Objektivität

Hallo!

Ich möchte gern mal eure Ansichten darüber wissen, ob es Objektivität wirklich gibt oder ob nicht alles durch das eigene Ich beeinflusst ist.

Von den Anhängern des Subjektivismus würde ich gern mal erläutert haben, wie sich die Mathematik damit vereinbaren läßt, denn 1+1 ist nunmal 2.

Von den Anhängern des Objektivismus möchte ich gern wissen, ob es etwas gibt, was sich nicht aus dem Bewußtsein herleiten läßt.

Ich kenne die Modellvorstellungen des Objektivismus und des Subjektivismus einigermaßen und finde, die Wahrheit (Wahrheit im landläufigen Sinne *g*) liegt dennoch irgendwo dazwischen.

MfG
Jörg

Hallo Jörg,

Ich möchte gern mal eure Ansichten darüber wissen, ob es
Objektivität wirklich gibt oder ob nicht alles durch das
eigene Ich beeinflusst ist.

durch das eigene Ich beeinflusst ist nicht etwa alles, sondern lediglich die Erkenntnis (nicht etwa von allem, sondern von etwas überhaupt).

Von den Anhängern des Subjektivismus würde ich gern mal
erläutert haben, wie sich die Mathematik damit vereinbaren
läßt, denn 1+1 ist nunmal 2.

Die Mathematik ist eine Form des Denkens, also etwas, was das Denken beeinflusst, nicht umgekehrt. Daher ist die Mathematik objektiv.

Von den Anhängern des Objektivismus möchte ich gern wissen, ob
es etwas gibt, was sich nicht aus dem Bewußtsein herleiten
läßt.

Du hast es vielleicht schon gemerkt: Ich halte die Trennung in Subjektivismus und Objektivismus für nicht hinreichend. Denn die Subjekt-Objekt-Beziehung ist nicht geeignet für den Streit um Blickwinkel, sondern es ist eine Relation, die aller Erkenntnis zugrunde liegt.

Ich kenne die Modellvorstellungen des Objektivismus und des
Subjektivismus einigermaßen und finde, die Wahrheit (Wahrheit
im landläufigen Sinne *g*) liegt dennoch irgendwo dazwischen.

Genau so ist es, jedenfalls fast. Denn die Wahrheit liegt nicht irgendwo dazwischen, sondern die Grenze liegt sozusagen genau in der Mitte. Subjekt und Objekt sind Relationsbegriffe, die man natürlich wieder unter beiden Gesichtspunkten betrachten kann.

Grundschema: Ich denke Etwas.
Subjektives Schema: Ich denke Etwas als von mir gedacht.
Objektives Schema I: Ich denke mich selbst als Objekt.
Objektives Schema II: Ich denke Etwas als Subjekt.
(Das letzte ist vermutlich das, was du mit „Objektivismus“ meinst.)

Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir uns immer im Rahmen des Subjekts befinden und über das „Ding“ außerhalb des „Subjekts“ nur (induktive) Schlüsse ziehen, also nichts wirklich Sicheres darüber sagen und nur Vermutungen äußern können.

Daher kommen unsere Schwierigkeiten in der Naturwissenschaft. Das ist auch der Grund, weshalb die Patentämter - seit 1600-was-weiß-ich, meine ich - keine Patente mehr auf das Perpetuum Mobile annehmen, nämlich deshalb, weil es das nicht geben kann. Warum nicht? Weil es unserer Art zu denken widerspricht. Wenn wir also doch meinen, so etwas erfunden zu haben, werden wir trotzdem weitersuchen, ob sich nicht doch ein Platz für die Energiezufuhr ermitteln lässt.

Hilfreich für diese Ansicht ist Schopenhauer (mal wieder, aber dieses Mal theoretisch!). Er nimmt an, dass die Welt in zwei Hälften geteilt ist, die „Vorstellung“ auf der einen Seite und der „Wille“ auf der anderen Seite. Innerhalb der Vorstellung unterscheidet er zwischen Subjekt und Objekt, wobei die Beziehung zwischen beiden durch den Satz vom Grunde („Nicht ist ohne Grund, warum es sei oder nicht sei.“) gekennzeichnet ist, der in vier verschiedenen Formen auftritt: als logischer, als mathematischer, als kausaler und als motivationaler Satz vom Grund.

