H wie Hola.
Ein paar distanzierte Gedanken dazu.
Einen Menschen zu töten ist in unserer Gesellschaft
hochgradig sanktioniert. Einen unbewaffneten, wehrlosen
Menschen zu töten, der akut niemanden bedroht, womöglich noch
aus „niederen“ Beweggründen wie Habgier, Rache etc. gilt als
das abscheulichste Verbrechen überhaupt.
Der intellektuelle Knackpunkt ist wunderbar hervorgehoben:
das kleine Wörtchen „unserer“. Setzt man hier den Hebel an, stürzen alle nachfolgenden Ausführungen wie ein Kartenhaus zusammen.
Wer sagt bitte, daß diese Haltung, die Du dort schilderst, vernünftig oder gar richtig ist?
Der Absatz liest sich wie immer: Wir schwingen uns auf, unser Wertesystem als besser zu erachten. Man könnte dies als echten Gipfelpunkt von Intoleranz, Arroganz und Selbstgefälligkeit verstehen.
Um es klar zu sagen: Ich bin auch ein Mensch aus der „westlichen Hemisphäre“ - doch stößt es einem aus idealistischer Sicht ziemlich auf, wenn man eine Argumentation liest, die unfähig ist, an ihren Voraussetzungen (an ihrem Fundament) Kritik zu üben.
Natürlich hat es schizoide Züge, das eigene Weltbild knallhart zu hinterfragen, doch auf genau das und daraus abgeleitete aufklärerische Tugenden fußt unsere gesamte Philosophie.
Wo sind aber diese Prinzipien, wenn es darum geht, den Anspruch zu bewerten, das solche Phrasen wie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nun gerne als der Wahrheit letzter Schluß gesehen werden.
Wo bleibt das unerschütterliche Ursache-Wirkungsprinzip? Auf eine Handlung folgt eine Konsequenz. Wo bleibt die Ethik, wenn jemand Völkermord begeht und durch angebliche humanitäre Kaspereien in Schutz genommen wird?
Man liest auch gerne Floskeln wie „der Tod eines Verbreches nützt nichts“. Das ist genauso unreflektiert, wie die Haltung zu unseren Wertemaßstäben. Die meisten Betroffenen werden es sehr wohl als Akt der Gerechtigkeit empfinden, wenn für eine unmenschliche Tat als Strafe der Täter seines Lebens beraubt wird. Und das in erster Linie nicht nur aus Emotionen heraus. Nicht als Methode der Rache.
Echte Freiheit basiert auf dem Respekt im gegenseitigen Zusammenleben.
Das höchste Menschenrecht ist es, keinem anderen seine Menschenrechte zu nehmen, zu gut Deutsch: Das Leben achten.
Ein Mord ist aber genau das Gegenteil. Logisch kann daraus nur folgen, daß solche Taten das Verwirken der eigenen Menschenrechte zur Folge haben. Wie will man sonst dem Bruch eines so heiligen Prinzips (des obersten Prinzips des Humanismus) begegnen?
Das ist schlicht und ergreifend emotionsbefreite, reine Vernunft. Ratio. Logik.
Hier zu argumentieren, der Henker würde seiner Menschlichkeit beraubt, in seinen Menschenrechten verletzt, ist das Ablassen von entscheidenden Prinzipien, wie das gesamte Leben organisiert ist und wie es sich selbst organisiert.
Schlimm sind dabei doch nicht die Verbrecher, die vielleicht einen an der Klatsche haben oder dergleichen, sondern furchtbar sind die eiskalten, aalglatten Personen.
Hier zu argumentieren, den Betroffenen oder den Menschen allgemein könne nichts mehr angetan werden, ist ebenso kurzsichtig wie falsch.
Stichwort Psyche. Es gibt wohl nichts Inhumaneres, als einen Mörder, der genau weiß, er kann nicht umkommen, er wird eingesperrt, doch kann in vortrefflicher Weise sein Leben fortführen.
Der Denkfehler liegt also in der Tatsache, daß man solchen Leuten ein Gewissen unterstellt, obwohl sie es offenkundig seit langem in der Umkleidekabine abgegeben haben.
