Die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bewirkt im Rechtsstreit über die Gewährung von Krankengeld keine Beweiserleichterung, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung die Arbeitsfähigkeit des Versicherten bejaht.
Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Beweismittel wie jedes andere, sodass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden kann
Zur Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. (zu 2 und 3) Leitsätze der Redaktion)
BSG 1. Senat, Urteil vom 08.11.2005 - B 1 KR 18/04 R, LSG Berlin
Abgedruckt in AP Nr. 1 zu § 44 SGB V.
Aus den Gründen:
Zwar attestierte Dr. M. der Kl. entgegen der MDK-Einschätzung (= Arbeitsfähigkeit ab 21. 4. 1997) darüber hinausgehende Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. 7. 1997. Das gebot jedoch nicht schon die Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des MDK. Denn § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V verpflichtet eine Krankenkasse nicht in jedem Fall von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu derartigem Vorgehen, sondern - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Fällen - nur dann, „wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich“ ist. Diese Regelung legt einer Krankenkasse deshalb nicht schon bei jedweder erneuten Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch den behandelnden Arzt die Pflicht auf, wiederum den MDK einzuschalten, wenn - wie hier - in Bezug auf den für die Krankengeldgewährung streitigen Leistungszeitraum bereits zuvor eine MDK-Begutachtung erfolgt und in diesem Zusammenhang eine konkrete Prognose über die Dauer der gesundheitlichen Beeinträchtigungen abgegeben worden war. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der detailliert in § 275 Abs. 1a SGB V geregelten Beispiele für eine gebotene Befassung des MDK kann dessen wiederholte Einschaltung in derartigen Fällen vielmehr erst dann als „erforderlich“ angesehen werden, wenn sich aus dem Inhalt einer neuen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst oder aus sonstigen, zB neu hinzugetretenen Umständen nachvollziehbare Zweifel an der Richtigkeit einer vorangegangenen MDK-Einschätzung ergeben. Obwohl der einzelne Vertragsarzt nicht gehindert ist, die Arbeits(un)fähigkeit des Versicherten anders zu beurteilen als der MDK, besteht ohne derart erkennbare Umstände eine erneute Begutachtungspflicht nur dann, wenn der behandelnde Arzt seine gegenteilige Ansicht untermauert und nicht nur seine schon zuvor abgegebene Einschätzung in der Folgezeit kommentarlos wiederholt. Dies ergibt sich in gleicher Weise auch aus den einschlägigen Regelungen des Vertragsarztrechts. So ist nach § 62 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä, vom 19. 12. 1994, DÄBl 1995, A-455) und § 19 Abs. 3 BMV-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä, DÄBl 1994, A-1465) das Gutachten des MDK zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit vorbehaltlich der (nachfolgenden) Bestimmung in Abs. 4 verbindlich. Abs. 4 der genannten Mantelvertragsnormen regelt, dass der behandelnde Arzt unter Darlegung seiner Gründe bei der Krankenkasse ein Zweitgutachten beantragen kann, wenn zwischen ihm und dem MDK Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit uÄ bestehen, über die der MDK eine Stellungnahme abgegeben hat. Erst dann, wenn die Krankenkasse diese Meinungsverschiedenheiten nicht ausräumen kann, soll der MDK mit dem Zweitgutachten einen Arzt des Gebiets beauftragen, in das die verordnete Leistung oder die Behandlung der vorliegenden Erkrankung fällt. Nr. 23 AU-RL sieht im Wesentlichen übereinstimmend damit ebenfalls die Verbindlichkeit des MDK-Gutachtens vor, das nur auf einen begründeten Einspruch des Arztes hin mittels eines Zweitgutachtens zu überprüfen ist. Da BMV-Ä bzw EKV-Ä sowie AU-RL nur dasjenige wiederholen, was bereits aus § 275 SGB V herzuleiten ist, kommt es dabei nicht darauf an, ob - was die Kl. in Zweifel zieht - die AU-RL auch für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung verbindlich sind. Entscheidend ist insoweit allein, dass aus den genannten Bestimmungen jedenfalls keine - hier von der Bekl. verletzte - Pflicht herzuleiten war, die zu Gunsten des Versicherten Beweiserleichterungen in einem von ihm gegen seine Krankenkasse angestrengten Leistungsstreit bewirken könnte. Da Dr.M. keinen begründeten Einspruch gegen die Einschätzung des MDK einlegte, sondern nur seine schon bei der MDK-Begutachtung am 3. 4. 1997 bekannt gewesenen Diagnosen wiederholte, ergibt sich mithin auch unter diesem Blickwinkel nichts zu Gunsten der Klägerin.