Dieses Denkschema vom Grund liegt immer zugrunde, wir können also gar nicht anders, als innerhalb dieses Schemas zu denken. Deshalb müssen wir auch - nach Schopenhauer - diesen Begriff nicht nur auf die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, sondern auch auf die Relation zwischen Vorstellung und Wille anwenden. Daher hat sich Schopenhauer in seiner letzten Phase dem (erkenntnistheoretischen) Materialismus angenähert, denn er vertritt die These, dass der „Wille“ (als blinde, ziellose Kraft gedacht) in allem steckt. Für den naturwissenschaftlichen bzw. „historischen“ Materialismus hatte er indes nur Spott übrig.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht auch ganz hilfreich, darauf zu verweisen, dass die Gegenüberstellung von Idealismus und Materialismus nach ihm auf einer falschen Prämisse beruht.
Realismus und Idealismus sind Begriffe, die sich auf das Subjekt beziehen. Auf das Objekt bezogen entsprechen dem die Begriffe Materialismus und Spiritualismus, weshalb man immer dazusagen muss, dass man mit Objekt nicht die „Wirklichkeit da draußen“ meint. Der Begriff " Wirk lichkeit" zeigt ja auch schon, dass wir hier schon wieder der Anwendung der Kausalität (=Ursache/ Wirk ung), also eines „subjektiven“ Prinzips auf die Außenwelt erlegen sind.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas!

Zunächst einmal herzlichen Dank für die ausführliche und vor allem interessante Antwort! Ich habe den Thread nicht einfach so gesetzt, sondern weil ich darüber auch gerade mit anderen diskutiere.

Die Mathematik ist eine Form des Denkens, also etwas, was das
Denken beeinflusst, nicht umgekehrt. Daher ist die Mathematik
objektiv.

Wenn man nach den Anhängern des Subjektivismus geht, dann ist Mathematik eine Denkgewohnheit, also eine Art Placebo-Effekt, der durch ständiges Üben und Weitergeben entstanden ist.

Meine nächste Frage dazu ist eine ziemlich grundsätzliche: Wie kannst du wissen, dass es so ist, wie du schreibst? Es sind doch nur deine Gedanken daran, dass Mathemaik objektiv ist. Und deine Gedanken sind rein subjektiv. Alles Gedachte ist nicht unbeeinflusst durch meine begrenzte Aufnahmefähigkeit. Das, was in mein Bewußtsein, also in mein Ich gelangt, ist von meinem Selbst vorsortiert worden. Ich atme nicht bewußt, mein Herz schlägt nicht bewußt. Ich denke nicht in jeder Minute an alles. Information geht an mir vorbei in jeder Sekunde. Deshalb kann ich nicht objektiv beurteilen. Und zu schlußfolgern, dass etwas objektiv ist, nur weil es sich immer wieder auf die gleiche Weise darstellen läßt, wäre nicht logisch. Genauso kann die Mathematik eine Denkgewohnheit sein. ein Placebo-Effekt. Alle glauben daran, aber wissen nicht. Subjektivität würde Wissen verleugnen. Alles wäre Gewohnheit. Subjektivität verneint auch Logik. Letztlich ist es nicht ganz so einfach, dennoch halte ich daran fest, dass alles subjektiv ist. Objektivität ist lediglich der kleinste gemeinsame Nenner unter den Menschen. Es ist das, was sie untereinander austauschen können. Menschen können vieles nicht mitteilen, die Bandbreite der vorhandenen Möglichkeiten ist dazu einfach zu gering. Zu beschreiben, wie die Farbe Rot aussieht, ist nicht möglich. ich würde also alles, was Menschen subjektiv gemeinsam immer wieder erleben können, als objektiv bezeichnen. Objektivität muß sich Subjektivität unterordnen.

Du hast es vielleicht schon gemerkt: Ich halte die Trennung in
Subjektivismus und Objektivismus für nicht hinreichend. Denn
die Subjekt-Objekt-Beziehung ist nicht geeignet für den Streit
um Blickwinkel, sondern es ist eine Relation, die aller
Erkenntnis zugrunde liegt.

