Logorrhoe und Narzißmus
Hi Jeanne,
Menschen, die reden ohne Unterlass.
Diese Menschen sind in der Lage, ohne Punkt und Komma zu erzählen
da wären zwei verschiedene Phänomene unter denen, die du schön umschreibst, zu unterscheiden. Ich will sie mal in ihrer deutlichen, krassen Erscheinungsform beschreiben:
Das eine findet sich häufig beim stark narzißtisch geprägten Persönlichkeitstyp (was noch nichts mit narzißtischer Persönlichkeits_störung_ zu tun haben muß): Er redet, in dem er 1. voraussetzt, daß, wenn ER redet, das unmittelbar auch für jeden Zuhörer interessant zu sein hat,
2. weil er voraussetzt, daß das zu Sagende niemand besser sagen kann als er selbst.
Er redet nicht schnell (siehe unten), sondern druckreif, ist aber ebenso ununterbrechbar (bei ihm tut man es nicht, weil sein respekterheischendes Auftreten den Irrtum erzeugt, man sei unhöflich), und mißbraucht den (somit in Schach gehaltenen) Zuhörer, um seine Grandiosität erneut zu demonstrieren. Seine Rhetorik ist insbesondere auch so raffiniert, daß er dem Zuhörer nicht die geringste Chance läßt, ein Satzende auszunutzen, um einzugreifen.
Diesen Typ beschreibt man ja auch gerne mit den Worten „er hört SICH gerne reden“ - womit ja gesagt ist, daß er jedenfalls keinen Dialog führt, sondern der „Gesprächs“-Partner nur der Katalysator und die Bühne für eine narzißtische (und mindestens leicht größenwahnige) Selbstfeier ist.
Etwas ganz anderes ist die (schon erwähnte) Logorrhoe: Der Logorrhoetiker spricht zunächst mal enorm schnell. Ich habe Beispiele von Leuten, die in einem einzigen (mutmaßlichen) „Satz“ drei verschiedene Inhalte heraussprudeln. Die Sätze sind fast nie grammatisch vollständig, der nächste Satz kann gar nicht so lange warten, bis der Punkt kommt.
Weiter ist die Gedankenführung enorm chaotisch. Meist ist allein ein Stichwort in dem einen Satz ein Anlaß, über dieses als Assoziationsbrücke in einen ganz anderen Inhalt zu fallen. Auch wenn es keine direkten Sprünge gibt, verzweigt sich der Gedanke in endlose Details und in ein Labyrinth von Nebensätzen oder von Exkursen („das muß ich Ihen noch erklären, damit Sie verstehen, wie es weitergeht“). Und aus diesen Exkursen kommt er nie mehr zum Hauptgedanken zurück, wenn man es nicht schafft, einen solchen überhaupt zu erkennen *g* und ihn „mit Gewalt“ auf diesen zurückzubringen.
Ein gedanklicher Verzweigungsbaum, ähnlich einem Fraktal, wie man es aus der Mathematik kennt (es funktioniert auch ganz ähnlich …:
http://www.praxis-dialog.de/metapher/fundus/mid001.gif
… ist nur nicht so schön *fg*)
Der Unterschied zwischen beiden Typen ist auch der: Der Erstere wird, wenn man es schafft, seinen Redefluß zu stoppen, ärgerlich, zeigt unterdrückten Zorn, hört gar nicht zu und reagiert arrogant „also, ich war eben noch nicht fertig“ oder sagt sogar „unterbrich mich nicht“ oder sogar: „hörst du mir überhaupt zu?“.
Der andere, die Logorrhoe, wenn er denn einmal tatsächlich unterbrochen ist, hört sehr wohl zu, nimmt aber jede Gelegenheit wahr, ein Stichwort aufzugreifen und einen neuen Verzweigungsbaum zu starten.
Bei der Logorrhoe liegt die Auslösung des Phänomens psychisch eine Stufe „tiefer“ als beim Narzißten. Ich habe sogar die Vermutung, daß die Disposition hirnphysiologisch manifestiert sein könnte. Der Redner redet extremst hektisch, ja wie in Panik, als ob er nur noch 2 Minuten Zeit hätte, einen ganzen Roman zu erzählen. So ist auch die Reaktion bei einem verhaltenstherapeutischen Eingriff: Wenn man ihm die Aufgabe stellt, einmal für 5 Minuten zu schweigen, und er tut das dann auch - nachdem es mindestens 10 Minuten geredet hat, um den Sinn und Zweck dieser Übung zu kommentieren und zu reflektieren („ist ja interessant! Warum soll ich das tun? Muß das sein? Was soll das denn bewirken? Ich könnte mir vorstellen, daß Sie damit bezwecken …“) - dann wird er Schweißausbrüche zeigen, Zittern, erhöhten Puls, Rötung im Gesicht und manchmal sogar Weitung der Pupillen. Also einer Panikattacke ganz ähnliche physiologische Reaktionen.
Der Hintergrund dieses Verhaltens ist nicht immer derselbe: Oft ist es tatsächlich ein Versuch, durch die Hektik des Gedankens mit immer neuen thematischen Einfällen, zu verhindern, emotional zur Ruhe zu kommen und dadurch unangenehme Selbstgefühle regelrecht zu überrennen. Die Erklärung kann man nicht selten hören: „Wenn ich langsamer rede, kommen Gefühle hoch, die ich nicht aushalten kann“. Diese „Gefühle“ selbst können sehr unterschiedlich sein.
Ein mangelndes Selbstwertgefühl liegt bei beiden Typen jedenfalls nicht oberflächlich betachtet vor. Falls man nicht damit die beim Narzißten indirekt vorhandenen, vermittelst „Abwehrmechanismus“ konvertierten Minderwertigkeitsgefühle meint.
Beim Logorrhoetiker finden sich oft in der Biografie frühe Phasen, in denen das Kind keine Gelegenheit bekam, Aufmerksamkeit zu bekommen und zu genießen. Das ist aber in der Gegenwart mitnichten ein Motiv des heftigen Redeflusses.
Die realen Erscheinungen sind in den meisten Fällen nicht so extrem, wie hier beschrieben. Wie sie sich im Gespräch verhalten,hängt dann auch sehr von der Persönlichkeit und ihrem interaktiven Verhalten ganz generell ab - umnicht zu sagen: vom Charakter.
Daher unterschieden sich auch die Möglichkeiten, in den Redefluß des einen und in das Gedankenfraktal des anderen einzugreifen. Manchmal reicht ein einfaches „Ich möchte Sie hier gern mal unterbrechen …“ oder „Darf ich Sie hier mal unterbrechen?“. Ohne das wird es bei ausgeprägten Typen beider Art aber meist nicht gehen. Einfach ins Wort fallen geht auch meist - oft wirst du dann aber den Kommentar hören (natürlich EHE du zu reden beginnst *g*) „Ja ich weiß,ich rede mal wieder zuviel. Das liegt aber daran …“ *lächel*
Gruß
Metapher