Foucault über Freiheit und Selbsttechniken
Hi Candide.
Auch wenn sich nicht mal die Fragestellerin für unsere Diskussion interessiert …
Macht doch nichts (im Zusammenhang mit ihrer Prüfung hat sie vermutlich andere Sorgen, will das Thema vielleicht auch hinter sich lassen). Wichtig ist, dass sie die Anregung dazu gab, was mich jedenfalls endlich dazu brachte, mich näher mit Foucault zu befassen, den ich jetzt sogar wirklich interessant finde. Während du zu diesem Thema schon universitär vorbelastet bist 
Ich bitte daher um Gnade, wenn ich hier lediglich den e i n e n Punkt herauskristallisieren möchte, auf den es mir in diesem Thread ankommt: dass Foucault sehr wohl ein Denker der Freiheit ist. Denn gerade das jahrzehntelang aus seinen publizierten Reflexionen Ausgeschlossene (der Freiheitsbegriff) motiviert – aus dem Hintergrund - sein ganzes Denken, das an der Oberfläche nur um den Machtbegriff kreist.
Als Homosexueller hatte er am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, von der Gesellschaft „überwacht“ und reglementiert zu werden (wobei die Homosexualität in Frankreich allerdings seit 1791 legalisiert ist, im Unterschied zu Deutschland, wo sie erst in den 70ern legalisiert wurde). In den 50ern ging er – um der psychologischen Diskriminierung zu entkommen – für ein paar Jahre nach Schweden, wo er auch sein erstes Buch konzipierte (Wahnsinn und Gesellschaft, 1961).
Was dir ja alles bekannt ist. Ich will damit nur auf den offensichtlichen Sachverhalt hinweisen, dass Foucaults Philosophie a u c h seiner persönlichen Lebenssituation entsprang. Daraus – meine ich – resultiert die jahrzehntelange Einseitigkeit seiner Perspektive (das Machtparadigma). Die er aber in den späten 70ern zu relativieren begann, als eben doch das Freiheitsmotiv Einzug in sein Denken hielt. Natürlich hatte sich der Zeitgeist seit den 50ern gewandelt, die Welt war toleranter und liberaler geworden, und Foucault kam nicht umhin, das auch denkerisch zu assimilieren.
Ein paar Zitate dazu:
Aus „Das Subjekt und die Macht“, 256:
„Macht und Freiheit stehen sich also nicht in einem Ausschließungsverhältnis gegenüber (wo immer Macht ausgeübt wird, verschwindet die Freiheit), sondern innerhalb eines sehr viel komplexeren Spiels: in diesem Spiel erscheint die Freiheit sehr wohl als die Existenzbedingung von Macht (sowohl als ihre Voraussetzung, da es der Freiheit bedarf, damit Macht ausgeübt werden kann, wie auch als ihr ständiger Träger, …)“
Im folgenden Zitat wird gezeigt, wie gouvernementales Regieren Freiheit „vollzieht“, wobei die Freiheitstypen im einzelnen genannt werden:
(Aus „Die Geburt der Biopolitik“, Die Geschichte der G., Bd. 2, 97)
„In einem tieferen Sinne vollzieht sie (die Regierungspraxis, H.Tr.) die Freiheit. Sie vollzieht die Freiheit insofern, als sie nur in dem Maße möglich ist, in dem es tatsächlich eine bestimmte Anzahl von Freiheiten gibt: Freiheit des Marktes, (…), freie Ausübung des Eigentumsrechts, Diskussionsfreiheit, eventuell Ausdrucksfreiheit usw. Die neue gouvernementale Vernunft braucht also die Freiheit, die neue Regierungskunst vollzieht Freiheit. Sie vollzieht Freiheit, d.h. sie ist verpflichtet, Freiheit zu schaffen.“
Ich meine, das ist schon gravierend: der Freiheitsbegriff taucht in 4 Sätzen 10 mal auf. Ein paar Sätze später wird sinngemäß gesagt, dass es nicht um einen Imperativ „Sei frei“ an die Bevölkerung geht, sondern um das Angebot „Wir geben euch die Möglichkeit, frei zu sein“.
Ein Foucault-Zitat aus:
Thomas Lemke, „Freiheit ist die Garantie der Freiheit“, Michel Foucault und die Menschenrechte:
„Die Freiheit der Menschen wird niemals durch die Institutionen und Gesetze sichergestellt, die sie garantieren sollen. […] Ich denke nicht, dass es jemals in der Struktur der Dinge etwas geben könnte, das die Ausübung der Freiheit garantiert. Die Garantie der Freiheit ist die Freiheit.“
Hier hat Freiheit sogar, wie mir scheint, den Status des politisch Konstruierten abgelegt und ist ein existentielles Faktum vor aller Politik.
Foucault hat auch das Thema der – sagen wir mal – Selbstverwirklichung des Subjekts im Fokus.
In „Technologien des Selbst“ (46 f.) heißt es:
„In der von der Stoa bestimmten philosophischen Tradition bedeutet Askese nicht Verzicht, sondern zunehmende Beachtung des Selbst und eine Selbstbeherrschung, die nicht durch Verzicht auf die Realität erlangt wird, sondern durch Erwerb und Aufnahme von Wahrheit.“
In einem wichtigen Text („Freiheit und Selbstsorge“, Interview und Vorlesung), der mir nicht vorliegt, hat Foucault wichtige Aussagen über die sog. Selbsttechniken bzw. Freiheitstechniken gemacht, zu denen er auch die Meditation zählt. Bekanntlich hatte er ein starkes Interesse am Buddhismus und besonders am Zen.
Der „schwarze“ Foucault – wenn du damit den düsteren meinst – hatte sich also gegen Ende seines tragisch abgekürzten Daseins erheblich aufgehellt.