Ist es deiner Ansicht nach ein Axiom? Wenn ja, dann gibt es tatsächlich nichts zu diskutieren. Zum Beispiel das Hauptaxiom des Objektivismus ist ja die Existenz. Deshalb verbieten sich viele Fragen.

Genau so ist es, jedenfalls fast. Denn die Wahrheit liegt
nicht irgendwo dazwischen, sondern die Grenze
liegt sozusagen genau in der Mitte.

Ich sehe es also nicht ganz in der Mitte, sondern vertikal.

o)

Objektives Schema II: Ich denke Etwas als Subjekt.
(Das letzte ist vermutlich das, was du mit „Objektivismus“
meinst.)

Ja richtig.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir uns immer im Rahmen des
Subjekts befinden und über das „Ding“ außerhalb des „Subjekts“
nur (induktive) Schlüsse ziehen, also nichts wirklich Sicheres
darüber sagen und nur Vermutungen äußern können.

Genau das ist auch meine Ansicht. Wir sehen nicht die Dinge selbst, sondern nur ein Abbild davon. Die Frage ist: Wo ist der Unterschied? Leider können wir nicht vergleichen, wie andere die Farbe Rot sehen. Es bleibt bei einer Vermutung. Dabei sind wir uns doch alle so sicher, dass, wenn wir rot meinen, alle dasselbe zu sehen glauben.

Um es klarzustellen, ich bezweifle nicht, dass etwas existiert außerhalb unseres Bewußtseins. Ich möchte nur in Frage stellen, ob es durch ein Subjekt wirklich objektiv gesehen werden kann. Ich weiß auch, dass mein zweiter Satz den ersten in Frage stellt, ich möchte es jedoch nicht gänzlich ausarten lassen.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Auch von mir herzliche Grüße
Jörg!

Hallo Jörg,

Wenn man nach den Anhängern des Subjektivismus geht, dann ist
Mathematik eine Denkgewohnheit, also eine Art Placebo-Effekt,
der durch ständiges Üben und Weitergeben entstanden ist.

diese Leute nennt man nicht Subjektivisten, sondern sie sind Vertreter des Psychologismus, einer Richtung, die eigentlich spätestens (!) seit Edmund Husserl (Logische Untersuchungen, 2 Bde., Halle 1900/01, besonders Band 1) tot sein sollte. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen Genesis (Entstehung) und Geltung. Gedanken entstehen psychologisch, sie gelten aber logisch.

Meine nächste Frage dazu ist eine ziemlich grundsätzliche: Wie
kannst du wissen, dass es so ist, wie du schreibst? Es sind
doch nur deine Gedanken daran, dass Mathemaik objektiv ist.
Und deine Gedanken sind rein subjektiv. Alles Gedachte ist
nicht unbeeinflusst durch meine begrenzte Aufnahmefähigkeit.

Die Objektivität der Mathematik betrifft deren Geltung, nicht deren psychologische Entstehung. Psychologische Fehler, also beispielsweise Rechenfehler, sind kein Problem der Mathematik, sondern der Psychologie. Davon aber wird die grundsätzliche Geltung der Mathematik nicht berührt.

Deshalb kann ich nicht objektiv beurteilen. Und zu
schlußfolgern, dass etwas objektiv ist, nur weil es sich immer
wieder auf die gleiche Weise darstellen läßt, wäre nicht
logisch.

Es ist nicht deshalb logisch, weil es sich „immer“ auf die gleiche Weise darstellt, dann wäre Mathematik zeitbezogen und du hättest Recht. Sie ist aber zeitunabhängig. Sie gilt unabhängig von ihrem (physikalischen) Gegenstand, ja unabhängig von der Art des Objekts. Sie ist nicht bloße „Bedingung der Erkenntnis“, sondern - um Kant zu bemühen - „Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt“. Dadurch ist sie unhintergehbar. Das nennt man objektiv im Sinne von universal gültig.

Objektivität ist lediglich der kleinste gemeinsame Nenner
unter den Menschen. Es ist das, was sie untereinander
austauschen können.

