
Auch Dir einen schönen & gesegneten Sonntag! :o)
fr. Christian