Hallo Jörg,
Das kann aber nicht so ganz stimmen, denn Mathematik ist
abstrakt und bedarf der Wahrnehmung durch eine Intelligenz,
die mir nur in Form von Subjekten geläufig ist.
Kann Mathematik dann wirklich objetiv sein, wenn sie durch einen
„subjektiven Filter“ geht? Oder bedarf Mathematik keiner
Wahrnehmung?
Mathematik geht von Axiomen aus. Axiome sind erste Sätze, aus denen etwas abgeleitet wird, die aber selbst nicht mehr ableitbar sind. Diese Axiome sind logische Axiome, die dem Denken zugrunde liegen, also z. B. A=A. Das gilt immer, denn wenn ich irgendwann annehmen sollte, dass A gleich nicht-A ist, habe ich keine Chance mehr, verstanden zu werden.
Ein weiteres Axiom ist der klassische Syllogismus:
Wenn aus A B folgt und aus B C folgt, dann folgt auch aus A C.
Formalisiert:
- Prämisse A -> B
- Prämisse B -> C
- Conclusion A -> C
Auch das gilt immer, jedenfalls wenn die beiden Prämissen stimmen, dann stimmt auch der Schluss aus ihnen, die
Conclusion. Ob allerdings die Prämissen stimmen, das ist keine Frage der Logik, sondern der Semantik, also welche Bedeutung wir den Ausdrücken beilegen (können).
Diese Axiome sind unabhängig von der Zeit, weil es zu ihrer Verifikation keiner empirischen Stütze bedarf, denn für den Schluss ist es völlig gleichgültig, welche Bedeutung die Platzhalter haben. Selbst wenn die Prämissen falsch sind, kann der Schluss als ganzer richtig sein.
A. Katzen haben Flügel.
B. Mit Flügeln kann man fliegen.
C. Also können Katzen fliegen.
Dieser Schluss ist richtig, obwohl eine Prämisse - es könnten auch beide sein - falsch ist, denn **wenn A stimmt und wenn B stimmt, dann muss auch C stimmen.
Wie kannst du wissen, ob Mathematik zeitunabhängig ist, wenn du
lediglich Bestandteil eines zeitabhängigen Systems bist und
keine Vergleichsmöglichkeit zu einem zeitunabhängigen System
hast?
In den logischen Beispielen wird ja von der Zeit abstrahiert, die Zeit spielt in ihnen keine Rolle.
Beispiel:
A. Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze.
B. Wer eine Glatze hat, darf nicht regieren.
C. Also darf der gegenwärtige König von Frankreich nicht regieren.
Für die Richtigkeit dieses Schlusses bedarf es der Frage gar nicht, ob es überhaupt einen gegenwärtigen König von Frankreich gibt. Möglicherweise hätte dieser Schluss im 18. Jahrhundert reale Gültigkeit gehabt, aber als Schluss gilt er auch heute, weil er grundsätzlich zeitunabhängig ist.
Objektiv zu sein bedeutet doch, außerhalb des Systems zu sein,
völlig frei von Einfluss. Wir sind aber Bestandteil des
Systems, also können wir die Dinge nur subjektiv sehen.
Dieses Grundlagenproblem hat Kurt Gödel 1931 formuliert. Anfang des Jahrhunderts versuchten Whitehead und Russell in den „Principia mathematica“ (1910-13) ein vollständiges, widerspruchsfreies System der Mathematik aufzustellen. Gödel bewies nun, dass es innerhalb der Mathematik unentscheidbare Sätze gibt („Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme“, in: Monatshefte für Mathematik 38, 1931). Die Widerspruchsfreiheit eines Systems kann danach nicht innerhalb dieses Systems bewiesen werden.
Daher sind die modernen Mathematiker dazu übergegangen, die Wahrheit eines Systems lediglich von deren innere Widerspruchsfreiheit abhängig zu machen. Ein System ist danach dann wahr bzw. objektiv, wenn es innen fehlerfrei ist. Hier ist es nun aber (meiner Meinung nach) tatsächlich fraglich, ob man den Begriff der Wahrheit oder den der Objektivität anwenden kann, denn man sieht ja gerade von der Objektbezogenheit ab. Das ist aber beim Syllogismus noch nicht der Fall. Dort sehe ich zwar vom Objekt, nicht aber von der Objektbezogenheit ab.
Ergänzende Frage: Kann man Objektivität erzeugen?
Das ist natürlich metaphorisch gemeint. Wenn ich einem Satz logisch Falschheit nachweise, dann ist er eben objektiv falsch.
„Objektivität erzeugen“ heißt also „Richtigkeit nachweisen“.
Was meint er mit zufällig und mit sekundär?
Unwesentlich. Nach Locke muss man sogenannte primäre von sekundären Eigenschaften unterscheiden. Primär sind diejenigen Eigenschaften, die von den Körpern unabtrennbar sind: Größe, Gestalt, Zahl, Lage, Bewegung oder Ruhe. Diese nehmen wir - nach Locke - so wahr, wie sie wirklich sind. Sekundäre hingegen (Farbe, Geruch, Geschmack usw.) sind subjektive Vorstellungen. Von ihnen kann erkenntnistheoretisch abstrahiert also abgesehen werden.
Objektivität muß sich Subjektivität unterordnen.
Ja, das ist in gewisser Weise richtig, aber in dieser
Formulierung zu allgemein.
Fein, das wollte ich hören. In welche Richtung gehend kann man
diesen Satz nach Deinem Geschmack besser formulieren (sprich
weniger allgemein)?
Empirische Objektivität kann nur hypothetisch sein, formale Objektivität ist zwar gegeben, aber in den ersten Sätzen von Evidenz abhängig.
Herzliche Grüße
Thomas Miller**