Ich lese Foucault sicher nicht aus marxistischer Sicht, eher noch Marx aus Foucaultianischer Sicht, aber sagen wir mal ganz allgemein, ich lese ihn wohl eher aus einer ideologie- und gesellschaftskritischen Perspektive als du.
Ich selbst „lese“ gerne marxistisch, aber immer auch mit dem Gedanken an Evolution und Fortschritt (entsprechend Wilbers und Habermas´ Konzepten einer progressiven Geschichte des Bewusstseins bzw. der Vernunft). Jeglicher Relativismus und Fatalismus ist mir fremd. Deswegen versuche ich, in Foucaults Konzept den einen Punkt herauszuschälen, der mit meiner Fortschrittsgläubigkeit konform geht – d.h. den Freiheitsgedanken.
Das wäre eine Sonderdiskussion, da ich die (genuin strukturalistische) Trennung Symbolisches/Imaginäres ums Verrecken nicht voraussetzen mag - wie übrigens Foucault, über den wir hier reden, auch nicht.
Na gut, dann visieren wir eine Sonderdiskussion dazu an (Thema Lacan natürlich).
„Statt als Ausdruck der Macht des Souveräns tritt die Bevölkerung vielmehr als Zweck und Instrument der Regierung hervor“ (Schriften 3, 817).
Es heißt „Bevölkerung = Zweck“ , was bedeutet, dass es keine Zwecke gibt, die jenseits der Interessen der Bevölkerung liegen …
Was ich jetzt NICHT mitgehe ist, dass du daraus, dass die Bevölkerung Instrument und Zweck des Regierens wird, folgerst, dass es um die Interessen der Bevölkerung ginge … Dieser Twist setzt ein Verständnis von Bevölkerung als eine Art Subjekt voraus (nur Subjekte können Interessen haben), was Foucault wiederum sehr fremd ist.
Schade, dass ich nicht die unmittelbar folgenden Sätze ebenfalls zitierte:
„Die Bevölkerung tritt als Subjekt von Bedürfnissen und Bestrebungen, aber ebenso auch als Objekt in den Händen der Regierung hervor … Das Interesse als Bewusstsein jedes einzelnen der Individuen … und das Interesse als Interesse der Bevölkerung … werden die Zielscheibe und das fundamentale Instrument der Regierung der Bevölkerungen sein“ (817).
Es geht also definitiv um die Interessen der Bevölkerung, die u.a. als Subjekt(gruppe) verstanden wird. Bezieht man die weiter oben angeführten Zitate zur Freiheit ein, dann erscheint es keineswegs abwegig, die Begriffe „Zweck“ und „Instrument“ affirmativ zu interpretieren. Es geht der Regierung (im Sinne des gouvernementalen Konzepts) nicht darum, die Bevölkerung für Zwecke zu manipulieren, die den Interessen der Bevölkerung zuwiderlaufen. Eine solche Interpretation findet im Text keine Grundlage.
Der Zweck der Ausübung souveräner Macht liegt jenseits des Objekts, an dem Macht ausgeübt wird, nämlich an der Bevölkerung.
Der Zweck der souveränen Macht liegt, wie gesagt, bei der Selbsterhaltung, dem Eigenwohl der Souveränität. Hier ist die Bevölkerung nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck (der Selbsterhaltung).
Foucault schreibt: „Der Zweck der Souveränität ist somit zirkulär… das Wohl ist der Gehorsam vor dem Gesetz, demnach ist das Wohl, das die Souveränität sich vornimmt, dass die Leute ihr gehorchen“ (809)
In der Gouvernementalität liegt der Zweck der Machtausübung im Objekt selbst: Macht wird an der Bevölkerung ausgeübt um damit Bevölkerung zu gestalten/hervorzubringen/kontrollieren/etc. … Mehr heißt das aber erstmal nicht.
Doch, das heißt mit Foucault (hier zum dritten Mal zitiert):
„Denn was kann, im Grunde genommen, das Ziel der Regierung sein? Gewiss nicht zu regieren, sondern DAS LOS DER BEVÖLKERUNGEN ZU VERBESSERN, ihre Reichtümer, ihre Lebensdauer und ihre
Gesundheit zu MEHREN …“
Der Philosoph aus dem Lande meiner Vorfahren zum Thema Macht:
(Dispositive der Macht, 35)
„Wenn sie nur repressiv wäre, wenn sie niemals anderes tun würde als nein sagen, ja glauben Sie dann wirklich, dass man ihr gehorchen würde? Der Grund dafür, dass die Macht herrscht, dass man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, dass sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muss sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper durchzieht.“
Foucaults Machtparadigma erinnert mich sehr an eine Vermischung der Lacan´schen Sphären des Symbolischen und Imaginären. Mit diesem Begriffspaar ließe sich die Foucault´sche Macht sauber in zwei sehr unterschiedliche Typen zwischenmenschlicher Strukturen trennen. Denn Macht ist sowohl ein Motiv des Imaginären wie des Symbolischen.
Können wir aber gerne in einem Lacan-Thread bequatschen, bis dahin vertiefe ich Foucault noch etwas.
Rousseau wird von Foucault auf S. 808-809 im G-Vortrag thematisiert, wo auch auf seine Vertragstheorie Bezug genommen wird in einer Weise, die für mich keineswegs ausschließt, dass diese Theorie im Konzept der Gouvernementalität einen Platz hat. Allerdings ist die Stelle nicht eindeutig interpretierbar, finde ich (wenn man Foucaults Position zur Rousseau´schen Vertragstheorie nicht schon aus einer anderen Quelle kennt).
Gruß
Horst