Hi!
Wenn der Islam eine Religion des Friedens und der Toleranz
ist, warum funktioniert er dann nicht in islamischen Ländern?
Weil das Christentum mit seiner Vorgabe der Nächstenliebe in
Europa auch nicht funktioniert? Was ist denn das für eine
Argumentationskette?
Nein, der Islam hat eine ganze Zeit lang ganz gut
funktioniert. Er hat sogar so gut funktioniert, dass Christen,
die mit Muslimen zusammengelebt haben nicht mit denen
verwechselt wurden, die im Zuge der Kreuzzüge Muslime,
Christen und Juden angegriffen haben, um ihren heiligen Krieg
nach Jerusalem zu bringen…
Sicher hat der Islam mal funktioniert. Aber das ist auch schon reichlich lange her. Die islamische Welt hat uns Dinge gegeben wie das Dezimalsystem, die Trigonometrie, die Algebra. Dazu Erkenntnisse in der Medizin, der Physik, der Botanik, der Astronomie. Das ist alles völlig unbestritten. Durch das Kalifat von Cordoba gab es einen Wissensaustausch ohne gleichen. Die gotische Baukunst basiert z.B. auf maurischer Architektur.
Aber der Niedergang der islamischen Welt hat keineswegs etwas mit den Kreuzfahrerzügen nach Jerusalem zu tun (im Gegenteil: kein Herrschaftsgebiet eines Kreuzritters hat langfristig überlebt). Das war selbstverschuldet. Es ist bezeichnend für die islamische Welt, dass die Schuld für den Niedergang stets bei anderen gesucht wird. Eine kritische Reflektion, die z.B. zu einer Phase der Aufklärung führen würde, findet nicht statt (vermutlich, weil es systemimmanent ist. Kritische Reflektion würde zum Zweifel, zumindest aber zur Relativierung des Koran führen, und das ist noch heute strikt tabu).
Dass es heute in arabischen Staaten nicht funktioniert, wie es
funktionieren sollte, ist eine ganz normale Zeit, in der es
halt nicht so gut läuft.
Diese Zeit dauert aber reichlich lange an. Um genau zu sein: Die islamische Welt befindet sich seit 600 Jahren auf dem absteigenden Ast. Nicht die Kreuzritter, sondern das Aufkommen radikaler religiöser Kräfte führte ab dem 14.Jahrhundert zum Verlust jener Offenheit, Toleranz und Wissenschaftsfreudigkeit, die der Islam vorher bekannt war.
Es kommen viele Faktoren hinzu (nicht
zuletzt Kolonialstaaten und die damit verbundenen Regime, die
installiert wurden), aber letztendlich ist es einfach eine
schlechte Zeit, die Araber durchstehen müssen. Natürlich
müssen sie auch viel an sich arbeiten, aber wer muss das schon
nicht??
Es sind also die bösen Kolonialherren daran schuld, dass die islamische Welt wirtschaftlich und politisch nicht mit dem Hintern hoch kommt? Vielleicht ein paar Zahlen dazu, die nun wirklich nicht auf die Kolonialzeit zurückzuführen sind:
Wie viele Bücher wurden in den letzten 100 Jahren aus anderen Sprachen ins Arabische übersetzt und veröffentlicht?
Keine 10.000 ! Das sind so viele, wie in einem Jahr ins Spanische übersetzt werden. Hat dieser Mangel an fremdsprachlicher Literatur einen Grund in der Kolonialzeit?
Wieviel Prozent des Bruttosozialproduktes geben arabische Staaten im Durchschnitt für wissenschaftliche Forschung aus?
Maximal 0,15% - und der Weltdurchschnitt (also inkl. der bettelarmen Staaten in Afrika) gibt das Zehnfache aus. Liegen die Gründe für diese mangelhafte Förderung der Wissenschaften in der Kolonialzeit begründet? Das Geld ist vorhanden, wenn man die Ausgaben für die Rüstung betrachtet.
Wie viele Industrieweltpatente wurden in den letzten 20 Jahren von arabischen Erfindern angemeldet?
Es waren 370. Südkorea allein meldet für den gleichen Zeitraum 16.000! Können Araber nichts mehr erfinden, weil sie mal britische oder französische Kolonie waren?
Sicher, manche arabische Staaten sind durch Kriege gebeutelt worden (wenn auch zum Teil durch eigene Veranlassung). Aber es gibt auch jene Staaten am Persischen Golf, die durch ihr Öl reich geworden sind, und trotzdem bei Wissenschaft und Forschung hinten an stehen. Eben ganz anders als die islamische Welt vor mehr als 600 Jahren.
Aber wo keine Toleranz herrscht, wo kein freier Meinungsaustausch möglich ist, wo die Sippenehre höher geachtet wird als der kritische Diskurs, wo statt einer halbwegs funktionierenden parlamentarischen Demokratie diktatorische Clan-Systeme vorherrschen, da kann auch keine Wissenschaft gedeihen
Ist für all diese Missstände immer nur der böse Westen schuld?
Grüße
Heinrich