Hallo Jule,
eines der vielen tollen Dinge an dem früheren Kindergarten meines Sohnes ist auch, dass die Kinder selbstverständlich auch andere Feste als nur die christlichen kennenlernen und feiern - besonders groß das Zuckerfest.
Ich denke, genau das ist der Punkt, in dem sich die
Betrachtungsweise von religiös und nicht religiös geprägten
Menschen unterscheidet. Ich als Christin hätte ein Problem
damit, bestimme Feste einer anderen Religion mitzufeiern.
Ich - als Jüdin - habe kein Problem, die in unserem Kulturkreis gängigen religiösen Feste anderer mitzufeiern, wenn ich von anderen, die diese Religion praktizieren dazu eingeladen werde und mir nicht abverlangt wird, diese Glaubenstraditionen zu übernehmen.
In vielen großen Städten wird es ab Dienstagabend an einem zentralen Platz einen Chanukka-Leuchter geben, an dem die erste Kerze angezündet wird und jüdische Organisationen alle Interessierten einladen, dazuzukommen und mitzufeiern.
Da es immer mehr religiöse gemischte Familien gibt, stellt sich für immer mehr Menschen die Frage, wie sie mit unterschiedlichen religiösen Zugehörigkeiten in der Familie umgehen.
Und hier meine ich „Feiern“ in dem Sinn, dass ich in meinem
Verständnis des Begehens eines religiösen Festes aus dem
selben Anlass feiern müsste, aus dem auch die Mitglieder der
anderen Religion dieses Fest feiern.
Nein, wenn jemand als Gast eingeladen ist, dann nicht.
Ich kann mir aber bestimmte chistlich-missionarische Milieus vorstellen, wo es eine solche Form der Vereinnahmung - und als solche sehe ich das - geben mag.
Genau das könnte ich aber
nicht in jedem Fall, denn es würde meiner eigenen religiösen
Überzeugung entgegen stehen, einen anderen Gott als den meinen
zu feiern.
In unserem Kulturkreis wird es meist um die abrahamitischen Religionen gehen, also Judentum, Christentum und Islam - und das liberale Spektrum dieser Religionen geht davon aus, daß man sich auf einen gemeinsamen G-tt bezieht.
Und die fundamentalistischen Gruppierungen dieser Religionen werden sowieso keine Angehörigen anderer Religionen zu ihren Festen einladen, außer Christen mit missionarischer Absicht.
Natürlich könnte ich mir ganz bequem auch hier meine eigene
Betrachtungsweise zurechtbiegen und beispielsweise
konstatieren, dass ich eben aus Achtung und Respekt für die
andere Religion dieses Fest mitfeiere. In den Augen der
Mitglieder der anderen Religion zählt diese Interpretation
übrigens in aller Regel nicht wirklich.
Wenn Gäste vorgesehen sind, dann schon.
Allerdings erfordert es einen gewissen Vorbereitungsaufwand und Kommunikation. Wenn ich Nicht-Juden zu Pessach einlade, dann muß ich abklären, ob sie auch Texte mitlesen wollen oder lieber nicht.
Wenn sie Texte mitlesen wollen, dann muß ich mir überlegen, welche Texte dafür in Frage kommen, nämlich nicht solche, die uns als Juden definieren. Ich möchte meine nicht-jüdischen Gäste nämlich nicht als Juden vereinnahmen. Außerdem würde es sich auch für jüdische Gäste komisch anfühlen, wenn ein nicht-jüdischer Gast einen Abschnitt lesen würde, in dem es darum geht, daß „der Ewige uns aus Ägypten herausgeführt hat“.
Letzten Endes ist es doch nur ein Umdeuten ursprünglicher
Inhalte, die lediglich dem Zweck dienen, sein eigenes Weltbild
nicht zu gefährden. Das Deckmäntelchen des interkulturellen
Verständnisses passt hier auch ganz bequem. Dennoch macht es
für mich als Christin einen Unterschied, ob ich eine andere
Religion respektiere oder ob ich ihr anhängen möchte - und
nichts anderes täte ich beim Begehen bestimmter
Feierlichkeiten.
Das Umdeuten passiert meiner Erfahrung nach in ganz anderen Kontexten, nämlich wenn in bestimmten frommen christlichen Kreisen Christen christliche Pessach-Feiern veranstalten und das Fest christlich vereinnahmen.
Ich stelle auch in Frage, dass es sinnvoll sein soll, wenn
eine christliche Erzieherin ein (beispielsweise) muslimisches
Fest in ihrer Gruppe feiert.
Genau das meine ich damit. Es ist ihre christliche Wahrnehmung des muslimischen (wechselweise auch jüdischen) Festes, das sie einbringt.
Allerdings wird genau diese Tendenz in einer bestimmten Spielart evangelischer Religionspädagogik gefördert. Da gibt es dann evangelische Medienstellen, wo Du „Judentumskoffer“ entleihen kannst. Die haben dann jüdische Kultgeräte und da wird dann ein jüdisches Fest inszeniert, ohne dass irgendjemand der Anwesenden dazu eine Verbindung hat. Als erstes muß sich dann jeder einen jüdischen Namen aussuchen. Denn wenn der evangelische Gerhard sich dann „Aaron“ nennt, dann fühlt er sich gleich ein bißchen jüdischer oder was er dafür hält.
Ich würde es für sehr viel
sinnvoller halten, für die Begleitung eines solchen Festes
eine Muslimin zu wählen - sei es nun eine Kollegin oder die
Mutter eines Kindes aus der Gruppe. Nur die versteht nämlich,
was hier eigentlich gefeiert wird, ohne das Ganze zu einem
reinen Feierspektakel zu degradieren. Und dann wäre es die
Aufgabe aller beteiligten Erwachsenen, die Hintergründe auch
den Kindern in dieser Gruppe zu eröffnen.
Volle Zustimmung!
Um das von dir angeführte Beispiel des Zuckerfestes zu nennen:
Natürlich feiern Kinder,ganz unabhängig von jeder religiösen
oder nicht religiösen Herkunft, begeistert ein Essgelage. Aber
auch wenn muslimische Kinder im Kindergartenalter noch nicht
fasten müssen, wissen sie doch um die eigentliche Bedeutung
des Festes. Viele der Kinder erleben das Begehen des Ramadan
zuhause mit und haben ein Verständnis für die Bedeutung des
Festes, das nicht muslimischen Kindern fehlt.
so ist es.
Das einfache wechselseitige Überstülpen religiöser Brauchtümer
halte ich für ein komplettes Missverständnis in Sachen
interkultureller Erziehung. Ein echtes Verständnis für die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten der anderen Religion wird
dabei sicherlich nicht gewonnen. Das gilt im Übrigen in jede
Richtung und beinhaltet damit auch das Feiern des
Weihnachtsfestes für muslimische Kinder.
Die meisten jüdischen Kindergärten in Deutschland machen solche gegenseitigen Einladungen nicht mit, weil sie sagen, daß die Kinder erst einmal in ihrer eigenen Tradition beheimatet werden sollen.
…
Viele Grüße
Iris