Warum 'epic POEM'?

Hallo!

Epen werden im englischen als „epic poem“ bezeichnet, obwohl der Text eigentlich eine Erzählung ist, wenn auch in Versen. Woran liegt das?
Ich verstehe die Kategorisierung nicht.

Weiß jemand mehr?

Grüße, Jenna

Hallo,

das Wort „Epos“ bedeutet „Erzählung/Gedicht/Vers“. Zudem schreibst du ja schon, ein Epos sei eine Erzählung in Versen; dementsprechend zählt es zur Dichtung und der engl. Begriff „poem“ wäre gerechtfertigt.

lG

Hi abcdefg,

„poem“ ist für mich ein Gedicht und ein Gedicht ist etwas anderes als eine epische Verserzählung würde ich intuitiv denken. Ich denke schon, dass es einen Grund dafür geben muss, weshalb ein Epos auch als Poem bezeichnet wird.

Grüße, Jenna

Hallo, Jenna,
ein Versepos ist in gebundener Sprache verfasst.
Ein Stück in gebundener Sprache wird gemeinhin als als „Gedicht“ bezeichnet.
(Gedicht = verdichtete Sprache)
Gruß
Eckard

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Hi Eckard,

danke für deine Antwort. Wie muss ich mir gebundene Sprache im Lateinischen vorstellen? (Kenne nur das Latein von Cäsar und Cicero).
Hatte es nur ein Metrum oder auch Endreime?

LG, Jenna

Hallo, Jenna,
na, Cicero und Caesar schrieben Prosa und sind nicht gerade für Versepen bekannt geworden. Aber wenn Du Dir mal den Horaz oder Vergil, Ovid oder Catull. Deren Werke (Vergil „Aeneis“ z.B.) sind noch ganz deutlich von den griechischen Epikern beeinflusst.

Die ersten Zeilen der Aeneis gehen so:
Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris
Italiam, fato profugus, Laviniaque venit
litora, multum ille et terris iactatus et alto
vi superum saevae memorem Iunonis ob iram;
multa quoque et bello passus, dum conderet urbem, 5
inferretque deos Latio, genus unde Latinum,
Albanique patres, atque altae moenia Romae.

Da merkst Du die (an ein Versmaß) gebundene Sprache.
Den Endreim verwendeten die Römischen Dichter eher nicht, das kam erst später.

Gruß
Eckard

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Hallo Eckard,

danke für das Zitat. Das Versmaß erkenne ich nicht. Liegt vermutlich daran, dass mein Latein nicht besonders gut ist. Wo sind denn die sich wiederholenden Muster zu finden?

Grüße, Jenna

Hexameter (owT)
.

ot
Hallo Eckard –

ich kann kein Latein, aber die Hexameter kann ich trotzdem nachsprechen.
Geiles Gefühl!

Gruß
Elke

PS: Singe o Göttin dem göttlichen Peleiaden Achilleus —
so habe ich das Versmaß reingedrillt gekriegt. Und kanns noch!

Hallo Tychiades,

wie finde ich denn den Hexameter, im Lateinischen gibt es meines Wissens nach keine Betonungen wie in den germanischen Sprachen. Wie geht das dann?
Muss ich nur die Silben zählen wie im Französischen?

Grüße, Jenna

Hallo, Jenna,
dazu hat vor zwei Jahren Torid eine schöne Erklärung geschrieben:
/t/latein-hexameter/3972851/2
(Es lohnt sich, ab und zu mal die www-Suche zu benutzen!)
Gruß
Eckard

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kleiner Nachtrag
Hallo,

Bei wiki wird, wie ich gerade gesehen habe, auch zwischen Lyrik und Epik getrennt:

http://de.wikipedia.org/wiki/Epos

offenbar gibt es hier ein Begriffswirrwarr (wenn ein Epos als „poem“ bezeichnet wird)

LG, Jenna

Hallo,

bitte beachte, dass Literaturwissenschaft sprachgebunden ist.
Nur weil „poem“ im Deutschen mit „Gedicht“ übersetzt wird, heißt das nicht, dass die englische Literaturwissenschaft unter „poem“ das gleiche versteht, wie die deutsche unter „Gedicht“.

