Hallo Eli,
danke für die ausführliche deutliche Antwort!
Einige Einwände und Nachfragen:
Heißt das, du erklärst 80% der Welt für fanatische
Israel-Kritiker?
Nein, 20% der betreffenden Kritiker sind auch fanatisch.
Woher hast du solche Zahlen und wo liegt für dich die Grenze zwischen sachlichen, engagierten und fanatischen Israel-Kritikern. Ich finde z.B. den Begriff schon äußerst unscharf, weil zu pauschal. Ich verstehe mich z.B. auch nicht als Ägypten-Kritiker oder Iran-Kritiker, wiewohl ich an den Verhältnissen und der Politik dort einiges auszusetzen habe.
Gibt es vielleicht auch noch eine dritte Gruppe, die weder
antisemitisch noch zwanghaft ist?
Und die wäre dann?
Das frage ich dich ja. Aber es widerstrebt mir, eine Gesamtgesellschaft von 80 Mio Einwohnern in zwei zwar in ihren Äußerungsformen gegensätzliche, aber im Kern beide psychopathologische Gruppen einzuteilen.
Warum müssen sie es, was steht dahinter?
Wohl das eigene schlechte Gewissen,
Das brauchen ja eigentlich nur die Täter zu haben, die es bezeichnenderweise am wenigsten haben, aber nicht die Unbeteiligten oder gar die Nachgeborenen.
dass deutlich und oft
sichtbar gemacht wird, wohin Antisemitismus führen kann und
eigentlich bislang auch immer führte.
Da wäre doch eigentlich die naheliegende Reaktion, dass mein seine Haltung überdenkt und revidiert und aufhört, Antisemit zu sein.
Im Angesicht von 6
Millionen Toten Opfern von Antisemitismus fällt es wohl
schwer, sich dazu noch zu bekennen. Aus diesem Grund heraus
habe ich den Eindruck, dass gerade deutsche Antisemiten
zwanghaft darauf verweisen müssen, dass sie eigentlich gar
keine sind.
Das Argument leuchtet mir spontan ein.
Also nochmal genauer: Kritisieren sie, dass man etwas nicht
darf (was wäre das z.B. und wer bestimmt das?) und fordern,
man solle es dürfen, oder postulieren sie, dass man etwas
nicht dürfe (was wäre das z.B.?), und „darf“ man das ggf.
nicht, weil es tatsächlich antisemitisch ist, oder nur, weil
man dann als Antisemit gilt?
Mh, also noch einmal.
Aus meiner Sicht haben wir Deutschen alle ein Trauma aus dem
Nationalsozialismus und dieses geben wir durch die
Generationen weiter.
Das ist mir zu unspezifisch. Nach meiner Beobachtung bestand das Trauma meiner Vätergeneration darin, dass sie den Krieg verloren, aber nicht darin, dass sie ihn geführt haben und vielfältig an den Verbrechen beteiligt waren.
Das Trauma hat damit zu tun, dass wir
vorgeführt haben, wohin Antisemitismus führt (kann). Dieses
macht Antisemitismus erst einmal sehr mächtig, übermächtig.
Wer einen Juden hasst, muss neben diesem riesen Leichenberg
bestehen bleiben.
Das glaube ich auch. Andererseits: Wieso sollte man (einen) Juden hassen? Es ist nicht sehr logisch und gilt auch seit 60 Jahren als unfein.
Aus diesem Grund muss man sich davon befreien, um wieder eine
normale Wahl treffen zu können, ob man nun ein Antisemit ist
oder nicht. Diese Wahl hat man so aus meiner Sicht nicht.
Das leuchtet mir nicht ein, vielleicht, weil ich nicht an das kollektive Trauma glaube. Wodurch sollte es sich übertragen? Es gab bei uns 60 Jahre lang praktisch kein antisemitisches Schrifttum, und genauso lange bekommt man den Schulen beigebracht, welch gefährlicher Unsinn der Antisemitismus ist. Die Söhne- und Töchtergeneration verhielt sich zu den Vätern kritisch und misstrauisch, für deren Kinder sind nach meiner Erfahrung Antisemitismus und Vernichtung ähnlich weit entfernt wie Hexenwahn und -verbrennung.
A. Deshalb nehme ich an, dass jeder welcher sich nicht für
einen Antisemiten halten will,
Das sind ja nun, wie wir gesehen haben, alle.
