Hallo Peet,
zu deinen klärenden Fragen habe ich nun auch drei klärende
Fragen. Vielleicht fühlst du dich dadurch nicht zu viel
bedrängt, hoffentlich.
Warum sollte ich? (abgesehen davon frage ich mich, weshalb Du meine Fragen an xvagabundx als „klärend“ auffasst?)
- gewöhnlich ist es keine moralische Forderung, allgemein
„Opfer“ oder deren Nachkommen grundsätzlich von auf andere
Dinge bezogener Kritik auszunehmen; warum ist dies hier der
Fall?
Warum stellst du deine Frage in dieser Richtung und nicht
andersrum?
Leider hast Du hier xvagabundx’ Aussage nicht mitzitiert, darum mach ich das noch einmal:
Jeder
normaldenkende Mensch sollte/müsste vor Scham im Erdboden
versinken (nicht als deutscher, sondern als Mensch mit nur ein
bisschen Empathie und gesundem Menschenverstand), wenn er den
Nachkommen der Überlebenden des Massakers geldgierige
Interessen vorwirft oder ihnen unterstellt, das Gemetzel als
Vorwand heutiger politischer INteressen zu missbrauchen.
- gewöhnlich ist es keine moralische Forderung, allgemein
„Opfer“ oder deren Nachkommen grundsätzlich von auf andere
Dinge bezogener Kritik auszunehmen; warum ist dies hier der
Fall?
Meine Frage war die nach Verallgemeinerbarkeit der Aussage, also danach, weshalb xvagabundx im Fall des „Massakers“, wie er es hier nennt, einen ethischen Maßstab ansetzt, der augenscheinlich nicht allgemeine Haltung ist, nicht allgemeiner Maßstab des Umganges mit „Opfern“.
Konkret, warum wird von den Opfern und deren
Nachkommen höhere moralische Haltung erwartet bzw. gefordert;
warum ist dies hier der Fall?
Ist das nun die „Frage andersrum“?
Aus meiner Sicht ist es eine ganz andere Frage!
In der Tat scheint diese seltsame Erwartungshaltung von einigen Leuten an die „Opfer“ herangetragen.
(darauf scheint dataf0x ja auch mit ihrem „Dicken“ anzuspielen)
Wäre diese Umschreibung eine annehmbare für dich?
Wie dargelegt, natürlich nicht.
Weiter gehst du auf ein ‚Beispiel‘ ein und beschreibst eine
Gegenüberstellung in folgender Form:
ich glaube, Dein Beispiel passt grundsätzlich nicht, denn wollte man es generalisieren, dann würde herauskommen: A soll nicht das Verhalten B an X kritisieren, das er selbst an ihm begangen hat.
Die Generalisierung meines Satzes ist aber:
gewöhnlich ist es keine moralische Forderung, einen X, an dem ein Verhalten C begangen wurde, grundsätzlich von Kritik an seinem Verhalten D,E,F,… auszunehmen.
Ohne dir etwas unterstellen zu wollen, will ich dennoch diese
Gegenüberstellung anders deuten.
Im ‚Beispiel‘ sehe ich drei Teilnehmer {A,B,X}, die
folgendermaßen agieren: A tut etwas Unmoralisches B an; B tut
etwas Unmoralisches X an; A kritisiert B dafür.
Nein; A (der Mobber) tut B (das Mobben) dem X (das Opfer) an; den Kellner habe ich gar nicht mehr mit aufgenommen, wenn ich das jetzt täte, dann käme:
A (der Mobber) tut B (das Mobben) dem X (das Opfer) an und X tut Y (auch Opfer) ebenfall B an, weshalb er von A kritisiert wird
(Ich weiß, ich bin selbst schuld für die Verwirrung, weil ich nicht exakt kenntlich gemacht habe, dass „B“ ein Verhalten ist, aber geschrieben habe ich es glaube ich schon)
In deinem ‚Satz‘ ist B grundsätzlich kritisierbar, ohne dass A
erwähnt wird und ohne dass B’s Verhalten an X festgehalten
wird.
Wenn ich dich immer noch falsch interpretiere, kannst du mich
immer noch korrigieren. Wenn ich aber nicht ganz daneben
liege, dann ist für mich die Abwesenheit von A in deinem
‚Satz‘ eine sehr bemerkenswerte Angelegenheit. Verstehst du,
wohin sie führt?