Wo sind denn die großen menschlichen Verbrecher unserer Zeit, die auch nur ein Gramm Reue, Einsicht und Ansatz zur Besserung gezeigt haben?
Wo sind denn die großen menschlichen Verbrecher, die den Hinterbliebenen nicht unvorstellbare psychische Gewalt angetan haben? Also bitte - hier Nutzlosigkeit von „auf Tat folgt unweigerlich angemessene Strafe“ zu propagieren ist ja wohl alles, nur nicht human.
Verrohung der Gesellschaft findet mitnichten durch vorgelebtes Töten durch staatliche Gewalt statt, sondern findet aus der Gesellschaft selbst heraus statt.
Es kann keine Korrelation zwischen Todesstrafe und Gewaltpotential einer Gesellschaft gefunden werden. Wäre dem so, müßten, überzeichnet gesprochen, von der Todesstrafe freie Länder um einen spürbaren Betrag friedliebender sein, als Länder mit Todesstrafe. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Warum verroht bitte auch unsere Gesellschaft? Hier werden ganz andere Problemkreise (medial transportierte Lebensentwürfe, Reizüberflutung, fehlende Erziehung, urbane Vereinsamung, soziale Vernachlässigung, …) regelrecht ignoriert, um eine juristische Strafe zu dämonisieren.
Der Anspruch, Menschenrechte seien von vielen Eigenschaften einer Person (bspw. deren Handlungen) losgelöst, ist der Hase im Pfeffer.
Ein wichtiges Grundprinzip für humanes Zusammenleben ist nunmal, daß ein Individuum lernt, für Taten die Konsequenzen zu übernehmen. Eigentlich geht es sogar schon damit los, daß ein Kind überhaupt lernt: Auf actio folgt reactio. An diese elementare Erkenntnis schließt sich an, intellektuell zu verstehen, daß man deswegen für eine Handlung schon im Vorfeld die Konsequenzen überdenken muß. Tut man das nicht, macht man sich zusätzlich auch noch der Leichtfertigkeit schuldig. Der Volksmund sagt dazu seit Jahrhunderten „Dummheit schützt vor Strafe nicht“ (im Sinne von Unwissenheit, Nichtinformiertheit).
Begeht also jemand Taten wie der genannte Hussein, so darf man doch bitte nicht den Teil vergessen, der da lautet: Hussein muß sich im Klaren gewesen sein, daß er vielen Menschen auf unerträgliche Art den Tod bringen wird. Und war er sich das nicht, ist es noch eine Qualität schlimmer.
Doch dem Faß wird der Boden vollends ausgeschlagen, wenn man dann auch noch sein Verhalten dagegenhält. Ich sagte es allgemein formuliert oben schon: Wo war seine Humanität? Wo hat er Einsicht gezeigt, wo Reue? Wo war auch nur im entferntesten ein Ansatz zu erkennen, daß er sich jemals bessern würde. Die berühmte „Zweite Chance“ hat nicht nur ihre Grenzen, wenn man sie ihm überhaupt zugestehen möchte, so hatte er sie bereits nach dem ersten Golfkrieg.
Kritisieren läßt sich dagegen sehr wohl das Zustandekommen des Urteils. Ein nichtdemokratischer Prozeß herbeigeführt durch verwerfliche kriegerische Handlungen der USA. Dort muß man den Hebel ansetzen; bei der Ursache - nicht bei der Wirkung.
Im Gegensatz zu den vielen Sternen kann ich deshalb Deinem Kommentar nichts abgewinnen, weil es wieder nur das altbekannte Schauspiel ist, mit der wir uns hier in Europa im Kreise drehen.
Des weiteren eben die ganzen, naja sagen wir, „Fehler“, beginnend mit der impliziten Feststellung bezüglich des Wertes unseres Weltbildes.
Oder Sätze wie:
Nun ist aber ein Verbrecher, welcher der Todesstrafe zugeführt wird,
mit Sicherheit wehrlos.
Er kann niemandem mehr etwas antun,
ervkann sich nicht wehren, es gibt keine akute Bedrohung.
Auch hier wird der Mensch von seinen Taten, von seinem ganzen historischen Wirken losgelöst. Was soll so ein Unfug?