Das nennt man nicht Objektivität, sondern „Intersubjektivität“. Aber Intersubjektivität erzeugt keine Objektivität.

Zu beschreiben, wie die Farbe Rot aussieht, ist nicht möglich.

Hier handelt es sich um sogenannte sekundäre Eigenschaften (Locke), die völlig zufällig sind.

ich würde also alles, was Menschen subjektiv
gemeinsam immer wieder erleben können, als objektiv
bezeichnen.

Wenn du meinen obigen Ausführungen zustimmst, müsstest du diesen Satz widerrufen.

Objektivität muß sich Subjektivität unterordnen.

Ja, das ist in gewisser Weise richtig, aber in dieser Formulierung zu allgemein.

die Subjekt-Objekt-Beziehung ist … eine Relation, die aller
Erkenntnis zugrunde liegt.

Ist es deiner Ansicht nach ein Axiom? Wenn ja, dann gibt es
tatsächlich nichts zu diskutieren. Zum Beispiel das Hauptaxiom
des Objektivismus ist ja die Existenz.

Nein, „Axiom“ möchte ich das eigentlich nicht nennen, denn dann wäre es in gewissem Sinne von seiner Brauchbarkeit abhängig. Ich kann also z. B. bestimmte physikalische Voraussagen machen, wenn ich eine nicht-euklidische Geometrie annehme, also die klassischen mathematischen Axiome abändere. Das bedeutet aber noch nicht, dass es so eine nicht-euklidische Geometrie tatsächlich gibt, sondern nur, dass ich meine Axiome ändern kann. Axiome sind also quasi „hintergehbar“, nicht in ihrem eigenen mathematischen System, aber außerhalb. Tranzendentalität hingegen, d. h. dasjenige, was „Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis“ ist, ist meiner Ansicht nach unhintergehbar.

Deshalb verbieten sich viele Fragen.

Das muss man schon beweisen, aber das würde hier vielleicht ein bisschen weit führen. Ich halte den Ansatz von Karl-Otto Apel für geeignet („Transformation der Philosophie“, „Diskurs und Verantwortung“), einen Beweis zu führen. Das würde allerdings möglicherweise etwas ausführlicher werden. Daher hier erst einmal nur der Hinweis auf das Buch.

Es bleibt bei einer Vermutung.

Ich kann dir eigentlich nur die Lektüre Kants empfehlen. Oder lies ein gutes Buch über ihn, vielleicht die Einführung von Otfried Höffe oder - wenn es etwas genauer sein soll - das Buch von Volker Gerhardt und Friedrich Kaulbach (etwas älter schon, aber sehr klar und immer noch gültig).

Dabei sind wir uns doch alle so sicher, dass, wenn wir rot
meinen, alle dasselbe zu sehen glauben.

Das ist möglicherweise nur eine Frage der Benennung (Lektüreempfehlung: Wittgenstein über Farben).

Herzliche Grüße

Thomas Miller

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Hallo Thomas,

ich danke Dir wiederum für die sehr ausführliche Antwort und vor allem für die unzähligen Verweise auf Literatur. Um auf Deinen Kenntnisstand zu kommen braucht man schon etwas Zeit. Dennoch habe ich einige ergänzende Fragen, die sich aus Deinen Antworten für mich ergeben.

diese Leute nennt man nicht Subjektivisten, sondern sie sind
Vertreter des Psychologismus,

wieder was dazugelernt.

Die Objektivität der Mathematik betrifft deren Geltung, nicht
deren psychologische Entstehung.

Dies setzt aber voraus, dass es so ist, dass Mathematik objektiv ist. Das heißt, vollkommen frei von Subjektivität. Das kann aber nicht so ganz stimmen, denn Mathematik ist abstrakt und bedarf der Wahrnehmung durch eine Intelligenz, die mir nur in Form von Subjekten geläufig ist. Kann Mathematik dann wirklich objetiv sein, wenn sie durch einen „subjektiven Filter“ geht? Oder bedarf Mathematik keiner Wahrnehmung?