Gruß
Elke

Richtig, Elke,
und als stehenden Begriff gibt es im Englischen eben „epic poem“, das auf Deutsch mit „Versepos“ zu übersetzen ist.
Außer Versepen gibt es ja auch noch Epen in Prosaform.

Grüße
Eckard

Hi,

o Weh, o Schmach, wir müssen die Literaturwissenschaft neu organisieren! Jenna und Wikipedia haben einen Fehler entdeckt, den hunderttausende Spezialisten seit Jahrhunderten übersehen haben…

Ne Spaß beiseite. Wikipedia macht das schon richtig, die Literaturwissenschaft auch, nur hast Du bei Deinen Recherchen nicht weit genug gelesen. Gebundene Sprache und Reime sind nämlich kein Exklusivrecht der Lyrik.

Nicht nur bei Wiki, sondern in der Literaturwissenschaft überhaupt, wird nicht nur Lyrik und Epik, sondern als drittes noch Prosa unterschieden. Diese Unterscheidung geht auf die Antike zurück. Diese Trias von Lyrik, Epik und Prosa wurde zuerst von Aristoteles in seiner Poetik getroffen. Dabei beizeichnet er mit Lyrik singbare Dichtung - Lyrik ist also die Gattung der Lieder, wenn du es umgangssprachlich erklärt haben willst. Was sie von anderen Gattungen unterscheidet, ist der Bilderreichtum, die starke symbolhafte Verwendung von Sprache und Inhalt.
Im Deutschen gibt es verschiedene Begriffe für Texte in gebundener Sprache: Gedicht und Poem falle mir als erstes ein. Gedicht war ursprünglich ein Wort für jede Art von Text (siehe „Dichtung“ - das ist im Volksmund alles, was erfunde, erzählt wird), seit dem 18. Jahrhundert aber bezeichnet das Wort „Gedicht“ gebundene Sprache, poetische Sprache. Ein GEdicht muss sich nicht immer reimen, es muss in moderner Lyrik nicht mal gebundene Sprache aufweisen - aber es ist immer bildhaft, symbolisch in einem Ausmaß, das weit über jede andere Art von Literatur hinausgeht.
http://de.wikipedia.org/wiki/Lyrik#Begriffsgeschichte

Poem kennen wir im Deutschen auch, allerdings anscheinend nicht für die deutsche Literatur. Mir ist er allerdings ausder Slavistik bekannt - Puschkin hat einige Poeme verfasst. Und dass sind Werke, die Elemente der Epik und der Lyrik verbinden. Die Sprache ist gebunden und symbolreich, aber es gibt ein lyrisches Subjekt, dass die Erzählerfunktion übernimmt, was eigentlich typisch für epische Werke ist http://de.wikipedia.org/wiki/Poem In der deutschen Literatur dürfte die Ballade in diese Richtung gehen http://de.wikipedia.org/wiki/Ballade#Deutsch

Das englische Wort poem bezeichnet sowohl Poeme als auch Gedichte.

Epische Werke können wiederum sehr wohl in Versform abgefasst werden - gebundene Sprache ist kein Exklusivrecht der Lyrik. Wenn es anders wäre, bekämen wir ein großes Problem, denn dann wäre Dramatik keine Dramatik mehr, sonder ebenfalls lyrik - denn Dramen sind auch in gebundener und oft gereimter Sprache abgefasst:

Now is the Winter of our Discontent,
Made glorious Summer by this Son of Yorke:
And all the clouds that lowr’d vpon our house
In the deepe bosome of the Ocean buried.