Ebenso wird die komplette psychische Dimension ausgeblendet, die sehr wohl vorhanden ist und auch wahrgenommen wird. Wie kann ein Verbrecher wehrlos sein, wenn seine letzten Worte vor der Hinrichtung rassistische Propaganda, religiös-fanatische Parolen, eiskalte Freude über seine Taten et cetera sind? Dieses Bild sollte man vom Stuhl der Hinterbliebenen ganz nüchtern einige Augenblicke wirken lassen.
Hier von Wehrlosigkeit zu sprechen?! Von Hilflosigkeit, von keiner Bedrohung? Naja.
Von wem wollen wir nun verlangen, einen solchen wehrlosen
Menschen zu töten, was unter anderen Umständen als
abscheuliches Verbrechen gilt, und erwarten trotzdem, dass
dieser „Henker“ keinen Schaden an seiner eigenen
Menschlichkeit nimmt?
Das nimmt sogar schon esoterische Züge an.
Erste Implikation (siehe eben):
Der Hinzurichtende ist mitnichten wehrlos. Darüber hinaus war es ihm bei Tatausführung wohl auch egal, daß sein Opfer wehrlos gewesen ist. Womit wir wieder bei der Relativität von Menschenrechten sind. Die Taten eines Menschen, die Motive eines Menschen, die geistigen Haltungen eines Menschen können einfach nicht voneinander losgelöst werden.
Zweite Implikation: Die Tötung gelte unter anderen Umständen als abscheulich(st)es Verbrechen. Ein blankes, nutzloses Gedankenspiel, was aus der ersten Implikation folgt.
Ex falso quodlibet.
Aus Falschem kann jeder beliebige Schluß gezogen werden.
Weder ist eine Hinrichtung eine reguläre Tötung, noch ist die Spekulation über „andere Umstände“ überhaupt zulässig. Auf Ursache folgt Wirkung - die Wirkung kann jedoch nicht nach irgendwelchen hypothetischen Annahmen bemessen werden.
Das hieße, man kann für alles Getane nicht nur eine, sondern unendlich viele Ausreden (er)finden.
Überzeichnetes Beispiel:
„Ach Herr Hussein, wenn Sie einst Schriftsteller geworden wären, und nicht Diktator, so hätten Sie keinen Völkermord begangen…das freut uns natürlich sehr und deswegen kann man Ihnen das schon positiv auslegen.“
Und genau deswegen besteht ein enormer qualitativer Unterschied zwischen der auf juristischem Wege erwirkten Todesstrafe und der Tat, die dazu geführt hat. Der Henker ist hier doch bloßes Werkzeug und nicht handelndes Subjekt.
Er setzt sich doch nicht seine schwarze Kapuze auf, nimmt ein Beil, schlägt irgendeinem Unschuldigen die Rübe ab mit dem Vorsatz des Mordes. Er übernimmt in persona einfach nur den Vollzug einer Strafe, die ein humanes und gerechtes Gefüge wiederherstellt.
Hier ein unweigerlich folgendes Trauma herbeizureden, hieße ja, daß das Gewissen des Henkers nicht unterscheiden mag bzw. kann zwischen echtem Verbrechen und bloßer zugehöriger Strafe.
Eine solche Reaktion ist doch in höchstem Maße psychisch instabil.
Der Henker würde einen Mörder auf einen defacto unschuldigen, hilflosen Menschen reduzieren; wie der nette Nachbar von nebenan, mit dem man gerne im Sommer grillt - und den er jetzt anscheinend unverhältnismäßigerweise umbringen soll.
Ich zweifle stark an, daß ein human veranlagter, normaler Mensch solche schwerwiegenden Komplexe entwickeln kann. Dazu müßte er das Verbrechen vollkommen verdrängen oder ignorieren. Er müßte ausblenden, was für ein schuldbeladener Mensch eigentlich vor ihm steht.
Gott sei Dank funktioniert aber das Gewissen des Menschen im allgemeinen nicht so. Leider scheint aber das Verständnis von Menschenrechten und Gerechtigkeit in diese starre Vorstellung zu gleiten.
Wie muss die Psyche eines Menschen beschaffen sein, der es
über sich bringt, einen völlig Wehrlosen zu töten?