Es ist nicht deshalb logisch, weil es sich „immer“ auf die
gleiche Weise darstellt, dann wäre Mathematik zeitbezogen und
du hättest Recht. Sie ist aber zeitunabhängig. Sie gilt
unabhängig von ihrem (physikalischen) Gegenstand, ja
unabhängig von der Art des Objekts.

Woher willst du wissen, dass es nur eine Mathematik gibt, die nur in dem System gilt, in dem wir leben? Wie kannst du wissen, ob Mathematik zeitunabhängig ist, wenn du lediglich Bestandteil eines zeitabhängigen Systems bist und keine Vergleichsmöglichkeit zu einem zeitunabhängigen System hast? Du kannst nicht wissen, was du nicht weißt, frei nach Sokrates.

Objektiv zu sein bedeutet doch, außerhalb des Systems zu sein, völlig frei von Einfluss. Wir sind aber Bestandteil des Systems, also können wir die Dinge nur subjektiv sehen.

Sie ist nicht bloße

„Bedingung der Erkenntnis“, sondern - um Kant zu bemühen -
„Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt“. Dadurch
ist sie unhintergehbar. Das nennt man objektiv im Sinne von
universal gültig.

Dem stimme ich zu, widerspricht jedoch nicht zwangsläufig meinen obigen Aussagen, wenn man für den Begriff Objektivität eine gemilderte Variante (so wie von mir beschrieben) anwendet.

Objektivität ist lediglich der kleinste gemeinsame Nenner
unter den Menschen. Es ist das, was sie untereinander
austauschen können.

Das nennt man nicht Objektivität, sondern
„Intersubjektivität“. Aber Intersubjektivität erzeugt keine
Objektivität.

Noch etwas dazugelernt. Ergänzende Frage: Kann man Objektivität erzeugen?

Hier handelt es sich um sogenannte sekundäre Eigenschaften
(Locke), die völlig zufällig sind.

Was meint er mit zufällig und mit sekundär?

ich würde also alles, was Menschen subjektiv
gemeinsam immer wieder erleben können, als objektiv
bezeichnen.

Wenn du meinen obigen Ausführungen zustimmst, müsstest du
diesen Satz widerrufen.

Ich widerrufe! (Gallileo)

Objektivität muß sich Subjektivität unterordnen.

Ja, das ist in gewisser Weise richtig, aber in dieser
Formulierung zu allgemein.

Fein, das wollte ich hören. In welche Richtung gehend kann man diesen Satz nach Deinem Geschmack besser formulieren (sprich weniger allgemein)?

Mit freundlichen Grüßen
Jörg

Hallo Jörg,

Das kann aber nicht so ganz stimmen, denn Mathematik ist
abstrakt und bedarf der Wahrnehmung durch eine Intelligenz,
die mir nur in Form von Subjekten geläufig ist.
Kann Mathematik dann wirklich objetiv sein, wenn sie durch einen
„subjektiven Filter“ geht? Oder bedarf Mathematik keiner
Wahrnehmung?

Mathematik geht von Axiomen aus. Axiome sind erste Sätze, aus denen etwas abgeleitet wird, die aber selbst nicht mehr ableitbar sind. Diese Axiome sind logische Axiome, die dem Denken zugrunde liegen, also z. B. A=A. Das gilt immer, denn wenn ich irgendwann annehmen sollte, dass A gleich nicht-A ist, habe ich keine Chance mehr, verstanden zu werden.

Ein weiteres Axiom ist der klassische Syllogismus:
Wenn aus A B folgt und aus B C folgt, dann folgt auch aus A C.

Formalisiert:

  1. Prämisse A -> B
  2. Prämisse B -> C

  1. Conclusion A -> C

Auch das gilt immer, jedenfalls wenn die beiden Prämissen stimmen, dann stimmt auch der Schluss aus ihnen, die
Conclusion. Ob allerdings die Prämissen stimmen, das ist keine Frage der Logik, sondern der Semantik, also welche Bedeutung wir den Ausdrücken beilegen (können).

Diese Axiome sind unabhängig von der Zeit, weil es zu ihrer Verifikation keiner empirischen Stütze bedarf, denn für den Schluss ist es völlig gleichgültig, welche Bedeutung die Platzhalter haben. Selbst wenn die Prämissen falsch sind, kann der Schluss als ganzer richtig sein.