Ich kann mir denken, was Du damit meinst, aber da wir die Variablen verschieden besetzt haben, kann ich im Moment nicht darauf antworten; Du müsstest die Frage mit den richtigen Variablen neu stellen.
ist es nicht u.U. aber vielleicht eine paradoxe Form der
(ungewollten) Leugnung des Holocausts, wenn man ihn zur
totalen Ausnahme macht, ihn nicht in seiner „Normalität“
erkennt, in seinem Eingebettet-Sein in die Welt des 20./21.
Jhdts., in seiner grundsätzlichen Wiederholbarkeit, seiner
Paradigmatizität?
Worin siehst du a) die „grundsätzliche Wiederholbarkeit“ des
Holocausts, b) seine „Paradigmazität“, c) seine „Normalität“?
alle drei Begriffe stehen als unterschiedliche Dimensionen für den einen Gedanken, dass der Holocaust nicht ein „totes“ Ding der Vergangenheit ist, sondern, dass wir im Holocaust-Zeitalter leben.
Du wirst verstehen, dass es schwierig ist, in wenigen Worten zu argumentieren, weshalb ich zunächst mich auf Giorgio Agamben und Zygmunt Bauman als „Quelle“ berufen möchte; deshalb nur kurz:
selbstverständlich ist der Holocaust wie jedes andere geschichtliche Ereignis eine Singularität, seine Methoden und Techniken aber sind nicht auf ihn allein beschränkt:
die Methoden der Aussonderung, der Kontrolle, der Konzentration, der Verwaltung,
die Methoden, ein Subjekt dazu zu bringen, nur noch auf das allerbiologischste Überleben sich zu konzentieren,
die Methoden, eine gigantische Gruppe von Menschen auf eine solche Weise zu eliminieren, dass dem kein nennenswerter Widerstand (von ihnen und anderen) entgegengestellt wird,
die Methoden, die Opfer auch noch als Helfer für die eigene Beseitigung dafür einzusetzen,
die Methoden, einen mit einem Stereotpy Belegten mittels der Einwirkung von Gewalt dazu zu bringen, scheinbar das Stereotyp zu bestätigen,
etc.
Ich halte das alles für typische Methoden des 20./21. Jhdts., und glaube wohl zurecht, dass der Holocaust, so wie er abgelaufen ist, 100 Jahre vorher unmöglich hätte ablaufen können.
Und eben das meine ich mit Normalität/Paradigmatizität/grundsätzlicher Wiederholbarkeit
(die Differenzierung dieser Begriffe würde hier viel zu weit führen)
Ich weiß nicht, ob Du diese „Methoden“ heute, „außerhalb von Auschwitz“, wie Agamben das nennt, am Werk siehst, aber das würde uns in eine ausufernde politisch-soziologische Debatte bringen.
Wenn es dir (anscheinend) gelungen ist, seine „Normalität“ zu
erkennen, dann kannst du vielleicht andeuten, wie hast du das
geschafft, was die Historikerzunft immerhin noch nicht
geschafft hat?
Mal ne ehrlich Antwort: Was an meinem Artikel war so „schlimm“, dass er eine solche Aussage verdient hat?
- gibt es einige Historikerstreite bezüglich der Normalität/Nicht-Normalität des Holocaust, d.h. um die Art und Weise der „Einreihung“ in den Lauf der Geschichte,
- habe ich mich in meinem Artikel, und auch in diesem, an Agamben orientiert, der durchaus Anerkennung unter Historikern besitzt,
und 3) glaube ich nicht, dass meine Artikel Anlass zu der Vermutung gegeben hat, man solle „Normalität“ allzu umgangssprachlich als „mein Gott, das war halt damals normal, kein Grund aufzuregen“ verstehen.
(nur auf der Basis eines solchen Verständnisses könnte ich aber Deine Aussage eben verstehen, weil eine solche „Normalität“ eine Form der Leugnung/Relativierung wäre, meine „Normalität“ ist aber das genaue Gegenteil dessen ist bzw. zumindest sein soll)
Viele Grüße
franz