Und hier aus Goethes Faust, willkürlich herausgegriffen:

Mephistopheles:

Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft!
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen
Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen,
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch
Und riecht’s einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;

Gereimt, vierfüßige Jamben, und doch - Drama.
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=3448&kapitel=1…

die Franzi

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Hallo miezekatze,

was du schreibst ist mir bewusst. Nicht alles was gebundene Sprache hat, ist ein Gedicht, jedenfalls nicht im Englischen, also kein „poem“.
Ein Epos „epic poem“ ist aus heutiger Sicht, schätze ich, eine veraltete
Bezeichnung. Das Epos ist im Wesen eine erzählende Gattung, anders als das Gedicht.
Wenn man sich den Eintrag von wiki zu „poetry“ ansieht, wird man auch finden, dass das Epos nicht als Untergattung aufgeführt ist. Die moderne Terminologie würde nicht von „poem“ sprechen und man findet auch in keinem Buch über „Poetry“ etwas über ein Epos.
Die Tradition ein Epos „epic poem“ zu nennen (nur weil es gebundene Sprache hat) hat sich denke ich einfach eingebürgert. Aber wann dies geschah, bleibt offen.

Grüße, Jenna

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Hi,

ich geb auf und Dir recht: Die Engländer spinnen und sind nicht fähig, literaturwissenschaftliche Begriffe richtig zu verwenden.

die Franzi

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Hallo,

ich geb auf und Dir recht:

Manchmal hilft nur Kapitulation! :wink:

Gruß
Elke

Das habe ich eigentlich nie behauptet. Darum ging es mir auch nicht.
Die Engländer spinnen nicht. Heute hat man einfach eine andere Auffassung, was als „poetry“ bzw. „poem“ gilt und was früher als Gedicht angesehen wurde. Die Begriffe ändern sich nicht unbedingt mit. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Engländer andere Konnotationen haben als die Deutschen. Deshalb komme ich damit nicht so klar.
Um zu verdeutlichen, was gemeint ist, bezeichnet man im angelsächsischen die Gedichte im engeren Sinn glaube ich als „lyric poetry“. Kann aber auch falsch liegen.

Grüße, Jenna

Nicht nur bei Wiki, sondern in der Literaturwissenschaft
überhaupt, wird nicht nur Lyrik und Epik, sondern als drittes
noch Prosa unterschieden.

Die drei traditionellen Gattungen sind Lyrik, Epik und Dramatik – wie später in deinem Artikel ja auch klar wird.

Zu deiner Verwirrung, Jenna:

offenbar gibt es hier ein Begriffswirrwarr (wenn ein Epos als „poem“ bezeichnet wird)

Die Werke, von denen du sprichst, zeichnen sich dadurch aus, dass sie Charakteristika zweier Gattungen – das Erzählende der Epik und die gebundene Rede der Lyrik – verbinden. Die englische und die deutsche Terminologie setzen unterschiedliche Akzente im Hinblick auf die Frage, welcher Aspekt der dominierende ist. Das Irritierende dabei besteht darin, dass ein eher formales mit einem eher inhaltlichen Kriterium zusammengefasst wird – das ist eine Merkwürdigkeit dieser Gattungstrias. Im Deutschen spricht man vom ›Versepos‹, stellt also das Erzählende in den Vordergrund und verdeutlicht nur durch den (oft weggelassenen) ersten Teil des Wortes, in welcher Gestalt die Erzählung daherkommt. Im Englischen, das den Begriff ›epic poem‹ verwendet, steht dagegen die lyrische Form im Vordergrund, während die Tatsache, dass es sich um erzählende Texte handelt, ins Epitheton ausgelagert wird. Bei der Bewertung dieser Begrifflichkeiten gilt es allerdings zweierlei zu beachten: Erstens bezeichnet ›poetry‹ im Englischen nicht zwangsläufig Lyrik, sondern auch allgemein sonstige literarische Werke mit poetischen Qualitäten; zweitens spricht man von ›epic poems‹ nicht kurz als ›poems‹, sondern als ›epics‹ – hier wird das Erzählende wieder betont.

Gruß
Christopher

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