Genau so, wie die Psyche des Mörders. Genauso gewissenlos, genauso verblendet, genauso krankhaft.
Ich unterstelle einem Henker jedoch einen gesunden, humanen Geist - und der zeigt Einsicht, der übernimmt Verantwortung. Der erkennt, daß nicht er als handelndes Subjekt einen Mord begeht, sondern eine Strafe durchsetzt, eine schwer schuldbeladene Kreatur vor sich hat und eben keinen Wehrlosen; jemanden, der seine Menschenrechte durch grausame Taten verwirkt hat.
Töten von Menschen, weil es staatlich befohlen ist?
Das klingt gerade so, als ob der Staat etwas Abstraktes von der Gesellschaft Losgelöstes ist.
Eine äußerst fortschrittliche, sehr liberale Staatsdefinition lautet jedoch: „Der Staat ist ein organisierendes Instrumentarium vom Volk, für das Volk, durch das Volk.“.
Todesstrafe heißt also: Eine Gesellschaft ist sich bewußt, daß es Taten gibt, die außerhalb eines humanen Rahmens liegen,; daß kein Mitleid (oder andere Zeichen von Intelligenz) ausreichen, eine Verfehlung zu rechtfertigen; daß es unter besonderen Umständen nötig ist, Täter zu Tode kommen zu lassen, damit unabdingbare Regeln im Zusammenleben (Leben ist das wichtigste Gut, …) gewahrt bleiben und wiederhergestellt werden.
Letztendlich kann die Todesstrafe nur zu einer Verrohung der
eigenen Gesellschaft führen und somit zu einer Abschwächung
des Schutzes des höchsten Menschenrechts, nämlich des Lebens.
Habe ich weiter oben schon als an den Haaren herbeigezogen kritisiert.
Verrohung erfolgt durch kontinuierliches (taktiles und/oder visuelles) Aufnehmen von Gewalt, besonders in der Kinderzeit.
Die blanke Meldung „Saddam Hussein wurde gehenkt.“ wird also niemals zu einer Herabsetzung der Hemmschwelle führen. Zeigt man dagegen die Hinrichtung selbst, so ist das genau nicht anderes, wie die inzwischen üblichen täglichen Leichen in den Abendnachrichten: mediales Einwirken von Gewalt. Ebenso ist die Intensität der täglichen Berichterstattung um ein Vielvielvielvielfaches höher, als wenn man die Hinrichtung einfach nur bekanntgibt - ohne brutale Bilder. An anderer Stelle schrieb ich schon, daß die Todesstrafe mit dem System steht und fällt. Wieviel Verbrechen geschehen denn im Jahr, die eine Hinrichtung verdienten? Eine Handvoll. Wieviel Leichen sind jeden Abend in der Tagesschau zu sehen? Wie entwickelt sich die reale Jugendkriminalität auf Grund von sozialen Problem, auf Grund mangelnder anerzogener Werte, auf Grund von fehlender Bildung?
Selbst mit den vielgescholtenen Egoshootern kann man wesentlich tiefer auf eine Verrohung hin argumentieren, als mit ein paar potentiell berechtigten Hinrichtungen.
Die Todesstrafe ist nicht einfach nur ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, der Tod des zu Tötenden macht die Gesellschaft
nicht besser, kein Leben wird durch seinen Tod gerettet.
Sicherlich wird niemand physisch gerettet - das mag sein (sofern man unterstellt, der Mörder ist und verbleibt in Haft).
Psychisch kann man aber jeder Menge Menschen etwas zurückgeben.
Und wie weiter oben schon beschrieben: Der Tod des zu Tödenden macht die Gesellschaft sehr wohl besser. Andernfalls verkommt das von Dir oft beschrieben Motiv, das Leben sei das höchste Gut, nämlich zu einer Clownsnummer. Wen soll ein solches Prinzip denn dann noch anheben, wenn es nicht durch die Gesellschaft geschützt wird?
Welche Motivation zum Humanismus soll ich haben, wenn die Gesellschaft nicht bereit ist, ihn als Grundregel des Zusammenlebens ernstzunehmen?
Beste Grüße