Soll das aber im Umkehrschluss heißen, es gäbe hier niemanden, der kein Antisemit ist?
dieses daruch zeigt, dass er
Antisemiten bekämpft
Na ja, das gilt vielleicht für Politiker und andere öffentliche Personen. Für die meisten Leuten, die ich kenne, sind Antisemiten ähnlich exotische Wesen wie ihre Antipoden, die Juden, und daneben Kommunisten, Zeugen Jehovas usw.
und da eigentlich niemand in Deutschland
von sich heraus sich als Antisemit zu erkennen gibt, muss man
sie mühsam suchen und an Indizies zu erkennen versuchen.
Es ist auch glaube ich richtiger, man bekämpft den Antisemitismus, wo er sich äußert, und nicht die irgendwie per Indizien identifizierten Antisemiten (vorausgesetzt natürlich, sie zündeln keine Synagogen usw.), zumal es da ja wahrscheinlich Schattierungen gibt. Wer ist schon völlig frei von allen möglichen Vorurteilen?
B. Umgekehrt wer Juden kritisieren will, dadurch sich in die
Nähe von Antisemitismus rückt oder gar auch antisemitische
Ansichten vertritt, kann dieses eben so auch nicht einfach
öffentlich verkünden. Darum ist so jemand bemüht, dass nichts
mehr als antisemitisch gilt, selbst wenn dieses offensichtlich
ist.
einleuchtend.
A führt dann zu wilden Antisemitismus-Vorwürfen, welche auch
manchmal berechtigt sein mögen.
B führt dazu, dass man dieses oder jenes nicht sagen können,
weil man dann als Anitsemit gilt, was auch manchmal berechtigt
ist.
Jetzt klarer? Dem ganzen Rest ist dieses wieder völlig egal,
hat aber Probleme mit A und B vernünftig umzugehen.
Außerdem: Wenn sie eine antisemitische Anschauung haben, wieso
haben sie deiner Meinung nach das Bedürfnis, nicht als
Antisemit zu gelten, auch vor sich selber nicht?
Weil die Geschichte ihnen dann den Spiegel vorhält.
Das ist mir zu abstrakt. s.o.!
Hier geht es darum
Handlungsspielraum für sich zu schaffen.
für was, für etwas, was als antisemitisch gilt?
Ja.
Wo beginnt deiner Auffassung nach der „reale“ Antisemitismus,
und was unterscheidet ihn vom irrealen?
Realer Antisemitismus liegt für mich vor, wenn wirklich jemand
Juden als solche hasst. Dafür gibt es Kritieren, welche ich
hier aber jetzt nicht diskutieren wollte.
Ist Hass nicht schon ziemlich radikal? Es gibt doch auch antisemitische Klischees, die den Juden bestimmte Eigenschaften zusprechen, ohne dass daraus gleich Hass entspringen muss, oder?
Irrationaler ist ein angenommener, welche eben nicht vorliegt.
Zum Beispiel Hohmann aufgrund seiner Aussagen vorzuwerfen, er
wäre ein Antisemit würde ich darunter zählen.
Bei seinen
Aussagen sehe ich nicht, dass sich Hass auf Juden ausdrückt,
sondern er wollte sich von einer von ihm selbst angenommenen
Schuld befreien. Dieses Bedrüfnis kann man auch haben, wenn
man kein Antisemit ist.
Was sagte er noch?
Was wäre deiner Meinung nach der angemessene Umgang damit?
In erst einmal als gegeben zu akzeptieren, was schon vielen
schwer fällt. Ich erinnere nur an immer wiederkehrende
Aufschreie hier im Forum, wenn anhand von Fakten belegt wurde,
dass ca. 20% der Deutschen eine antisemitische Ansicht teilen.
Die „Fakten“, wenn du damit z.B. die Studien von Heitmeyer meinst, sind auch sehr fragwürdig. Aber das führte hier zu weit.
Im nächsten Schritt sollte man klar machen, warum man solche
Ansichten nicht teilen kann und ablehnt.
Finde ich gut. Rationalisierung ist immer ein wichtiger Schritt.
Wie weit das dann
geht, muss jeder selbst für sich entscheiden. Letztlich muss
dieses aber in der Gesellschaft diskutierbar bleiben bzw.
werden. Gerade dieses ist in Deutschland aber noch nicht
möglich.
Antisemitismus ist ein Tabu, das heftet man zwar
schlechtestenfalls jemand an, aber man spricht dann nicht
weiter darüber.
Na ja, sozusagen ergebnisoffen über das Für und Wider von Antisemitismus zu diskutieren, wäre das wünschenswert?
Grüße
Oranier