A. Katzen haben Flügel.
B. Mit Flügeln kann man fliegen.
C. Also können Katzen fliegen.

Dieser Schluss ist richtig, obwohl eine Prämisse - es könnten auch beide sein - falsch ist, denn **wenn A stimmt und wenn B stimmt, dann muss auch C stimmen.

Wie kannst du wissen, ob Mathematik zeitunabhängig ist, wenn du
lediglich Bestandteil eines zeitabhängigen Systems bist und
keine Vergleichsmöglichkeit zu einem zeitunabhängigen System
hast?

In den logischen Beispielen wird ja von der Zeit abstrahiert, die Zeit spielt in ihnen keine Rolle.

Beispiel:
A. Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze.
B. Wer eine Glatze hat, darf nicht regieren.
C. Also darf der gegenwärtige König von Frankreich nicht regieren.

Für die Richtigkeit dieses Schlusses bedarf es der Frage gar nicht, ob es überhaupt einen gegenwärtigen König von Frankreich gibt. Möglicherweise hätte dieser Schluss im 18. Jahrhundert reale Gültigkeit gehabt, aber als Schluss gilt er auch heute, weil er grundsätzlich zeitunabhängig ist.

Objektiv zu sein bedeutet doch, außerhalb des Systems zu sein,
völlig frei von Einfluss. Wir sind aber Bestandteil des
Systems, also können wir die Dinge nur subjektiv sehen.

Dieses Grundlagenproblem hat Kurt Gödel 1931 formuliert. Anfang des Jahrhunderts versuchten Whitehead und Russell in den „Principia mathematica“ (1910-13) ein vollständiges, widerspruchsfreies System der Mathematik aufzustellen. Gödel bewies nun, dass es innerhalb der Mathematik unentscheidbare Sätze gibt („Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme“, in: Monatshefte für Mathematik 38, 1931). Die Widerspruchsfreiheit eines Systems kann danach nicht innerhalb dieses Systems bewiesen werden.

Daher sind die modernen Mathematiker dazu übergegangen, die Wahrheit eines Systems lediglich von deren innere Widerspruchsfreiheit abhängig zu machen. Ein System ist danach dann wahr bzw. objektiv, wenn es innen fehlerfrei ist. Hier ist es nun aber (meiner Meinung nach) tatsächlich fraglich, ob man den Begriff der Wahrheit oder den der Objektivität anwenden kann, denn man sieht ja gerade von der Objektbezogenheit ab. Das ist aber beim Syllogismus noch nicht der Fall. Dort sehe ich zwar vom Objekt, nicht aber von der Objektbezogenheit ab.

Ergänzende Frage: Kann man Objektivität erzeugen?

Das ist natürlich metaphorisch gemeint. Wenn ich einem Satz logisch Falschheit nachweise, dann ist er eben objektiv falsch.
„Objektivität erzeugen“ heißt also „Richtigkeit nachweisen“.

Was meint er mit zufällig und mit sekundär?

Unwesentlich. Nach Locke muss man sogenannte primäre von sekundären Eigenschaften unterscheiden. Primär sind diejenigen Eigenschaften, die von den Körpern unabtrennbar sind: Größe, Gestalt, Zahl, Lage, Bewegung oder Ruhe. Diese nehmen wir - nach Locke - so wahr, wie sie wirklich sind. Sekundäre hingegen (Farbe, Geruch, Geschmack usw.) sind subjektive Vorstellungen. Von ihnen kann erkenntnistheoretisch abstrahiert also abgesehen werden.

Objektivität muß sich Subjektivität unterordnen.

Ja, das ist in gewisser Weise richtig, aber in dieser
Formulierung zu allgemein.

Fein, das wollte ich hören. In welche Richtung gehend kann man
diesen Satz nach Deinem Geschmack besser formulieren (sprich
weniger allgemein)?

Empirische Objektivität kann nur hypothetisch sein, formale Objektivität ist zwar gegeben, aber in den ersten Sätzen von Evidenz abhängig.

Herzliche Grüße

Thomas Miller**

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